Читать книгу Seewölfe Paket 26 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 43

3.

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Cuchillo griff sich sofort zwei Kerle, die an einem Ecktisch saßen und ihren Wein in Gesellschaft zweier grell geschminkter Señoritas becherten. Die Kerle begriffen nicht recht, wie ihnen geschah. Im Nu hatte Cuchillo sie hochgehievt und in den hinteren Bereich des Raumes befördert.

„So!“ fuhr er sie an. „Jetzt ist Schluß mit der Sauferei! Bleibt hier stehen!“

„Moment mal!“ protestierte einer der beiden, ein Kerl mit wüsten Narben im Gesicht. „Was soll das heißen?“

„Daß es Arbeit gibt“, entgegnete Cuchillo. Er drehte sich um, marschierte an einen anderen Tisch und holte sich den nächsten „Rekruten“.

„Seid ihr übergeschnappt?“ brüllte der Narbige.

Gayo, Rioja und Sancho erteilten den „Soldados“, die sich in der Kaschemme befanden, knappe Befehle. So packten auch die „Soldados“ mit zu. Kerl für Kerl wurde in die hintere Raumecke transportiert. Unruhe entstand. Die Kerle prallten gegeneinander, fluchten und randalierten. Sie schrien wild durcheinander.

„Hört auf, ihr Schweine!“ brüllte einer. „Ihr habt sie wohl nicht mehr alle, was?“

Rioja rammte ihm die Faust in den Magen.

„Wie hast du uns genannt?“ fragte er drohend.

Der Kerl krümmte sich und schnappte japsend nach Luft. Der Narbige wollte ihm zu Hilfe eilen, doch Gayo nahm ihn in einen brutalen Knebelgriff. Der Narbige zappelte, trat auf der Stelle und jaulte wie ein Straßenköter.

Die „Señoritas“ entfernten sich kreischend von den Tischen. Sie begriffen schneller als die rekrutierten Kerle, was die Stunde geschlagen hatte. Mit hastigen Schritten flohen sie zu ihren Kammern und brachten sich in Deckung. Wenn erst die Fäuste flogen und die Messer blitzten, konnte es für einen Rückzug zu spät sein. Plötzlich herrschte eine ausgesprochen ungesunde Atmosphäre in Bastidas Kaschemme.

Gonzalo Bastida erschien hinter der Theke. Neben ihm war, im Halbdunkel nur schwer zu erkennen, Alonzo de Escobedo. Bastida donnerte seine Faust auf die Theke und brüllte: „Herhören!“

Einer der „beschlagnahmten“ Kerle versuchte gerade, sich Sanchos Griff zu entwinden. Aber Sancho trat ihm kräftig in den Hintern. Auch dieser Kerl zog es vor, keinen Widerstand mehr zu leisten.

Die Kerle verstummten allmählich.

„Aufgepaßt“, fuhr Bastida fort. „Schreibt euch hinter die Ohren, was ich euch jetzt sage. Ich werde es nicht wiederholen. Vorläufig kaufe ich keine geplünderte Ware mehr.“ Vielleicht heute nachmittag wieder, dachte er, aber er hütete sich, es laut zu verkünden. Die Kerle mußten nachhaltig beeindruckt werden. „Das Geschäft und auch die Zapfhähne in meiner Schenke werden erst wieder eröffnet, wenn die Residenz gefallen ist!“ teilte er der Versammlung barsch mit. „Basta!“

„Was?“ heulte einer der Zecher. „Bastida, das kannst du doch nicht tun! Ich hab’ hier, einen ganzen Sack voll Schmuck!“

„Das Zeug übernehme ich zur Aufbewahrung“, sagte Bastida gnädig. „Sonst noch Fragen?“

„Wieso soll die Residenz fallen?“ schrie der Narbige.

„Weil wir sie vereinnahmen“, erwiderte der Dicke. „Das ist jetzt wichtiger als alles andere, ihr Narren! Will euch das nicht in den Kopf?“

„Nein!“ brüllten ein paar Kerle.

Aber Cuchillo und die drei anderen Leibwächter waren sofort bei ihnen und teilten derbe Hiebe aus. Jammernd verstummten auch diese Aufmüpfigen.

„Alle Bürger, die Garde und die Miliz haben sich in der Residenz verschanzt“, erklärte Bastida. „Es ist klar, daß sie auf die Dauer nicht einfach zusehen, wie ihr ihre Häuser ausräumt. Klar? Sie rüsten zum Gegenschlag. Aber wir werden ihnen jeglichen Widerstand austreiben. Wir überwältigen sie und hauen alles kurz und klein. Wer sich uns entgegenstellt, wird so oder so beseitigt.“

„Jawohl!“ schrie Cuchillo. „Stürmt die Residenz!“

Bastida nickte ihm wohlwollend zu. Dann stützte er sich mit seinen fleischigen Händen auf der Theke auf.

„Und jetzt noch etwas“, sagte er zischend. „Wer von euch Kerlen glaubt, sein eigenes Süppchen kochen zu können, der kann schon jetzt Abschied von seinem Leben nehmen. Wer sich drückt, der tut gut daran, sich nicht mehr sehen zu lassen und aus Havanna zu verschwinden.“

Die Kerle blickten sich untereinander an. Mit Bastida war nicht zu spaßen. Was der sagte, das setzte er auch in die Tat um. Er hatte die Bande in der Hand. Keiner konnte sich seiner Macht und Gewalt entziehen. Und abhauen, das bedeutete, ohne Beute auszugehen. Dabei lockten in der Residenz Reichtümer von unermeßlichem Wert.

Keiner wußte genau, wieviel Gold und Schmuck dort zu holen waren, doch die Einbildung und die Phantasie trieben die tollsten Blüten. Manche Kerle behaupteten, im Keller stapelten sich die Schatztruhen.

Andere wollten wissen, daß die Lampen aus puren Diamanten bestanden. Wieder andere waren sicher, daß Türklinken und Fenstergriffe aus purem Gold gefertigt waren. Und irgend jemand hatte sogar verlauten lassen, das Amtszimmer des Gouverneurs sei mit einem goldenen Fußboden ausgelegt.

Bastida verfolgte die Reaktionen der Kerle sehr genau. Er wußte schon jetzt, daß er gesiegt hatte. Er hatte die Meute fest an der Kandare. Was er eben gesagt hatte, würde sich sehr schnell unter den schrägen Vögeln von Havanna herumsprechen. Er konnte den Vorgang sogar noch beschleunigen, wenn er ein paar Exempel statuierte.

„Also“, sagte der Dicke lauernd. „Wer von euch will verduften?“

Keiner meldete sich. Die Kerle hüstelten, traten auf der Stelle oder blickten verlegen zu Boden.

„Wird’s bald?“ fuhr Bastida sie an.

Der Narbige trat zwei Schritte vor. Es war, als habe die Meute ihn zu ihrem Wortführer gewählt.

„Also, wir machen mit“, erklärte er. „Aber wie sollen wir die Residenz ganz ohne Waffen stürmen? Wir haben bloß unsere Messer.“

Bastida lachte glucksend. „Keine Angst, mein Freund. An Waffen soll es nicht mangeln.“

Selbst de Escobedo war überrascht. Er glaubte, die Kaschemme bestens zu kennen. Aber – hatte der Dicke etwa ein geheimes Waffenlager? So, wie er sich aufführte, schien das wirklich der Fall zu sein. Verdammt, verdammt, dachte de Escobedo, dieser Oberhalunke steckt voller Überraschungen. Alles in allem schien es goldrichtig zu sein, sich mit Gonzalo Bastida zusammengetan zu haben. Der Kerl verfügte über Macht und Einfluß bei dem üblen Gelichter von Havanna. Er brauchte nur zu pfeifen, und die Halunken taten, was er wollte.

De Escobedo war nunmehr vollends überzeugt, daß Bastida der richtige Partner für ihn wäre. Was später geschah, wenn sich die Residenz in seiner, de Escobedos, Gewalt befand, stand auf einem anderen Blatt. Dann brauchte er Bastida nicht mehr. Es würde schon Mittel und Wege geben, sich des Dicken wieder zu entledigen.

Es geschah ganz plötzlich. Mario fuhr von dem Tisch hoch und rannte zum Küchenfenster. Er wollte das Fenster aufstoßen und ins Freie springen, aber El Sordo war um einen Lidschlag flinker als er. Mit einer Behendigkeit, die man ihm auf den ersten Blick kaum zutraute, war der Taubstumme bei dem Jungen und packte seine Beine.

„Laß mich los!“ schrie Mario.

Osvaldo stand nun ebenfalls auf.

„Er kann dich nicht verstehen“, sagte er grinsend.

„Sag ihm, er soll mich in Ruhe lassen!“

„Ich finde, du dankst es uns schlecht, daß wir dich aus dem Kellerloch geholt haben“, sagte Osvaldo. „Du bist ein ganz mieses Kerlchen, Mario. Ich glaube, du hast eine Lektion verdient.“

„Bitte!“ flehte der Junge. „Tut mir nichts an! Ich hab’ doch nichts verbrochen!“

„Das ist noch die Frage“, sagte Osvaldo. „Ich habe das Gefühl, daß du uns anlügst. Das ist gar nicht nett von dir.“

„Ich lüge nicht!“

Osvaldo verständigte sich mit seinem Kumpan durch Handzeichen. Dann packten sie den Jungen gemeinsam und trugen ihn in einen der angrenzenden Räume hinüber – in die Waschküche. El Sordo mußte Mario festhalten. Osvaldo füllte einen großen Zuber mit kaltem Wasser.

„So“, sagte Osvaldo. „Jetzt wird kalt gebadet. Deine eigene Schuld. Aber vielleicht ist es ja auch eine Erfrischung für dich. Schließlich haben wir Sommer. Mann, es ist ganz schön heiß draußen, findest du nicht auch?“

Mario schien unter dem Schmutz, der sein Gesicht bedeckte, zu erblassen. „Was – was wollt ihr denn machen?“

„Ein Bad hast du dringend nötig“, sagte Osvaldo schroff. „Du stinkst nämlich. Pfui Teufel!“

„Ich flehe dich an“, jammerte Mario. „Tu’s nicht. Hab’ doch Erbarmen!“

„Was hast du ausgefressen, daß Don Felipe dich so hart bestraft hat?“ fragte Osvaldo.

„Gar nichts“, erwiderte der Junge trotzig.

„Man sperrt doch einen Diener nicht wie einen Hund in einen Käfig.“

„Don Felipe tut’s schon.“

Der Taubstumme schüttelte heftig den Kopf. Er schnitt eine Grimasse und gab eine Reihe von gutturalen Lauten von sich.

„Was sagt er?“ fragte der Junge entsetzt.

„Daß du spinnst“, erklärte Osvaldo.

„Es stimmt, was ich sage!“ schrie Mario.

„Na schön“, meinte Osvaldo. „Hölle, wir haben schon zuviel Zeit mit dir vergeudet. Wir haben schließlich noch was Besseres zu tun, als hier dumme Reden zu halten und uns dein Gequatsche anzuhören. Los, auf geht’s!“

El Sordo hielt den strampelnden Mario fest. Osvaldo zerrte dem Jungen die Fetzen vom Leibe. Er wollte ihn schon mit Hilfe des Taubstummen in den Zuber hieven, da hielt er wie vom Donner gerührt in den Bewegungen inne.

„Hol’s der Henker“, sagte Osvaldo. „Da brat mir doch einer einen Storch.“

„Schschtorchhh“, würgte El Sordo hervor. Sein Blick wanderte an ihrem Gefangenen auf und ab. Er geriet ins Schwitzen.

Mario brach schon wieder in Tränen aus und unternahm einen sinnlosen Versuch, seine Blößen mit den Händen zu bedecken.

„Du bist ja gar kein Junge“, sagte Osvaldo. „Du bist ein Mädchen. Kein Mario, sondern eine Maria.“

Der vermeintliche Junge heulte zum Gotterbarmen. „Warum tötet ihr mich nicht?“

Osvaldo kratzte sich. Das tat er immer, wenn er ratlos war oder ein Problem zu lösen hatte. Er kratzte sich am Kinn, an den Ohren und am Köpf. „Das hättest du aber auch gleich sagen können.“

El Sordo gab brabbelnde Laute von sich, die wie eine plumpe Entschuldigung klangen. Osvaldo schaute sich verzweifelt um. Er entdeckte ein Laken, das an einer Leine hing. Rasch nahm er das Laken herunter und reichte es dem Mädchen.

„Da, zieh dir das an“, sagte er.

Das Mädchen riß das Laken an sich, wickelte es sich um den Leib und blickte mit verkniffener Miene zu Boden.

„Also, wenn du das gleich gesagt hättest“, erklärte Osvaldo. „Dann wäre das hier gar nicht passiert. Was soll denn das Theater, Maria? So heißt du doch, oder?“

„Ja, so heiße ich“, erwiderte das Mädchen. „Ihr Kerle seid alle gleich. Ihr habt nichts als schmutzige Gedanken. Kaum seht ihr eine Frau, müßt ihr sie unsittlich anfassen. Na los, auf was wartet ihr, noch? Ich bin ja eure Gefangene.“

El Sordo hatte das Mädchen losgelassen. Jetzt versuchte er, ihr einige sehr wesentliche Dinge klarzumachen. Aber seine wilden, heftigen Gesten stießen bei ihr nur auf Abscheu und Widerwillen.

„Ach, laß mich doch in Ruhe“, sagte sie.

„Du bist lustig“, sagte Osvaldo grimmig. „Erst hältst du uns zum Narren, dann beleidigst du uns.“ Er hob mahnend den Zeigefinger. „Wir sind ehrbare Diebe, merk dir das! Wir haben noch keiner Frau ein Härchen gekrümmt, solche Schweinehunde sind wir nicht! Höchstens einem Kerl haben wir mal eins übergezogen, wenn wir angegriffen worden sind! Ist das so schlimm?“

Maria hockte sich auf den Rand des Zubers und kaute auf der Unterlippe herum. „Du kannst mir viel erzählen. Ich glaube gar nichts mehr. Ich habe ziemlich schlechte Erfahrungen gemacht.“

„Weil jeder Mann nur an das eine denkt?“ fragte Osvaldo. Er kam sich unsagbar dumm dabei vor. Aber ihm fiel nichts Besseres ein.

„Ja.“

„Auch – Don Felipe?“

„Der!“ zischte Maria. „Er hat mich als Kammerzofe eingestellt. Aber gleich in der ersten Nacht hat er sich zu mir ins Zimmer geschlichen und versucht, mich zu vergewaltigen. Ich habe um Hilfe geschrien. Da ist er verschwunden.“

„So ein Mistkerl“, murmelte Osvaldo.

Er mußte El Sordo auseinandersetzen, was das Mädchen gesagt hatte. Der Taubstumme begriff und schüttelte drohend, die Faust. Don Felipe, dieses Ferkel! Wenn sie ihn erwischten, würden sie ihm ganz schön die Leviten lesen!

„Lacht ihr über mich?“ fragte das Mädchen.

„Nein“, erwiderte Osvaldo. „Du kennst uns eben schlecht. Wir klauen, was nicht niet- und nagelfest ist, aber wir vergreifen uns nicht an jungen Mädchen. Wenn ein Kerl so richtig in Fahrt ist, soll er in den Hafen gehen. Da gibt’s genug Huren.“

„Ein Mann wie Don Felipe tut so was nicht“, entgegnete das Mädchen. „Ich sollte seine Mätresse werden, forderte er. In den drei Wochen, die ich in diesem Haus war, versuchte er immer wieder, mich zu sich ins Bett zu locken.“

„Warum bist du nicht einfach abgehauen?“ wollte Osvaldo wissen.

„Das hatte ich vor“, erwiderte sie. „Aber ich brauchte das Geld so dringend. Ich wußte nicht, wo ich sonst unterkommen sollte. Ich drohte Don Felipe damit, seiner Frau alles zu verraten. Da war er nicht mehr ganz so aufdringlich. Aber er zahlte es mir heim. Vor einer Woche verschwand eine silberne Schüssel. Don Felipe drehte alles so hin, daß ich als die Diebin hingestellt wurde. Plötzlich hackten alle auf mir herum. Dann kam auch noch heraus, daß jemand in die Speisekammer eingebrochen war.“

„Warst du das nun oder nicht?“ fragte Osvaldo.

„Ich war es.“

„Du hattest Hunger?“

„Und wie.“

„Don Felipe hat dir wohl absichtlich wenig zu futtern gegeben“, sagte Osvaldo nachdenklich. „Um dich herauszufordern. Na, da mußte es ja soweit kommen. Und dann hat er dich auch noch selbst ertappt.“

„Ich wurde degradiert“, fuhr Maria fort. „So nannte er es. Ab sofort mußte ich die schmutzigsten Arbeiten verrichten. Zur Strafe sperrte er mich abends in das Kellerloch. Immer wieder sagte er, ich könnte es mir noch überlegen. Ich brauchte ihm nur Bescheid zu sagen und mich zu fügen, dann würde alles wieder gut werden.“

„Dann ging das Chaos los, und alle flohen“, sagte Osvaldo. „Don Felipe war es egal, was aus dir wurde. Und die anderen dachten nicht mehr an dich.“

„So hat sich alles zugetragen“, sagte Maria. „Ich kann es beschwören. Es ist die Wahrheit.“

Osvaldo und der Taubstumme tauschten einen raschen Blick. Dann wandte sich Osvaldo erneut an das Mädchen.

„Mein Freund El Sordo und ich glauben dir“, erklärte er mit fast feierlicher Miene. „Du hast dich nicht als Mädchen zu erkennen gegeben, weil du vor Männern Angst hast. Richtig?“

„Ja.“

„Wir werden dir beweisen, daß wir anständige Kerle sind“, sagte Osvaldo. „Wenn du Lust hast, kannst du bei uns bleiben, solange der Aufstand weitergeht. Wir werden dich beschützen.“

„Danke“, sagte das Mädchen. „Ihr seid ja wirklich – in Ordnung.“

„Ach, das ist doch nicht der Rede wert“, entgegnete Osvaldo verlegen.

Er winkte El Sordo zu, und sie verließen den Raum. In der Küche leerten sie auf den Schreck jeder zwei Becher Wein und lauschten den planschenden Geräuschen, die aus der Waschküche drangen.

El Sordo sah seinen Begleiter eindringlich an.

Osvaldo nickte. „Ja, ich weiß schon, was du sagen willst. Da haben wir uns ganz schön was eingebrockt. Aber wir können Maria nicht einfach sich selbst überlassen. Wenn sie allein loszieht und irgendwo in der Stadt den Galgenstricken in die Hände fällt, ist sie geliefert. Du weißt genau, was ihr dann passiert.“

Der Taubstumme seufzte. Natürlich wußte er das. Und irgendwie war ihm Maria auch schon ans Herz gewachsen. Zum Teufel, er mochte diesen „Bengel“ und wollte um keinen Preis, daß ihr etwas zustieß. Und Osvaldo? Der dachte genauso. So waren die beiden eben: Unter der rauhen Schale steckte ein weicher Kern.

Gonzalo Bastida öffnete grinsend eine versteckte Kellerluke. Er schickte Rioja, Sancho und ein paar Soldados nach unten. Verwundert hörte Alonzo de Escobedo, wie die Kerle mit Waffen hantierten. Das metallische Klirren und Scheppern war unverkennbar.

Die Kerle reichten die Waffen – Musketen, Blunderbüchsen, Pistolen, Blankwaffen und reichlich Munition – herauf. Cuchillo und Gayo verteilten sie an die rekrutierten Kerle, und kurz darauf stand eine an die vierzig Köpfe zählende Streitmacht bereit.

„Gut so“, sagte Bastida. „Zur Verfügung halten.“

Der Dicke winkte de Escobedo, Cuchillo und Gayo zu sich an die Theke. Er füllte vier Becher mit glasklarem Weißwein, und sie tranken.

Dann sagte Bastida: „Ich will, daß auch die Kerle in der Stadt wissen, welcher Wind jetzt weht. Darum werdet ihr beiden ein paar Exempel statuieren.“

Cuchillo grinste hölzern. „Überlaß das ruhig uns.“

„Dann verschwindet. Nehmt ein paar Soldados mit.“

„Ja“, erwiderte Cuchillo. „Und wie viele sollen wir abmurksen? Ein Dutzend?“

„Nicht ganz so viele“, sagte der Wirt. „Ein paar laßt ihr natürlich auch laufen, damit es sich herumspricht, was hier läuft. Schließlich brauchen wir noch genug Hundesöhne zum Rekrutieren. Wer nicht aus Havanna verschwinden will, der soll sich hier bei mir einfinden. Er erhält Waffen, und ihm winkt eine dicke Belohnung, wenn die Residenz in unserer Hand ist.“

„Wird erledigt“, sagten Cuchillo und Gayo gleichzeitig. Dann verließen sie die Kaschemme. Jeder hatte drei Soldados von der Schlägertruppe ausgewählt. Cuchillo und Gayo sprachen sich kurz ab. Sie trennten sich – jeder ging mit seiner Gruppe einen anderen Weg. Auf diese Weise ließ sich Bastidas neue Order am schnellsten und wirkungsvollsten verkünden.

Cuchillo führte seinen kleinen Trupp in eine lange, schmale Gasse, die vom Hafen aus in Richtung Plaza verlief. Nicht weit entfernt stand die Faktorei von Manteuffel.

Cuchillo schenkte dem Haus jedoch keinen Blick. Er hatte dort nichts verloren. Dort waren keine Plünderer anzutreffen. Der deutsche Handelsherr und seine Leute verteidigten sich wie die Wölfe. Kein Galgenstrick verspürte Lust, sich an ihnen die Zähne auszubeißen.

Cuchillo – alle kannten ihn nur unter diesem Namen. Cuchillo bedeutete im Spanischen Messer. Treffender hätte der Spitzname des Mannes nicht ausfallen können. Das Messer war seine Waffe. Er verstand mörderisch gut damit umzugehen. Cuchillo war schlank, und er hatte ein gepflegtes Oberlippenbärtchen. Er mimte auf Liebling aller Frauen. Auf den ersten Blick mochte er wie ein freundlicher, friedliebender Mann aussehen. Doch wer in seine Augen schaute, erkannte er, wie eiskalt und verschlagen der Kerl war.

Cuchillo kannte genausowenig Skrupel wie Gayo. Nur waren die Gewalt und Brutalität bei Gayo offensichtlicher. Der Kerl war früher Bootsmann gewesen. Er war von einer spanischen Kriegsgaleone desertiert und in Havanna untergetaucht. Gonzalo Bastida hatte ihn lange Zeit versteckt gehalten. Schließlich war die Galeone nach Spanien zurückgekehrt, und kein Mensch hatte sich mehr um den Verbleib von Gayo gekümmert.

Gayo war der typische Schläger – ein stiernackiger Bulle mit zernarbter Visage. Ein richtiger Kinderschreck. Er war tückisch und hatte schnelle Reflexe. Er konnte es mit zwei, drei Gegnern gleichzeitig aufnehmen. Auch im wildesten Handgemenge blieb er stets der Sieger.

Cuchillo und Gayo brauchten nicht lange zu suchen, um die Kerle zu finden, auf die sie es abgesehen hatten. Sie brauchten eigentlich nur zu lauschen. In der Stadt herrschte eine geisterhafte Stille – bis auf die polternden oder splitternden Geräusche in diversen Bürgerhäusern. An diesen Lauten orientierten sie sich.

Cuchillo steuerte mit seinen drei Soldados auf ein hohes, mehrstöckiges Haus mit schmalbrüstigen Fenstern zu. Drinnen schien der Teufel los zu sein. Es krachte und polterte. Kerle grölten und lachten. Sie amüsierten sich, so wirkte es zumindest, prächtig und räumten so richtig auf.

„Los“, sagte Cuchillo. Ihr werdet euch wundern, dachte er.

Die vier Kerle betraten das Haus. Keiner der Plünderer hinderte sie daran. Diese Galgenstricke hatten genug damit zu tun, Wertgegenstände aus den Schränken zu holen und das Tafelbesteck an sich zu reißen. Sie brachen Schubladen auf, kippten Schränke und Truhen um, zerbrachen Spiegel, Bilder und Geschirr. Sie hausten wie die Vandalen.

Es waren acht Kerle, wie Cuchillo mit raschem Blick feststellte, als er den großen Wohnraum betrat. Sie hatten getrunken. Einige von ihnen hatten starke Schlagseite. Sie lachten, rissen zotige Witze und zerschlugen alles, was ihnen in die Finger geriet. Einer schlitzte die Sitzmöbel, die mit rotem Damast bespannt waren, auf.

Cuchillo zog seine Pistole, spannte den Hahn, trat auf einen der Kerle zu und sagte: „He, du!“

Der Kerl fuhr zu ihm herum und wirkte etwas irritiert.

„Wie?“ sagte er. „Was? Verdammt, du hast hier nichts zu suchen. Hau ab!“

Cuchillo drückte einfach ab. Der Knall der Pistole hallte durch das Haus. Der getroffene Kerl sackte zusammen, ohne noch einen Laut von sich zu geben. Er warf Cuchillo einen letzten verdutzten Blick zu, dann starb er.

Die anderen Plünderer schrien auf, griffen nach ihren Waffen und wollten sich verteidigen. Aber Cuchillo und die drei Soldados waren schneller. Cuchillos Messer zuckte durch die Luft und bohrte sich in die Brust des einen Galgenstricks. Auch dieser sank tot zu Boden. Die Pistolen der Soldados krachten – weitere drei Plünderer waren erledigt. Darauf fielen die Soldados mit ihren Messern über die drei letzten Kerle her.

Nur einen ließen sie auf Cuchillos Befehl hin am Leben. Dieser Kerl kroch auf den Knien auf Cuchillo zu und rang die Hände.

„Gnade!“ jammerte er. „Erbarmen!“

„Zieh ab, du Ratte“, sagte Cuchillo verächtlich und nahm sein Messer wieder an sich. „Und laß dich hier nicht mehr blicken. Mit der Plünderei ist jetzt Schluß. Befehl von Gonzalo Bastida, kapiert?“

„Bastida, ja – kapiert“, stammelte der Kerl.

„In Bastidas Kneipe versammelt sich alles zum Sturm auf die Residenz des Gouverneurs“, sagte Cuchillo. „Waffen sind reichlich vorhanden. Wer zu feige zum Kämpfen ist, hat schleunigst aus Havanna zu verschwinden. Und wehe, wir erwischen noch einen von euch beim Klauen. Den legen wir um.“ Er wies zur Demonstration auf die Toten.

Der Kerl verschwand wie der Blitz. Im Flur des Hauses riß er noch schnell einen halbvollen Sack mit Beutegut an sich, dann stolperte er ins Freie. Er lief keuchend die Gasse entlang und prallte mit einem anderen Kerl zusammen.

„Was ist denn los?“ fuhr ihn der andere an. „Warum wird hier geschossen?“

„Alle tot“, japste der Kerl, der mit dem Leben davongekommen war.

„Was?“

„Meine Kumpane – tot.“ Der Kerl zitterte am ganzen Leib. Er konnte noch nicht richtig fassen, daß ihn Cuchillo und die Soldados verschont hatten. „Bastida will die Residenz stürmen. Keiner soll mehr plündern. Alle haben sich in die Kneipe zu verfügen.“

„Quatsch!“ brüllte der andere und stürmte weiter.

Er gelangte allerdings nur bis zur Tür des Mordhauses. Hier erschien in diesem Moment Cuchillo. Er zückte die Pistole, die er inzwischen nachgeladen hatte, zielte kaltblütig auf den Plünderer und schoß ihn nieder.

Die Soldados traten zu Cuchillo. Sie sahen den Toten und lachten hämisch.

„Weiter“, sagte Cuchillo. „Das reicht jetzt. Die Nachricht wird sich herumsprechen und wie ein Lauffeuer verbreiten. Wir brauchen die Kerle nur noch zusammenzutreiben.“

Seewölfe Paket 26

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