Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 277 - Roy Palmer - Страница 4
1.
ОглавлениеCallaghans kleine, gerötete Augen waren unentwegt auf Henrietta Burke gerichtet, während er seinen Becher leertrank. Er setzte ihn ab, gab einen schmatzenden Laut des Wohlgefallens von sich und fuhr darin fort, sie anzüglich zu mustern.
Sie versuchte, ruhig zu bleiben, mußte aber ihre ganze Selbstbeherrschung aufwenden, um nicht aufzuspringen und laut loszuschreien. Hilflos war sie diesen Kerlen ausgeliefert. Bald konnten sie mit ihr tun, was sie wollten, denn es dauerte nicht mehr lange, und auch Finbar Murphy erlag der Wirkung des vielen Bieres, das er getrunken hatte.
Bisher hatte er noch darauf geachtet, daß keiner seiner Kumpane ihr zu nahe trat, aber seine Wachsamkeit ließ merklich nach, und auch der Anflug eines leicht dümmlichen Lächelns, der jetzt um seine Lippen spielte, entging Henrietta keineswegs.
Fieberhaft begann sie zu überlegen, ob es nicht doch eine Möglichkeit zur Flucht gab. Aber was sollte sie tun? Wenn sie auch nur zwei Schritte tat, fielen die Kerle über sie her und warfen sie zu Boden, niemals gelangte sie an ihnen vorbei. Außerdem warteten sie ja nur darauf, daß sie etwas unternahm, damit sie einen Grund hatten, sie dafür zu bestrafen – auf ihre Weise, das verstand sich von selbst.
Callaghan hatte sich in der letzten halben Stunde schon mehrfach durch seine häßlichen Andeutungen hervorgetan. Die anderen hatten begeistert darüber gelacht und sich auf die Schenkel und die Knie geschlagen. Offenbar hatten sie sich noch nie derart amüsiert, und vielleicht war es sogar wirklich so.
Ja, sie kosteten die Angst ihrer Gefangenen aus und weideten sich an ihrem Benehmen und dem flackernden Blick ihrer Augen.
Sie versuchte, sich in die Lage dieser Männer zu versetzen. Sie waren Rebellen im irischen Hinterland und haßten die Einwohner von Galway wie die Pest. In ihren Augen waren diese Nachfahren der Normannen überhaupt keine richtigen Iren – wenn man von den in The Claddagh lebenden Familien einmal absah –, und die wenigen dort ansässigen Iren und Anglo-Iren galten für sie als die schlimmsten Bastarde, weil Galway den Engländern die Stiefel leckte und Handel mit ihnen trieb.
Für diese Kerle hier, die sie, Henrietta, in einen alten Kornspeicher verschleppt hatten und gefangenhielten, um von ihrem Vater ein Lösegeld zu erpressen, hatte es die Kapitulation von 1583 nie gegeben, sie hatten sie für null und nichtig erklärt und führten weiterhin ihren erbitterten Krieg gegen den Feind Galway und den Feind England.
Sie waren Dickschädel, die sich lieber köpfen ließen, als die Waffen zu strekken und auf die englische Friedens- und Siedlungspolitik einzugehen, allen voran Finbar Murphy, ihr Anführer.
Er war ein verwegener Bursche, vom jahrelangen Leben in der Wildnis geprägt wie auch seine Begleiter. Seine Vorfahren, das wußte Henrietta, waren irische Stammeshäuptlinge gewesen, und er träumte davon, die alte Ordnung wieder aufzubauen und die Engländer aus dem Land zu jagen.
Er war ein rothaariger Mann, wie sollte es wohl anders sein, und hatte einen von vielen Narben gezeichneten Körper mit stählernen Muskeln. Seine Augen waren hellgrün und offensichtlich sehr scharf, auf seiner rechten Wange prangte eine Messernarbe. Sie schätzte sein Alter auf etwa dreißig Jahre.
All dies vermochte sie sich vor Augen zu halten und zu einem Bild zusammenzufügen, denn sie hatte eine rege Intelligenz. Verständnis aber oder gar stille Bewunderung für Murphy und dessen Bande vermochte sie nicht aufzubringen. Sie hielt sie ganz einfach für primitiv und zu jeder Gemeinheit fähig.
Hatte sie nicht selbst gesehen, wie sie mit ihren Bewachern umgesprungen waren, als sie auf dem Flußboot von Lord Harvey Morris-Smithwicks Festung nach Galway zurückgekehrt und überfallen worden war? Nur einen Mann aus der Truppe hatten die Rebellen am Leben gelassen, und das nur, damit sie wenigstens einen Boten hatten, der nach Galway reiten und George Darren Burke, Henriettas Vater, die Hiobsbotschaft überbringen konnte. Burke, der wichtigste Mann von ganz Galway, wußte jetzt also von dem Schicksal seiner über alles geliebten Tochter. Und es blieb ihm nichts anderes übrig, als die tausend Gold-Dublonen zusammenzutragen und zu überbringen, die Murphy für die Herausgabe des Mädchens forderte.
Somit hatte Finbar Murphy das Oberhaupt des Burke-Clans auf besonders empfindliche Weise getroffen. Er wußte genau, daß Burke an niemandem sonst so sehr hing wie an seiner jüngsten Tochter Henrietta – und er zweifelte daher nicht daran, daß sein Erzfeind die verlangte Summe zahlen würde. Am Geld mangelte es Burke nicht, er trieb ja einen höchst gewinnbringenden Handel mit den Spaniern.
Die Rebellen hatten also allen Grund, sich zu freuen und die Mäuse auf dem Tisch tanzen zu lassen. Gleich nach der Ankunft in dem halb verfallenen Kornspeicher, der zu einem ehemaligen anglo-irischen Gut gehörte – die Gutsgebäude waren während der großen Rebellion vor zehn Jahren von Murphys Freunden niedergebrannt worden –, hatten sie mit dem Biertrinken angefangen.
Henrietta hatte noch nie zuvor derart große Mengen Flüssigkeit die Kehlen von Männern herabrinnen sehen. Allem Anschein nach tranken die wilden Kerle um die Wette, und natürlich brachten sie sich in Stimmung für das, was vor ihnen lag. Daß dies passieren würde, stand für sie genauso unumstößlich fest wie auch für Henrietta. Murphy konnte nicht ewig wachen. Über kurz oder lang würde er einschlafen.
Callaghan betrachtete das Mädchen und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Herrgott, wie lange hatte er schon keine Frau mehr gehabt! Und jetzt saß da so ein berückendes Wesen, genau ihm gegenüber, und wartete doch wahrscheinlich nur darauf, von ihm beglückt zu werden. Durfte er sich diese einmalige Gelegenheit entgehen lassen?
Henrietta war erst neunzehn Jahre alt, eine dunkelhaarige natürliche Schönheit mit gepflegtem Äußeren und den besten Manieren. Ihr geheimer Traum war es, einen englischen Adligen zu heiraten und das gesellschaftliche Leben in London zu genießen. Doch wenn sich die Situation jetzt so entwickelte, wie sie begreiflicherweise befürchtete, dann war für sie nicht nur jeder Traum in unerreichbare Ferne gerückt, sondern ihr auch versagt, sich jeder Art von Wunschvorstellung hinzugeben.
Bald sterbe ich, dachte sie, es hat ja doch alles keinen Sinn.
Callaghan schien sie mit seinem gierigen Blick auf der Stelle festzunageln. Sie bemühte sich, ihn nicht anzusehen, und doch wurde sie von seiner Erscheinung fast magisch angezogen, so, wie eine Maus den hypnotisierenden Augen einer Schlange erliegt.
Callaghan wischte sich mit dem Handrücken den Bierschaum vom Mund. Er war ein großer Mann mit breiten Schultern und einem geröteten Gesicht. Seine recht niedrige Stirn und die große Nase verliehen ihm ein vierschrötiges, plumpes Aussehen. Doch er wirkte nur so ungeschlacht und langsam, ih Wirklichkeit konnte er sehr schnell sein.
Plötzlich warf er seinen leeren Becher gegen die Wand, daß es schepperte. Henrietta Burke zuckte unwillkürlich zusammen und faßte sich mit beiden Händen an den Kopf. Die Rebellen lachten.
Callaghan stieß einen dumpfen Laut aus und sagte: „Jetzt reicht’s mir aber. Genug mit dem Geschwätz. Jetzt werden Nägel mit Köpfen gemacht!“
„Sehr gut!“ rief einer seiner Kumpane. „Recht so, Callaghan! Zeig ihr mal, was in dir steckt!“
Wieder grölte die ganze Meute, aber dann erhoben ein paar andere Protestgeschrei, weil sie auf keinen Fall zulassen wollten, daß ausgerechnet Callaghan als erster über das Mädchen herfiel.
Finbar Murphy hob seinen Kopf, blinzelte ein wenig und grinste.
„Ist ja schon gut“, sagte er schläfrig. „Ich weiß, daß ihr Helden seid. Aber ihr solltet endlich euer Maul halten. He, Callaghan! Wann hörst du auf, deine Sprüche zu klopfen? Leg dich lieber aufs Ohr, es könnte gut sein, daß deine Kräfte später noch gebraucht werden.“
Callaghan grinste ebenfalls. „Sie werden jetzt gebraucht, Finbar.“
„Ich hab doch gesagt, ihr sollt sie in Ruhe lassen.“
„Das kann nicht dein Ernst sein.“
Murphy fluchte. „Es ist mein voller Ernst, und wenn du dir das nicht hinter die Ohren schreiben kannst, fliegst du hier als erster raus, verstanden?“
„Finbar“, sagte ein anderer Rebell. „Kannst du nicht mal für eine Weile vergessen, daß du unser Anführer bist? Geh doch selber mal raus und schnuppere ein wenig frische Luft. Die wird dir guttun.“
Murphy drehte sich zu dem Sprecher um. Er grinste immer noch. „Willst du mir vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe?“
Der andere witterte die Gefahr und las die Drohung in Murphys Augen.
„Schon gut“, sagte er einlenkend. „War ja nicht so gemeint. Ich hab nur Spaß gemacht.“
Murphy lachte und stand von seinem Schemel auf. „Ich mache auch bloß Spaß.“ Er ging leicht wankenden Schrittes zu einem der Bierfässer, das sie angestochen hatten, und ließ seinen Becher wieder vollaufen. „Heda!“ rief er. „Wer stößt mit mir an? Callaghan, komm her und laß dir eine Gallone Bier in den Rachen laufen! Du hast doch noch Durst, nicht wahr?“
„Ja“, erwiderte Callaghan, dann lachte auch er und erhob sich ebenfalls.
Zwei andere waren inzwischen zu Murphy getreten und hielten ihre Trinkgefäße unter den Zapfhahn. Nach und nach gesellten sich noch mehr Männer hinzu. Finbar Murphy war beschäftigt, er fluchte und füllte die Becher.
Callaghan näherte sich Henrietta Burke. Er konnte noch ziemlich sicher auf seinen Beinen stehen, nur seiner Stimme war anzuhören, wie stark auch er angetrunken war.
„Also, wie ist es, Lady?“ fragte er leise, und der drohende Unterton war nicht zu überhören. „Bist du freiwillig ein wenig nett zu mir, oder muß ich nachhelfen?“
Sie spürte, wie ihr der kalte Schweiß ausbrach. Ihr Herz schlug plötzlich schneller, ihr Atem ging rasch und unregelmäßig. Ihr Blick irrte zu Finbar Murphy, doch dessen Gestalt wurde durch die Rebellen verdeckt, die sich vor dem Bierfaß drängten. Murphy dachte in diesem Augenblick nicht daran, sich zu ihr umzudrehen. Vielleicht nahm er an, auch Callaghan stünde längst hinter seinem Rücken.
Callaghan hatte Henriettas verzweifelten Blick verfolgt und bemerkte auch ihre wachsende Panik, die ihr jetzt die Kehle zuzuschnüren drohte. Sein Grinsen schwand, er stand mit halb geöffneten Lippen da, hob beide Hände und rückte noch einen Schritt auf sie zu. Als erstes mußt du ihr den Mund zuhalten, dachte er, damit sie nicht schreien kann.
„Allmächtiger“, sagte Norman Stephens entsetzt. „Das darf nicht wahr sein.“ Für einen Moment war er derart erschüttert, daß er nicht mehr wußte, was er tun sollte.
Zwei Gefangene hatte er bei dem Kampf gegen die kleine Gruppe von Rebellen eingebracht, die so unvorsichtig gewesen, sich ihnen zu zeigen. Jetzt war Stephens mit seinen Soldaten zum River Corrib zurückgekehrt, und hier, in einem schnell ausgewählten Versteck, sollten die Rebellen verhört werden. Endlich hatte er, Stephens, den verdammten Murphy aufgespürt, er würde seinen Gefangenen schon die Informationen aus der Nase ziehen, die er brauchte.
Doch da gab es eine Überraschung.
Hasard und seine Kameraden standen in der Nähe und verfolgten mit gemischten Gefühlen, was geschah. Einerseits wollten auch sie so bald wie möglich den Schlupfwinkel der Rebellen finden, denn am Ende ihrer Aktion winkte der Goldschatz der Spanier, auf den der Seewolf es abgesehen hatte. Andererseits aber waren sie alle gegen Foltermethoden und wollten nicht zulassen, daß Stephens die Gefangenen traktierte.
Hasard stellte sich in diesem Moment die grundsätzliche Frage, ob es nicht doch besser gewesen wäre, George Darren Burkes mehr oder weniger erpresserisches Angebot abzulehnen und lieber zu versuchen, aus dem Kerker von Galway auszubrechen. Doch das wäre mit einem erheblichen Risiko verbunden gewesen, das einzugehen er besonders im Hinblick auf die Gefahr, der er seine Söhne ausgeliefert hätte, nicht gewagt hatte. Also war ihm nichts anderes übriggeblieben, als sich mitsamt seinen Männern und den Zwillingen Norman Stephens anzuschließen.
Es war schon eine verdammte Angelegenheit, auf die er sich eingelassen hatte – wie alles, was sie bisher in Irland erlebt hatten, völlig absurd erschien und im Zusammenhang kaum einen Sinn ergab.
An Bord der „Rosa de los Vientos“ aus Cadiz waren sie vor einigen Tagen in Galway an der Westküste Irlands eingetroffen – Hasard, die Zwillinge Philip und Hasard, Big Old Shane, Dan O’Flynn, Batuti, Gary Andrews und Matt Davies. Von hier aus hatten sie so schnell wie möglich nach Cornwall übersetzen wollen, um in Plymouth nach Ferris Tuckers und Brightons Gruppe zu forschen.
Das Schicksal der beiden anderen Gruppen war höchst ungewiß, und Hasard und seine Männer brannten darauf, in Plymouth Genaueres zu erfahren. Sie hofften, bei Doc Freemont wenigstens eine Nachricht ihrer Gefährten vorzufinden.
Doch die Überfahrt nach England war durch ein Zusammentreffen widriger Umstände vorerst vereitelt worden. In Galway hatte es Ärger mit Norman Stephens gegeben, gleich am ersten Tag nach der Ankunft. Stephens war der Kommandant der Söldner-Truppe im Hause Burke, des mächtigsten Clans von Galway, und ausgerechnet er hatte seine Frau Kathryn in der Taverne „Atalia Star“ beim Tanz mit Dan O’Flynn erwischen müssen. Das hatte natürlich Zunder gegeben – und prompt war Dan im Kerker der Burkes gelandet.
George Darren Burke, dieser eingebildete Pfeffersack, hatte Dan wenig später mit unvergleichlicher Arroganz erklärt, daß man ihn wegen seines „Verbrechens“ im Morgengrauen hinrichten würde, und zweifellos hätte er diese Ankündigung auch in die Tat umgesetzt, wenn Hasard Dan nicht durch eine tollkühne Aktion befreit hätte.
Alle acht – mitsamt dem Affen Arwenack – waren sie vor Burkes Söldnern nach The Claddagh geflohen, dem irischen Fischerdorf auf der anderen Seite des River Corrib, und hier hatten sie bei dem kauzigen Liam O’Neagh und dessen Gemeinde vorübergehend Unterschlupf gefunden. Fast hätte es wieder Arger gegeben, weil Batuti aus Unwissenheit eine merkwürdige Hochzeitszeremonie – die Entführung der Braut Sinaid Leenane – gestört hatte, doch dann hatte Hasard den Irrtum aufklären können. Liam O’Neagh hatte ihm einen Einmaster gegeben, mit dem die Seewölfe zu den Aran-Inseln gesegelt waren. Dort aber waren sie James McPherren, dem Kommandanten des Burke-Stützpunktes auf Inishmore, in die Hände gefallen, und der hatte sie sofort in Ketten legen lassen.
So waren sie auf höchst um ühmliche Weise nach Galway zurückgekehrt und im Kerker der Burkes gelandet. George Darren Burke hatte sie vor die Wahl gestellt: entweder ließ er sie hinrichten, oder aber sie leisteten ab sofort Dienst in seiner Truppe.
Da Hasard inzwischen durch Seamus Muldeen, einen Mitgefangenen, von dem spanischen Goldschatz erfahren hatte, der bei den irischen Rebellen verborgen sein sollte, war ihm die Entscheidung in jenem Moment leichtgefallen, er hatte zugestimmt, sich dem Kommando von Norman Stephens zu unterwerfen.
Nun, Stephens war nicht ganz unbeteiligt an der Tatsache, daß sich Burke überhaupt zu einem Gespräch mit dem Seewolf herabgelassen hatte. Insgeheim zollte Stephens Hasard und seinen Männern nämlich keineswegs Verachtung, sondern eine gehörige Portion Respekt, obgleich sie ihm ein paarmal ziemlich übel mitgespielt hatten. Kathryn Stephens, das sollte Hasard auch noch erfahren, hatte bei diesem Gesinnungswandel ihres Mannes auch etwas nachgeholfen, und so trug sie indirekt zur Rettung der Arwenacks bei.
Stephens legte also großen Wert darauf, solch hartgesottene Kämpfer in seiner Truppe zu haben. Daß sie zwangsrekrutiert waren, störte ihn dabei nicht im geringsten. Das war nur eine notwendige Begleiterscheinung.
So hatte sich Hasard mit seinen Leuten also bei Burke verdingt, um den Kopf zu retten und an den spanischen Goldschatz zu gelangen. Diesen Schatz, mit dem es eine besondere Bewandtnis hatte, konnte er sehr gut gebrauchen, denn in England wollte er ein neues Schiff bauen lassen, die „Isabella IX.“
Stephens hatte auf Burkes Befehl hin zu einem Feldzug gegen die irischen Rebellen ausrücken sollen, die erst kürzlich einen Geldtransport der Burkes überfallen hatten, doch mitten in die Vorbereitungen war die Nachricht von der Entführung Henriettas geplatzt.
George Darren Burke hatte einen regelrechten Tobsuchtsanfall erlitten und seine Truppe mit dem Auftrag losgeschickt, ihm den Kopf des Rebellenführers Finbar Murphy zu bringen. Ohne diese Trophäe durfte sich Stephens auf keinen Fall nach Galway zurücktrauen.
Das Kommando bestand aus vierzig Mann einschließlich Hasards und seiner Männer. Die Waffen, die Ausrüstung und den Proviant hatten sie auf einem flachen Boot den River Corrib hinauftransportiert. Das Boot wurde von Pferden auf einem Treidelpfad gezogen. Alle Männer, auch Hasard und seine Gefährten, hatten ein Reitpferd, das war aus Gründen der Beweglichkeit in der Wildnis unbedingt erforderlich.
Stephens, das hatte sich inzwischen gezeigt, konnte sich durchaus fair verhalten, aber galt dies auch jetzt, da er die beiden Rebellen in Händen hatte? Er mußte aus ihnen herausquetschen, wo Finbar Murphy sich versteckt hielt, seine Karriere hing davon ab.
Er hatte sich schon ganz schön in Fahrt gebracht und wäre allem Anschein nach wohl auch nicht zimperlich mit den Gefangenen umgesprungen. Jetzt aber stand er erschüttert da und ließ die Arme nach unten baumeln.
Vor ihm hockten die Rebellen auf dem weichen Untergrund des Flußufers, und gerade hatte er ihnen die Kopfbedeckungen weggenommen. Dem einen Mann, der einen breitkrempigen Hut getragen hatte, war dabei ein falscher Bart aus dem Gesicht gefallen, ein eher lächerliches, aber doch wirksames Mittel der Tarnung.
Norman Stephens hatte diesen Mann jetzt erkannt, daran bestand kein Zweifel.
„Hasard“, sagte er. „Kommen Sie doch bitte her.“
Hasard trat zu ihm und fragte: „Ist was nicht in Ordnung, Stephens? Warum zögern Sie? Haben Sie Gewissensbisse?“
„Das nicht, aber – na, nun geben Sie es ruhig zu. Sie kennen diesen Mann doch auch. Vor mir brauchen Sie es nicht zu verheimlichen. Alles, was ich von Ihnen will, ist, daß Sie mir bestätigen …“
„Augenblick“, unterbrach ihn der Seewolf. „Ich glaube, da täuschen Sie sich wirklich, Stephens.“
„Sie meinen, ich leide unter Halluzinationen?“
„Wie bitte? Nein, natürlich nicht.“
Stephens richtete seinen Blick auf ihn. Er war groß und breitschultrig, hatte schulterlanges mittelblondes Haar und ein schmales und scharfgeschnittenes Gesicht mit einem Schnauzbart. Zwischen ihm und dem Seewolf gab es einen Anflug von Sympathie, doch jetzt war Stephens’ Blick hart.
„Gaukeln wir uns nichts vor“, sagte er. „Spielen wir mit offenen Karten. Kathryn hat gesehen, daß Sie mit Ihren Männern bei Sally Middelbar waren, sie hat es mir erzählt. Streiten Sie das nur nicht ab, Mann.“
„Sally Middlebar?“ Hasard mußte wirklich überlegen, bis er begriff. Schließlich kannte er diese Sally, die eine von Kathryn Stephens’ Freundinnen war, nur dem Vornamen nach. Sie hatte ihn und seine Männer bei den Vorbereitungen zur Befreiung von Dan unterstützt, ihnen ihr Haus zur Verfügung gestellt und ihnen Flaschen zum Basteln von Wurfgranaten besorgt. Und im Keller ihrer Wohnung hatte sich Hasard mit den beiden Söldnern der Burke-Truppe befaßt, die er gefangengenommen und verhört hatte, wie auch Stephens jetzt die Rebellen zu vernehmen trachtete.
Plötzlich fiel es dem Seewolf wie Schuppen von den Augen.
„Ich verstehe“, sagte er. „Das hier ist also Douglas, Sallys Mann, nicht wahr?“
„Ja“, antwortete Stephens. „Sie müssen es am besten wissen, Hasard.“
„Das ist ein Irrtum. Er war nicht zu Hause, als wir uns bei Sally kurzfristig versteckten.“
„Sondern wo?“
„Ich habe nicht die geringste Ahnung“, erwiderte Hasard, aber diesmal schwindelte er bewußt. Sally hatte ihnen anvertraut, daß ihr Mann mit den irischen Rebellen zusammenarbeitete. Doch so weit ging das neu entwickelte Vertrauen zu Stehpens nun doch nicht, daß Hasard ihm dies auf die Nase band.
„Bei Finbar Murphy war er“, sagte Norman Stephens aufgebracht und richtete seinen Blick jetzt wieder auf den demaskierten Gefangenen. „So ist es doch, Douglas, oder? Das also ist der Grund dafür, warum man dich in der letzten Zeit so selten in Galway sieht. Es kann sich ja bald kaum noch jemand an dich erinnern, aber ich habe ein ausgezeichnetes Personengedächtnis. Jetzt ist es heraus: Du bist ein Verräter.“
Douglas Middlebar sah ihn offen an. „Seien wir doch mal ehrlich, Norman. Du kannst Burke genausowenig leiden wie ich, und du weißt, daß er unberechenbar ist. Er stellt eine Gefahr für Galway dar, und gegen diese Gefahr kämpfe ich.“
„Deshalb hast du dich mit Murphy verbündet?“
„Nur vorübergehend.“
„Du bist ein Narr, Douglas!“ stieß Stephens zornig hervor. „Burkes Tochter befindet sich in euren Händen, aber sie ist unschuldig an dem, was ihr Vater tut. Will dir das nicht in den Kopf? Ich wette, du hast Murphy alle erforderlichen Informationen geliefert, damit er unsere Leute überfallen und Henrietta entführen konnte. Weißt du, wie viele Tote es gegeben hat? Mein Gott, ich könnte dich deswegen umbringen!“
„Murphy wußte ohnehin Bescheid“, sagte Middlebar. „Er hätte die Sache auch ohne mein Zutun durchgezogen. Du kannst mich dafür nicht verantwortlich machen.“
„So? Kann ich das nicht?“ rief Stephens, der seine Gefühle nicht mehr im Zaum halten konnte. „Aber ich kann dir meine Meinung darüber sagen, was ich von einem Mann halte, den ich jahrelang als anständigen Kerl angesehen habe!“
Hasard griff ein und legte Stephens die Hand auf den Unterarm.
„Nun mal langsam, Norman“, sagte er. „So kommen wir nicht weiter.“
„Mischen Sie sich da nicht ein“, sagte der andere schroff.
„Ich muß mich einmischen, denn ich bin überzeugt, daß unser Freund Douglas uns gleich mitteilt, wohin wir uns zu wenden haben, um Henrietta befreien zu können.“
Douglas Middlebar spuckte vor ihm aus. „Du Hund, wer bist du eigentlich? Und was hast du mit meiner Frau zu tun? Gib mir ein Messer, dann tragen wir die Sache unter Männern aus!“
Hasard bückte sich, packte ihn bei seinem Hemd und riß ihn zu sich hoch. Er drängte ihn gegen den Stamm einer Weide und sagte: „Du täuschst dich in mir, Mann. Zu tun habe ich mit deiner Frau überhaupt nichts, verstanden? Aber kämpfen will ich mit dir, wenn du unbedingt darauf aus bist. Nur wirst du uns vorher verraten, wo Murphy und dessen Bande stecken – so wahr ich Philip Hasard Killigrew heiße.“
Douglas Middlebar riß die Augen weit auf. „Killigrew? Du bist – der Seewolf? Der Herr steh mir bei!“