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2.

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Callaghan schickte sich an, sich auf Henrietta Burke zu stürzen, da drehte sich Finbar Murphy überraschend zu ihm um, stieß die anderen zur Seite und rief: „Holla, Callaghan, du bist wohl schwerhörig, wie? Ich hab gesagt, du sollst herkommen und dir deine Ration Bier abholen. Sitzt du auf deinen Ohren?“

Callaghan ließ die Arme sinken und wandte sich langsam um.

„Ich stehe, das siehst du doch“, brummte er. „Sitze ich vielleicht? Mann, was ist denn mit deinen Augen los?“

Murphy nahm einen Schluck Bier zu sich, dann senkte er den Kopf ein wenig, fixierte den Kumpan und entgegnete: „Ich will dir was verraten. Meine Augen sind völlig in Ordnung, und ich sehe auch keine zwei Callaghans, falls du das denkst. Ein Adler sieht von seinem Horst aus alles, was rund um ihn herum vor sich geht, kapiert?“

„Sicher, Finbar.“

„Dann komm her.“

Callaghan befolgte den Befehl und nahm sich vor, doch lieber auf der Hut zu sein. Mit Murphy durfte er es sich auf keinen Fall verderben, und es war eine Dummheit, die Dinge unnötig auf die Spitze zu treiben. Das Fest war noch nicht zu Ende. Irgendwann war auch Murphy voll genug, um jede Aufmerksamkeit zu vergessen und den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen. Dann schlug seine, Callaghans, Stunde, und er konnte sich so ausgiebig mit dem Mädchen vergnügen, wie er nur wollte, keiner würde ihn dabei stören.

Henrietta saß zitternd da. Eine kalte Hand schien sich um ihr Herz gekrallt zu haben, ihr war schwindlig und übel zugleich. Jeden Augenblick drohten ihr die Sinne zu schwinden.

Nur das nicht, dachte sie entsetzt.

Sie überlegte sich, ob es Sinn hatte, jetzt aufzuspringen und Callaghan einen Stoß zu versetzen. Mit wachsendem Haß blickte sie auf den mächtigen Rücken des Kerles. Sie war ernsthaft versucht, es wirklich zu tun, dann aber verwarf sie den Gedanken wieder. Es hatte ja doch keinen Zweck. Sie hatte wahrscheinlich nicht einmal die Kraft, ihn seines Gleichgewichtes zu berauben, und an Flucht war nach wie vor schon gar nicht zu denken. Die Bande würde nur wieder über sie lachen und sich köstlich amüsieren.

Callaghan trat zu Murphy. Der lachte, hieb ihm auf den Rücken und füllte einen Becher für ihn. Callaghan leerte ihn in einem Zug.

„Dieses Zeug ist wie Wasser“, sagte er. „Es läuft die Kehle runter wie ein Gebirgsbach, und von der Wirkung merkt man nichts.“

„Nichts?“ Finbar Murphy nahm ihm den leeren Becher aus der Hand und ließ wieder Bier hineinplätschern. „Dann nur weiter, Callaghan, mal sehen, wie groß dein Fassungsvermögen überhaupt ist.“

Er selbst hielt kräftig mit, und die Rebellen bildeten einen Kreis um ihn und Callaghan und klatschten Beifall. Wenig später stimmten sie ein rauhes Lied an, stießen Pfiffe aus und warfen ihre Mützen und Hüte in die Luft. Sie ließen sich selbst hochleben und benahmen sich, als hätten sie den Krieg gegen England gerade gewonnen.

Henrietta war froh darüber, daß sie vorläufig abgelenkt waren. Aber sie gab sich keinen Illusionen hin. Bald würde sich ihr Augenmerk wieder auf sie richten, und sie wußte, daß Finbar Murphy bald so betrunken wie die anderen sein würde. Dann konnte er sie nicht mehr beschützen.

Sorglos und wild benahmen sich die Rebellen in ihrer Triumphstimmung, wie es ihrer irischen Mentalität entsprach. Sie feierten ihren Erfolg in vollen Zügen, vergaßen die Zeit und alles andere um sich herum. Anders waren sie es nicht gewohnt.

Wegen der Späher, die bislang noch nicht zurückgekehrt waren, machten sie sich auch keine Gedanken, sie bedauerten sie eigentlich nur, weil sie bei dem ausgelassenen Gelage nicht mit dabeisein konnten.

Hätten sie auch nur geahnt, was vorgefallen war, wären sie mit einem Schlag stocknüchtern geworden und Finbar Murphy hätte trotz allen Mutes begonnen, um seinen Kopf zu bangen.

„Seewolf?“ wiederholte Norman Stephens überrascht. „Der Freibeuter aus Cornwall? Verdammt, jetzt wird auch mir erst richtig klar, wer du bist, Hasard Killigrew.“

Die Zwillinge standen in seiner Nähe, und Philip junior sagte nicht ohne Stolz: „Korsar, bitte, Sir, nicht Freibeuter. Die königliche Lissy hat unserem Dad nämlich ganz offiziell einen Kaperbrief ausgestellt und ihn zum Ritter geschlagen.“

Erst jetzt meldete sich auch der zweite Gefangene zu Wort. Er verzog seinen Mund zu einem höhnischen Grinsen und rief: „Killigrew? Nie gehört! Ist er der Teufel in Person, Middlebar, daß du vor Angst zu schlottern anfängst?“

„Spotte du nur“, sagte Douglas Middlebar. „Du weißt ja nicht, was für ein harter Kämpfer er ist.“ Er blickte Hasard an. „Laß mich los, ich bereue, daß ich dich zum Messerduell herausgefordert habe.“

„Es könnte durchaus sein, daß du siegst, Douglas.“

„Nein. Ich war damals an der Dungarvanbai mit dabei. In den Drum Hills fungierte ich als Pulverträger und steckte meine Nase nie zu weit nach vorn, aber trotzdem hörte ich die haarsträubendsten Sachen über dich. Ich weiß Bescheid.“

Hasard mußte unwillkürlich lächeln und lockerte seinen Griff. „Ich nehme an, du verwechselst mich mit Drake.“

„Keineswegs.“

„Aber du willst mir doch wohl nicht einreden, daß du seit damals einen so unerhörten Respekt vor mir hast. Das nehme ich dir nicht ab.“

„Ich habe auch von deinem Einsatz im Kampf gegen die Armada vernommen“, erklärte Douglas Middlebar. „Zwei spanische Kaufleute erzählten mir in Galway alles haarklein, bis in die letzten Einzelheiten. Angehörige von ihnen gehörten nämlich zu den Schiffsbesatzungen der Armada, deshalb wußten sie so genau Bescheid.“

„Na, und?“ sagte der zweite Gefangene. „Was geht uns die dämliche Armada an?“ Er war ein vierschrötiger Mann mit schmalen grauen Augen und leicht vorspringendem Kinn.

„Sie lehrt uns so einiges, Cohen“, erwiderte Middlebar.

„Zum Beispiel? Daß du zur Zeit die Hosen gestrichen voll hast?“

„Ich kenne meine Grenzen“, antwortete Middlebar ruhig. „Ehe ich mich von diesem Mann auseinandernehmen lasse, gebe ich lieber preis, was ich weiß.“

„Du beurteilst mich falsch, Douglas“, sagte der Seewolf. „Ich bin alles andere als ein Menschenschinder, und ich hasse es, Wehrlose zu quälen. Viel lieber wäre mir ein fairer Kampf mit dir, bei dem der Verlierer darauf angewiesen ist, die Bedingungen des Gewinners anzunehmen.“

„Ich verstehe, aber darauf lasse ich mich lieber nicht ein.“

„Mit anderen Worten, du bist ein Feigling!“ schrie Cohen außer sich vor Wut. „Das habe ich schon immer gewußt, du Hund! Wer weiß, vielleicht hast du dich sogar bei uns eingeschlichen, um was auszukundschaften! Bist du Burkes Spion? Mann, untersteh dich, was zu verraten!“

Norman Stephens wollte ihn zum Schweigen bringen, doch Hasard ließ Middlebar los und trat dicht vor Cohen hin.

„Cohen“, sagte er. „Du mußt doch auch einsehen, daß es für euch zwei das beste ist, wenn ihr redet.“

„So? Daß ich nicht lache! Mich kannst du nicht beeindrucken, du dreckiger englischer Bastard! Binde mich los, dann zeige ich dir, was in meinen Fäusten steckt!“

Big Old Shane konnte jetzt kaum noch an sich halten und ballte die Hände zu Fäusten.

„Nimm diese Beleidigung zurück, du Ratte!“ rief er.

„Stephens“, sagte Hasard. „Den Bastard lasse ich nicht auf mir sitzen. Tun Sie ihm den Gefallen, und nehmen Sie ihm die Fesseln ab.“

„Moment mal“, sagte Stephens. „Wer gibt hier eigentlich die Befehle?“

„Sie. Ich habe nur eine Bitte ausgesprochen.“

Stephens dachte nach. Wurde hier seine Autorität untergraben? Beging er nicht einen schwerwiegenden Fehler, wenn er Hasards Vorschlag annahm? Was war, wenn dieser Cohen einfach weglief und sie gezwungen waren, auf ihn zu schießen?

„Ich weiß, was du denkst, Kommandant“, sagte Cohen mit hämischem Unterton. „Aber ich fliehe nicht. Ich bin aus einem anderen Holz geschnitzt als Middlebar. Ich werde diesem aufgeblasenen Korsaren hier die Fresse polieren. Danach kannst du mich wieder fesseln und von mir aus auch aufknüpfen, mir ist das scheißegal. Ich zeige euch mal, wie ein Mann stirbt.“

Stephens zog in plötzlichem Entschluß sein Messer und beugte sich über den Mann. Zunächst sah es so aus, als wolle er ihn bedrohen, um ihn zum Sprechen zu bringen, dann aber zerschnitt er tatsächlich die Stricke, die seine Männer um Cohens Arme und Beine geschlungen hatten.

Cohen grinste und massierte sich die Hand- und Fußgelenke, um den Blutkreislauf wieder richtig in Gang zu bringen.

Hasard trat zwei Schritte in Richtung auf das Ufer des Flusses zurück und nahm eine abwartende Haltung ein. Rasch hatten Burkes Söldner und die Seewölfe einen Kreis um Cohen und ihn gebildet. Cohen erhob sich, trat prüfend auf der Stelle und befand bei sich, daß er jetzt wieder voll bewegungsfähig war. Entschlossen näherte er sich dem Seewolf.

„Das habe ich mir schon lange gewünscht“, sagte er, „mal einem hochnäsigen englischen Bastard das Maul zu stopfen. Wird mir ein Vergnügen sein.“

Hasard ließ ihn noch einen Schritt näher heran, dann sagte er: „Ich wußte, daß die Iren störrische Dickschädel sind, Cohen, aber ich hoffe, sie sind nicht alle solche Hurensöhne wie du.“

Cohen lief dunkel im Gesicht an und sprang vor. Seine rechte Faust schoß auf Hasards Kinn zu, gut gezielt und völlig überraschend. Aber Hasard wich rechtzeitig genug aus. Mit dieser Reaktion hatte Cohen nicht gerechnet. Er wurde durch die Wucht seines eigenen Hiebes nach vorn gerissen und drohte das Gleichgewicht zu verlieren. Während er noch darum kämpfte, fuhr der Seewolf herum und rammte ihm die Linke in die Körperseite.

Cohen verlor den Boden unter den Füßen und landete keuchend auf dem Ufer. Stephens und einige seiner Söldner, Shane, Gary und Batuti stießen anerkennende Laute aus. Matt Davies hatte die Finger seiner gesunden Hand zwischen die Zähne geschoben und ließ einen grellen Pfiff vernehmen.

„Weiter so, Sir!“ rief er dann. „Gib’s ihm! Klopf ihm den sturen Schädel weich!“

„Nicht so laut“, sagte Dan O’Flynn warnend. „Du lockst noch sämtliche irischen Rebellen an, die sich in der Umgebung verkrochen haben.“

„Um so besser“, meinte Matt grimmig. „Wenn sie aus dem Gebüsch erscheinen, brauchen wir sie nicht mehr zu suchen.“

Cohen überrollte sich und sprang auf. Mit einem saftigen Fluch warf er sich Hasard erneut entgegen, konnte dessen Arm fassen, riß ihn mit sich und versuchte, ihm einen Schlag gegen die Schläfe zu verpassen, während sie gleichzeitig stürzten.

Hasard zog den Kopf ein, griff mit der freien Hand nach dem Gegner und hob ihn im Fall blitzschnell über seine Schulter. Cohen blieb platt auf dem Rücken liegen, aber nur für einen Augenblick. Dann krümmte er sich, wälzte sich herum und klammerte sich an Hasards Bein fest. Hasard versuchte, ihn abzuschütteln, doch Cohen war hartnäckig und brachte sich durch eifriges Robben dichter an ihn heran.

Er ließ das Bein los, richtete sich auf und setzte dem Seewolf die Faust zwischen die Schulterblätter. Hasard stöhnte auf. Cohen wollte mit einem weiteren Hieb nachsetzen, doch diesmal zog Hasard seine Schulter hoch und blockte ab. Dröhnend traf die Faust des anderen seinen Muskel, aber das war bei weitem nicht so schlimm wie der Schlag auf den Rükken.

Hasard biß die Zähne zusammen, ließ sich wieder fallen und rollte auf Cohen zu, der mit einer solchen Art des Angriffs nicht gerechnet hatte und für einen Moment völlig verblüfft war. Dann balgten sie sich auf dem Ufersand, wie zwei Raubkatzen ineinander verkeilt. Hasard brachte zwei kräftige Hiebe an, die dem Iren schwer zusetzten. Darauf aber vergaß Cohen die Spielregeln und griff zu einem unlauteren Mittel. Seine Hände schlossen sich um Hasards Hals.

„Jetzt kratzt du ab, du Hund“, keuchte er dabei. „Um mich ist es sowieso geschehen, aber dich nehme ich wenigstens noch mit in die Hölle.“

Der Seewolf sah nur noch einen Weg, sich aus dem tödlichen Griff zu befreien. Er holte mit beiden Fäusten aus und knallte sie Cohen in die Seiten. Das war auch nicht sehr anständig, aber im Vergleich zu dem, was der Ire jetzt tat, immer noch fair.

Cohen stieß einen Laut aus, der wie eine Mischung aus Keuchen und Pfeifen klang, dann ließ er von Hasards Hals ab. Hasard bäumte sich auf, schüttelte ihn ab, rappelte sich auf und packte ihn dabei am Arm. Er zerrte ihn mit sich hoch und schlug mit der Rechten zu, ehe Cohen noch einmal zum Zug gelangte.

Die harten Knöchel seiner Faust trafen Cohens Kinn, doch der Kerl war hart im Nehmen. Er taumelte nur – rückwärts auf den River Corrib zu. Der Kreis der Zuschauer öffnete sich zum Wasser hin, und wieder wurden Beifallsrufe laut.

Hasard folgte Cohen und ließ seine Faust noch einmal gegen dessen Kinnpartie krachen. Diesmal stöhnte der Ire und begann mit den Armen zu rudern. Er unternahm einen letzten verzweifelten Versuch, sich zu bremsen und zu einer Gegenattacke auszuholen, doch Hasard kam ihm noch einmal zuvor. Seine Faust zuckte wieder hoch und traf den kritischen Punkt an Cohens Kinn.

Cohen wurde wie von einer unsichtbaren Kraft zurückgeworfen und landete mit ausgebreiteten Armen rücklings im River Corrib. Er tauchte unter und wäre vielleicht sogar ertrunken, wenn Hasard ihm nicht nachgelaufen wäre und ihn wieder hochgezogen hätte.

„Wasser hat keine Balken“, sagte Hasard. „Das sollte auch eine eingefleischte Landratte wie du wissen, Cohen. Außerdem soll man das Maul nie zu voll nehmen, es zahlt sich nicht aus.“

Er trug ihn ans Ufer zurück. Cohen kam zu sich und spuckte einen Schwall Wasser aus. Stephens gab seinen Söldnern einen Wink, sie eilten herbei und legten dem Mann erneut Fesseln an.

Hasard blickte zu Douglas Middlebar. „Nun?“ Mehr sagte er nicht.

Middlebar räusperte sich, dann sagte er: „Das Mädchen ist in einem alten Kornspeicher versteckt worden. Dort befinden sich auch Finbar Murphy und das Gros der Bande.“ Er begann, den Weg zum Speicher eingehend zu beschreiben.

Hasard und Stephens tauschten einen Blick, und Stephens konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er ist eben doch ein Teufelskerl, dachte er bewundernd. Herrgott, wenn ich einen solchen Mann doch immer in meiner Truppe haben könnte – samt seinen Kameraden.

Stephens, du bist also doch kein schlechter Mensch, sagte sich Hasard im stillen, gefoltert hättest du diese beiden Burschen ganz bestimmt nicht.

Die Umstände in Galway hatten nun mal erfordert, daß sich Stephens den Seewölfen gegenüber ausgesprochen ruppig verhielt. Hinzu kam auch, daß er seine liebe Last mit seiner besseren Hälfte gehabt hatte, die von ehelicher Treue und Häuslichkeit nicht allzuviel zu halten schien. Diese Schwierigkeiten schienen jetzt aber beseitigt zu sein. In der Tat sollte Hasard später noch von Stephens selbst erfahren, daß Kathryn Besserung gelobt hatte. Mehr noch, sie wünschte sich von ihrem Mann ein Kind, und das war wohl der beste Beweis für ihre Liebe zu ihm.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 277

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