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DER UMGANG MIT DER SEXUALITÄT
ОглавлениеEs wurde schon darauf hingewiesen: die Einstellung zur Sexualität des
Menschen bewegte sich im Laufe der Geschichte stets innerhalb zweier
Extreme. Entweder man verteufelte das Geschlechtliche als "Satanslust" und als gefährlichen Trieb, der gesellschaftliche Ordnung und Seelenheil bedrohte, oder man "übersakralisierte" es, machte es zu etwas außerordentlich Heiligem und Sakrosanktem. In beiden Fällen war der Effekt in etwa der gleiche: die
Sexualität galt als "unantastbar", sei es, weil sie den Menschen befleckte, sei es, weil der Menschen in seiner eigenen Unreinheit Gefahr lief, dieses "Himmelsgeschenk" seinerseits zu beschmutzen.
Die Folge waren Neurosen und Verdrängungen, Tabus und Verklemmtheiten,
die auch heute noch weitgehend unsere Sexualität im allgemeinen prägen, wenngleich inzwischen oft vielleicht eher unbewusst. Denn obwohl zumindest
im Abendland die allgemeine Einstellung zur Sexualität inzwischen nach außen
hin liberaler geworden sein mag, wenngleich die Zügel gewiss etwas gelockert wurden, hat sich der Mensch innerlich noch lange nicht zu jener äußeren
Freiheit hinentwickelt, sind Eifersuchtsdramen und Entfremdung, Leeregefühl
und Impotenz nach wie vor an der Tagesordnung, steigt die Zahl der Triebverbrechen unverändert, findet die Sexualität immer mehr auf der
Bildebene der Pornographie, also im "Kopf" statt, anstatt den ganzen Körper des Menschen zu erfassen und zu umfassen. Das Ergebnis ist eine sexuelle Frustration, die den Glauben an die befreiende Wirkung der Sexualität, an ihre Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung des Einzelnen in Frage
stellt und schließlich in Ekel und Skepsis umschlagen lässt.
Das gilt übrigens nicht nur im Westen allein, diese Misere findet vielmehr
weltweit statt. Gerade die von schwärmerischen Naturen so hoch gepriesenen klassischen Länder "orientalischer Liebeskunst", etwa Indien, China, der
arabisch - islamische Kulturraum usw. kennen heute die größten Tabus und die schärfsten Strafen für jene, die sie übertreten oder brechen. Die Prüderie ist international und keinesfalls nur auf die katholische Kirche und ihre
puritanischen Ableger beschränkt.
Auf der Strecke bleibt dabei natürlich der Mensch: Da verfügt diese "Krone der Schöpfung" über eine Energiequelle allererster Güte, über eine Kraft, die das ganze Leben, wie wir es kennen, prägt, durchzieht und überhaupt erst möglich macht, und was tut er damit? Er fürchtet sich vor ihr, er verdrängt sie, lässt ihr allenfalls im verschämten ehelichen oder außerehelichen Kämmerlein oder in
der geistlosen Un - Erotik der Peepshows Raum, sich - mit stark beschnittenen Flügeln - zu entfalten. Daran ändert auch die gängige Promiskuität und das Gedeihen von Sexclubs und Bordellen nicht viel, im Gegenteil:
Derlei Erscheinungen sind ja nun nicht gerade neu, doch dürfte unsere Epoche
wahrscheinlich den Vogel in Sachen "lustlose Lust" abschießen. Die Hetzjagd nach der sexuellen Erfüllung geht, trotz Kinsey - Report und
Liebeshandbüchern, trotz Sexualtherapien und sexueller Emanzipation, unvermindert weiter, gelegentlich unterbrochen (oder gar noch angestachelt?)
von Faktoren wie der jüngsten Herpes - und AIDS - Hysterie und ähnlichen, oft als "Geißeln Gottes" gedeuteten, Selbstbestrafungsmechanismen.
Als Charles Darwin seine Evolutionstheorie entwickelte und, etwas verkürzt formuliert, nachzuweisen versuchte, dass der Mensch im Prinzip vom Affen abstammt, ging ein Aufschrei der Empörung durch die europäische Zivilisation. Als Sigmund Freud, ein knappes Halbjahrhundert später, den Sexualtrieb zum Seelenfaktor Nummer eins erklärte und sich anschickte, den Menschen vor
allem als triebgeprägt zu deuten, ja einen Großteil seiner seelischen Störungen
auf den falschen Umgang mit diesem Trieb zurückzuführen, da war erneut buchstäblich die Hölle los. Wieder waren es Kirche und Reaktion, die sich (zum Teil noch bis heute) gegen ein solches Menschenbild stemmten und dagegen Sturm liefen. In beiden Fällen war das Grundmotiv das gleiche: Man weigerte sich, die "Tiernatur" des Menschen anzuerkennen, einmal genetisch (Darwin), einmal sexualistisch (Freud). Gerade im Falle Freuds werden die Unterdrückungsmechanismen besonders deutlich, hatten doch schon die (heidnischen!) altgriechischen Philosophen die Sexualität als "tierischen" Trieb abgestempelt, den es zu überwinden galt. Man sollte sich freilich nicht allzu überheblich über derlei Reaktionen mokieren. Dahinter stand immerhin einmal mehr eine Ur - Angst, die Angst nämlich, der ganze mühsame Evolutionsprozeß (der ja Interessanterweise, zumindest was die kulturell - sittliche Entwicklung
und die Heilsgeschichte anbelangt, auch von Darwins Kritikern weitgehend anerkannt wurde) könne gefährdet sein.
Sollte denn wirklich nach zigtausendjähriger Entwicklung als Fazit nichts
anderes übrig geblieben sein als daß der Mensch im Grunde doch nur ein Tier
sei, und gar nicht einmal unbedingt ein viel besseres als die anderen? Wir
werden auf diesen Tieraspekt noch zurückkommen, wenn wir uns mit der atavistischen Magie befassen. Hier möge fürs erste die Feststellung genügen,
dass diese entwicklungsgeschichtlichen Ausführungen nötig sind, um uns Klarheit über unsere heutige Position zu verschaffen, um zu erkennen, daß wir auch das weltanschauliche Erbe unserer Vorfahren in uns tragen, nicht nur das
genetische!
Denn eines hat sich trotz aller Veränderungen bis in unsere Zeit erhalten: die
Angst vor der Sexualität! Nun hat die moderne Psychologie auf mannigfache Weise ihre Schlüsse und Konsequenzen aus dieser "Angstnatur" des Menschen gezogen. Hört man heutige Psychologen über ihre Disziplin sprechen, so fällt
auf, dass sie sehr oft ein neues Menschenbild vertreten, das jeder von uns in größerem oder geringerem Ausmaß bereits
verinnerlicht hat: nämlich die Utopie vom angstfreien Menschen. Schon Freud und Adler wollten den Menschen von seinen Komplexen und Neurosen
befreien, Groddek strebte mit seiner Psychosomatik das gleiche an, und heute sind die Zeitschriften voll von Begriffen wie "angst - und repressionsfreie Pädagogik", "Befreiung von Sexualängsten", zwangsfreie Partnerschaft" usw. Prüfen Sie sich doch einmal " selbst: Meinen nicht auch Sie, daß es das Ziel des Menschen sein sollte, möglichst "frei" zu sein, nämlich frei von Ängsten und Zwängen, von Verdrängungen und Hemmungen, von Komplexen und Neurosen, kurz von Zwangsverhalten aller Art?
Diese Einstellung hat zu mancherlei Exzessen geführt, von denen einige inzwischen bereits wieder fast in Vergessenheit geraten sind (man denke etwa
an die Kommunen der Apo - Zeit oder an die "antiautoritäre Erziehung nach
dem Prinzip Summerhill o.ä.). Hängen geblieben ist nach den stürmischen spät sechziger Jahren, etwas überspitzt formuliert, eine Art "Saubermannideal" der Psychologie: Die meisten Psychologen scheinen die ganze Seele des Menschen nur noch als Herausforderung zum "Saubermachen" anzusehen. Da soll
möglichst alles mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden, was nicht ganz "keimfrei" ist, also nach Ängsten und Komplexen riecht.
Dies gilt insbesondere für die Sexualität, die ebenfalls möglichst
"repressionsfrei" ausgelebt werden soll usw. Angst gilt als "böse", als ebensolches "Satanswerk" wie früher die Ausschweifung und Zügellosigkeit.
Nun soll hier gewiss nicht kritisiert werden, daß die Psychologie danach strebt, den Menschen zu befreien. Das will die Magie, und gerade die Sexualmagie, schließlich auch. Doch geht letztere dabei etwas andere und, wie wir meinen, vernünftigere, wirkungsvollere und realistischere Wege. Denn den völlig angstfreien Menschen gibt es nicht, ja kann es gar nicht geben. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass die Angst eine wesentliche Grundbedingung für
das biologische Überleben darstellt. Überlebenstrieb und Angst vor dem Tod
sind nur zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wäre nicht die Angst vor dem Erfrieren, der Hungersnot und dem Verdursten, es gäbe weder Kleidung noch Architektur, weder Ackerbau, weder Nahrungsmittelsilos noch Trinkwasserbecken -kurz um, überhaupt keine Zivilisation und Kultur.
Doch damit nicht genug. In der Magie spielt die Angst oft eine entscheidende
Rolle, verleiht sie doch gewaltige Kraft, wenn man nur richtig mit ihr umgeht.
Aus diesem Grund galt in der Magie des Mittelalters auch das Prinzip der "Einweihung durch Schrecken": der Aspirant musste nach manchen seelischen Torturen beispielsweise zu Neumond bzw. Mitternacht (also zur ominösen, unheilvollen "Geisterstunde") in einer Gruft oder auf dem Friedhof schaurige Beschwörungen durchführen, womöglich ein Blutopfer darbringen, sich den "Mächten der Hölle" stellen usw. Schamanismus und Kaula Tantra kennen übrigens ähnliche Praktiken. Angst ist sogar eine Grundenergie der Dämonenevokation. Ohne Angst und Schrecken sind Dämonen in der Regel
nicht sichtbar zu evozieren, sie "ernähren" sich gewissermaßen von dieser Kraft des Magiers.
Ein weiteres Problem beim Umgang mit der Sexualität sind die Tabus. Doch
auch diese haben ihren eigenen Wert. Im Tantra wird systematisch damit gearbeitet, etwa beim Pancha makara, bei dem der bewusste Tabubruch auf dem Gebiet der Ernährung und der Sexualität (z.B. Inzesttabus) als Energiequelle für die weiterführende Meditation und
Bewusstseinserweiterung dient. Wie bei der in schamanischen Kulturen (und
auch heute bei uns noch unter Kindern und Banden von Jugendlichen und Heranwachsenden) üblichen Mutprobe, stellt das Springen über den eigenen Schatten einen wichtigen Entwicklungsschritt auf dem Weg zur Selbstbestimmtheit dar. Nicht jeder wir d so weit gehen wollen wie der Chaos - Magier, der konsequenterweise gelegentlich auch im
Sexuellen die Ekeltrance sucht, um mit dieser magisch zu arbeiten. Doch sollte
die dahinter stehende Grundstruktur für jeden Sexualmagier verbindlich sein:
durch den Einsatz bizarrer, ungewohnter und dem Verstand oft abstrus erscheinender Praktiken erhalten wir Zugang zu jenen veränderten Bewußtseinszuständen, welche, wie schon erwähnt, den Schlüssel zur
magischen Kraft darstellen.
Flüchten Sie sich dabei jedoch im eigenen Interesse nicht in Ausreden wie: "Das brauche ich nicht, ich komme auch so in gnostische Trance"; oder: "Derartig drastische Methoden sind doch unnatürlich und gefährlich" usw. Zum einen zeigen solche Ausflüchte in der Regel genau jene Hebelpunkte auf, an denen
man ansetzen muss, will man mit der magischen Entwicklung
(und der Entwicklung zum Magier!) ernst machen. Zum anderen ist Trance nicht gleich Trance, und das gilt, auch für die gnostische. Mit etwas Erfahrung werden Sie feststellen, dass die Magis (übrigens ähnlich wie Chi oder Prana) durchaus unterschiedliche Qualitäten haben kann, je nachdem, mit welchen Mitteln wir
sie freisetzen.
Der Laie und Anfänger unterscheidet meistens nur zwischen "schwächerer" und
"stärkerer" magischer Energie; von daher rühren auch die Vorurteile, die man manchen Magieformen entgegenbringt ("Schwarze Magie ist mächtiger als
Weiße Magie" Voodoo ist stärker als westliche, "Magie" usw.). Der erfahrene Magier hingegen weiß genauer zu differenzieren.
Er unterscheidet, sofern er Pragmatiker ist, stets situativ: Jede magische
Operation bedarf nämlich imgrunde einer eigenen Form der Magis, und diese freizusetzen gelingt nur durch die Kombinatorik bestimmter Techniken, Reize
und Trancen. Das ist ein sehr individueller Vorgang, und es lassen sich daher keine starren Regeln für ein "korrektes" Verfahren aufstellen. So wird der eine Magier beispielsweise für die Geldmagie ausschließlich planetenmagische Operationen mit dem Jupiter - und Merkur - Prinzip wählen, während
sein Kollege sich dabei ebenso ausschließlich der Sigillenmagie bedient; ein anderer schwört dafür auf die Sexualmagie usw. Magie ist nicht zuletzt auch die Kunst, diese Kombinatorik der Energien zu beherrschen und stets das Angemessenste und Erfolg Versprechende zu tun. Das lässt sich aber nur durch Intuition und viel Erfahrung erreichen, und aus diesem Grund bleibt es keinem Magier erspart, mit möglichst vielen
Techniken und Methoden zu experimentieren, um sie aus eigener Anschauung heraus beurteilen zu können.
Auch in der Magie gibt es, wie in jeder anderen Disziplin, Buchhalter - ,
Künstler - und Forschernaturen, wird phantasielos oder phantasievoll
gearbeitet. Das ist eine Sache des Talents und des Temperaments, doch strebt
der Magier auch, anders als der Durchschnittsmensch, in der Regel nicht danach, sich möglichst bald eine möglichst wasserdichte und katastrophenarme Realität zusammenzuzimmern; er sucht vielmehr (auch das unterscheidet ihn zunächst
vom Mystiker) die Vielfalt, eben das bunte Leben. Es versteht sich von selbst, dass dazu auch der Mut gehört, nicht nur die Tabus anderer zu brechen, sondern vor allem auch die eigenen.
Sind Ihnen bestimmte sexuelle Praktiken sehr stark zuwider, können Sie sicher sein, dass an diesen Punkten auch sehr starke innere Energien gebunden sind. Zwingen Sie sich
bewusst zur Auseinandersetzung mit diesen Praktiken, so werden Sie unweigerlich feststellen, dass dies in Ihnen eine ganz andere Kraft und Magis freisetzt, als dies bei weniger verfänglichen Techniken der Fall gewesen wäre.
Das bedeutet freilich nicht, dass Sie deshalb dabei auch eine besonders
angenehme Erfahrung machen werden, oft ist das genaue Gegenteil der Fall.
Aber die "Einweihung durch Schrecken" war und ist ja
auch nie eine angenehme oder gar "gemütliche" Erfahrung, und doch führt sie
oft sehr viel gründlicher, schneller und effektiver zum nächsten Teilziel, als dies
die Zimperlichkeit vermag. Dies sollten Sie stets bedenken, bevor Sie sich dazu entschließen, eine bestimmte sexualmagische Erfahrung zu verweigern (was allerdings durchaus auch sinnvoll sein kann!).
Andererseits ist ein erzwungener Tabubruch nur eine sinnlose Quälerei, wenn
nicht dahinter die richtige Einstellung und Zielsetzung steht. Nackte Angst allein macht noch keine Einweihung, auch nicht die Tatsache, dass man sie vielleicht überlebt oder überwunden hat. Aus diesem Grunde ist es auch so wichtig, was übrigens alle guten Magiebücher betonen, dass der Magier zu seinem eigenen Willen findet, dass er ein Ziel vor Augen hat und weiß, weshalb er den
Tabubruch begehen muss und will. Dies im Alleingang zu tun, ist oft sehr schwierig, weshalb sich auch manch ein angehender Adept nach einem Meister oder Lehrer sehnt. Doch hat das Meister - Schüler - Prinzip auch seine Tücken: Zwingt der Meister den Schüler wider dessen Wollen (nicht "Willen"!) zu bestimmten Dingen, richtet sich die Energie des also Gepeinigten nur zu oft in Form von Wut, Hass und Auflehnung gegen den Lehrer, anstatt sich auf die ihm gestellte eigentliche Aufgabe zu konzentrieren. Der Meister wiederum muß
einen Großteil seiner Arbeit darauf verwenden, den Schüler zur richtigen
Rebellion gegen ihn selbst anzustacheln - zu einer Rebellion nämlich, die zu
einer echten Abnabelung und Selbstständigwerdung führt. Aleister Crowley, zu dessen Hauptverdiensten um die Magie es nicht zuletzt auch gehörte, das Prinzip der Selbsteinweihung auf feste Beine gestellt zu haben, weist in seinen Abhandlungen zur Magie darauf hin, dass vor allem der Anfänger dazu neigt, Praktiken und Gebiete zu bevorzugen, die ihm am meisten liegen und am leichtesten fallen.
Dadurch werde, führt Crowley aus, ein bereits bestehendes Ungleichgewicht nur noch verstärkt. Insofern hat der gezielte Tabubruch zugleich eine pädagogische und eine ausgleichende Funktion, weil er zu einer ausgewogenern magischen Persönlichkeit führen will. In kaum einem Bereich wird dies so deutlich wie in
der Sexualität. Ich möchte an dieser Stelle die Behauptung wagen, dass die Sexualmagie aus dieser Tatsache auch den Großteil ihrer Kraft schöpft:
Dadurch, dass sie auch mit Sexualängsten und Tabus arbeitet, setzt sie vor allem
am Anfang eine ungeheure Erfolgsenergie frei, weshalb auch gerade Anfänger
von ihrer Wirkung so überrascht sind. Doch ist ein Tabu einmal oder gar
mehrfach gebrochen worden, verliert es natürlich an "Unterdrückungskraft". Es
ist als würde man den Deckel des kochenden Wassertopfs ständig öffnen, um so
den Dampfdruck zu vermindern. Allerdings führt die Sexualmagie über den
reinen Tabubruch weit hinaus. Um ein Beispiel zu geben: Ist der Dampf erst
einmal (meist explosionsartig) abgelassen worden, kann man sich gezielt der
Energie des kochenden Wassers selbst bedienen. Mit diesem Bild soll auch
deutlich gemacht werden, dass es bei der Sexualmagie nicht um den Tabubruch allein geht. Er stellt vielmehr eine wertvolle Hilfe dar und sollte auch als solche respektiert und angewandt werden, aber er ist keineswegs das einzige
Kraftprinzip dieser Praktik und schon gar nicht ihr alleiniges Hauptziel!
Ein schwerwiegendes Problem, welches in der Praxis der Sexualmagie eine
große Rolle spielt, ist das der Liebe. In diesem Werk wollen wir uns allerdings
nicht ausführlich damit befassen, und zwar aus mehreren Gründen, die hier kurz beleuchtet werden sollen. Dass Liebe und Sexualität eng zusammengehören, galt keineswegs immer als so unfraglich, wie wir es heute oft sehen. Gerade in
Zeiten unterdrückter Sexualität wurde vornehmlich", die reine durch Sexualität "unbefleckte" Liebe propagiert.
Das hat sich jedoch inzwischen weitgehend geändert, und heute sind sich, von wenigen religiösen Fanatikern abgesehen, die meisten Menschen darin einig,
dass die Sexualität zur Liebe gehört. Egal, ob dies nun unbedingt im Rahmen
einer institutionalisierten Ehe sein muss, oder ob man auch die so genannte
"freie Liebe" (oder "wilde Ehe") toleriert - die Grundeinstellung ist weitgehend
dieselbe.
Doch gilt diese Gleichung auch in umgekehrter Richtung? Gehört zur Sexualität ebenso unverzichtbar die Liebe? Wenn dem tatsächlich so wäre, hätten
Prostitution und Pornoindustrie wohl schon längst ausgedient, ja sie wären nicht einmal entstanden oder notwendig geworden. Oft wird eingewendet, dass diese Spielarten der verkommerzialisierten Sexualität (der Volksmund spricht ja auch
von "käuflicher Liebe" - dabei werden Liebe und Sex vollends gleichgesetzt und
als eins begriffen) typische Erscheinungsformen männlich patriarchalischer Gesellschaften seien und vor allem die männliche, nicht aber die weibliche
Sexualität widerspiegeln. Es gibt freilich auch gegenteilige Meinungen. Wir
können diese Frage hier nicht entscheiden, da dies von
unserem eigentlichen Thema fortführen würde. Festhalten lässt sich nur die vergleichsweise triviale Feststellung, dass diese Angelegenheit recht umstritten
ist.
Ob allerdings zur Sexualmagie die Liebe gehört, ist ein gänzlich anderes
Problem. Viel hängt davon ab, wie man den Begriff der "Liebe" genau definiert;
dies zu tun ist hier ebenfalls nicht unsere Aufgabe. Ich kann Ihnen nur meine persönliche Meinung dazu wiedergeben, ohne Ihnen jedoch die eigene
Entscheidung für oder wider abnehmen zu
können. Wenn Sie unter Liebe die auf einen Partner allein fixierte und
projizierte Bindung an Ihren eigenen Besitztrieb, Ihre Verlustängste und Ersatzbefriedigungen verstehen, einen Hort der Eifersucht, des Neids und der "wohlmeinenden Missgunst", dann hat die Liebe sicherlich in der Sexualmagie keinen Platz. Ebenso wenn Ihr Liebespartner alles Magische oder gar Sexualmagische, aus welchen Gründen auch immer, ablehnen sollte.
Auch eine ausschließliche Fixierung auf die Monogamie verschließt Ihnen
zahlreiche Wege, die tief ins Land der praktischen Sexualmagie führen, ebenso natürlich viele sexuelle Tabus, die ja oft mit Liebe verwechselt werden. Generell
will die Magie befreien, und nicht versklaven - und die Sexualmagie will dies verstärkt eben auch auf sexuellem Gebiet leisten.
Wenn Sie dagegen Liebe als Achtung des anderen in seiner Andersartigkeit und
in seinem Recht auf persönliche Weiterentwicklung verstehen ("Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern", heißt es in Crowleys Buch des Gesetzes); wenn Ihr Liebesbegriff mit Einschließt, dass Sie Vertrauen und Zutrauen haben, dass Sie
dem anderen zubilligen, auch sexuelle Entscheidungen zu treffen, mit denen Sie selbst vielleicht nicht immer einverstanden sind dann ist Ihre Liebe meiner
Meinung durchaus reif für die Sexualmagie und kann dieser nur nützen.
Immerhin beginnt die Praxis der Sexualmagie in der Regel nicht mit der Partnerarbeit, sondern mit autoerotischen Techniken. Das hat verschiedene
Gründe, auf die wir noch eingehen werden, unter anderem den, dass der
mögliche Konflikt mit einem vielleicht widerstrebenden Partner dabei
weitgehend ausgeschaltet ist. Viele Sexualmagier arbeiten sogar ausschließlich
auf der autoerotischen Ebene. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, solange es nicht lediglich eine bereits bestehende Einseitigkeit oder Unfähigkeit
festschreibt und andere Praktiken unmöglich macht. Um wieder unser Beispiel
vom Autofahren zu bemühen: Das wäre wie ein Autofahrer, der ausschließlich
80 Stundenkilometer zu fahren bereit ist und ebenso ausschließlich nur Rechtskurven beherrscht: Er hat nur ein sehr beschränktes Ausübungsfeld und
wird sehr oft sich selbst und andere in Gefahr bringen, weil er nur
starr reagieren kann. Dennoch muss gesagt werden, dass die autoerotische Sexualmagie nicht etwa nur für den Anfang der Praxis von großer Bedeutung
ist.
Es geht jedoch, wie gesagt, vor allem um die Vermeidung von Einseitigkeit.
Wie bei den Bemerkungen zu den Tabus schon erwähnt, sollte der wirkliche Sexualmagier sich mit möglichst vielen Aspekten der Sexualmagie
vertraut machen und entsprechende Erfahrung sammeln, bevor er sein persönliches, ganz individuelles System entwickelt und auf der Klaviatur magischer Energien virtuos zu
spielen lernt.