Читать книгу Der Hauch der Ewigkeit - Rosina-Fawzia Al-Rawi - Страница 14
ОглавлениеKRANKHEIT UND HEILUNG
Der Prophet Muhammad, Allāhs Segen und Friede seien mit ihm, sprach:
„Allāh hat keinen Schmerz gebracht,
ohne dass Er ein Heilmittel dafür gebracht hat.”
Das Weibliche kennt die Einheit. Eine Frau spürt sie instinktiv in ihrem Körper. Sie weiß, wie alles miteinander verbunden ist. Sie weiß, dass auch, wenn Kinder aus einem Bauch kommen, sie ganz verschieden sein können, jedes einmalig in seinem Sein, und doch gehören sie zu einer Quelle. Wie die „kleine“ Gebärmutter so auch die „Große“. Das ist die tiefe Weisheit des Weiblichen. Es ist das tiefe Wissen um die Beziehungen und das Gefühl für das Flechtwerk der Schöpfung. Eine Weisheit, die in der rationalen, wissenschaftlich–trennenden Geisteshaltung der Welt, die wir uns aufgebaut haben, kaum Platz hat. So blieb den Frauen meist nichts anderes übrig als diese Weisheit zu verdrängen bzw. zu marginalisieren, sie einzuschläfern und das männliche Denken und die männliche Herangehensweise nachzuahmen. Genau durch eine solche geistige Trennungshaltung, die sich durch alle menschlichen Bereiche durchzieht, haben wir diese Realität, in der wir sind, erschaffen. Doch wenn wir lernen, die Weisheit des Weiblichen mit dem männlichen Bewusstsein zu verbinden und auch eine Beziehung zwischen den Teilen und dem Ganzen, zwischen dem Ganzen und dem Einen zu entwickeln, wird uns dieses neue Wissen helfen die Ganzheit des Lebens und unsere Welt zu heilen und es wird uns enthüllt, wie wir das bestehende Ungleichgewicht wieder aufheben können.
Auf die gleiche Weise steht es mit unserer eigenen Heilung und Ganzwerdung.
Die meisten Spannungen in unserer Welt sind von den Menschen selbst verursacht, was aber auch heißt, dass die Lösungen für diese Spannungen – mit Allāhs Hilfe – ebenfalls in unseren Händen liegen.
Viele Menschen stellen sich unter „Gesundsein“ die Fähigkeit vor, ohne Störung funktionieren zu können, während „Kranksein” bedeutet, dass ein oder mehrere Teile des Organismus beschädigt sind bzw. nicht mehr funktionieren. Diese müssen dann wieder in Stand gesetzt oder ausgetauscht werden, damit alles wieder „läuft“. Der Mensch wird also als ein isolierter begrenzter Organismus angesehen. Diese Sichtweise ist die im „Westen“ noch immer vorherrschende Herangehensweise zur Bewältigung von Krankheiten. Die Fokussierung ist auf die Dysfunktion eines Teils gerichtet, die Leber ist krank, das Bein ist gebrochen, doch die Gesamtheit des Menschen, die gesunden beteiligten Teile, die verstehen wollen, die an der Heilung beteiligt werden müssen und dafür benötigt werden, werden immer noch ausgeklammert. Diese Grundeinstellung drückt sich auch in dem Wort „Krankenhaus“ aus, während es z. B. im Arabischen „Heilungshaus“ mustašfā heißt.
In den nicht–westlichen traditionellen Kulturen besteht eine holistischere Sicht der Welt. Diese hat damit natürlich auch Ausdruck in der Herangehensweise der Dinge in Bezug auf Krankheit wie auch im Alltag. Alles steht mit Allem in Verbindung und somit in gegenseitiger Abhängigkeit und Ergänzung. Geborenwerden und Sterben, Gesundsein und Kranksein, Freude und Trauer. Man kann von einer „Beziehungsgesellschaft“ sprechen, während die westliche Kultur als „Leistungsgesellschaft“ bezeichnet werden kann.
Natürlich integriert dieses verbundene Verständnis für das Leben auch den Tod. Der Tod wird nicht als Versagen empfunden – was nicht die tiefe Trauer des Abschieds ausschließt – sondern als integrierter Teilbestand des Lebens. Wichtig ist, dass der Patient wenn sie/er stirbt, geheilt, in sich „vereint“, in Frieden sterben kann. Heilung führt nicht notwendigerweise zu einer Verlängerung des Lebens, aber unsere Existenz ist auch nicht zwischen Geburt und Tod beschränkt.
Eine der ansehnlichsten Sufi–Geschichten ist jene vom Fluss und der Sandwüste. Sie schildert die Transformation auf dem Entwicklungsweg in poetisch berührender Weise: Es ist notwendig, dem Selbst das Ich zu opfern, um den letzten Schritt in Richtung Erlösung zu tun. Eine Geschichte von Idries Schah erzählt:
Ein Strom floss von seinem Ursprung im fernen Gebirge durch sehr verschiedene Landschaften und erreichte schließlich die Sandwüste. So wie er es immer schon gewohnt war und wie er alle anderen Hindernisse überwunden hatte, versuchte der Strom nun auch, die Wüste zu durchqueren. Doch er merkte, dass – so schnell er auch in den Sand fließen mochte – seine Wasser verschwanden.
Da er jedoch überzeugt davon war, dass es seine Bestimmung sei, die Wüste zu durchqueren, versuchte er es weiter. Da hörte er eine sanfte Stimme, die aus der Wüste kam und ihm zuflüsterte: „Der Wind durchquert die Wüste, und der Strom kann es auch.“ Der Strom wandte ein, dass er sich doch gegen den Sand werfe, aber dabei nur aufgesogen würde; der Wind aber kann fliegen, und deshalb vermag er die Wüste zu überqueren. „Wenn du dich auf die gewohnte Weise vorantreibst, wird es dir unmöglich sein, sie zu überqueren. Du wirst entweder verschwinden, oder du wirst ein Sumpf. Du musst dem Wind erlauben, dich zu deinem Bestimmungsort hinüberzutragen.“ Aber wie sollte das zugehen? „Indem du dich von ihm aufnehmen lässt.“ Diese Vorstellung war für den Fluss unannehmbar. Schließlich war er noch nie zuvor aufgesogen worden. Er wollte keinesfalls seine Eigenart verlieren. Denn wenn man sich einmal verliert, wie kann man da wissen, ob man sich je wiedergewinnt. „Der Wind erfüllt seine Aufgabe“, sagte der Sand. „Er nimmt das Wasser auf, trägt es über die Wüste und lässt es dann wieder fallen. Als Regen fällt es hernieder, und das Wasser wird wieder ein Fluss.“ „Woher kann ich wissen, ob das wirklich wahr ist?“ „Es ist so, und wenn du es nicht glaubst, kannst du eben nur ein Sumpf werden. Und auch das würde viele, viele Jahre dauern; und es ist bestimmt nicht dasselbe wie ein Fluss.“ „Aber kann ich nicht derselbe Fluss bleiben, der ich jetzt bin?“
„In keinem Fall kannst du bleiben, was du bist“, flüsterte die geheimnisvolle Stimme. „Was wahrhaft wesentlich an dir ist, wird fortgetragen und bildet wieder einen Strom. Heute wirst du nach dem genannt, was du jetzt gerade bist, doch du weißt nicht, welcher Teil deines Selbst der Wesentliche ist.“ Als der Strom dies alles hörte, stieg in seinem Innern langsam ein Widerhall auf. Dunkel erinnerte er sich an einen Zustand, in dem der Wind ihn – oder einen Teil von ihm? War es so? – auf seinen Schwingen getragen hatte. Er erinnerte sich auch daran, dass dieses, und nicht das jedermann Sichtbare, das Eigentliche war, was zu tun wäre – oder tat er es schon?
Und der Strom ließ seinen Dunst aufsteigen in die Arme des Windes, der ihn willkommen hieß, sachte und leicht aufwärts trug und ihn, sobald sie nach vielen, vielen Meilen den Gipfel des Gebirges erreicht hatten, wieder sanft herabfallen ließ. Und weil er voller Bedenken gewesen war, konnte der Strom nun in seinem Gemüte die Erfahrungen in allen Einzelheiten viel deutlicher festhalten und erinnern und davon berichten. Er erkannte: „Ja, jetzt bin ich wirklich ich selbst.“
Der Strom lernte. Aber die Sandwüste flüsterte: „Wir wissen, weil wir sehen, wie es sich Tag für Tag ereignet; denn wir, die Sandwüste, sind immer dabei, das ganze Flussufer entlang bis hin zum Gebirge.“
Und deshalb sagt man, dass der Weg, den der Strom des Lebens auf seiner Reise einschlagen muss, in den Sand geschrieben ist.
Was ist der Unterschied zwischen „heilen” und „kurieren”?
Heilen ist mit „ganz sein“, „heil sein” verbunden, aber auch mit „heilig“. Heil sein bedeutet, in die große Harmonie des Seins eingebettet zu sein, selbst wenn der individuelle Mensch im Extremfall stirbt, denn einerseits hört der Prozess mit dem Tor des Todes nicht auf, andererseits schwingt mit dem „Ich“ stets das „Wir“ der Gesamtheit der Menschheit mit. So ist das „Heil“ der einzelnen Person ein Anliegen der Gesamtheit der menschlichen Gemeinschaft, ja der Schöpfung. Der Einklang mit dem eigenen tiefen individuellen Sein bringt Einklang für uns alle.
Wenn jemand ,,kuriert” ist, also wieder „funktioniert”, jedoch keinen Sinn in ihrem oder seinem Leben gefunden hat, keine Verbindung bzw. Integration in ihre oder seine Gemeinschaft erfahren kann, ist kein „Heil sein” im holistischem Sinne geschehen. Denn eine durchlebte Krankheit sollte uns Menschen die Möglichkeit geben, danach menschlicher zu werden, bessere Menschen zu sein und näher unserer eigenen Vollkommenheit gekommen zu sein. Dazu brauchen wir die adäquate sinnerfüllte Begleitung und die dafür angebrachte Medizin.
Die Heilungs– bzw. Therapiemethoden, die aus dem islamischen Kulturraum stammen, aber auch die anderer Kulturen mit holistischer Herangehensweise wie z. B. jene der Indianer, der Tibeter oder Inder, basieren auf der Erkenntnis der Verwobenheit aller Existenzen und daher auf der existentiellen Einheit allen Seins.
Aus der Sicht des Sufismus basiert alles Kranksein auf dem „Getrenntsein“, auf dem „Vergessen" um die verwobene Einheit allen Seins. Es ist diese „Illusion“ der Trennung, die sich im Innerlichen, also auf der körperlichen, psychischen und emotionalen Ebene zeigen kann, wo sich Schleier zwischen Körper, Geist und Seele schieben, die ihren Ausdruck der Abgetrenntheit innerlich, aber auch im Äußerlichen, auf der Ebene der familiären oder der sozialen Beziehungen aufzeigen, wo Einsamkeit, Isolierung und „das außerhalb stehen“ einen einnimmt. Doch auch die Verbundenheit mit dem Göttlichen ist nicht mehr bewusst und man verliert sich in der verwirrenden Orientierungslosigkeit. Eines der wichtigsten Ziele der Heilung ist die Auflösung der Isolation des Einzelnen und die Wiedereinbettung in die Ganzheit.
Alle Behandlungen, alle Unterstützungen streben die Auflösung der „Trennungsschleier“ an und zielen auf die Wiederverbindung und Einbettung des erkrankten Menschen, und darauf, dem Menschen zu helfen ihren bzw. seinen Platz im Leben zu finden und ihn auszufüllen. Die Heilung geschieht, wenn der Mensch wieder seine Verbundenheit mit allen Ebenen des Seins erkennt, eingebettet wird in die Einheit allen Seins, und ihren/seinen Platz wiedergefunden hat, innerlich und äußerlich. Denn jeder Mensch, der in diese Welt geboren wird, trägt einen wesentlichen Beitrag für diese Welt in sich. Jeder Mensch ist ein Geschenk an die Menschheit, an die Schöpfung. Das „Wieder–erinnern“ an unsere Verbundenheit macht uns Menschen gesund. Das Ziel ist nicht die Unabhängigkeit des Einzelnen, sondern die bewusste Akzeptanz der Verwobenheit, die gegenseitige Vervollständigung und auch Abhängigkeit der Schöpfung von einander und für einander.
Krankheit und Schmerz sind nicht immer leicht zu ertragen, doch sie sind Teil unserer menschlichen Existenz. Krankheit wird erst zu Leid, wenn wir mit ihr „Strafe” oder „Verbannung” verbinden; wenn wir glauben, dass wir „schlecht” waren und wir daher durch eine Krankheit, einen Unfall oder ein Problem gerichtet werden. Es ist dieser Schmerz, der meist viel tiefer und größer empfunden wird als die Krankheit selbst. Zu meinen, wir waren „ungenügend“, „mangelhaft“, „hässlich“ und damit „unwürdig“ für Gottes viele Segnungen, ist das tiefste Leid, das wir uns antun können. Zum Schmerz und zur Krankheit kommen Scham, Schuld und Kränkung.
Sufis sehen in einer Krankheit einen der vielen Wege, die Allāh für uns wählt, um uns zu besseren, mitfühlenderen, integrierteren Menschen zu machen. Es ist das große Tor, das sich öffnet, damit der Akt der Transformation vom Ich zum wahren Selbst stattfinden kann. Krankheiten sind eine der vielen Möglichkeiten – und zwar nicht nur für uns, sondern auch für unsere Gemeinschaft, für unsere Familie – uns zu unserer Vollkommenheit, die allgegenwärtig in uns pulsiert, zu führen. Eine Sufi–Weisheit sagt: „Durch Krankheiten fallen unsere selbstgefälligen Sichten der Dinge wie Blätter im Herbst ab.“
Sich den Finger zu verletzen ist schmerzhaft, doch zu glauben, dass es eine Strafe ist, dass Gott uns dadurch bestraft, das ist Leiden. So oft im Leben urteilen wir über uns und verurteilen uns selbst. Wir verurteilen unser Betragen, unsere Arbeit, unsere Vergangenheit und meist kommen wir zu dem Schluss, dass wir nicht gut genug sind, nicht genug können und dass das, was wir tun, nicht wirklich von Wert ist. Das Nafs liebt es, uns Dinge einzuflüstern: „Du bist nicht gut genug, das, was du erlebt bzw. erfahren hast, war nichts besonderes, das, was du gemacht hast, war wieder einmal mittelmäßig, nicht genügend!“ Im Urteilen und Verurteilen verschließen wir uns den Weg nicht nur der tieferen Erkenntnis unseres Selbst, sondern auch der Fähigkeit zu wachsen, aus jeder Situation wahrlich zu lernen und sie in den transformativen Prozess der Reifung zu integrieren. Das Nafs aber liebt es, im Selbstmitleid zu verharren und sich so das Glück, den Weg zur Erkenntnis zu verwehren.
Sich zu verurteilen, zu richten ist „sündigen", wenn sündigen, sich „trennen" vom „Vollkommen werden“ bedeutet, denn dies verursacht Leid, bläht den Schleier des Selbstmitleids auf und trennt vom Weg zum Göttlichen Licht der Seele. Es ist aber auch ein Trennen vom Glauben an Allāhs Gnade, Ar–Raḥmān, und Güte, Ar–Raḥīm, es ist ein Trennen vom Glauben an Allāhs ewig vorhandene Vergebung, Al–Ġaffār, und an Allāhs Liebe, Al–Wadūd, und Seine allumfassende Fähigkeit, Al–Qādir, alles zu verwandeln und Allāhs Führung, Ar–Rašīd, in Seinem ewigen Plan. Denn Allāh schuf die Welt der Vielfalt, durch die sich die Einheit selbst betrachtet und Er hat alles für die Menschheit erschaffen und die Menschheit für Sich.
Erkennen bzw. sich Wieder–Erinnern an die existentielle Einheit allen Seins ist so wichtig, weil sie im Heiligen wurzelt und zugleich die Methode zu ihrer Erlangung ist. Zu erkennen, dass die Dinge dieser Welt nicht als unabhängige Wirklichkeiten existieren, sondern ganz und gar vom Vorhandensein des verborgenen Urstoffes abhängig sind, dessen Herrlichkeit zu enthüllen, sie erschaffen sind, heißt, Glückseligkeit zu kosten. Die inneren und äußeren Sinne zu vereinen, bedeutet auch, das sichtbare Leben des Diesseits mit dem verborgenen Leben des Jenseits zu vereinen.
„Lese!“ ist der erste Befehl im Koran. „Lese!“, bedeutet auch: kontempliere, erkenne, nehme dir Zeit, die äußeren Dinge nach innen zu nehmen und den äußeren Gang der Dinge mit dem inneren Lernen, mit dem inneren Auge des Herzens anzusehen, mit deinem ganzen Wesen, mit deinen Augen, deinen Ohren, deinem Herzen.
Lese mit deinem ganzem Wesen in den Zeichen und Symbolen um dich herum, in den Reichen der Pflanzen, Tiere und Mineralien, in den Wolken der Himmel, in den Begegnungen und Bewegungen deines Lebens und nehme alles nach innen, dorthin, wo diese äußeren Ideen und Symbole zu deiner Wahrhaftigkeit führen.
Sufismus basiert auf der Realität unseres Seins, dem stabilen und konstanten Zentrum unserer Existenz. Dieses Zentrum kann nicht ererbt werden. Jedes Wesen im Universum besitzt eine Quelle, ein Zentrum der Stabilität. Dieser Punkt befindet sich im Herzen des Menschen. Das ist auch der Grund, wieso das Herz einen so hohen Stellenwert im Sufismus, bei allen Propheten, einnimmt. Das Herz wird als das Tor zum Unsichtbaren, zum himmlischen Königreich betrachtet. Das Herz ist das Tor zum Königreich Gottes. Mit dem Herzen schauen bedeutet, das Universum als Ganzheit zu sehen. Das Herz kann alles vereinen. Sieht man mit dem Herzen, erkennt man die organische Einheit des Universums. Diese Einheit ist ALLĀH!
„Sind sie denn niemals auf der Erde umhergereist, um ihr Herz Weisheit erlangen und ihre Ohren hören zu lassen. Doch wahrlich, es sind nicht ihre Augen, die blind geworden sind, sondern blind geworden sind ihre Herzen, die in ihren Brüsten sind!
(22:46)
Wesentlich beim Heilen sind die Zuversicht und die Absicht, die du im Herzen trägst. Zuversicht ausstrahlen, dass man helfen kann. Ist deine Absicht zu helfen und zu heilen stark genug und fokussiert, überträgt sie sich auf den begleitenden Menschen. Arbeite „für“ den Menschen, nicht nur „an“ ihr/ihm. Würdige die Wichtigkeit und Bedeutsamkeit der Situation oder des Zustandes, in der sich ein Mensch befindet, gleichzeitig verringere die Gefährlichkeit des Zustandes, denn den Menschen Vertrauen zu geben, ist schon die halbe Heilung.
Im Grunde handelt es sich bei welch einer Krankheit auch immer um etwas, das vom eigenen System erschaffen wird, damit sich Gleichgewicht und Harmonie wieder einstellen können. Der eigene Organismus arbeitet von sich aus immer auf eine ganzheitliche Heilung zu. Der menschliche Organismus hat die Kapazität, sich selbst zu heilen. Die gegebene Unterstützung und Begleitung soll vor allem einen Raum der Liebe und des Vertrauens öffnen, in dem dieser Prozess stattfinden kann, gemeinsam mit einem heilenden Wissen, das natürlich notwendig ist.
Jedes Mal, wenn du etwas tust, bei dem du zuvor deine Absicht deutlich formuliert hast, ziehst du die Energie der Einheit an. Alles im Leben hat einen Sinn, eine tiefere Bedeutung! Es gibt einen natürlichen Dialog von Licht zu Licht, den jede Heilerin kennt, wenn sie dem Körper ihres Patienten zuhört. Wenn das stets gesunde Sein eines Menschen mit dem Sein des Anderen kommuniziert, können sie gemeinsam den Körper und die Seele wieder neu ausrichten.
Heilung ist immer eine spirituelle Angelegenheit. Die spirituelle Entwicklung ist der Zweck, der dann im eigenen Leben und in der Umwelt Ausdruck findet. Gesundheit bedeutet, sich in Harmonie mit der Welt zu befinden, zu erfahren, dass das Universum und all seine Geschöpfe aus einem „Urstoff” gemacht sind. Gesundheit bedeutet, hinauszuwachsen über das individuelle Bewusstsein, um die Schwingungen und Strömungen des Universums zu spüren. Diese universelle Wahrheit zeigt sich in allen Traditionen und zu allen Zeiten.
Sie hat zwar im Äußeren das Antlitz der Vielfalt und Mannigfaltigkeit, doch dies ist eher eine Bestätigung der Universalität der Wahrheit, die ihre unendliche Schöpferkraft in unbegrenzten Möglichkeiten und Welten entfaltet. Und doch widerspiegeln sie alle die Eine Wahrheit.
Für den Sufi ist es jedem Menschen möglich, wieder Anschluss an die Göttliche Ebene zu erlangen und heil, ganz zu werden. Jedes Wesen entsprechend ihrer/seiner Dimension. Wir Menschen sind komplexe Meisterwerke, Universen mit eigenen Gesetzen und Gesetzlichkeiten, einmalig in unserer Existenz. Der zur Heilung nötige Wiederanschluss wird bei den Sufis durch vielerlei Praktiken angestrebt: durch Gebete, durch Fasten, durch mystische Tänze, durch Musik, durch Körperarbeit, durch Atem und durch die Kraft der Göttlichen Namen, auf deren Bedeutung und Heilungsenergie in diesem Buch im Besonderen eingegangen wird.
„(Oh Menschen), Ihr werdet euch von einer Stufe zur anderen bewegen!“
(84:19)
Und immer ist der Alltag, unser Leben, unser Übungsterrain, der Ort unserer Transformation. Doch ohne Bezug zur Höchsten allumfassenden Wahrheit hat unser Leben keine Grundlage, keine Bedeutung, keinen Sinn und keinen Glanz. Wir sind dann wie Treibholz den Strömungen ausgesetzt, ohne zu wissen, wohin wir fließen und wer wir sind. Lass Liebe die Grundlage deines Lebens sein, gehe anders mit deiner Umgebung um, behalte eine liebevolle Einstellung gegenüber dem Leben und den Geschöpfen dieses Universums bei und alles wird zu dir zurückfließen. Denn was immer wir für andere tun, tun wir für uns, und alles, was wir für uns tun, tun wir für andere. Das ist das Gesetz der Einheit. Habe Vertrauen und Zuversicht.
Ein Beduine hatte drei Söhne. Als seine Zeit kam sandte er nach ihnen und sprach: „Meine Kinder, ich möchte euch meine 17 Kamele vermachen! Ich bestehe aber auf folgender Aufteilung: Du, mein Ältester, sollst die Hälfte bekommen, Du, mein Zweitgeborener, ein Drittel und Du, mein Jüngster, ein Neuntel. Der Vater starb und die Söhne zermarterten sich das Gehirn, wie sie diese Aufteilung bewerkstelligen sollten. Wie immer sie es drehten und wendeten, es passte nie. Sollten sie ein Kamel opfern und aufteilen, sollten sie einige Tiere verteilen? Da bemerkten sie einen alten Sufi, der mit seinem Kamel unter einer Palme rastete. Sie gingen hin und baten um Rat. „Nehmt mein Kamel dazu, dann habt ihr 18 Kamele!“ So geschah es auch. Der Älteste bekam die Hälfte, also 9 Kamele, der Mittlere ein Drittel, also 6 und der Jüngste ein Neuntel, also 2 Kamele. Als sie die Aufteilung beendet hatten, blieb ein Kamel über. Der alte Sufi schnappte sich sein Kamel und ging lächelnd seines Weges.
Das ist Liebe, Vertrauen und Freiheit oder Gelassenheit in Gott. Weisheit ist süß!
Wir werden im Folgenden von den Strukturen der Arabischen Formen sprechen und dass jeder Göttliche Name auf einem Klangcodex basiert, der in sich eine besondere Schwingung trägt. Diese besondere Schwingung wird zusammen mit der Bedeutung des jeweiligen Namens durch die Rezitation weitergegeben. Jeder Göttliche Name, jeder der 99 Göttlichen Liebesformen regt Harmonie an, wo Disharmonie besteht, bringt Heilung, wo Schmerz besteht, löst Vertrauen und Zuversicht aus, wo Verzweiflung und Abgrenzung bestand. Ob es sich um eine nervliche, mentale oder physische Krankheit handelt, die Wurzel ist immer Disharmonie.
In der Sufi Tradition wird der Körper selbst auch als Schwingung gesehen, als beseeltes Energiefeld. Dieses materialisierte Energiefeld kann zum Verständnis in Ton und Rhythmus aufgeteilt werden. Der TON ist unsere Lebensenergie, genannt qudra. Die qudra ist die individuelle Kapazität, Kraft und Fähigkeit, die jedem Menschen gegeben ist. Sie ist aber auch universell vorhanden und durchdringt den ganzen Kosmos und alle Lebewesen. Sie ist mit unserem Atem, dem absoluten Ausdruck des Lebens, verbunden und wird durch ihn angeregt und unterstützt. Der RHYTHMUS ist unser Pulsschlag. Er fließt durch unseren Körper mit der Blutzirkulation. Das „Lied“, das sich aus Ton und Rhythmus bildet, formt sich im Herzen. Es wird durch zwei Aspekte gefärbt: intern durch unsere Gedanken und Gefühle und im weiteren extern durch unsere Handlungen.
Das Zentrum, wo sich Atem und Pulsschlag vereinen, ist im Herzen gelegen. Dort werden die Gedanken und die Taten aufeinander eingestimmt, durch die Gefühle gefärbt und in unsere innere und äußere Welt getragen. Wir sind natürlich fähig, unsere Gedanken und unsere Taten mit unserem Herzen zu verbinden, obwohl das Herz anderen Gesetzlichkeiten als der Verstand folgt. Es ist direkt, frei und kompromisslos gegenüber den Bedenken des Ichs. Daher vermeidet das Ich oft, das Herz um Rat zu fragen, denn die Antwort ist für das Ich meist unbequem. In gewisser Weise fragt der Verstand immer: „Wie kann ich mehr bekommen?“ und das Herz: „Wie kann ich mehr geben!“ Doch eine Lösung zu finden, die auch das Herz erfreut, ist die Basis des Sufi Weges.
Wir sind also in zwei Bewegungen eingebettet: im Atem und im Herzschlag. Beide Bewegungen stehen im normalen ruhigen Zustand im Verhältnis 1:4 zueinander. Bei 15 bis 20 Atemzügen pro Minute erfolgen 60 bis 80 Herzschläge. „Eins“ ist die grundlegende Einheit und „vier“ die vielfältige Natur, symbolisiert durch kalt–heiß–nass–trocken. Die einende Erkenntnis ist mit dem Verstand verbunden, die Weisheit ist in der Natur zu finden, in unserer Natur und in der uns umgebenden Natur. Die Natur ist die natürliche Gefährtin des Glaubens. Sie lehrt den Verstand die Demut: „Du hast weder den Baum noch das Wasser erfunden, weder das Licht noch das Auge!“ Aus dem Erkennen der eigenen Grenzen kann sich der Verstand für die Notwendigkeit des Glaubens öffnen und die höheren Sphären zulassen. Die Einbettung bekommt ihre Gestalt.
Der Atem ist mit den Gedanken und zugleich auch mit den Gefühlen verbunden. Sie sind zwei Seiten einer Münze. Der Atem ist die körperliche Seite des Denkens und das Denken die psychische Seite des Atems, die Gefühle sind das Verbindungsglied. Jede Veränderung auf der geistig–gedanklichen Ebene, also auf der Bewusstseinsebene, hat sofort eine Auswirkung auf den Atem. Wenn wir z. B. unseren Atem beobachten, wird er spürbar tiefer und unsere Gedanken langsamer und stiller. Wenn wir gefühlsmäßig aufgewühlt sind, hat dies wiederum Einfluss auf den Atem.
Das Zusammenwirken von Körper, Denken und Gefühl ist zur Erlangung des innewohnenden Schatzes von kostbarster Wichtigkeit.
Die mentale Ebene ist sensibler als die Körperebene. Das bedeutet, dass meine geistige Haltung einen wesentlichen Einfluss auf meinen Körper ausübt.
Seinen Ton, seine Lebensenergie, seine Mitte zu stärken ist wertvoll, um gesund zu sein bzw. zu werden. Durch eine Krankheit kommt man aus dem gewohnten Rhythmus. Seinen Rhythmus nach einer Krankheit wieder zu finden ist wesentlich, sonst bleiben die Zeichen der Krankheit. Erst wenn der Mensch seinen Rhythmus gefunden hat, ist das Wesen der Krankheit, der Boden, der für die Krankheit zur Verfügung stand, entfernt. Mit anderen Worten: ist auch die Wurzel der Krankheit und nicht nur die Pflanze entfernt, oder wie HeilerInnen sagen würden, ist auch der Geist der Krankheit entfernt worden, ist der Mensch wirklich befreit und nicht mehr anfällig. Jeder Mensch hat seinen eigenen Rhythmus, wichtig ist, dass man seinen findet, ihn respektiert und achtet. Um den Rhythmus wieder in die Ganzheit einzubetten, sind adäquate Ernährung, Balance zwischen Ruhen und Tätigkeit, Befolgung eines Tagesrhythmus und auch eines Jahreszeitenrhythmus erforderlich. Durch die bewusste Atmung, eine bejahende Geisteshaltung sowie Meditation bzw. Gebet finde ich meine Ganzheit wieder.
Der Übergang zu einem neuen Rhythmus bringt kurzfristig Stress, Unruhen und Krisen mit sich und muss achtsam angegangen werden. Die Aufgabe von HeilerInnen ist es, hier zu unterstützen, zu motivieren und zu begleiten.
Jedes Atom ist lebendig, ob man es Strahl, Spur, Elektron, Mikrobe, Keim oder Bakterie nennt. Die traditionellen HeilerInnen nannten sie Wesen, Geister und Lebewesen. Sie sahen also nicht nur die äußere Form sondern auch ihren Geist. Sie bemühten sich nicht nur darum, die äußere Bakterie oder Mikrobe zu entfernen, sondern auch deren Geist. Das ist heil werden, das ist frei werden.
Denke an den Tod und lebe bewusst!
Lebe in Liebe und tue deine Arbeit!
Meistere deine Worte und lass jedes aus deinem Herzen kommen!
(Saad)
Eine weitere Energie, die durch das Zusammenspiel von Gedanken, Körper und Gefühl entsteht, ist der Magnetismus. Der Magnetismus ist mit dem Immunsystem verbunden. Das Immunsystem ist der Ort, der die Nahtstelle zwischen Körper und Seele formt. Der Magnetismus ist die Energie, die Seele und Körper zusammenhält.
Um das Immunsystem zu stärken und die Abwehrkräfte zu steigern, muss man auf eine gesunde Darmflora achten, denn der größte Teil der Immunabwehr spielt sich im Darm ab. Das Immunsystem ist ein Abwehrsystem und „abwehren“ heißt, nicht hereinlassen. Der Gegenpol der Abwehr ist Liebe. Liebe ist ein Akt des Hereinlassens. Jede Abwehr, jede Abgrenzung, jede Isolierung festigt unser Ego und hindert uns am Weg zur Vollkommenheit. Das Ego stellt alle Antriebe, die klügsten, anständigsten und frommsten Behauptungen in den Dienst der Abgrenzung. Doch der Weg der Liebe sagt: „Alles was ist, ist gut!“
Gewiss ist Abwehr wichtig, denn sie bringt uns in unserer dualen Welt dazu, Reibungen und Widerstände, wir nennen sie üblicherweise Schwierigkeiten und Probleme, zu erleben, damit wir durch Erkenntnis weiterkommen. Schwierigkeiten haben ihre Berechtigung, sie werden gebraucht, genauso wie Krankheit Anrecht hat, zu sein, bis wir sie in Heilung verwandeln. Sie alle sind Hilfsmittel auf dem Weg der Liebe, auf dem Weg der Reife und Freiheit. Alles auf dieser Welt strebt nach Reife und Freiheit. Alle Herausforderungen und Gegebenheiten anzunehmen, die mir die Göttliche Liebe in meinem Leben zuträgt, heißt EINS werden. Dafür muss ich Raum in meinem Geist und Herzen machen und gut vom Einen Geber denken. Platz machen für Vertrauen. „Vertrauen ist gefährlich und lebensbedrohend!“ ruft der Verstand. „Aber es ist unabdingbar!“ antwortet das Herz. Vertrauen in die weise Gnade in die unendliche liebevolle Hand, auch hinter der bittersten Medizin.
Auf der Ebene der Krankheit geht es weniger darum, den Erreger zu zerstören, als vielmehr, das Immunsystem so zu stärken, dass es mit jedem Erreger fertig werden kann. Daran ist die Ganzheit des Menschen beteiligt, also körperlich, emotional, geistig, spirituell und ethisch.
Ein Körper, der in Disharmonie geraten ist, ist empfänglich für disharmonischen Einfluss, für disharmonische Atome. Er zieht sie unbewusst an und nimmt daran teil, und zwar nicht nur der Körper sondern auch der Verstand. Denn jede körperliche Krankheit steht in irgendeiner Weise mit einer mentalen Krankheit in Verbindung. Jedes Element zieht ein ähnliches Element an, so zieht Disharmonie ihrerseits Disharmonie an und Harmonie wiederum Harmonie.