Читать книгу Das Dorf der Wunder - Roy Jacobsen - Страница 5

1

Оглавление

Suomussalmi wurde bereits am 7. Dezember angesteckt, nachdem die viertausend Einwohner evakuiert worden waren, nur ich nicht, ich war hier geboren, hatte mein ganzes Leben hier verbracht und konnte mir nicht vorstellen, an irgendeinem anderen Ort zu leben – und als dann plötzlich ein Wesen in weißer Uniform vor mir stand und von einem Blatt ablas, dass ich wegsollte, bohrte ich die Hacken in den Schnee und ließ mich nicht bewegen, so ist es wohl überall in der Welt, es gibt immer einen, mindestens einen, der nicht dasselbe tut wie alle anderen, er braucht nicht einmal zu wissen, warum nicht, und hier in Suomussalmi war ich das also.

Es ist seltsamerweise entsetzlich und erregend zugleich, wie eine einsame Salzsäule dazustehen und das gewaltige Flammenmeer in den eiskalten Wäldern zu sehen, denn es war eine schöne Stadt gewesen, die einzige, die ich überhaupt als etwas anderes kannte denn als Ansammlung von Dächern und Wäldern, und alles war schon vorbei, ehe ich auch nur bis zwanzig hatte zählen können.

Auch der Kaufmann Antti hatte gesagt, ehe er weggegangen war, hier kannst du nicht bleiben, Timo, die Russen können jeden Moment hier sein, und die bringen dich um.

»Idioten bringen die nicht um«, hatte ich geantwortet. »Ich kenne die Russen.«

»Red keinen Unsinn, die bringen alle um, ob sie sie nun kennen oder nicht, es ist Krieg, Timo.«

Also blieb mir nichts anderes übrig, als zu wiederholen, was ich schon gesagt hatte, dass niemand mich anrühren würde, aber das hielt ich für unnötig, da ich es ja schon gesagt hatte, weshalb ich einfach Antti so ansah, wie ich Leute ansehe, wenn es nicht nötig ist, etwas zu sagen. Antti, für den ich seit dem Tod meiner Eltern gearbeitet habe und der mich nie auf kränkende Weise bezeichnet hat, obwohl es schon vorgekommen ist, dass er sowohl mit meinem Verhalten als auch mit meiner Arbeit unzufrieden gewesen ist.

»Die Holzscheite müssen kürzer sein«, sagt er zum Beispiel.

»Du hast gesagt, sie sollen einen halben Meter lang sein«, antworte ich zum Beispiel und hole sogar den Zollstock und schlage wie als eine Art Drohung damit auf meine Handfläche, um ihm die Wahrheit zu beweisen, falls er seine Behauptung nicht zurückzieht.

»Die Kirche hat keinen so langen Ofen«, beharrt er dann zum Beispiel, »und jetzt will der Pastor das Holz nicht haben.«

»Dann verkauf es an Marja.«

»Ihr Café hat keine Gäste mehr.«

»Was, wenn ich es noch einmal teile, dann sind die Scheite fünfundzwanzig Zentimeter lang und du kannst sie an Lehrer Mäkinen verkaufen, die Schule hat doch kleine Öfen?«

»Das wird doppelte Arbeit«, macht Antti dann zum Beispiel weiter, »und du verdienst ja ohnehin so gut wie nichts.«

Aber das ist eine Abschweifung, denn wie es uns hier auf dieser Welt geht, ist in der Regel unsere eigene Sache, da stimmen mir die meisten zu, und da ist es seltsam, dass es so oft wiederholt werden muss; ich brauchte außerdem kein Geld, ich hatte den Hof und die Erde und den Wald, ich konnte fischen und jagen, ich bekam von Antti gratis Milch und Mehl und auch ein paar Konserven, oder er zog die Kosten von meinem Lohn für das Holz ab, es spielte keine Rolle, denn solange er selbst den Preis für Milch und Holz festsetzte, war der niedrig, weil Antti nicht nur geizig war, sondern weil ich ihm auch leidtat – ich tue den meisten in der Gegend leid, wenn sie sich nicht über mein Aussehen ärgern oder sich aus anderen Gründen über mich lustig machen, aber darum habe ich mich nie gekümmert, denn oft können dieselben Menschen, denen ich im einen Moment leidtue, im nächsten Moment zu der Überzeugung gelangen, dass sie sich über mich lustig machen müssen, als ob sie vom Mitleid müde würden; am einen Tag nennen sie mich den Idioten, am nächsten geben sie mir Milch oder Speck, ich bekomme selten beides gleichzeitig, ich bin die Art Mensch, die immer nur wenig auf einmal bekommt, was bedeutet, dass ich lernen musste, mit dem wenigen hauszuhalten, was ich habe, auch mit dem, was in den Augen anderer keinen Wert hat.

Jetzt half ich Antti und seinen beiden kleinen Söhnen beim Packen, und das, was er unbedingt mitnehmen musste, kannte keine Grenzen.

»Hast du nicht vor, zurückzukommen?«, fragte ich, während wir den Rocken und die riesige Nähmaschine hinaustrugen, die er seit dem Tod seiner Frau Anna nicht mehr benutzt hatte.

»Doch«, erwiderte er. »Aber das Haus wird abgefackelt werden, und das will ich nicht mit ansehen, beeil dich.«

»Willst du dann neu bauen, wenn du zurückkommst?«

»Ja, und es soll genau hier stehen, das Grundstück läuft ja nicht weg.«

»Ich werde darauf aufpassen.«

Aber Antti lächelte nicht an diesem Tag. Er sagte, es sei das Traurigste, was er in seinem ganzen fünfundvierzig Jahre langen Leben erlebt habe, vielleicht mit Ausnahme des Tages, an dem Anna gestorben war, das war jetzt fast genau ein Jahr her.

Wir füllten den großen und zwei kleine Schlitten mit Möbeln und Bettwäsche und Kleidern und Besteck, und mit Annas Hinterlassenschaften, und wir entfernten Konservendosen und getrocknete Lebensmittel aus dem Laden, den Rest vernichteten wir; das Einzige, was in den fremden und weit offenen Räumen noch vorhanden war, waren die Öfen, es war ein Haus mit Echo und grauen Wollmäusen geworden, die an den Fußbodenleisten entlanghuschten und den Ratten Angst einjagten.

»Kann ich hier wohnen?«, fragte ich und nickte zur hinteren Kammer hinüber, wo ich ein Bett und einige meiner Habseligkeiten hatte.

»Das hier wird abgefackelt!«, schrie Antti. »Geht das denn nicht in deine Birne!«

»Wenn ich hier wohne, kann ich es vielleicht retten«, sagte ich. »Dann musst du nicht neu bauen, wenn du zurückkommst.«

Antti sah aus, als ob ich ihm leidtäte und als ob er mich verachtete. Aber dann legte er mir die Hand auf die Schulter und schaute traurig in eine andere Richtung, das war eine Angewohnheit von ihm, dass er in eine andere Richtung blickte, wenn er wusste, dass mein bloßer Anblick unsere gebrechliche Freundschaft auf die Probe stellen könnte.

»Dann wirst du erschossen«, sagte er. »Der Befehl stammt von Mannerheim persönlich.«

»Das ist meine Sache«, sagte ich.

Dann waren wir mit dieser Sache fertig, so, dass wir beide unseren Willen durchgesetzt hatten, wie wir das immer tun, ohne dass einer von uns daran irgendeine Freude hat.

Wir kamen überein, dass Antti sein Pferd und auch mein Pferd, Kävi, mitnehmen sollte. Dann platzierte er seine Leibesfülle mit einem Stöhnen auf dem ersten Schlitten und nahm auch die Zügel des Pferdes dahinter, das den Schlitten zog, in dem Harri saß, sein ältester Sohn, der wiederum die Zügel des Pferdes hielt, das den hintersten Schlitten zog, in dem Jussi saß, und dahinter trottete Kävi, frei wie ein Vogel, so dass sie aussahen wie ein kleiner Zug, eine Lokomotive mit zwei Anhängern, wie sie da auf knirschenden Kufen auf die Brücke nach Hulkoniemi zuglitten, und keiner von ihnen schaute sich um, soweit ich sehen konnte, denn ich blieb auf der Treppe stehen und winkte, bis sie verschwunden waren, zusammen mit Hunderten von anderen Schlitten und Autos und Haustieren und auch einigen Treckern; alles, was kriechen und gehen konnte, verließ Suomussalmi an diesem dunkelsten Tag in Anttis Leben, dem 7. Dezember 1939.

In keiner Stadt war es jemals so still gewesen. Nirgendwo brannte ein Licht, kein Schritt war in dem sandtrockenen Schnee zu hören, keine Stimmen, kein Gebrüll, kein Hundegebell, keine Pferde oder Kühe, die in ihren Ställen standen und stampften und prusteten, die Geräusche der Stadt, die waren verschwunden, und vor allem – kein Rauch aus den Schornsteinen; was eine Stadt mit viertausend Einwohnern gewesen war, mit ebenso vielen Tieren, wenn nicht mehr, war innerhalb weniger Stunden in eine willkürliche Ansammlung aus leeren Holzschalen verwandelt worden, die die Luft anhielten, in dem eiskalten Winter, der hier in den Wäldern wütet und hier gewütet hat, seit Menschen und Tiere auf die Idee gekommen sind, erschaffen zu werden.

Ich verließ den Laden und wanderte in der plötzlichen Leere umher, fast um sie anzufassen und auszukosten. Aber dann fiel mir auf, dass viele Türen unverschlossen waren, ja, offen standen, und dass einzelne Einwohner selbst kleine Ladungen Stroh und Holz angekarrt hatten, damit das Anzünden den Soldaten leichter fallen würde, und ich erkannte vieles von dem Holz, es war meins, die Art, wie es gehackt und zerteilt war, ja, ich habe fast meine eigene Zinke, wenn es um Holz geht.

Einige hatten auch in ihre Häuser Holz gebracht, hatten es zusammen mit Stroh und Zeitungspapier auf dem Boden verteilt und auf Treppen und in Schränken aufgestapelt. Und es war deutlich, dass nicht alle so viel von ihren Habseligkeiten mitgenommen hatten wie Antti. In einem Haus fehlten nur die Schlafzimmermöbel, in einem anderen schien die Küche das Unentbehrlichste gewesen zu sein, ein drittes sah aus, als seien Diebe am Werk gewesen oder als sei Panik ausgebrochen, das Chaos dort war unbeschreiblich, als hätten sie ihre Einrichtung ganz bewusst zerstört.

Aber in einer Hütte, die dem alten Luukas und seiner Frau, die wir Tante Roosa nannten, gehörte, schien nichts zu fehlen, dagegen rochen alle Räume frisch geputzt, die Betten waren sorgfältig gemacht, und es war so ordentlich, als ob sie es für Weihnachten vorbereitet hätten. An den Wänden hingen noch immer die Fotografien der drei Söhne und der Verwandten des alten Ehepaares in Raatevaara, der kleinen Stadt gleich vor der Grenze, wo angeblich vor einer knappen Woche die Russen durchgebrochen waren, die Truppen, die sich jetzt auf dem Weg nach Suomussalmi befanden.

Ich war oft bei Luukas und Roosa gewesen, um Holz abzuliefern, und der Alte hatte auch von mir ein Bild gemacht, neben Kävi und dem Holzwagen, auf dem ich mich aufgestellt hatte wie eine Art Häuptling. Aber in der Regel hängen bei solchen Menschen nur Familienmitglieder an der Wand, deshalb lag ich sicher in einer Schublade oder einer Schachtel. Aber ich rührte nichts an, ich lief nur umher und betrachtete diese seltsame und frischgeputzte Ruhe und Ordnung – alles, was die Menschen brauchten, dazu ihre Erinnerungen, und dann war es tot, tot wie Schnee.

Aber weshalb ich mich eigentlich entschloss, auch dieses Haus zu retten, zusammen mit Anttis, war, dass ich eine Heugabel fand und auf den Heuhaufen losging, den Luukas vor der Tür hinterlassen hatte, ich schaffte ihn in den Stall und in den Mistkeller. Dort fand ich auch ein halbes geschlachtetes Schwein, das die alten Leute offenbar vergessen hatten oder das zusammen mit dem Stall hatte in Flammen aufgehen sollen.

Ohne weiter darüber nachzudenken – mir blieb ganz einfach nichts anderes übrig –, machte ich mich daran, das halb gefrorene Schwein zu zerlegen, wickelte die Fleischstücke in eine Plane und hängte sie an eine ein Stück tiefer im Wald stehende Tanne, wo sie sich im Frost Wochen und Monate halten konnten, wenn sie nur vor Tieren geschützt wären. Und während ich noch dort stand und mich fragte, ob ich auch eine Marderfalle aufstellen sollte, hörte ich zum ersten Mal den Krieg, fernes Motorendröhnen, das langsam in dem windstillen Winter näher kam, aus derselben Richtung, in die die Evakuierten verschwunden waren, danach fielen auch einige Schüsse, sehr weit weg, im Osten, Kanonendonner.

Ich ging langsam zurück durch die dunklen Straßen und erreichte Anttis Laden, als gerade die ersten Militärfahrzeuge über die Brücke rollten, und ein Jeep hielt vor mir – während die anderen weiter in die Stadt hineinfuhren, gefolgt von weiß gekleideten Soldaten, die hinaussprangen und mit Stroh, Reisig und Petroleumkanistern in die wehrlosen Häuser eindrangen.

Ein Mann von Mitte dreißig stieg aus dem Jeep und maß mich mit einem Blick, der bedeuten mochte, dass er seinen eigenen Augen nicht traute, in einer Stadt, die der Vernichtung preisgegeben war.

»Was machst du hier?«, fragte er.

»Ich wohne hier«, sagte ich.

»Die Stadt muss evakuiert werden«, sagte er. »Die Russen kommen ... vielleicht schon morgen.«

»Das macht mir nichts aus.«

Wieder sah er aus, als stehe er vor etwas, an das er nicht so ganz glauben konnte. Sein Fahrer sprang aus dem Wagen und fing an, mit ihm zu reden, aber an meinem Gehör war noch nie etwas auszusetzen, und der Mann, der mit mir gesprochen hatte und offenbar Offizier war, kam zurück und fragte, ob ich der Dorftrottel sei. Er sagte das ohne einen Anflug der vielen Arten von aasigem Lächeln, die es so gibt, als habe er mir eine ganz normale Frage gestellt, nach meinem Alter, zum Beispiel, und deshalb antwortete ich einfach, ja, der sei ich wohl, und ich würde hier bleiben, selbst wenn er drohte, mich zu erschießen, denn Suomussalmi würde ich niemals verlassen, es gebe wichtigere Dinge auf dieser Welt als ein schnödes Menschenleben.

Das entlockte ihm immerhin ein Lächeln, wenn auch ein unfreiwilliges.

»Hast du eine Waffe?«, fragte er nach einer Weile und lutschte an den Eisstücken, die an seinem zerzausten Schnurrbart baumelten.

Ich ging ins Hinterzimmer von Anttis Lager, wo ich auch mein Werkzeug aufgestapelt hatte und das, was ich an Lebensmitteln besaß, kam wieder heraus und zeigte ihm das Gewehr.

»Eine Moisin«, sagte er nachdenklich und fuhr mit bloßen Händen über meinen alten Schatz, so dass ich den Eindruck hatte, dass er darüber staunte, wie gut erhalten der war. »Ein Armeegewehr?«

»Ja. Von meinem Vater.«

»Hast du auch Munition?«

Ich gab ihm auch die Munition. Er legte sie und das Gewehr in den Jeep und drehte sich halb zu mir um und schien noch immer über das hier nachzudenken, was ihm solche Beschwerden machte, dass er nicht weiterfahren konnte.

Hinter den Fenstern der nächststehenden Häuser loderten jetzt die Flammen, rufende Männer liefen zwischen Autos und Gebäuden hin und her, und in dem Moment, in dem die ersten Glasscheiben barsten, brannten Anttis Nachbarhäuser alle beide lichterloh, in etwas, das aussah wie eine doppelte Belichtung. Wir mussten vor der glühenden Hitze zurückweichen, der Offizier bedeutete dem Fahrer, den Wagen in Sicherheit zu bringen, und ging langsam hinterher, während ich dort stehen blieb, wo ich eben stand, mit der Hitze wie einer steinharten Sonne im Rücken.

Nach nur wenigen Schritten hielt er inne und kam zurück, zog mich mit sich auf die Brücke zu, holte einen Tabaksbeutel hervor und fragte, ob ich eine Zigarette wolle.

Ich sagte Nein.

»Wir müssen auch das da abbrennen«, sagte er und nickte zu Anttis Haus hinüber, während der Zigarettenrauch wie zwei weiße Schlangen aus seinen vibrierenden Nasenlöchern quoll.

»Das kann ich machen«, bot ich an. Und wieder trat dieser nachdenkliche Ausdruck, der zu nichts führte, in seine Augen. »Ich hab keine Angst«, fugte ich hinzu. »Vor gar nichts.«

Jetzt war es so heiß, dass wir uns auch nicht mehr auf der Straße aufhalten konnten. Ich hatte schon vorher Brände gesehen, aber nur aus der Entfernung, und immer nur bei einem einzelnen Haus, und das, wovon ich jetzt wirklich nicht das Geringste begriff, war nicht die unerträgliche Hitze, sondern die Geräusche, die eine Explosion, die in die andere überging und die zusammen gewaltigen Vulkanausbrüchen ähnelten, und woher kam dieser entsetzliche Wind, plötzlich tobte ein ausgewachsener Sturm durch das windstille Inferno.

»Krieg ohne Feuer ist wie Würstchen ohne Senf«, schrie der Offizier mir ins Ohr. »Komm.«

Er lief jetzt auf die Brücke zu. Und mir blieb nichts anderes übrig, als hinterherzulaufen, ich holte ihn auch ein und lief ein Stück weit neben ihm her. Es war kein Problem, mit ihm Schritt zu halten, obwohl es schwer zu sagen ist, ob er den Versuch machte, mir davonzulaufen, er lief eigentlich ziemlich lässig dahin, trotzdem schien es ihn zu ärgern, dass ich so gut mit ihm Schritt halten konnte, bis hinunter zur Brücke, wo die Wagen sich jetzt in Erwartung neuer Befehle versammelten – Suomussalmi liegt auf einer Landzunge in dem zehn Kilometer langen Binnensee Kiantajärvi, der sich darumwickelt wie eine Schlange mit Stacheln, und jetzt sah ich, dass auch die Häuser auf der gegenüberliegenden Landzunge in Flammen standen, aber dort waren viel weniger, deshalb nahm ich an, dass das Regiment mit heiler Haut dort vorbeigelangen könnte, falls sie nicht vorhatten, sich über das Eis auf die Südseite des Sees zu begeben, was ich getan hätte, wenn ich der Chef dieser Truppen gewesen wäre und vorgehabt hätte, eine Stadt zurückzuerobern, die ich im ersten Durchgang aus taktischen Ursachen niedergebrannt hatte.

Aber das sagte ich nicht, und jetzt starrte der Offizier mich wieder mit seinem erschöpften Winterblick an, ehe er endlich verärgert genug zu sein schien, um eine Entscheidung zu fällen.

»Ich kann dich das Gewehr nicht behalten lassen«, sagte er. »Das macht alles nur noch schlimmer ... für dich.«

Ich nickte.

»Aber pass gut darauf auf«, sagte ich.

Er murmelte ein saures Ja, plötzlich abwesend, worauf auch sein kleines Lächeln wieder zum Vorschein kam. Und erst nachdem er seinen Soldaten etliche geheulte Befehle erteilt hatte, und nachdem die Wagen angefangen hatten, über die Brücke zu rollen, begriff ich, dass er ein letztes Mal über die Möglichkeiten nachdachte, mich mit rauer Gewalt zum Mitgehen zu zwingen, eventuell auch, ob er sich überhaupt die Mühe machen sollte, sich um mich zu kümmern.

»Du hast lange nicht mehr geschlafen«, sagte ich.

Er schaute überrascht auf.

»Seit voriger Woche nicht mehr, wieso?«

Ich trat einige Schritte zur Seite.

»Du kriegst mich auf keinen Fall mit«, rief ich. »Dann laufe ich einfach in die Flammen und die Sache hat sich.«

Er schien endlich zu begreifen, dass ich ernst meinte, was ich hier sagte. Jetzt kam zudem sein eigener Wagen angefahren, er öffnete die Tür, sagte etwas zum Fahrer und drehte sich mit einem weißen Anorak in den Händen zu mir um, murmelte etwas darüber, dass der mich vor der Kälte schützen würde, jedenfalls dagegen, entdeckt zu werden, sollte ich doch noch auf die Idee kommen, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Aber ich machte keine Miene, das anzunehmen.

»Sind die Russen weiß oder schwarz?«, fragte ich.

Der fing an zu lachen, warf den Anorak wieder ins Auto und rief:

»Schwarz! Schwarz wie der Teufel!«

Nuschelte dann ein »viel Glück«, so leise, dass ich es nicht hören konnte, vielleicht war es auch eine Serie von Verwünschungen, mir wäre es lieber gewesen, wenn er viel Glück gesagt hätte, dann stieg er ins Auto und fuhr hinter den anderen her, über die Brücke nach Hulkoniemi, nach Westen, fort von den vorrückenden Russen.

Diesem Offizier sollte ich später wieder begegnen, er hieß Olli und hatte zu diesem Zeitpunkt den Rang eines Leutnants, den Rang, den auch mein Vater innegehabt hatte. Bei Kriegsende sollte er weiterhin den Rang eines Leutnants bekleiden, anders als mein Vater, der es geschafft hatte, in dem Krieg, an dem er teilgenommen hatte, zum Hauptmann aufzurücken.

Das Dorf der Wunder

Подняться наверх