Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 291 - Roy Palmer - Страница 4
1.
ОглавлениеErschöpft trafen die Männer an der Felsenbucht im Norden der Insel Mordelles ein. Die Ereignisse der letzten Stunden hatten erheblich an ihren Energien und auch an ihren Nerven gezehrt. Sie hatten eine Niederlage erlitten, von der sie sich so schnell nicht wieder erholen würden.
Easton Terry bedachte Yves Grammont immer wieder mit prüfenden Seitenblicken. Er sah ganz deutlich, daß der Piratenführer kurz vor einem seiner Wutausbrüche stand. Natürlich: Grammont konnte das, was geschehen war, nicht verwinden. Er dachte nur noch an Rache, sein Haß war grenzenlos.
Er hingegen, Terry, sah die Dinge in einem etwas anderen Licht. Es war so gut wie alles schiefgegangen, doch das war für ihn noch lange kein Grund zum Verzweifeln. Man mußte ganz einfach versuchen, aus jeder Situation das Beste herauszuholen.
Terry war ein selbstsüchtiger Mann, seine Ziele waren ausschließlich eigennütziger Art. Grammonts Einstellung war von Beginn an im Grunde dieselbe gewesen, doch jetzt galt es für ihn, seine Ehre zu verteidigen. Er wäre bereit gewesen, jeden Gewinn, jede Beute in den Wind zu schreiben, wenn er nur den verfluchten Seewölfen und ihren so unversehens aufgetauchten Helfern heimzahlen konnte, was sie ihm angetan hatten.
Dieser Philip Hasard Killigrew! Der Teufel sollte ihn holen! Hatte denn auch ausgerechnet er vor der Küste der Bretagne erscheinen müssen? Hätte es nicht jemand anders sein können, jemand, mit dem man etwas leichteres Spiel gehabt hätte?
Aber es waren eben die „Hornet“ und die „Fidelity“ gewesen, die an jenem verhängnisvollen Abend als Köder in der Bucht von Sillon de Talbert vor Anker gelegen hatten. Grammont war in die Falle gegangen, und seitdem gab es für ihn keinen ruhigen Augenblick mehr.
Mit jenem Gefecht bei Sturm und Dunkelheit hatte alles angefangen, und von da an war er seinen hartnäckigen Gegner nicht mehr losgeworden. Da hatte es ihm auch nichts genützt, daß Easton Terry, Halibut und sechs andere Abtrünnige der „Fidelity“ in sein Lager übergewechselt waren. Das Glück, das seine Raids vor der bretonischen Küste früher immer begleitet hatte, schien ihn plötzlich verlassen zu haben.
Jetzt waren zu allem Überdruß die wilden bärtigen Kerle von dem Viermaster auf Mordelles gelandet, nachdem sie erfolgreich in den Kampf eingegriffen hatten. Ein Schiff, so schwarz wie die Nacht, unheimlich und unheilvoll – woher kam es, wer waren seine Männer? Wie ein Wesen aus vergangenen Zeiten wirkte der Kapitän, ein Riese von Kerl mit einem verbeulten Helm. Seine Mannschaft stand ihm an Verwegenheit in nichts nach.
Fünf Schiffe hatte Grammont eingebüßt, seit ihm der Seewolf den Krieg erklärt hatte: die „Petite Fleur“, die „Antoine“ und jetzt gleich zwei Dreimast-Galeonen und eine Zweimast-Karavelle. Und die Einmast-Schaluppe mit den vier Minions an Bord? Die war auch verloren. Was ihm blieb, waren die „Louise“ und die „Coquille“, wobei letztere hart angeschlagen war.
Easton Terry hörte es jetzt deutlich: Grammont knirschte vor Zorn mit den Zähnen. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt, daß das Weiße an den Knöcheln hervortrat. Am liebsten hätte er sich wohl auf der Stelle umgedreht und wäre wieder ins Innere der Insel gestürmt, um sich dem Feind entgegenzuwerfen, der da und am anderen Ufer herumspionierte.
Doch das wäre glatter Selbstmord gewesen. Dies wußte auch Grammont in seiner unsagbaren Wut, und er schaffte es, sich doch zusammenzureißen.
Er blieb stehen und ließ seinen Blick über die Felsenbucht wandern.
„Ich bringe sie alle um“, sagte er gepreßt. „Einen nach dem anderen. Das sollen sie mir büßen. Ich lasse das nicht auf mir sitzen.“
„Recht so“, pflichtete Terry ihm sofort bei. Er mußte aber aufpassen, kein zynisches Grinsen zu zeigen. Sein Gesichtsausdruck brachte seine jeweiligen Verbündeten zu leicht in Rage, das wußte er sehr genau. Bei Killigrew war es so gewesen, und jetzt, in den Reihen der bretonischen Piraten, würde das nicht anders sein, wenn er durchblicken ließ, wie wenig er von Loyalität hielt.
Nein, er mußte Grammont gut zureden, nur so konnte er sich dessen Wohlwollen und Vertrauen sichern.
„Du kannst auch weiterhin auf meine Männer und mich zählen“, sagte er. „Wir werden es diesen Hunden schon zeigen. Killigrew ist ein Bastard, seine Crew besteht aus Hurensöhnen und Drecksäcken.“
Grammont war stehengeblieben und drehte sich zu ihm um. „Und deine Männer von der ‚Fidelity‘? Wie schätzt du die ein?“
„Das weißt du doch. Sie fühlen sich nur stark, weil sie hinter Killigrew stehen. Aber ich rechne noch mit Reeves, Baxter und den anderen Burschen ab, verlaß dich drauf.“ Dies meinte er nun sogar wörtlich, denn seine eigene Crew hatte ihn ja zur Genüge gedemütigt. Daß er daran selbst schuld war, verschwieg er.
Der Verrat, den er begangen hatte, indem er seine eigene Mannschaft ans Messer geliefert hatte, existierte für ihn nicht. Er hatte einen Pakt mit dem Teufel unterzeichnet, denn er kämpfte nicht für England, sondern für sich ganz allein. Wenn er erst einmal genug Beute zusammengerafft hatte, wollte er die Alte Welt für immer verlassen. So und nicht anders dachten auch Halibut und die sechs anderen, die mit ihm von der „Fidelity“ geflohen waren, nachdem man sie vor ein Bordgericht gestellt hatte, dessen Vorsitz natürlich der Seewolf gehabt hatte.
„Ich kann dich gut gebrauchen, Terry“, sagte Grammont. „Und es wird nicht zu deinem Schaden sein. Aber vergiß nicht, daß allein mein Wort gilt – hier und anderswo.“
„Du bist der Kommandant“, sagte Terry. „Alles hört auf deinen Befehl. Was hast du jetzt vor?“
Das war eine fast hinterhältige Frage, denn angesichts des erbärmlichen Zustandes, in dem sie sich derzeit befanden, fiel es außerordentlich schwer, überhaupt eine Entscheidung zu treffen.
Die Gruppe hatte die Grotten erreicht und verharrte hier. Es wurden nur wenige Worte gewechselt. Der Kanonendonner war verklungen, das Krachen der Explosionen im Lager war nur noch eine böse Erinnerung. Totenstille hatte sich wieder über Mordelles ausgebreitet.
„Wir warten auf die ‚Louise‘ und die ‚Coquille‘“, erwiderte Grammont. „Sie müssen gleich eintreffen. Wir werden wohl Zeit genug haben, die schlimmsten Schäden zu beheben. Schließlich hat auch der Gegner Treffer hinnehmen müssen und wird erst mal in die Südbucht verholen.“
„Ja, das nehme ich auch an“, stimmte ihm Terry zu. „Laß sie ihre Wunden lecken. Die Hunde rechnen bestimmt nicht damit, daß wir sie wieder angreifen, aber sobald wir die Schiffe gefechtsklar haben, pirschen wir uns an, nicht wahr?“
„Ja.“
Sie dachten aber beide daran, welchen Wahnsinn ein derartiges Unternehmen bedeutete. Der Feind hatte jetzt drei Schiffe: die „Hornet“, die „Fidelity“ und den schwarzen Segler, der uneinnehmbar wie eine Festung zur See war, zumal er aus geradezu unerhört hartem Holz gebaut zu sein schien. Dieser Dreierverband würde die „Louise“ und die „Coquille“ in einem zweiten Anlauf zweifellos versenken.
Verstärkung brauchte Yves Grammont, doch woher sollte er sie nehmen? Die vier Schiffe, die er aus Saint Nazaire zurückerwartete, würden wohl erst auf Mordelles eintreffen, wenn alles vorbei war. Deren Besatzungen würden dann höchstens noch die Leichen zählen können, die im Meer schwammen.
So stand der bärtige Bretone vor einem unlösbaren Problem. Hätte er nach den Geboten der Vernunft gehandelt, wäre er unverzüglich an Bord seiner Schiffe gegangen und hätte Kurs aufs Festland genommen. Dort lag die Rettung, und sein Heil durfte er nur noch in der Flucht suchen.
Doch der Haß war größer. Mordelles, der Hauptschlupfwinkel der Freibeuterbande, war zwar eine schwelende Stätte der Niederlage, aber Grammont konnte und wollte nicht aufgeben.
Und Terry? Nun, der hielt nur nach einer Möglichkeit Ausschau, sich Grammonts Gelder unter den Nagel zu reißen. Hatte er dieses Ziel erreicht, würde er zusehen, sich schleunigst abzusetzen, ohne einen nachhaltigen Schaden davonzutragen. Was dann aus seinen Kumpanen werden würde, war ihm völlig egal.
„Achtung“, sagte Ferret plötzlich. „Da kommen sie.“
Die Piraten lenkten ihre Blicke in die von ihm angegebene Richtung – und da sahen sie alle die „Louise“ und die „Coquille“ in den grauen Schleiern der Morgendämmerung. Wie Gespenster schlichen sie heran und nahmen Kurs auf die Felsenbucht, die Zufluchtsstätte, an der sie wieder ankern konnten.
„Die „Louise“, immer noch von Saint-Jacques geführt, befand sich in einem leidlich guten Zustand. Schlimm hatte es die Zweimast-Karavelle „Coquille“ getroffen. Sie krängte nach Backbord und schien Wasser zu ziehen. Ein Bild des Jammers war das.
Grammont stöhnte leise auf, als er die Karavelle wie ein todwundes Tier in die Bucht einlaufen sah. Er litt fast körperlich unter diesem Anblick.
Narr, dachte Easton Terry und grinste nun doch höhnisch, als er sicher sein konnte, daß ihn niemand beobachtete. Auch deine Stunde hat bald geschlagen, Grammont, vielleicht stirbst du noch heute.
Pierre Servan und Jean Bauduc waren an Bord der „Coquille“ seit sie ihre beiden Dreimast-Galeonen im Gefecht verloren hatten. Bauduc, der Mann mit den drei Pistolen im Waffengurt, hatte eine Blessur davongetragen, die anfangs noch harmlos gewirkt hatte, sich jetzt aber als lebensgefährlich herausstellte.
Er hockte auf der Kuhlgräting der Karavelle und hielt sich den Leib. Der schnauzbärtige Servan bemühte sich um ihn. Er hatte seinen breitkrempigen schwarzen Hut abgenommen und fächelte dem Kampfgefährten damit Luft zu – als ob das etwas nutzte!
„Halt durch, Jean“, sagte er. „Wir sind gleich da. An Land können wir dich besser verarzten als hier auf dem verdammten Kahn. Du kriegst gleich einen Verband, der dir guttun wird.“
„Und die Kugel?“ fragte Bauduc, der nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrükken konnte.
„Sie steckt nicht. Sie ist glatt durchgegangen. Rede dir nichts ein.“
Bauduc schloß die Augen und öffnete sie wieder, er blickte an Servan vorbei und sah wieder die Gestalten der Toten auf dem Oberdeck der Karavelle liegen. Gerade wurde eine der Leichen durch die bedrohliche Schräglage des Schiffes in Bewegung gesetzt. Sie rollte gegen das Backbordschanzkleid, ihre Arme schlenkerten wie die Glieder einer Marionette, es war ein grausiger Anblick.
Bauduc nahm die Hand vom Leib, das Blut quoll darunter hervor. Er zwang sich dazu, so ruhig wie möglich zu sprechen.
„Gaukeln wir uns nichts vor, Pierre“, sagte er. „Es ist aus. Die Schmerzen werden immer schlimmer. Gleich werde ich schreien wie verrückt.“
„Hör auf, Mensch, du bist ja nicht ganz richtig im Kopf.“
„Doch, Pierre. Du mußt mir helfen.“
„Ich werde dir die Wunde ausbrennen.“
„Nein. Du verpaßt mir eine Kugel.“
„Niemals!“ stieß Servan entsetzt hervor. „Das kannst du von mir nicht verlangen. Ich bin doch dein bester Freund.“
„Eben deshalb. Du mußt mich erschießen, Pierre.“
„Sei still!“
„Wenn du es nicht tust, bitte ich Grammont darum. Er wird mich verstehen. Er sieht gleich, wie übel ich zugerichtet bin.“
Servan beugte sich über ihn und nahm ihm die Pistolen ab – vorsichtshalber.
„Laß uns erst mal mit Grammont sprechen“, sagte er heiser. „Er wird dir diesen Unsinn schon ausreden. Willst du dich nicht lieber hinlegen?“
„Nein, es ist besser, wenn ich hier sitzen bleibe.“
„Wie du willst.“ Pierre Servan wandte sich ab und trat ans Schanzkleid der Steuerbordseite. Er mußte aufpassen, daß er nicht ausglitt und stürzte. Die „Coquille“ zog Wasser wie verrückt. Ein paar Männer waren unter Deck und suchten nach den Lecks. Zwei hatten sie auch schon gefunden und notdürftig abgedichtet, aber es mußte noch mehr geben. Immer wieder tauchten sie in das Seewasser, das dort unten jetzt schon brusthoch stand, und tasteten die Wegerung ab.
Servan überlegte, ob er Grammont und den anderen, die oben bei den Grotten standen, zuwinken sollte. Aber es bestand kein Grund dazu. Daß die Schiffe die Bucht erreicht hatten, sahen sie ja. Eifriges Gestikulieren war nur angebracht, wenn man einen Sieg davongetragen hatte und triumphierend in den Schlupfwinkel zurückkehrte.
So blieb alles stumm, und kaum ein Mann rührte sich, auf den Schiffen wie an Land. Es war eine spukähnliche Szene. Nach der „Coquille“ lief auch die „Louise“ unter dem Kommando von Saint-Jacques in die Bucht ein. Beide Schiffe drehten bei, dann fielen die Anker an ihren Trossen, klatschten ins Wasser und senkten sich dem Grund entgegen.
Erst jetzt gab Servan seinem Anführer Grammont ein Zeichen, daß es um Bauduc schlecht bestellt war. Ein Boot wurde abgefiert und an Land gepullt. Grammont stieg ein und ließ sich an Bord der „Coquille“ bringen.
Servan stand nach wie vor am Schanzkleid, und auch die meisten anderen Männer an Bord der Schiffe blickten jetzt zu Grammont, der sich in der Jolle näherte.
Jean Bauduc erhob sich vorsichtig von der Kuhlgräting. Er biß die Zähne zusammen, um einen Schmerzenslaut zu unterdrücken. Seine Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepreßt, sein Gesicht hatte die Farbe alten Talges.
Es brannte in seinem Leib, ein Feuer schien sich in seinem Inneren auszubreiten. Er wußte, daß es zu Ende ging, und es war nur richtig, das Drama zu verkürzen.
Er konnte sich nicht mehr genau erinnern, ob es eine Kugel oder ein Eisensplitter gewesen war, der ihn im Gefecht getroffen hatte. Aber welche Rolle spielte das schon? Ausschlaggebend war nur das eine: Das Ding, wie immer es auch beschaffen sein mochte, steckte in seinem Unterleib. Kein Feldscher der Welt, nicht einmal ein Arzt würde es da herausholen. Er, Bauduc, war dazu verdammt, elendig zu verbluten.
Er ließ sich auf den Planken nieder und rutschte zu dem Toten, der gegen das Backbordschanzkleid gerollt war. Er langte bei ihm an, sah die Pistole, die aus dem Gurt des Mannes hervorragte, und betete fast darum, daß sie noch geladen sein möge.
Sie war geladen. Er stellte dies fest, als er sie ihm abnahm. Er brauchte jetzt nur noch den Hahn des Steinschlosses zu spannen – und abzudrücken.
Die Jolle glitt längsseits der „Coquille“. Servan hatte eine Jakobsleiter ausbringen und abfieren lassen. Grammont enterte auf, kletterte über das Schanzkleid der Steuerbordseite und sah Bauduc, der sich gerade die Mündung der Pistole in den Mund schob.
„Verdammt, Jean!“ rief er noch.
Doch Bauduc hörte nicht auf ihn. Er hatte die Augen geschlossen, sich die linke Hand hinter den Hinterkopf geschoben und hielt mit der Rechten die Pistole, wobei er das Handgelenk sehr verbiegen mußte, um sie in die richtige Zielposition zu bringen. So saß er mit dem Rücken gegen das Schanzkleid gelehnt und hielt beide Beine weit von sich gestreckt.
Servan fuhr auch herum, und gemeinsam mit Grammont stürzte er auf den Kumpan zu. Sie rutschten beide aus und schlitterten auf geradezu groteske Weise auf Bauduc zu.
Bauduc drückte ab. Das Krachen der Pistole war nicht sonderlich laut. Grammont und Servan trafen bei ihm ein, Grammont riß ihm noch die Pistole aus der Hand, doch es war bereits geschehen: Jean Bauduc bäumte sich noch einmal auf, dann brach er zusammen und blieb schlaff und regungslos am Schanzkleid liegen.
„Du Narr!“ stieß Servan zu Bauduc gewandt hervor. „Warum hast du das getan?“
Yves Grammont untersuchte den Toten kurz, dann richtete er sich wieder auf und sagte: „Es war das einzig Richtige. Er wäre sonst auf wirklich scheußliche Weise krepiert.“
„Ja“, bestätigte Servan, der es auch endlich einsah. „Aber die Engländer werden für seinen Tod büßen. Und für das da, für dieses Massaker, werden sie auch bezahlen.“ Er deutete auf die Leichen, die auf dem Oberdeck der „Coquille“ lagen.
„Rache“, flüsterte Grammont.
„Rache!“ rief auch Saint-Jacques von Bord der „Louise“, der alles verfolgt hatte.
Die Piraten waren außer sich vor Wut und Haß über das, was geschehen war, und diese Gemütsverfassung war die ideale Voraussetzung für einen Gegenschlag, bei dem sie aus purer Vergeltungssucht bereitwillig ihr Leben in die Waagschale werfen würden.
Easton Terry bereute es fast schon, Grammont seine weitere Unterstützung zugesichert zu haben. War es nicht Wahnsinn, einen neuen Kampf zu beginnen?
Halibut dachte ähnlich, er sagte leise: „Es wäre besser gewesen, mit einem Kahn abzuhauen, Mister Terry. Wir hätten die Schaluppe nehmen können – die ist doch jetzt herrenlos und dümpelt irgendwo in der Südbucht.“
Terry löste den Blick nicht von den Schiffen, als er antwortete. „Von was sollen wir unsere Zukunft finanzieren, wenn ich mal fragen darf?“
„Das wird sich finden.“
Terry grinste. „Besser wäre, wir würden Grammonts Gelder finden.“
Halibut setzte ebenfalls ein gemeines Lächeln auf. „Das schon, aber wir müssen zusehen, daß wir mit heiler Haut davonkommen. Sonst haben wir von dem ganzen Reichtum nichts – Kapitän Terry.“
„Laß das ruhig meine Sorge sein“, murmelte Terry. Er vergewisserte sich, daß außer den Männern der „Fidelity“ niemand mitgehört hatte, was sie gesprochen hatten. Aber die Gefahr bestand nicht, zumal sie sich in ihrer Muttersprache unterhalten hatten. Keiner der Franzosen verstand Englisch.
Ja, Easton Terry würde sein eigenes Süppchen kochen. Deshalb empfahl es sich doch, weiterhin in einer Art Bündnis mit den Piraten zu leben. Er mußte herauskriegen, wo Grammont das Geld versteckt hatte, das er von Lucio do Velho, Bonano, de Fambrin und Quintaval erhalten hatte.
Diesen Schatz mußte er in seinen Besitz bringen, erst dann würde er von der Bildfläche verschwinden. Er hatte einen Mann namens Lord Henry gekannt. Dieser Lord Henry hatte es mit der Vaterlandsliebe, der Loyalität und dem Eigennutz genauso gehalten wie er: An erster Stelle stand das Ich, erst dann folgte der Rest. Das war das alte Prinzip aller Schnapphähne und Beutewölfe, und daran hielt sich auch Easton Terry.
Lord Henry war tot. Philip Hasard Killigrew war als der Stärkere aus ihrem Ringen hervorgegangen. Doch er, Terry, hatte sich geschworen, daß in seinem Fall die Dinge anders verlaufen würden. Nicht er, sondern der Seewolf würde diesmal den kürzeren ziehen.
Der Seewolf hatte sich von Anfang an nicht getäuscht, als er Easton Terry genauso eingeschätzt hatte wie seinen damaligen Feind Lord Henry – die beiden hätten Brüder sein können. Terry war zu jeder Teufelei fähig, das hatte er bewiesen, und er empfand dabei nicht die geringsten Skrupel.
Einer der beiden, Hasard oder er, mußte früher oder später auf der Strecke bleiben. Die entscheidende Auseinandersetzung zwischen ihnen hatte noch nicht stattgefunden, aber sie war unabwendbar.