Читать книгу Seewölfe Paket 26 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 32

2.

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Es war ein feuchtkaltes Gewölbe, in dem sich vier Menschen seit nicht mehr gezählten Tagen verborgen hielten. Während der ganzen Zeit hatten sie nur flüsternd miteinander gesprochen, denn sie wußten, daß ein lautes Wort wie Donner aus dem angrenzenden unterirdischen Gang zurückhallte.

„Unsere Vorgesetzten in Santiago werden uns für Deserteure halten“, sagte Raimundo Tejero.

Sein Kamerad lachte kaum hörbar.

„Und leider sind wir nicht wichtig genug“, murmelte Jorge Vero, „daß sie wegen uns einen Suchtrupp in Richtung Havanna losschicken.“

„Und das alles haben wir euch eingebrockt“, hauchte Cisca Duarte, die sich eng an Jorge schmiegte.

Graciela Bonardo nickte bekräftigend.

„Wenn wir darauf bestanden hätten, abends rechtzeitig nach Hause gebracht zu werden, wären wir von dem Pöbel nicht überrascht worden.“

„Unsinn“, sagte Raimundo leise und dennoch energisch. „Das Haus eurer Dienstherrin dürfte nur noch als Ruine bestehen. Und wir sollten alle vier froh sein, daß wir noch am Leben sind.“

„Fragt sich nur“, fügte Jorge bitter hinzu, „wie lange das noch so bleibt. Oder hast du eine Ahnung, wie wir aus unserem selbstgewählten Verlies freikommen wollen?“

Sein Gefährte sah ihn an. Das züngelnde Licht warf fließende Schatten auf die Gesichter der beiden Männer. Seit von oben, aus der Kirche, keine Geräusche mehr zu hören waren, hatten sie es riskiert, die Fackeln in den schmiedeeisernen Halterungen anzuzünden.

Raimundo Tejero deutete auf den gut mannshohen Gang, der von dem Kellergewölbe abzweigte.

„Wenn ich die Orientierung nicht verloren habe, führt dieser Gang nach Süden. Und die Kirche befindet sich in der Nähe des südlichen Stadtrandes.“

„Das stimmt!“ sagte Graciela und nickte.

„Ein geheimer Fluchtweg?“ fragte Jorge Vero.

„Wir sollten nicht zuviel erhoffen“, erwiderte Cisca. „Bestimmt stammt der Geheimgang noch aus der Zeit, als Havanna entstand. Damals war die Stadt klein. Vielleicht endet der Gang heute unter irgendeinem Haus – zugeschüttet oder verrammelt.“

„Wie auch immer“, sagte Raimundo lächelnd, „wir werden es nicht herausfinden, indem wir langatmig darüber reden. Nur durch Taten kommen wir weiter.“

„Das ist ein Wort“, sagte Jorge. „Ich hatte eigentlich nicht vor, ausgerechnet in dieser schönen Stadt begraben zu werden. Geht einer allein, oder gehen alle gemeinsam?“

„Kein Zeitverlust“, sagte Raimundo und blickte die jungen Frauen fragend an.

Cisca und Graciela nickten. Die beiden Männer nahmen je eine Fackel aus den Eisenringen. Raimundo ging voran, sein Gefährte blieb am Schluß. Beide Männer verfügten über ihre Säbel und Pistolen sowie über Pulverflasche und Kugelbeutel, die sie am Gurt trugen.

Mit Cisca und Graciela verband sie längst mehr als jene anfängliche lockere Beziehung, die im gemeinsamen Spaziergang durch das abendliche Havanna bestanden hatte. Sie hatten sich öfter getroffen, und Raimundo und Jorge hatten ihre Rückkehr nach Santiago de Cuba hinausgezögert. Dann waren sie zu viert in die Wirren des Aufstands geraten und hatten vor der Übermacht des Pöbels fliehen müssen.

Mit knapper Not hatten sie sich in die kleine Kirche gerettet, die von dem Geistlichen offenbar bereits aufgegeben worden war. Hinter dem Altar hatten sie die rettende Luke gefunden. Wie durch ein Wunder war die Kirche von den Plünderern bisher weitgehend verschont geblieben.

Zwar waren von Zeit zu Zeit lärmende Horden in das Gotteshaus gestürmt und hatten offenbar nach Gold, Silber und Edelsteinen Ausschau gehalten. Ihre Beute konnte jedoch nicht groß gewesen sein, da es sich nicht um eine der großen, reich ausgestatteten Kirchen von Havanna handelte.

Seit Stunden war von draußen nichts mehr zu hören gewesen. Es mußte folglich Tag geworden sein. Die beiden Gardisten aus Santiago de Cuba hatten längst festgestellt, daß sich der Pöbel tagsüber zur Ruhe begab, nachdem die Nacht mit Plünderungen und wüsten Ausschweifungen verbracht worden war. Wenn es keine Chance gab, durch den unterirdischen Gang in die Freiheit zu gelangen, blieb nur die Möglichkeit, es durch die Kirche zu versuchen.

Was das bedeutete, war den beiden Männern klar. Obwohl sie tagelang im Verborgenen gelebt hatten, konnten sie sich doch sehr gut vorstellen, wie es in der Stadt aussah. Allein hätten sie es eher riskiert, sich durchzuschlagen. Doch für Cisca und Graciela war die Gefahr zu groß. Die Kirche zu verlassen und durch die Stadt zu fliehen, würde der allerletzte Ausweg sein.

Der Gang, dessen Quadersteine vor Feuchtigkeit glitzerten, verlief schnurgerade. Mehrere Male gab Raimundo Tejero das Zeichen zum Verharren. Dann verdeckte er die Fackel, um nach einem fernen Punkt von Tageslicht Ausschau zu halten. Doch nichts dergleichen war zu erkennen. Entweder war der Gang zugeschüttet, oder sie hatten sich in der Zeit geirrt. Vielleicht herrschte noch Dunkelheit, und die wilden Horden hatten sich lediglich früher zur Ruhe begeben als nach den vorherigen Nächten, die mit Mord und Plünderungen ausgefüllt gewesen waren.

Behutsam setzten sie einen Fuß vor den anderen. Trotzdem ließ es sich nicht vermeiden, daß sie gelegentlich Poltergeräusche verursachten, wenn sie gegen Steinbrocken stießen. Ohnehin hatten sie den Eindruck, daß ihre Schritte in dem Gang regelrecht dröhnten. Immer wieder blieben sie stehen, um nach fremden Geräuschen zu lauschen.

Ihre Befürchtungen erwiesen sich als überflüssig. Unvermittelt beschrieb der Gang eine scharfe Biegung nach rechts, und da war der lang ersehnte Lichtpunkt erkennbar.

Neue Hoffnung beflügelte die vier Menschen. Sie spürten die frische Luft, die ihnen entgegenwehte und den Modergeruch des Ganges zerstreute. Nach einer knappen Stunde, die ihnen wie eine Ewigkeit erschienen war, konnten sie wieder frei atmen.

Gebüsch tarnte die Öffnung des Geheimganges, die sich in einem bewaldeten Hang befand. Unten am Hang verlief ein Weg, der von Pferdehufen und Radspuren zerfurcht war. Daran angrenzend erstreckten sich in südlicher Richtung Felder, Wiesen und Waldstücke, so weit das Auge reichte.

Das trübe Licht ließ die Landschaft dennoch nicht freundlich erscheinen. Seit Wochen hatte sich kein Sonnenstrahl mehr über Havanna gezeigt. Cisca schmiegte sich erleichtert an Jorge, und Graciela ließ sich von ihrem Gefährten in die Arme nehmen.

In der südlich gelegenen Landschaft war nirgendwo auch nur eine Menschenseele zu erkennen. Kein Bauer, kein Knecht, keine Magd, die auf den Feldern oder vor einem der kleinen Bauernhäuser arbeiteten. Die Häuser wirkten verlassen. Die Unruhen in Havanna mußten sich auch bis hierher ausgewirkt haben. Viele waren geflohen – mit gutem Grund. Wenn der Pöbel in der Stadt nicht mehr genug zu essen fand, würde er über das umliegende Land herfallen.

Raimundo deutete mit einer Kopfbewegung nach oben, zur Nordseite des Hanges.

„Ich werde mal dort nach dem Rechten sehen“, sagte er. „Wirst du es schaffen, beide Damen zu bewachen?“

Jorge nickte und lachte.

„Ich werde mich bemühen“, sagte er augenzwinkernd. „Obwohl ich natürlich weiß, daß es leichter ist, einen Sack Flöhe zu hüten.“

Cisca und Graciela wollten lautstark protestieren, aber Jorge ermahnte sie zur Ruhe, indem er gebieterisch den Zeigefinger hob.

„Das ist sehr einfach!“ flüsterte Cisca mit gespieltem Vorwurf. „Erst behauptet man etwas Unverschämtes, und dann verbietet man dem anderen einfach das Wort.“

„Unsereiner kann das noch“, sagte Raimundo mit einem leisen Lachen. „Aber wie viele geknechtete Ehemänner würden uns darum beneiden!“

Er beeilte sich, aus dem Bereich der Gangöffnung zu verschwinden, denn die beiden jungen Frauen sahen nun wirklich aus, als wollten sie sich auf ihn stürzen, um ihm die Augen auszukratzen.

Er stieg den Hang hoch und hielt dabei die Säbelscheide fest, um kein verräterisches Geräusch hervorzurufen. Wie angebracht diese Vorsichtsmaßnahme war, zeigte sich wenig später.

Oberhalb des Hanges befand sich eine gerodete Waldfläche, auf der Baumstämme in noch ungeordnetem Durcheinander lagen. Nördlich davon, höchstens eine halbe Meile entfernt, begann das Häusermeer von Havanna. Raimundo staunte im ersten Moment, daß nirgendwo eine Rauchsäule zu erkennen war. Bei ähnlichen Ausschreitungen hatte er erlebt, daß der Mob den verhaßten Bürgern den roten Hahn aufs Dach setzte. Hier, in Havanna, schienen sie bei allem Chaos zielstrebiger vorzugehen.

Sie wollten Beute. Und die erhielt man nicht, wenn man alles verbrannte.

Er tat einen Schritt vorwärts und erstarrte im selben Augenblick. Vor seiner rechten Stiefelspitze war ein menschliches Bein, auf das er um ein Haar getreten wäre. Das Bein lugte hinter einem Baumstamm hervor und war von zerlumptem, dreckstarrendem Tuch umhüllt.

Vorsichtig bewegte sich der Gardist zur Seite, dann lautlos vorwärts, so daß er hinter den Baumstamm blicken konnte.

Seine Augen weiteten sich. Regungslos verharrte er.

Fünf Kerle lagen dort, in trautem Beieinander, im Windschutz des gefällten Baumes. Sie hatten sich in Decken gehüllt. Weinkrüge lagen umgekippt neben den Resten eines Feuers. In der Asche waren angekohlte Geflügelknochen zu erkennen.

Beute schienen die Kerle nicht bei sich zu haben. Möglicherweise hatten sie ihr Diebesgut irgendwo vergraben. In Zeiten des totalen Chaos mußten die zweibeinigen Hyänen darauf bedacht sein, sich das einmal Gestohlene nicht von ihresgleichen wieder entreißen zu lassen.

Raimundo Tejero wollte sich abwenden, um die anderen zu warnen. Wenn man sich leise genug verhielt, konnte man sich unentdeckt entfernen. Fünf Galgenstricke aus dem Schlaf zu reißen, war alles andere als ratsam.

Einer der Kerle erwachte, ohne daß der Gardist sich bewußt war, ein lautes Geräusch verursacht zu haben. Ein struppiges Bartgesicht fuhr halb hoch, verzog sich zu einer Grimasse, und mißtrauische Augen blinzelten.

Im nächsten Moment entdeckte der Kerl den hochgewachsenen Gardisten. Ein Warnschrei entrang sich der Kehle des Struppigen.

Raimundo Tejero zog den Säbel. Das metallische Geräusch beendete den Schrei des Kerls.

Er fuhr hoch, schleuderte die Decke von sich und brachte ein Entermesser zum Vorschein.

„Jorge!“ brüllte Tejero und drang im selben Atemzug auf den Kerl ein.

Mit zwei blitzschnellen Hieben fegte er dem Galgenstrick das Entermesser aus der Hand, und er tötete den Mann, ohne ihn erst einen Angstschrei ausstoßen zu lassen.

Die anderen erwachten in dieser Sekunde. Knurrende Laute waren zu hören. Einer versuchte, nach den Stiefeln des Gardisten zu greifen und ihn zu Fall zu bringen. Rechtzeitig, mit einem federnden Satz, wich Tejero aus.

Sein Gefährte stürmte den Hang herauf, den Säbel bereits gezogen. Beiden Männern war klar, daß sie einen Schuß und auch möglichst jedes sonstige Geräusch verhindern mußten.

Gnade war nicht angebracht.

Raimundo und Jorge erinnerten sich nur zu gut an das, was sie zu Beginn des Aufruhrs erfahren und mit eigenen Augen gesehen hatten. Die Marodeure waren gegen Bürger, Gardisten und Soldaten mit List und Tücke vorgegangen, hatten sie in Hinterhalte gelockt oder sie mit Schüssen in den Rücken getötet. Maßstäbe von Ritterlichkeit waren hier nicht anzuwenden, sie kosteten nur das eigene Leben.

Einen Kerl mit vom Alkohol geröteten Gesicht brachte Tejero mit einem Fußtritt von den Beinen, als der Bursche gerade aufgesprungen war und erstaunlich schnell ein Tromblon hochriß, das er neben sich liegen gehabt hatte. Tejero tötete ihn, bevor er sich herumwerfen und die Waffe im Liegen in Anschlag bringen konnte.

Jetzt aber waren die übrigen drei hochgeschnellt.

Zwei wandten sich dem heranstürmenden Jorge Vero zu.

Der dritte ging mit einem Säbel auf Raimundo Tejero los.

Den ersten Angriff ließ der Gardist mühelos an seiner Parade abprallen. Hell singend klirrten die Klingen aufeinander. Die Sekunde, in der sein Gegner noch über den Mißerfolg fluchte und knurrte, nutzte Tejero und griff jäh an. Der Marodeur schaffte es nicht mehr rechtzeitig, in die Defensive zu gehen. Tejero setzte ihn außer Gefecht – rechtzeitig genug, um seinem Gefährten noch zu Hilfe zu eilen.

Nur für einen kurzen Moment war Jorge in Bedrängnis geraten. Im Handumdrehen schafften die beiden Männer es nun, die Schnapphähne niederzustrecken. Es war kein einziger Schuß abgefeuert worden.

„Verschwinden wir schleunigst!“ sagte Raimundo Tejero dennoch. „Wer weiß, wieviel von dem Pack noch in der Nähe schnarcht.“

Sie eilten zu den beiden jungen Frauen, und gemeinsam nahmen sie den Weg nach Süden, wobei sie stets den Schutz von Gebüsch und kleinen Waldstücken nutzten. Längst waren sie sich über ihr Ziel einig. In Santiago de Cuba wollten auch Graciela und Cisca ihre glückliche Zukunft finden – an der Seite der beiden Männer, die sie zu schätzen gelernt hatten. Sie zweifelten nicht an ihrem Glück, dessen Grundlage die gelungene Flucht aus den tödlichen Wirren des Aufstandes in Havanna war.

Seewölfe Paket 26

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