Читать книгу Seewölfe Paket 26 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 44

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Vom Dach der Faktorei aus hatten Jussuf und Jörgen Bruhn, die zu dieser Stunde Ausguck hielten, alles beobachten können.

„Mann, ich werd’ verrückt“, entfuhr es Jörgen. „Was machen die denn? Murksen die sich jetzt untereinander ab?“

„Mal sehen“, erwiderte Jussuf nachdenklich. „Da steckt bestimmt war dahinter.“

„Wer ist denn dieser Kerl, der eben den anderen Kerl erschossen hat?“ wollte Jörgen wissen.

Sie hatten in aller Deutlichkeit verfolgt, wie Cuchillo den Plünderer auf offener Straße niedergestreckt hatte. Vorher hatten sie gesehen, daß Cuchillo und Gayo mit ihren jeweils drei Soldados vom Hafen aus zur Stadt marschiert waren.

„Das ist Cuchillo“, erklärte Jussuf. „Einer von Gonzalo Bastidas vier Leibwächtern.“ Wie immer war er ausgezeichnet informiert. Keiner kannte die Hafenszene besser als er. In ständig wechselnden Verkleidungen hörte sich Jussuf als Spion im Hafen um und erfuhr stets die neuesten Nachrichten.

„Aha“, sagte Jörgen. „Und Bastida hat was vor. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, daß er sämtliche Plünderer abknallt oder absticht.“

„Ich auch nicht.“

„Vielleicht dient das Manöver nur der Abschreckung.“

„Damit die Kerle mit dem Plündern aufhören?“ fragte Jussuf. „Welchen Sinn soll das haben? Sie setzen ihre Beute ja bei Bastida um. Warum will er plötzlich auf diesen Profit verzichten?“

„Abwarten“, entgegnete Jörgen grimmig. „Wir erfahren es bestimmt noch.“

Arne von Manteuffel erschien ebenfalls auf dem Dach. Isabella Fuentes und er hatten die Schüsse natürlich auch gehört.

„Was ist los?“ fragte Arne. „Geht der Feuerzauber wieder los?“

„Offenbar nicht“, erwiderte Jörgen. „Jedenfalls lassen die Hunde das Gefängnis in Ruhe. Und auf uns scheinen sie es auch nicht abgesehen zu haben.“ Er berichtete, was Jussuf und er beobachtet hatten.

Wenig später konnten die drei Männer verfolgen, wie die Plünderungen in der Stadt allmählich nachließen und schließlich ganz aufhörten. Immer mehr Kerle rannten durch die Gassen auf Bastidas Kneipe am Hafen zu.

„Interessant“, sagte Arne. „Da scheint etwas Größeres im Gange zu sein. Das sieht mir ganz nach einer organisierten Aktion aus. Bastida versammelt die Kerle nicht nur zum Spaß.“

„Vielleicht ist auch de Escobedo bei ihm“, sagte Jussuf.

„Ganz sicher ist er das“, erwiderte Jörgen Bruhn. „Und gemeinsam hecken sie wieder etwas aus, nachdem der Angriff auf das Gefängnis nicht geklappt hat.“

Arne sagte: „Dreimal dürft ihr raten, was sie vorhaben.“

„Die Residenz?“ fragte Jussuf.

„Klar, de Escobedo will doch wieder Gouverneur werden“, sagte Jörgen.

„Da hat er aber was zu knacken“, sagte Jussuf.

„Er wollte, die Knastbrüder aus dem Gefängnis holen, um eine ausreichend große Meute zu haben“, sagte Arne. „Jetzt muß er sich anderweitig umschauen. Ich wette, daß Bastida ihm unter die Arme greift.“

„Ja, an Ideen mangelt es dem Dicken nicht“, meinte Jussuf.

„Gemeinsam sind sie eine Streitmacht“, sagte Arne. „Wir dürfen sie nicht unterschätzen.“

Die drei Männer verfolgten, was weiter in der Stadt geschah. Hier und da waren Rufe und Flüche zu vernehmen. Immer mehr Kerle eilten durch die Gassen auf die Kaschemme des Gonzalo Bastida zu, wo es jetzt von Männern nur so zu wimmeln schien.

Gayo war mit seinen drei Gefolgsleuten in eine der Kirchen von Havanna eingedrungen. Auch hier waren die Plünderer am Werk. Sie hatten den Altar abgeräumt und durchwühlten jetzt die Sakristei. Gayo trat einfach zu ihnen und schoß den Größten von ihnen aus nächster Nähe nieder.

Die anderen – vier Kerle – wirbelten herum. Sie brüllten auf und griffen zu den Waffen, aber die drei Soldados richteten bereits ihre Pistolen auf sie.

„Herhören, ihr Läuse“, sagte Gayo mit grollender Stimme. Er wies auf den Toten. „Das ist nur der Anfang, wenn ihr nicht vernünftig seid.“

„Du bist doch Gayo“, sagte einer der Plünderer.

„Richtig, Kleiner – Gayo, Bastidas eiserne Faust!“

„Was wollt ihr von uns?“ fragte ein anderer. „Ihr könnt die Beute nahen, aber laßt uns am Leben.“

„Wir brauchen Soldados“, sagte Gayo. Dann erklärte er, wie Bastidas Befehle lauteten. „Und jetzt haut ab“, sagte er zum Schluß. „Ich will euch hier nicht mehr sehen. Ihr wißt hoffentlich, was ihr zu tun habt.“

Ja, das wußten sie. Nur einer von ihnen entfernte sich aus der Stadt und schlug sich bis zum nahen Hügelland durch. Die anderen zogen es vor, Bastidas Kaschemme aufzusuchen. Denn welchen Sinn hatte das Dasein eines Galgenvogels, wenn er leer ausging? Noch herrschte Ausnahmezustand in Havanna, noch gab es alles zu gewinnen. Man mußte die Situation nutzen – stürmen, plündern und brandschatzen.

So wurde das Unternehmen der beiden Leibwächter und der sechs Soldados zu einem Erfolg. Bastidas Kneipe drohte bald aus allen Nähten zu platzen. Die Kerle drängten sich dicht an dicht. Jeder wollte bei dem Sturm auf die Residenz dabeisein. Bastida räumte sein geheimes Waffenlager im Keller der Kaschemme bis auf die letzte Pistole und die letzte Kugel leer.

Die Kerle stopften sich die Pistolen in die Gurte, hängten sich die Musketen und Tromblons um. Grinsend nahmen sie die Krüge mit Wein und Bier entgegen, die von den „Señoritas“ verteilt wurden. Bastida ließ sich nicht lumpen. Er gab Lokalrunden aus, und schon jetzt herrschte Triumphstimmung.

Cuchillo und Gayo waren in den einschlägigen Kreisen genauso bekannt wie Rioja und Sancho. Man fürchtete sie. Die Exempel, die Cuchillo und Gayo statuiert hatten, verfehlten nicht ihre Wirkung. Keiner wollte das gleiche Schicksal erleiden wie die erschossenen und erdolchten Plünderer. Plötzlich standen in Havanna alle Häuser gähnend leer, nirgends ertönte mehr Poltern, Klirren und Laichen.

Wie ein Lauffeuer hatte sich verbreitet, was Bastida verkündet hatte. Fast schlagartig – wie die Ratten – waren diejenigen verschwunden, die zu feige waren oder keine sonderliche Lust verspürten, sich an einem Kampf gegen die Residenz zu beteiligen.

Aber es waren nicht wenige, die eine noch größere Beute witterten und jetzt bereit waren, sich Bastida zu unterstellen.

So ging die Rekrutierung in der Kaschemme zügig voran. Cuchillo und Gayo wanderten mit ihren Dreimanntrupps kreuz und quer durch die Stadt. Sie trieben die Kerle zusammen und verbreiteten Angst und Schrecken. Keiner konnte ihnen entgehen – auch jene nicht, die sich in den Häusern am Rande der Stadt verkrochen hatten.

Osvaldo sprang auf und lief zum Küchenfenster, als die Schüsse aus der Stadt erklangen. El Sordo folgte ihm.

Was ist los? stand in seinen fragenden Augen zu lesen.

„Sie ballern wieder herum“, sagte Osvaldo. „Vielleicht versuchen sie noch einmal, ins Gefängnis einzudringen. Die sind total verrückt.“

Maria betrat die Küche. Sie hatte gebadet und sich neu eingekleidet. Leider hatte sie nur Männersachen gefunden – das grobe Zeug des Stallburschen, der für Don Felipe die Pferde versorgt hatte.

„Was hat das zu bedeuten?“ fragte sie.

„Schüsse“, entgegnete Osvaldo. „In der Stadt. Aber wir haben hier nichts zu befürchten.“ Er drehte sich zu ihr um. „Na, siehst du. Jetzt schaust du wieder wie ein normaler Mensch aus.“

„Doch wie ein Junge, oder?“

El Sordo betrachtete das Mädchen ebenfalls. Sie hatte sich die Haare hochgesteckt und eine Mütze aufgesetzt. Das rauhe Baumwollhemd und die grobe Leinenhose waren ihr etwas zu groß. Der Taubstumme klatschte dennoch begeistert in die Hände.

„El Sordo hat recht“, sagte Osvaldo. „Du bist entzückend.“

Maria wurde rot im Gesicht. Sie räusperte sich und begann, den Tisch abzuräumen – um überhaupt etwas zu tun. „Es gibt ein Geheimversteck im Haus“, erklärte sie. „Ich weiß, wo es ist. Ich zeige es euch. Sicherlich hat Don Felipe sein ganzes Geld mitgenommen. Auch den Schmuck. Aber vielleicht sind ja doch noch ein paar Wertsachen drin.“

„Oh, das ist sehr nett von dir“, sagte Osvaldo.

El Sordo hatte wieder einen Blick aus dem Fenster geworfen. Plötzlich stieß, er einen zornigen Laut aus. Aufgeregt wies er auf den Hof. Osvaldo und das Mädchen eilten zu ihm und blickten über seine Schultern. Was sie sahen, entlockte ihnen ebenfalls wütende Rufe.

Zwei Kerle waren in den Hof eingedrungen. Jetzt versuchten sie, das Maultier samt dem Karren ins Freie zu zerren. Aber der Vierbeiner wehrte sich. Er stemmte die Hufe nach außen und gab Protestlaute von sich.

„Diese Satansbraten!“ stieß Osvaldo aus. „Die wollen unseren Burrito klauen! Und den Wein! Und den Schnaps!“

Schon zückte er sein Messer und stürmte nach draußen. Der Taubstumme und das Mädchen folgten ihm.

„Was fällt euch ein?“ schrie Osvaldo die Plünderer an. „Verschwindet! Das Gespann gehört uns!“

„Jetzt nicht mehr!“ brüllte der eine Kerl zurück.

El Sordo war noch vor Osvaldo bei den beiden Eindringlingen und hielt ihnen sein Messer unter die Nasen. Die beiden fluchten und griffen ebenfalls nach den Messern. Aber Maria biß dem einen in die Hand. Der Kerl schrie auf und ließ das Messer sogleich wieder fallen.

Osvaldo schnappte sich den anderen Kerl, drängte ihn gegen den Karren und drückte ihm die Klinge an die Gurgel.

„So was haben wir gar nicht gern“, sagte er drohend. „Und unser Burrito kann es auch nicht leiden, wenn man ihn zu etwas zwingen will.“

„Ich – es tut mir leid“, stammelte der Kerl.

„Das ist keine Ausrede“, sagte Osvaldo.

El Sordo nickte Maria grinsend zu. Toll hast du dich verhalten, wollte er ihr sagen. Sie lächelte zurück.

„Wir wollten türmen“, erklärte der in Bedrängnis geratene Plünderer. Der andere schwenkte seine schmerzende Hand und warf Maria haßerfüllte Blicke zu.

„Warum?“ fragte Osvaldo.

„In Havanna ist der Teufel los“, erwiderte der Kerl. „Bastida hat jetzt das Ruder in die Hand genommen. Mit dem Plündern sei Schluß, hat er angeordnet. Alle sollen sich in seiner Kaschemme einfinden. Jeder Mann wird rekrutiert – für den Sturm auf die Residenz.“

„Interessant“, brummte Osvaldo. „Und was ist mit dem Beutegut?“

„Das wird nicht mehr angekauft.“

„Überhaupt nicht mehr?“

„Nicht, bis die Residenz erobert ist“, entgegnete der Kerl.

„Nun ja“, sagte Osvaldo. „Dann haben wir in Havanna auch nichts mehr verloren. Für Bastida halte ich nicht meinen Kopf hin.“ Er warf einen raschen Blick auf die Ladefläche des Karrens. Der Wein und der Schnaps waren noch dort, wo El Sordo und er sie verstaut hatten. „In Ordnung“, sagte er zu dem Galgenvogel. „Ihr könnt verduften. Seid froh, daß wir euch nicht die Hälse abgeschnitten haben.“

Die beiden Eindringlinge rannten davon und waren im nächsten Augenblick vom Hof verschwunden. Osvaldo beratschlagte mit El Sordo und dem Mädchen.

„Was tun wir?“ fragte er. „Die Sache gefällt mir nicht.“

Der Taubstumme gab durch Zeichen zu verstehen, daß er ebenfalls nicht bereit sei, an dem Angriff auf die Residenz teilzunehmen. Und auch Maria durfte dieser Gefahr nicht ausgesetzt werden. Also gab es nur noch eins: Flucht.

„Und das Geheimversteck?“ fragte das Mädchen.

„Das lassen wir sausen“, erwiderte Osvaldo. „Wir haben jetzt keine Zeit mehr, es uns anzusehen. Wie ich Bastida kenne, hat der seine Truppe von Schlägern losgeschickt um Leute zusammenzuholen. Die können jeden Moment auch hier aufkreuzen.“

Hastig rüstete das Trio zum Aufbruch. Sie holten Sachen aus dem Haus, packten sie auf den Karren und dirigierten Burrito, das Maultier, in Richtung auf das Tor. Doch kaum waren sie draußen, da blieben sie wie gelähmt stehen.

Cuchillo und dessen drei Soldados versperrten ihnen den Weg. Cuchillo hatte die Hand auf den Kolben seiner Pistole gelegt und grinste höhnisch.

„Sieh mal an“, sagte er. „So eine Überraschung. Osvaldo und El Sordo. Na, wie geht’s euch denn so?“

Osvaldo hustete verlegen. „Ach, ganz gut“, antwortete er.

„Wohin geht denn die Reise?“ fragte Bastidas Leibwächter lauernd.

„Wir wollten gerade zum Hafen runter“, erklärte Osvaldo. „Wir haben wieder ein paar Sachen zu verkaufen.“

„Daraus wird nichts“, sagte Cuchillo kalt. „Bastida schließt keine Geschäfte mehr ab. Der Sturm auf die Residenz geht vor.“ Er setzte ihnen knapp auseinander, wie Bastidas Befehle lauteten.

„Ach so“, sagte Osvaldo. „Na, das ist nicht so schlimm.“ Er stieß El Sordo mit dem Ellenbogen an. „Hast du verstanden?“

Der Taubstumme gab durch einen dumpfen Laut zu erkennen, daß er Cuchillos Erläuterungen mühelos hatte folgen können. Er gestikulierte herum und bedeutete durch Gebärden, daß er Bastida, Cuchillo und die Soldados zum Teufel wünsche.

„Was meint er?“ wollte Cuchillo wissen.

Osvaldo grinste. „Er erklärt mir gerade, daß er bei dem Sturm auf die Residenz gern dabei wäre. Und ich habe auch nichts dagegen. Also, wir gehen runter zur Kaschemme und melden uns bei Gonzalo Bastida, während ihr weiter eure Runde dreht.“

„Wir begleiten euch“, sagte Cuchillo. „Wir haben unseren Rundgang nämlich soeben abgeschlossen.“ Er wies auf Maria. „Und wen haben wir da?“

„Das ist unser Kumpel Mario“, erwiderte Osvaldo geistesgegenwärtig.

„Kenne ich nicht“, sagte Cuchillo. Er trat auf Maria zu. „Neu in Havanna, Mario?“

„Ich bin erst seit ein paar Tagen hier.“

„Zart besaitet, was? Du siehst aus wie ein Mädchen.“

„Ich kann dir ja mal zeigen, wie schnell ich mit dem Messer bin!“ zischte Maria.

Osvaldo schwitzte Blut und Wasser. El Sordo war ebenfalls höchst mulmig zumute. Cuchillo aber lachte schallend.

„He!“ rief er und klopfte dem Mädchen derb auf die Schulter. „Du gefällst mir! So eine freche Schnauze wie dich können wir noch brauchen! Wenn wir dem Drecksgesindel in der Residenz einheizen, kannst du mir mal zeigen, wie mutig du bist!“

Maria verzog keine Miene. „Das werde ich tun“, erwiderte sie.

„Na los“, sagte Cuchillo, „Klettere auf den Kutschbock. Ich setze mich neben dich, Junge. Bin heute ganz schön rumgelaufen. Mir tun die Füße weh. Wir fahren zur Kaschemme.“ Er deutete auf die drei Soldados, auf Osvaldo und El Sordo. „Ihr marschiert hinter uns her. Wir dürfen den Karren nicht überladen. Übrigens ist auch das Gespann beschlagnahmt. Freunde. Wir werden es für den Transport von Waffen und Munition zur Plaza benutzen.“

„Klar doch“, entgegnete Osvaldo. Innerlich aber kochte er. So ein Pech! Wären sie etwas eher getürmt, hätten Cuchillo und seine Kerle sie nicht mehr erwischt. So aber waren sie gezwungen, sich rekrutieren zu lassen. Das war aber noch nicht das Schlimmste. Wenn Cuchillo herauskriegt, daß Maria ein Mädchen war, würde der Teufel los sein.

Was haben wir uns bloß eingebrockt? dachte Osvaldo, während er hinter dem Gespann hertrottete. Und El Sordo ließ die Schultern und den Kopf hängen. Er schnitt eine Grimasse, als schreite er zu seiner eigenen Hinrichtung.

Arne von Manteuffel lag immer noch bei Jussuf und Jörgen Bruhn auf dem Dach der Faktorei. Er hatte jetzt ein Spektiv zur Hand genommen, zog es auseinander und spähte hindurch. Seine Aufmerksamkeit galt dieses Mal aber nicht den Vorgängen in der Stadt, sondern den beiden Forts am Hafeneingang von Havanna.

Sowohl das Castillo de la Punta im Westen als auch das Castillo del Morro im Osten waren nur noch mit einem Viertel der ursprünglichen Wachmannschaft besetzt – soviel war bekannt. Die beiden Dreiviertel der Soldaten waren zu Beginn der Unruhen an die Miliz und an die Stadtgarde abgegeben worden. Inzwischen verstärkten sie die Besatzung der Residenz.

Am 25. Juni, vor zwei Wochen also, hatten die Unruhen in Havanna angefangen. Seitdem hockten die beiden Restbesatzungen ziemlich tatenlos in den Forts und wußten nicht recht, wie sie sich verhalten sollten.

Daß in der Stadt die Hölle los war, sahen und hörten sie. Sie konnten sich auch ausrechnen, daß ihre Hilfe sicherlich gebraucht wurde. Doch ohne einen entsprechenden Befehl konnten sie nicht handeln. Deshalb saßen sie weiterhin auf ihrem verlorenen Posten.

Der Befehl erreichte die Fortmannschaften an diesem Vormittag. Sie sollten sich zur Residenz durchschlagen, um sich dort in die Verteidigung einzureihen. Die Soldaten atmeten auf. Endlich! Sie hatten lange genug auf diese Order warten müssen.

Der Melder hatte sich auf Umwegen zum Castillo de la Punta gepirscht und erreichte das Fort gegen zehn Uhr. Hier erstattete er einem Subteniente Bericht.

Der Subteniente ließ die Besatzung vom gegenüberliegenden Castillo del Morro mit einer Jolle abholen. Die Forts waren zu diesem Zeitpunkt mit noch je zehn Mann besetzt. Im Westfort führte der Subteniente das Kommando, im Ostfort waren die Soldaten einem ergrauten Sargen to unterstellt.

Vom Dach der Faktorei sah Arne, wie die Besatzung vom Castillo del Morro herübergeholt wurde.

„Da tut sich was“, sagte er zu seinen beiden Kameraden. „Truppenbewegungen. Ob die Señores die Forts jetzt wohl ganz räumen?“

Jussuf und Jörgen schauten abwechselnd durch ein zweites Spektiv.

„Es sieht ganz danach aus“, sagte Jörgen. „Demnach werden die Castillos gleich ganz verwaist sein.“

„Herrenlos“, sagte Jussuf grinsend. „Na, ich kann’s verstehen. Die Soldaten werden in Havanna gebraucht. Dort draußen drehen sie ja nur Däumchen. Und wer soll schon kommen, um ihre Ruhe zu stören? Schiffe etwa?“

„Ja, wer schon!“ Jörgen lachte.

„Doch keine Schiffe“, sagte Arne grinsend.

Die drei Männer beobachteten, wie kurz darauf die beiden Fortbesatzungen das Castillo de la Punta verließen und in Richtung Gouverneursresidenz marschierten. Die Soldaten waren allesamt schwer bewaffnet. Allerdings näherten sie sich der Plaza, an der die Residenz stand, nicht auf direktem Weg, sondern benutzten Gassen und Seitengänge. Der Trupp wurde von dem Subteniente angeführt.

„Achtung“, sagte Jussuf plötzlich. „Jetzt wird es brandheiß. Da kommt Cuchillo.“

Tatsächlich – von dem anderen Ende einer Gasse, durch die der Trupp gerade marschierte, näherte sich Cuchillo. Er hockte auf dem Kutschbock eines Maultierkarrens. Neben ihm saß ein Junge, der die Zügel des Tieres hielt. Hinter dem Karren schritten fünf Kerle her.

„Hol’s der Henker“, sagte Jörgen Bruhn. „Das gibt Zunder.“

Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, da richtete sich Cuchillo kerzengerade auf dem Kutschbock auf. Im nächsten Moment griff er zur Pistole. Seine Kerle duckten sich und huschten in nahe Hauseingänge. Dann ging alles sehr schnell. Cuchillo eröffnete das Feuer auf die Soldaten. Der Schuß knallte in der Gasse. Ein Befehl des Subtenienten gellte, und sofort gingen auch die Soldaten in Deckung. Knatternd spuckten die Musketen ihre Ladungen aus. Pulverqualm wehte aus der Gasse hoch.

Maria, das Mädchen, ließ sich gedankenschnell vom Kutschbock fallen. Das Maultier gab einen schrillen Laut von sich und ging mit dem Karren durch. Cuchillo warf sich auf das Pflaster der Gasse. Die drei „Soldados“ der Bastida-Truppe, Osvaldo und El Sordo versuchten, sich in Sicherheit zu bringen.

Osvaldo gelang es, in einen Stall zu kriechen, dessen Tür halb offenstand. Er kauerte sich hinter Strohballen. Sekunden später spürte er eine Bewegung neben sich.

„Maria“, flüsterte er entgeistert.

„Ja, ich bin’s.“

„Sei ganz still. Vielleicht haben wir Glück, und die Soldaten töten Cuchillo und seine Schläger.“

„Wo ist El Sordo?“ fragte das Mädchen.

„Ich weiß es nicht“, raunte Osvaldo. „Aber der schlägt sich schon durch. Verlaß dich drauf.“

Der Kampf in der Gasse dauerte nur wenige Augenblicke. Dem Subtenienten und den Soldaten gelang es, die drei Schläger der Bastida-Truppe zu erschießen. Cuchillo war plötzlich verschwunden. Und um Osvaldo und das Mädchen kümmerte sich keiner mehr.

Osvaldo und Maria lauschten den Stimmen der Soldaten. Der Subteniente gab seine Anweisungen. Die Toten wurden liegengelassen. Die Mannschaft setzte ihren Marsch zur Residenz fort. Allmählich entfernten sich die Schritte.

Der Dieb und das Mädchen atmeten auf. Maria wollte sich wieder erkundigen, wo der Taubstumme stecken könne, da bewegte sich die Stalltür. Knarrend öffnete sie sich. Osvaldo und Maria hofften, El Sordo schaue herein – doch es war Cuchillo, der sie mit kaltem Grinsen ansah.

„Ihr hättet euch am liebsten verdrückt, was?“ fragte er.

„Nein, das ist nicht wahr“, antwortete Osvaldo. „Nur haben wir mit unseren Messern wenig gegen die Soldaten ausrichten können.“

„Das stimmt“, pflichtete Cuchillo ihm bei. „Na ja, meine drei Kerle hat es erwischt. Bastida wird sich ein paar neue Soldados suchen müssen. Aber seht mal, wen ich hier habe.“ Er zerrte El Sordo zu sich heran und hielt ihn am Arm fest. „Der hatte sich in einem Haus versteckt“, erklärte Cuchillo. „Aber ich habe auch ihn wiedergefunden.“

„Wunderbar“, sagte Osvaldo. „Wir hatten schon Angst, man hätte auch ihn erschossen.“

„Den? Bei seinem Heldenmut?“ Cuchillo lachte. „Der hat höchstens die Hosen voll!“

Maria wollte darauf etwas entgegnen, doch Osvaldo legte ihr die Hand auf den Unterarm. Es hatte keinen Zweck, diesen Hundesohn Cuchillo unnötig zu reizen. Gerade jetzt nicht, nachdem er drei seiner Spießgesellen verloren hatte.

Osvaldo, El Sordo und Maria mußten mit Cuchillo zu Bastidas Kaschemme gehen. Sie hatten keine andere Wahl und waren dem Leibwächter ausgeliefert.

Dem Subteniente gelang es indessen, sich mit seiner Truppe bis zur Residenz durchzuschlagen. Hier wurden sie von den Angehörigen der Miliz und der Garde hereingelassen und empfangen. Man begrüßte sie und bedrängte sie mit vielen Fragen. Doch der Subteniente und der Sargento wußten nur zu berichten, daß in Havanna nach wie vor der Mob regierte.

Arne von Manteuffel, Jörgen Bruhn und Jussuf hatten alles vom Dach der Faktorei beobachten können. Arne kehrte ins Haus zurück und berichtete Isabella Fuentes, was sie gesehen hatten.

„Wie schrecklich das alles ist“, sagte Isabella. „Und für uns besteht vorläufig keine Gefahr mehr?“

„Ich glaube nicht“, erwiderte Arne. „Das allgemeine Interesse scheint nicht mehr der Faktorei zu gelten – zur Zeit jedenfalls.“

Isabella atmete auf. „So ein Glück. Wir haben also auch von de Escobedo nichts zu befürchten?“

„Der heckt mit Bastida offenbar einen Plan aus, wie sie am besten in die Residenz einbrechen können.“ Arne lächelte dem Mädchen zu. „Keiner kümmert sich um uns. Unser Handelshaus liegt jetzt gewissermaßen in Lee – abseits des derzeitigen Geschehens.“

„Und das ist gut so“, sagte Isabella erleichtert.

„Gut für uns und unsere Freunde vom Bund der Korsaren“, erwiderte Arne.

Wie Isabella, Jussuf und Jörgen wartete er auf das Eintreffen der Kameraden. Sie hatten sie per Brieftaubenbotschaft benachrichtigt. Arne war sicher, daß der Bund mit einem starken, schlagfähigen Verband nach Kuba unterwegs war. Jetzt war nur noch die Frage, wann die Freunde eintrafen. Genau ließ es sich leider nicht sagen. Man konnte nur warten – und hoffen.

Seewölfe Paket 26

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