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DIE VORAUSSETZUNGEN DER SEXUALMAGIE
ОглавлениеGerne wurde in alten sexualmagischen Schriften die Sexualmagie als Disziplin dargestellt, die nur den sogenannten "Höchsten Eingeweihten" vorbehalten sei,
als eine Lehre voll unsäglicher Gefahren für Leib und Seele. Dementsprechend wenig wurde in selbigen Werken dann auch auf die eigentliche Praxis eingegangen, statt dessen herrschten die Warnungen und moralischen Vorgaben vor - der erhobene Zeigefinger war meistens das herausragendste Merkmal
dieser, meist älteren, Autoren. Das gilt allerdings auch für die magische
Literatur ganz allgemein, nicht nur für die Sexualmagie allein. Wenn wir die sexologische Literatur dieser Zeit (bis weit in die sechziger Jahre unseres Jahrhunderts hinein) betrachten, stellen wir fest, daß für die Sexualität das
gleiche gilt:
Auch sie wurde weitgehend totgeschwiegen, bagatellisiert, mit idealistischen Moralnormen überhöht und somit "unantastbar" gemacht usw. Wie sehen also, daß das Verhältnis der Sexualmagier zu ihrer Disziplin historisch voll in ihre eigene Zeit - und Gesellschaftsstruktur eingebettet war. Wurde die Sexualität durch Kirche, Staat und Gesellschaft unterdrückt, so galt für die Sexualmagie dasselbe. Und so ist diese leidige Geheimnistuerei zum Teil sogar verständlich; immerhin riskierte ein Autor noch in den fünfziger Jahren, als "obszöner Jugend und Sittenverderber" gebrandmarkt zu werden, so dass man ihm eine gewisse Zurückhaltung wirklich nicht verübeln kann.
Ein weiteres Merkmal vor allem älterer Werke zur Sexualmagie ist die ausschließlich männliche Ausrichtung der darin geschilderten Praktiken. In
diesem Punkt bildet übrigens selbst Crowley keine Ausnahme. Auch dies lässt sich unschwer historisch erklären. Immerhin wurde die Sexualität der Frau in
der abendländischen Kultur nach jahrtausendelanger Unterdrückung erst sehr
spät (wie - der - )entdeckt, und so nimmt es nicht wunder, wenn die sexualmagischen Schriften bis in unsere Zeit hinein die Frau tatsächlich
allenfalls als Erfüllungsgehilfin und (magisches) Lustobjekt kennen. Noch
Ende der fünfziger Jahre formulierten Autoren der älteren Generation selbst bei etwas so vergleichsweise Harmlosem wie der Pendellehre Ratschläge wie "der Magier beschaffe sich ein weibliches Medium und mache es sich hörig" - worunter natürlich "sexuelle Hörigkeit und Ausbeutung" verstanden wurden,
eine präzise Spiegelung des Zustands der zeitgenössischen Gesellschaft. Wir wollen uns hier nicht selbst beweihräuchern oder
gar behaupten, heute sei "endlich alles viel besser", denn keine Epoche erkennt ihre eigenen Fehler mit derselben Präzision wie die Fehler ihrer Vorgänger.
Halten wir einfach ganz neutral fest, dass sich die allgemeine Einstellung zur
Sexualität des Menschen, zur Rolle der Frau, zur Beziehung zwischen den Geschlechtern usw. seitdem zum Teil recht drastisch geändert hat. Überhaupt können wir heute über vieles (wenngleich längst nicht alles!) offener,
unverblümter sprechen als noch vor zwanzig Jahren, man denke nur etwa an die männliche wie weibliche Homosexualität, an die so genannte Pornographie usw. Darüber hinaus ist ganz allgemein das Wissen um die Geheimdisziplinen und
die "schwarzen Künste" zugänglicher geworden: Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte konnte sich der Laie derart umfassend durch Bücher, Kurse,
Seminare usw. darüber informieren, wenn er nur wollte. Selbst die Zeit
unmittelbar nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg, als der
Okkultismus mal wieder als Welle hohe Wogen schlug, gab dem einschlägig Interessierten so viel, vor allem praktisches, Material an die Hand, wie es heute
der Fall ist. Insofern sind die Zeiten für ein Werk wie das vorliegende sehr
günstig, zumal viele allgemeine Vorurteile der Vergangenheit ("Alle Magie ist Teufelswerk", Sexualität ist böse" usw.) zumindest etwas an Schärfe verloren"
haben.
Von allen Geheimwissenschaften galt die Sexualmagie jahrhunderte lang als die gefährlichste. Wir wissen heute, wie sehr diese Einstellung die
Körperfeindlichkeit des damals alles beherrschenden Christentums
widerspiegelte, doch damit ist das Problem leider noch lange nicht vom Tisch:
Denn es lässt sich nicht leugnen, dass die Sexualmagie tatsächlich auch ihre gefährlichen Aspekte hat. Diese liegen allerdings - wie auch bei der Magie ganz allgemein - häufig auf völlig anderen Ebenen, als es oft angenommen wurde. Es
soll hier mit einem Vergleich beschrieben werden, auf den wir uns immer
wieder beziehen wollen: Die Sexualmagie ist (wie die gesamte Magie auch)
nicht gefährlicher und nicht ungefährlicher als etwa das Autofahren. Sie verlangt nach Schulung und Praxis, sie kennt ihre Regeln und Gesetze, und wer sie
betreiben will, muss in entsprechender Verfassung sein und aufmerksam
bleiben. Man sollte die Gefahren der Sexualmagie also gewiss nicht
bagatellisieren, sie aber auch nicht überbetonen, denn damit wäre niemandem gedient - und dem Menschen selbst am allerwenigsten. Im übrigen ist es eine
zwar bedauerliche, aber nicht wegzuleugnende Tatsache, dass jene Menschen,
die am lautstärksten vor den Gefahren der Sexualmagie zu warnen pflegen, in
der Regel Sexualität am Verklemmtesten sind und über keinerlei praktische Erfahrungen mit der Sexualmagie verfügen.
Wenn man die Fahrschule besucht, um Autofahren zu lernen, wird man in der
Regel nicht erst stundenlang mit Schilderungen von Unfällen und Gefahren im Straßenverkehr verschreckt - eine vernünftige Führerscheinausbildung wird im Laufe der Praxis auf reale Gefahren und Risiken hinweisen, nicht aber vorab den Anfänger sinnlos verunsichern. Auf ähnliche Weise wollen wir hier auf die tatsächlichen Gefahren der Sexualmagie auch nicht verfrüht eingehen, sondern
sie im Laufe der hier geschilderten und empfohlenen Praxis erwähnen, um sie
am Ende des Buchs noch einmal kurz zusammenzufassen und zu kommentieren. Stattdessen werden wir uns hier zunächst einmal mit den Voraussetzungen für
die Sexualmagie beschäftigen, wie wir sie verstehen.
Grundsätzlich ist die Sexualmagie für Mann und Frau möglich. Wir werden auf
die durchaus existierenden Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Sexualität zwar stets eingehen, wo dies geboten erscheint, aber fürs erste möge
es genügen, dass wir hier keine wertende Unterscheidung zwischen den Geschlechtern machen werden, ja nicht einmal machen dürfen, weil dies der ganzen Philosophie der Sexualmagie zuwiderliefe. Denn die Sexualmagie ist
nicht in erster Linie für den Mann oder die Frau, für den Asiaten oder den Europäer, den Eingeweihten oder den Unerlösten usw. gedacht - sondern für
den Menschen selbst, ohne Ansehen rassischer, konfessioneller, gesellschaftlicher oder geschlechtlicher Unterschiede.
Dennoch war die Sexualmagie noch nie etwas für die große Masse und wird es wahrscheinlich auch niemals sein. Vergessen wir nicht, dass der menschliche Umgang mit der Sexualität, auf den wir im nächsten Kapitel noch ausführlicher eingehen werden, von seiner emotionalen Sprengkraft her dem Gebrauch mit
einer Handgranate gleichkommt! Keine Kraft, kein Trieb beherrscht uns so vollständig, so scheinbar irrational und so ausschließlich wie die Sexualität, kein Instinkt mußte so sehr als Sammelbecken existentieller Urängste und Unsicherheiten herhalten. Die Sexualmagie aber ist mehr als nur der rituelle Umgang mit Sexualität, sie will zur Überwindung der Grenzen führen, von
denen unsere Sexualität einerseits geprägt ist und die sie uns andererseits sehr
oft selbst wiederum setzt. Insofern packen wir mit der Sexualmagie tatsächlich ohne jede Übertreibung ein "heißes Eisen" an.
Wer also Sexualmagie praktizieren will, braucht zunächst einmal Mut - den
Mut, auch sexuell über den eigenen Schatten des Gewohnten zu springen, seinen sexuell bedingten Ängsten ins Auge zu blicken und sie zu überwinden, ohne sie jedoch zu verdrängen oder kurzerhand auszumerzen. Diese Bereitschaft (und sie wird im Laufe der Praxis immer wieder auf die Probe gestellt werden!) ist unabdingbar, ohne sie kann die Sexualmagie tatsächlich zu einer wahren
seelischen Hölle werden.
Das wäre wie ein angehender Autofahrer, der sich weigert, sich im
Straßenverkehr dem allgemeinen Tempo des Verkehrsflusses anzupassen, der völlig willkürlich und unberechenbar mal anhält, mal Gas gibt er gefährdet nur sich selbst und alle anderen. Doch bedeutet das nun nicht, um im Bild zu
bleiben, dass jeder sofort Rennfahrerambitionen entwickeln muss! Die Sexualmagie hat nichts mit Hochleistungssport zu tun, und wenn ein Mensch
das Gefühl hat, nun sei es genug, mehr könne er im Augenblick wirklich nicht verkraften, so wäre es der Gipfel der Torheit, seine Entwicklung mit Gewalt forcieren zu wollen. Andererseits lernt man das Schwimmen jedoch nur durch den Sprung ins Wasser wirklich, und so muss jeder zu seinem eigenen
Ausgleich zwischen Härte und Sanftheit gegenüber sich selbst finden. Man darf sich in der Sexualmagie ebenso wenig unter - wie überfordern. Findet man aber in diesem Punkt zum Mittelweg, also zur eigenen Mitte, so stehen einem Tür
und Tor zum Erfolg offen.
Zweitens verlangt die Sexualmagie nach Zielbewusstheit. Sie wird, zumindest in
der ersten Zeit, nicht allein um ihrer selbst willen ausgeübt, der eindeutige, einspitzige Willenssatz muss ihr vorausgehen, will man nicht einfach nur einen etwas bizarren Umgang mit Sexualität pflegen, ohne die eigentliche Magie dabei jemals wirklich zu berühren. Doch warum sollte ein Mensch sich zur
Sexualmagie entscheiden? Dafür kann es viele verschiedene Gründe geben, von denen einige hier stichwortartig aufgezählt werden sollen: das allgemeine
Interesse an einer erweiterten, durch den magischen Umgang mit den Kräften
der Seele und des Universums gesteigerten Sexualität; das Interesse an
einer besonders wirkungsvollen magischen Technik; Forschergeist; das Verlangen, die eigenen Grenzen auszuweiten; Interesse am bewussten Umgang
mit Ängsten und Gefühlen; der Wunsch, die eigene magische Entwicklung zu vervollkommnen und abzurunden; Vergnügen am magischen Umgang mit Sexualität; die intuitive "Baucherkenntnis", dass dies der eigene Weg ist usw. Bevor Sie sich daranmachen, die Sexualmagie zu praktizieren, sollten Sie sich darüber im Klaren sein, warum Sie dies tun wollen. Das hat psychologische wie technische Gründe: Erstens werden Sie sich dadurch, sofern Sie bei der Selbstbetrachtung hinreichend tief in sich hineinblicken, über Ihr eigenes Verhältnis zu Sexualität und zur Magie klar; und zweitens können Sie dann mit sichererer Hand jene Untergebiete der Sexualmagie verstärkt bearbeiten, die
Ihren Anliegen am meisten entsprechen.
Bitte beachten Sie auch, dass hier keine Vorgaben gemacht werden, welches nun
"edle, richtige" und welches "unedle, falsche" Motive für den Umgang mit der Sexualmagie sind! Es geht zunächst nur darum, sich ihrer überhaupt bewusst zu werden. Allerdings möchte ich hier auch auf Motive hinweisen, die sich erfahrungsgemäß eher problematisch auswirken dürften: Wenn Sie in der Sexualmagie einen Ausgleich, ja einen Ersatz für eine frustrierte Sexualität
suchen sollten, so werden Sie einige Schwierigkeiten bekommen. Die
Sexualmagie verlangt zwar nicht nach einem Magier, der bereits, jenseits von
Gut und Böse, völlig frei von menschlichen Bedürfnissen und Regungen ist,
aber sie ist auch kein Ersatz für nicht ausgelebte Sexualität! Wir hoffen, dass im Laufe dieser Ausführungen deutlich wird, dass Sexualmagie nicht dasselbe ist
wie Sexualität - ein wichtiger Punkt, der nicht oft genug betont werden kann! Es
soll hier nicht behauptet werden, dass Sie die Finger von der Sexualmagie lassen müssen, wenn Sie in ihr lediglich eine Ersatzbefriedigung suchen oder gar die Möglichkeit, endlich auf "legitime" Weise all das praktizieren zu dürfen, was
Sie sich sonst nicht trauen würden (z.B. Gruppensex, Partnertausch, Homosexualität usw.). Auch dies kann eine hinreichende Triebkraft sein, die schließlich zur echten Sexualmagie führt - doch müssen Sie sich in diesem Fall
vor allem und sehr eindringlich mit der vorbereitenden Praxis beschäftigen, der
wir noch manche Seite widmen werden. Tun Sie das nämlich nicht, so werden
Sie feststellen, dass die Sexualmagie die Sammlung Ihrer Enttäuschungen nur
noch um einige weitere, möglicherweise besonders "hässliche" erweitert! Die Sexualmagie arbeitet zwar mit der Lustenergie, aber deshalb bereitet sie
keineswegs immer Vergnügen, sondern ist im Gegenteil oft recht anstrengend.
Wer an die Sexualmagie Erwartungen stellt, die eigentlich an die Adresse der
eigenen sexuellen Verklemmtheit gerichtet werden müssten, dem wird sie den
Ball unaufgefordert und gnadenlos wieder zurückspielen.
Anders als das östliche Tantra arbeitet die westliche Sexualmagie sehr betont
mit dem männlichen wie weiblichen Orgasmus. Von daher ist die Orgasmusfähigkeit des Praktikanten natürlich auch eine notwendige
Voraussetzung für das Ausüben dieser Kunst. Dies gilt zumindest für körperlich
- sexuell gesunde, also organisch orgasmusfähige Menschen. Wer aus psychosomatischen Ursachen heraus Orgasmusschwierigkeiten hat, dem bleibt
der Pfad der Sexualmagie deshalb noch lange nicht verschlossen; er oder sie
muss freilich für die so genannten "höheren" Stufen diese Fähigkeit (wieder) erschließen, wozu in diesem Werk auch entsprechende Hinweise gegeben
werden.
Orgasmusvermeidende Praktiken wie Tantra, Tao Yoga, Carezza usw. haben
zwar in der Sexualmagie als Hilfsdisziplinen durchaus ihren Platz, doch
verlangen, wie erwähnt, viele sexualmagischen Operationen nach dem
Orgasmus des Magiers oder der Magierin. Allerdings ist damit nicht unbedingt
der reine Genitalorgasmus (der so genannte "Gipfelorgasmus") gemeint, wie wir
ihn gemeinhin kennen. Auch der "Tal - " oder "Ganzkörperorgasmus", der beim Mann in der Regel ohne Ejakulation verläuft, ist dafür voll brauchbar, ja er ist
dem Gipfelorgasmus gelegentlich sogar vorzuziehen. Auch hierauf soll in entsprechendem Zusammenhang noch näher eingegangen werden. Schließlich
sei noch eine weitere Anforderung erwähnt, die für alle Magie gilt: Der Magier
muss über eine stabile seelische ("psychische") Verfassung verfügen. Dieser
Punkt ist vielleicht der heikelste von allen, und dies aus mehreren Gründen:
Zum einen ist der Begriff "stabil" recht unscharf, lässt sich aber leider nicht
genauer präzisieren. Wer sich gerade mit Mühe und Not seelischpsychisch im
Leben "über Wasser" hält und ständig Gefahr läuft, von einem psychotischen
oder schizoiden Schub .in den anderen abzugleiten, der sollte die Finger von
jeder Form der Magie lassen - das kann gar nicht eindringlich genug betont
werden!
Der zweite Grund, weshalb der Begriff "stabile seelisch psychische Verfassung" etwas problematisch ist, scheint dieser Forderung regelrecht zu widersprechen:
Oft ist es nämlich so, dass es gerade die innerseelischen Spannungen sind, die
den Menschen überhaupt erst zur Magie befähigen! Gregorius hat dies einmal an einer astrologischen Symbolik verdeutlicht: Für gewöhnlich sieht kein Astrologe
alter Schule Quadraturen, also 90 Grad - Aspekte, im Geburtshoroskop, bei Transiten oder Direktionen besonders gern. Sie gelten als problematisch und spannungsreich, ja oft als geradezu katastrophal, auch wenn die moderne, vor
allem die tiefenpsychologisch orientierte Astrologie diese Aussage inzwischen
sehr stark abgeschwächt und relativiert hat. Gregorius behauptet jedoch
sinngemäß, dass ein Magier sich im Prinzip gar nicht genug Quadraturen
wünschen kann!
Denn diese, so führt er aus, seien "kosmische Einfallswinkel", Positionen also,
die für überindividuelle oder transpersonale, mithin also für magische Kräfte empfänglich machen. In die Sprache der psychologischen Magie übersetzt
bedeutet das: Erst die inneren und äußeren Spannungen erschließen uns
überhaupt die uns und der Welt innewohnenden magischen Kräfte und können
sie für uns handhabbar machen. Mit anderen Worten: Wäre der Magier nicht
von sich aus bereits ständig in Gefahr, in den so genannten "Wahnsinn"
abzugleiten, so könnte er auch nicht über die Kräfte verfügen, die zur Ausübung seines Metiers nötig sind.
Insofern stellt die Magie in gewissem Maße sogar eine Form der Therapie
geistig - seelischer Störungen dar, und oft wird sie ja auch als eine Art " gesteuerter Schizophrenie" bezeichnet, was vor allem auf die so genannte "theurgische" und die Besessenheitsmagie zutrifft. Dies bringt uns endlich zur Frage, was denn Magie überhaupt sei. Wer sich schon länger mit magischer Literatur beschäftigt hat, dem werden bereits zahlreiche Definitionen der Magie begegnet sein. Wir wollen uns hier auf die folgende beschränken, die eine Abwandlung der altbekannten Formulierung des Altmeisters der modernen
Magie, Aleister Crowleys, darstellt: "Magie ist die Kunst und die Wissenschaft, mittels veränderter Bewusstseinszustände Veränderungen auf der stofflichen wie geistigen Ebene herbeizuführen."
Mittels veränderter Bewusstseinszustände" diesen Grundsatz sollten Sie sich genau einprägen. Denn, so formuliert es das Liber Null sehr treffend:
"Veränderte Bewusstseinszustände sind der Schlüssel zu magischen
Fähigkeiten." Die für die Magie benötigten Bewusstseinszustände nennen wir
hier, ebenfalls in Anlehnung an das Liber Null, "gnostische Trancen" oder,
kürzer, "Gnosis".
Gnosis ist ein späthellenischer Begriff, der eigentlich soviel wie "intuitives, offenbartes Wissen" bedeutet, Er wird hier in diesem, modernen,
Zusammenhang verwendet, weil damit a) die intuitive und subjektive Seite des magischen Handelns betont wird; und b) weil wir es bei der "gnostischen
Trance" um eine Art "Hyper - Luzidität", also "Über - Wissen" zu tun haben,
eine gesteigerte "Klar" - Sicht, für die es in unsere Sprachschatz keine richtige Entsprechung gibt. Am besten ließe sich dieser Zustand vielleicht noch als eine Mischung zwischen "Offenbarung" und "Hellsichtigkeit" umschreiben.
Die Sexualmagie bezieht einen großen Teil ihrer Mächtigkeit gerade aus der Tatsache, daß die Sexualität ganz allgemein und der Orgasmus im besonderen
uns eine geradezu ideale "natürliche" gnostische Trance für die magische Arbeit bietet. (Crowley nennt dies die "eroto komatose Luzidität", also die durch erotische Praktiken herbeigeführte, dem Koma oder der Besinnungslosigkeit ähnliche Hellsichtigkeit.) Dies bedingt, daß wir dabei also weitgehend auf eine
oft sehr umständliche meditative und mystische Tranceschulung verzichten können, denn wir bedienen uns von vornherein jener natürlichen Trance, die wir den Orgasmus oder die sexuelle Erregung nennen. Wobei es sich von alleine verstehen sollte, dass der Begriff "Trance" hier nicht etwa die hypnotische Volltrance meint, bei der der Klient (oder das Opfer . . .) jegliche Kontrolle über sein eigenes Tun verliert und vom Hypnotiseur beliebig zu manipulieren ist.
Die gnostische Trance gleicht der hypnotischen zwar in einigen äußerlichen
Merkmalen, doch bleibt die Willens - und die Entscheidungsfreiheit des Magiers dabei voll erhalten, auch wenn er sich dabei in einer anderen, oft recht bizarr anmutenden Realität befinden mag!
Die drei Säulen der westlichen Magie, wie wir sie heute verstehen, sind Wille, Imagination und gnostische Trance. Letztere haben wir hier als erstes behandelt,
und dies aus gutem Grund: Ohne sie nützen Wille und Imagination allein
nämlich so viel wie überhaupt nichts! Andererseits ist diese Erkenntnis,
wenngleich sie den alten Meistern z.B. des Mittelalters sicherlich auf nicht ausgesprochene Weise wohlbekannt war, in der magischen Literatur erst vergleichsweise spät vermittelt worden, nämlich in den siebziger und achtziger Jahren unseres Jahrhunderts. Bis dahin galten Wille und Imagination allein als
völlig ausreichend für die magische Praxis. Leider bietet uns dies dann eine
Magie, die sich vom Positiven Denken und anderen, ähnlichen Psychopraktiken
von der Grundstruktur her kaum wirklich unterscheidet und entsprechend oft
auch nur ähnlich mühsam zu erringende oder gar oberflächliche Ergebnisse
erzielt. Gerade durch die recht späte Begegnung mit dem Schamanismus und
durch die Entwicklung des auf der zeitgenössischen Chaos - Magie fußenden "Freistilschamanismus" (etwa eines Pete Carroll, eines Ray Sherwin u.a.) ist uns
so richtig bewußt geworden, welche Schlüsselrolle doch der gnostischen Trance
bei aller Magie zukommt.
Wille und Imagination entsprechen auch Zielbewusstheit und
Visualisationskraft. Diese wurden in der westlichen Tradition stark gepflegt.
Wichtig ist vielleicht noch erneut zu erwähnen, daß sich Sexualmagie und Sexualmystik insofern voneinander unterscheiden, als die erstere meist
zielgerichtet und erfolgsorientiert ist, während die zweitere in der Regel auf Beeinflussung materieller oder psychischer Art verzichtet, um statt dessen vor
allem die Erfahrung und die Ekstase (ebenfalls eine Form der gnostischen
Trance!) in den Vordergrund zu stellen. Wir haben am Schluss dieses Buchs
auch ein sexualmystisches Ritual geschildert, das zur Abrundung und Ergänzung dient. In Wirklichkeit ist die Trennung Magie / Mystik ab einer gewissen Stufe nämlich nur noch eine künstliche und wirkt geradezu albern: Denn
schlussendlich werden Magier und Mystiker irgendwann wieder eins - weil sie nämlich beide zu Gott werden und schon insofern ihr Schöpfungsrecht
wahrnehmen und ausüben, und sei es oft auch nur durch den Verzicht auf seine
Ausübung!