Читать книгу Seewölfe Paket 26 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 24

3.

Оглавление

Insgeheim beglückwünschte sich Corda zu dem günstigen Zufall. Die Hände auf den Rücken gelegt, stolzierte er mit würdevoll blasierter Miene im Dienstzimmer des Gefängnisdirektors auf und ab. Jedesmal, wenn er vor einer Wand kehrtmachte, wippte er ungeduldig auf den Zehenspitzen.

Direktor Cámpora war noch nicht aus der mittäglichen Pause zurückgekehrt. Der Stellvertreter, der seine Belange wahrnahm, war ein unbedeutendes Licht.

Nach dem soundsovielten Hin und Her blieb Corda stehen, dem Schreibtisch zugewandt.

„Nun?“ sagte er herrisch und herablassend. „Wie lange werde ich denn wohl noch warten müssen?“

Der Stellvertreter des Direktors, ein dicklicher Mann mit Halbglatze, verbeugte sich erschrocken.

„Es kann sich nur noch um Minuten handeln, Señor Gouverneurssekretär. Nach meiner Einschätzung müßte der Gefangene de Escobedo jeden Moment hier eintreffen.“

Corda verzog unwillig das Gesicht.

„Gewöhnen Sie sich schon mal daran, ihn nicht mehr als Gefangenen zu betrachten.“

„Selbstverständlich, Señor Sekretär“, sagte der Dickliche voller Ehrfurcht. „Verzeihen Sie meine Unaufmerksamkeit. Natürlich werde ich Señor de Escobedo ab sofort mit dem Respekt entgegentreten, der seinem künftigen Amt angemessen ist.“

„Seinem bisherigen und künftigen Amt“, verbesserte Corda. „Halten Sie sich immer vor Augen, daß ich in Vollmacht und laut unverändert gültiger Anweisung von Don Antonio de Quintanilla handle.“

Die beeindruckende Wortwahl des füchsischen kleinen Mannes aus dem Gouverneurspalast veranlaßte den stellvertretenden Gefängnisdirektor, sich erneut ehrfürchtig zu verbeugen.

Er wurde einer Antwort enthoben, denn Schritte näherten sich im Innenkorridor, von den Zellentrakten her. Der Dickliche drehte sich hinter dem Schreibtisch um und begab sich eilfertig zur Tür. Er riß sie auf, und dies war vermutlich das erste Mal in der Geschichte des Stadtgefängnisses von Havanna, daß ein amtierender Direktor einem Gefangenen die Tür öffnete.

Zerlumpt und übelriechend, wie er war, betrat de Escobedo den Raum mit sichtlichem Zögern. Den Aufseher scheuchte der stellvertretende Direktor mit einer Handbewegung weg.

„Du liebe Güte!“ rief Corda in überdrehtem Erschrecken und schlug die dürre Hand vor den Mund. „Mein verehrter Señor de Escobedo, ich muß sagen, Sie sehen zum Erbarmen aus.“

De Escobedo stützte sich auf den Schreibtisch und sah den Sekretär mit verblüfftem Kopfschütteln an. Der stellvertretende Direktor blieb hinter ihm bei der Tür, in einer Art dienerhaften Hab-Acht-Stellung.

„Was, in aller Welt, führt Sie her?“ sagte de Escobedo mit belegter Stimme.

Corda stolzierte mit würdevollen Schritten auf ihn zu, ergriff seine dreckstarrende Rechte und schüttelte sie.

„Exzellenz, ich habe Ihnen etwas Erfreuliches mitzuteilen. Infolge besonderer Ereignisse sind Sie mit sofortiger Wirkung wieder zum kommissarischen Gouverneur ernannt.“

De Escobedos Kinnlade sackte weg. Sein Mund blieb offen, und seine Augen wurden kreisrund. Mehrere Sekunden lang konnte er den Sekretär nur anstarren. Er brachte kein Wort hervor. Erst nach einem angestrengten Räuspern konnte er wieder sprechen.

„Machen Sie keine dummen Scherze mit mir, Corda. Wenn Sie deshalb hier erschienen sind, hat Ihr Besuch seine Wirkung gründlich verfehlt.“

Der Sekretär verzog das Gesicht zu einer süßlichen Grimasse und zupfte wie prüfend an seiner gepuderten Lockenperücke.

„Hochverehrte Exzellenz, Sie sollten mich besser kennen. Ich würde mich niemals erdreisten, in einer so wichtigen Angelegenheit zu scherzen. Ich muß allerdings gestehen, daß es mir ein gewisses Vergnügen bereitet hat, Sie zu – hm – überraschen.“

De Escobedo schüttelte heftig den Kopf.

„Zum Teufel, halten Sie mich nicht zum Narren! De Campos ist amtierender Gouverneur. Schließlich habe ich ihm zu verdanken, daß ich in diesem elenden Rattenloch sitze.“

Corda lächelte, hob die rechte Hand mit senkrecht ausgestrecktem Zeigefinger und bewegte ihn hin und her.

„Sehen Sie, ich habe noch nicht zu Ende gesprochen, Exzellenz. Don Diego de Campos war Gouverneur.“

De Escobedo starrte ihn verblüfft an.

„Was heißt das?“ stieß er hervor.

„Er ist tot“, sagte Corda rundheraus. „Im Kampf gegen englische Piraten gefallen. Sie wissen, daß er diesen Britenbastard Lobo del Mar gejagt hat. De Campos wurde bei einem Angriff auf Santiago de Cuba getötet. Diese Nachricht haben mir soeben reitende Boten überbracht. Damit gilt wieder die Anweisung Don Antonio de Quintanillas, der Sie zum kommissarischen Verwalter des Gouverneurs bestimmt hatte.“

„Aber“, setzte de Escobedo an und verstummte gleich darauf. Einen Moment sah er sein Gegenüber schweigend an, dann verzog sich sein Gesicht zu einem Grinsen. „Wo kein Kläger ist, da ist kein …“

„Wir haben uns nicht um die Vergangenheit zu kümmern“, fiel ihm Corda ins Wort. Der Stellvertreter Cámporas mußte nicht unbedingt die entscheidenden Einzelheiten mitkriegen. „Es geht jetzt nur noch um die Zukunft Havannas, um die Zukunft Kubas, Exzellenz. Werden Sie sich der Aufgabe stellen?“

„Selbstverständlich“, erwiderte de Escobedo und warf sich in die Brust. „Ich weiß, wie groß die Verantwortung ist, aber ich schrecke nicht davor zurück.“

Corda dachte sich seinen Teil, während er den stellvertretenden Direktor mit einer herrischen Handbewegung aufforderte, ihm die Entlassungsurkunde zu reichen. Natürlich reizte den durchtriebenen Halunken nicht in erster Linie die Verantwortung, sondern der mögliche Nebenverdienst des Gouverneurs. Corda nahm sich vor, seine Marionette nicht zu schlau werden zu lassen. Dieser Mann mußte wissen, wo seine Grenzen waren.

Corda beugte sich über den Schreibtisch, griff nach der Feder des Direktors, tunkte sie behutsam ins Tintenfaß und unterschrieb die Entlassungsurkunde mit seinem Namen und dem Zusatz „kommissarischer Verwalter der Gouverneursresidenz zu Havanna.“

Er überprüfte die Richtigkeit des Datums und die persönlichen Angaben über den Exgefangenen. Dann gab er die Urkunde zurück und ließ sich den Passierschein für das Haupttor aushändigen.

Außerdem erhielt de Escobedo eine vom stellvertretenden Direktor beglaubigte Zweitschrift der Entlassungsurkunde, damit er die Rechtmäßigkeit seiner Freiheit etwaigen Zweiflern gegenüber belegen konnte. Corda hielt das für eine notwendige Sicherheitsmaßnahme, da es in den einflußreichen Kreisen Havannas doch einige Señores gab, die dem erneuten kommissarischen Gouverneur nicht unbedingt wohlgesonnen waren.

Mit einer herablassenden Handbewegung gab der Sekretär dem stellvertretenden Direktor zu verstehen, daß man seine Dienste nicht mehr benötige. Der Dickliche betätigte eine Klingel, und ein Aufseher erschien, der den Auftrag erhielt, seine Exzellenz, den Gouverneur, und den Sekretär des hochverehrten Gouverneurs zum Haupttor zu geleiten.

Der Aufseher stand wie vom Donner gerührt und reagierte nicht sofort. Da er Corda kannte und wußte, daß dieser nicht der Gouverneur war, konnte der stellvertretende Direktor nur den zerlumpten Gefangenen meinen.

Dieser Dreckskerl sollte wieder Gouverneur sein? Der Aufseher zuckte mit den Schultern, hütete sich jedoch, eine Bemerkung von sich zu geben, und führte den Befehl aus.

Auf dem Weg durch die Korridore und über den Gefängnishof bis zum Haupttor genoß Corda seine geheime diebische Freude. Es war glatter gelaufen, als er gedacht hatte. In erster Linie war das natürlich jenem glücklichen Zufall zu verdanken, daß der Gefängnisdirektor selbst noch nicht anwesend war.

Wenn er später am Nachmittag erschien, würde er vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Dann hatte de Escobedo bereits die Palastwache und die Stadtgarde hinter sich und konnte demzufolge sein neugewonnenes Amt verteidigen.

Minuten später, als sie das Gefängnis verlassen hatten und die Gouverneurskalesche besteigen wollten, war es mit Cordas geheimer Freude jäh vorbei.

Der stämmige, breitschultrige Mann, der da mit energischen Schritten auf sie zumarschierte, war kein anderer als Gefängnisdirektor José Cámpora.

„Was geht hier vor?“ fuhr er die beiden Männer mit harter Stimme an. Breitbeinig blieb er stehen und stemmte die Fäuste in die Hüften.

De Escobedo erinnerte sich daran, wie er mit den Leuten während seiner ersten Gouverneurs-Amtsperiode umgesprungen war. Er brauchte nur da anzuknüpfen, wo er aufgehört hatte.

„Etwas mehr Respekt“, sagte er näselnd und voller Geringschätzung. „Sie sprechen mit dem Gouverneur dieses Landes, Cámpora.“

Der Gefängnisdirektor, ein Mann mit kantigen Gesichtszügen, die von Entschlossenheit und Durchsetzungskraft zeugten, konnte nicht anders: er sperrte entgeistert den Mund auf.

Corda nutzte die Gelegenheit, sich Gehör zu verschaffen.

„Ich darf dies ausdrücklich bestätigen, Señor Cámpora. Ich habe vor einer Stunde die Nachricht erhalten, daß Gouverneur de Campos in Santiago de Cuba im Kampf gegen Piraten gefallen ist. Aufgrund dieser Tatsache, verbunden mit der immer noch geltenden Anweisung von seiner Exzellenz Don Antonio Quintanilla, habe ich die Entlassung Señor de Escobedos und seine sofortige Ernennung zum amtierenden Gouverneur veranlaßt.“

José Cámpora hatte seine Verblüffung überwunden. Seine steinharte Miene zeigte, daß er nicht im geringsten beeindruckt war.

„Ich teile keineswegs Ihre Meinung, Señor Corda“, sagte er energisch. „Ich spreche Ihnen schlicht das Recht ab, über eine Neubesetzung des Gouverneursamtes zu befinden – noch dazu durch eine Person, die unter schwerem Verdacht steht. Unter dem Verdacht nämlich, gemordet, das Amt mißbraucht und den König geschädigt zu haben.“

„Ihre Meinung interessiert mich nicht!“ rief Corda erbost. „Was nehmen Sie sich heraus, Mann! Verschwinden Sie! An Ihren Arbeitsplatz!“

„Sehr richtig“, sagte de Escobedo mit wutverzerrtem Gesicht. „Es könnte Ihnen sonst passieren, mein lieber Direktor, daß ich Sie wegen Vernachlässigung Ihrer Pflichten Ihres Amtes enthebe.“

Die ersten Passanten blieben auf der Straße vor dem Gefängnis stehen. Der erregte Wortwechsel kündigte einen handfesten Streit an. Das dürre Männchen mit den Puderlocken sah wichtig aus, der zerlumpte Gefangene kam den meisten bekannt vor, und ebenso viele wußten, daß Direktor Cámpora ein ganzer Kerl war, den niemand so leicht für dumm verkaufen konnte.

„Halten Sie den Mund, de Escobedo!“ rief Cámpora schnaubend. „Oder ich nehme Sie eigenhändig wieder fest. Verlassen Sie sich darauf.“

De Escobedo schluckte, wollte aufbegehren, besann sich aber. Dieser Cámpora war ein kräftiger Kerl, dem er körperlich alles andere als gewachsen war – noch dazu in seinem jetzigen Zustand.

„Und nun zu Ihnen“, wandte sich Cámpora an den zornbebenden Sekretär. „Nehmen Sie zur Kenntnis, daß das Amt des Gouverneurs bis zu einer endgültigen Entscheidung des Königs nur vom ranghöchsten Militär besetzt werden kann. In Übereinstimmung mit dem entsprechenden königlichen Erlaß geschah das übrigens völlig korrekt, als Generalkapitän de Campos das Gouverneursamt übernahm. Wenn de Campos tot ist, wird zwangsläufig der Rangnächste sein kommissarischer Nachfolger.“

„Sind Sie verrückt?“ schrie Corda, auf den Zehenspitzen wippend. „Niemand darf einen Erlaß dazu mißbrauchen, eine unfähige Person in ein Amt zu berufen!“

Natürlich wußte Cámpora, auf was der kleine Fuchs aus dem Gouverneurspalast anspielte. Capitán Don Luis Marcelo, der derzeitige Kommandant der Stadtgarde und besagte Rangnächster nach de Campos, war gewiß keine Leuchte. Aber er war immer noch besser als gar kein Gouverneur oder ausgerechnet der schuldbeladene de Escobedo.

„Keine ungerechtfertigte Kritik“, sagte Cámpora scharf. „Ich weise Sie darauf hin, daß Sie sich an das königliche Dekret zu halten haben. Im übrigen sind Sie auch nicht befugt, einen Gefangenen unter falschem Vorwand aus dem Gefängnis zu holen.“

„Das ist eine Unterstellung!“ schrie der Sekretär schrill.

Die Schaulustigen und Neugierigen rotteten sich zusammen. Auch de Escobedo besann sich wieder auf den in Aussicht gestellten Gouverneursposten und warnte Cámpora lautstark vor Amtsanmaßung. Im Handumdrehen bildete sich eine dichte Menschentraube.

José Cámpora fackelte nicht lange.

„Wache!“ brüllte er zum Haupttor hin und wies mit ausgestrecktem Arm auf den Zerlumpten neben der Gouverneurskalesche. „Dieser Mann ist verhaftet! Sofort abführen!“

De Escobedo war schneller. Das jähe Entsetzen über die womöglich doch wieder zerrinnende Freiheit und der Gedanke an seine Quälgeister von Zellengenossen verliehen ihm ungeahnte Kräfte. Mit einem Wutschrei sprang er auf Cámpora zu und verpaßte ihm zwei gemeine Hiebe. Der Gefängnisdirektor taumelte und versuchte vergeblich, nachzusetzen. Er schaffte es nicht mehr, de Escobedo festzuhalten.

Zwei, drei schnelle Schritte genügten de Escobedo, in der Menge unterzutauchen. In Sekundenschnelle war er von der Bildfläche verschwunden.

Cámpora jagte einen Trupp von vier Aufsehern hinter dem Fliehenden her. Doch er wußte von vornherein, daß die Suche ergebnislos verlaufen würde. Wer die Gassen von Havanna einigermaßen kannte, fand unzählige Versteckmöglichkeiten.

Der Ordnung halber wartete Corda, bis das Suchkommando mit leeren Händen zurückkehrte. Er fühlte sich beileibe nicht mehr wohl in seiner Haut. Die Einsicht, daß sein Vorhaben gründlich daneben gegangen war, schmerzte. Dahin war der Traum von der grauen Eminenz und dem heimlichen Herrscher hinter den Kulissen.

Der kleine, fuchsgesichtige Sekretär war von einer Stunde zur anderen wieder zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft.

Seewölfe Paket 26

Подняться наверх