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1.

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Die Frau mit dem schulterlangen, dunkelbraunen Haar stand auf einem kleinen Balkon des Hauptgebäudes im Kastell, als das Schiff mit den vier Masten unter Vollzeug vor dem Westwind an der Hafenfeste vorbeisegelte.

Die Nacht hing schwer wie düsteres Blei über der Siedlung, die denselben Namen wie die Insel trug, auf der sie gegründet worden war: Sao Tomé. Aber das Licht des blassen Mondes reichte aus, um die Frau von ihrem erhöhten Standort aus erkennen zu lassen, wie die Galeone nun den Kurs änderte und in den Wind drehte. Ja, es war sogar zu sehen, wie die Segelfläche schrumpfte, wie die Besatzung Zeug wegnahm und schließlich das Schiff auf der Reede verharrte.

Es lag jetzt nicht mehr sehr weit von den Hafenanlagen entfernt. Die Segel hingen im Gei, und die Frau auf dem Balkon glaubte das Ausrauschen der Anker zu vernehmen. Die Anwesenheit der anderen Segelschiffe an den Piers und auf der Reede verblaßte neben der Erscheinung dieses imposanten Viermasters. Es mutete wie ein Wunder an, daß dieses Schiff den Weg hierher, in die parasitenverseuchte Hölle der Äquatorinsel, gefunden hatte.

„Endlich“, murmelte die Frau. „Endlich sind sie da. Allmächtiger Gott im Himmel, wie lange haben wir auf euch gewartet, Männer aus Cadiz …“

Lichtsignale wurden jetzt von Bord der Viermast-Galeone aus gegeben. Sie galten den Männern, die vor den Häusern an der Kaimauer zusammengelaufen waren, und sollten die Obrigkeit von Sao Tomé jeglichen Zweifels über den Namen, die Herkunft und die Bestimmung des großen Seglers entheben. Aber auch die Frau wußte die Zeichen zu deuten.

Sie atmete auf. „Wirklich, es ist die ‚Santa Catalina‘, sagte sie erleichtert. „Capitán Algaba, du bist unser Retter in der Not, aber du weißt ja nicht, was wir in den letzten Wochen durchgestanden haben.“ Ihre Züge verhärteten sich ein wenig. „Nun, das ist letztlich auch gut so. Vielleicht hättest du Sao Tomé unter irgendeinem Vorwand nicht angesteuert, wenn du auch nur geahnt hättest, was hier vorgefallen ist.“

Sie wandte sich um und trat durch die halboffene Tür in den dahinterliegenden Raum. Hier war die Luft noch einen Deut stickiger als im Freien, hier gab es nichts, was die drückende Schwüle aufrühren konnte. Selbst das Atmen fiel schwer. Der Mensch schien diesem grausamen Klima nicht gewachsen zu sein, und doch, er trotzte ihm auf unerklärliche Weise.

Aber dafür muß er Opfer bringen, dachte die Frau bitter, große Opfer. Afrika fordert seinen Tribut, und die Insel ist ein Gefängnis inmitten der Hölle.

Träge waren ihre Bewegungen. Die Hitze, die auch in der Nacht nie wich, ließ keine schnellen, entschlossenen Regungen zu. Die Frau trug nur ein leichtes, bodenlanges Hausgewand aus blaßroter Seide, das einzige, das sie in den letzten furchtbaren Tagen erduldete. Durch das Gewand konnte man gut ihre ausgeprägten Formen erkennen, es stellte mehr zur Schau, als es verbarg.

Und doch, dieser Fetzen Stoff schien an ihren Schultern zu zerren. Sie verspürte plötzlich einen unbändigen Drang, das Gewand abzustreifen, das Kastell zu verlassen und nackt durch die Gassen der Stadt zu laufen – zum Schiff, nur fort von hier, zum Schiff, schwimmend durch das halbwegs kühle Wasser zur „Santa Catalina“ und dann auf und davon durch die Nacht, menschenwürdigeren Gefilden entgegen.

Sie blieb stehen und dachte: Beherrsche dich. Du bist doch kein billiges Flittchen, kein Luder aus der Hafenkaschemme, das schreien und gestikulieren und sich Luft verschaffen darf, wo und wann es will. Oder willst du das wirklich?

Nein – ihr Stolz und ihre Erziehung verboten es ihr. Sie hielt ihren Kopf aufrecht und blickte durch das Dunkel des großen Zimmers zu den Bleiglasfenstern – matten hohen Rechtecken, die in die Schwärze der Nacht gestochen waren. Warum jetzt in Panik verfallen, dachte sie, jetzt, da doch alles vorbei zu sein scheint?

Sie rang sich ein Lächeln ab. Ja – trotz allem Erlebten waren ihr Lebenswille und ihr Mut ungebrochen. Sie war jung und hatte noch Forderungen an das Dasein, Erwartungen, die durch die bittersten Erkenntnisse und die größten Entbehrungen nicht zerstört werden konnten.

Sechsundzwanzig Jahre alt war sie, eine Frau in den blühendsten Jahren, wie man in Spanien sagte. Und die Natur hatte sie alles andere als benachteiligt, als es um die Verteilung der Schönheit und der ausgewogenen Proportionen gegangen war.

Ihre Haare flossen an den Schläfen und Wangen ihres schlanken Gesichtsovals vorbei und lagen weich auf ihren Schultern. Dunkle Augen blickten wach unter einer glatten Stirn und exakt gezeichneten Brauen hervor. Ihr Mund war von sinnlichem, beinahe zu empfindsamem Schwung, und hohe Jochbeine verliehen ihrer Physiognomie den Hauch des Exotischen.

Sie hob ihre Hände bis zur Taille und ließ sie langsam wieder über die Hüften abwärts gleiten. Ihr Körper – das Begehren der gesamten Hafengarnison war auf diese vollendeten Formen ausgerichtet. Traum und Wirklichkeit war sie für die Männer dort unten in der Stadt. Als Frau des Kommandanten von Sao Tomé war sie für das gemeine Fußvolk etwas Unerreichbares, und doch hatten sie sie ständig vor Augen, sahen sie hinter den Zinnen der Festung stehen und im Pferdewagen durch die Straßen fahren.

Jemand klopfte behutsam an die Tür des Zimmers.

„Bist du es, Sandra?“ fragte die Frau.

„Ja“, ertönte es vom Flur. „Schlafen Sie denn nicht, Dona Adriana?“

„Nein“, erwiderte Adriana Valiente etwas ungehalten. „Wie hätte ich dir sonst wohl antworten können? Nun komm schon herein und sag mir, was du auf dem Herzen hast.“

Sandra, die Zofe, öffnete die Tür und schlüpfte in den Raum. Sie hatte Mühe, ihre Aufregung zu verbergen. Sie war ein ausgesprochen schlankes, ja, fast hageres Wesen, von Natur aus ein bißchen schlaksig, gelegentlich sogar tolpatschig. Leicht verlegen blieb sie vor Adriana Valiente stehen, faltete umständlich die Hände und verdrehte sie.

„Senora – haben Sie das Schiff auch gesehen?“

„Natürlich habe ich es gesehen. Und ich kann dich jeden Zweifels entheben. Es ist die ‚Santa Catalina‘. Ich habe die Signale gelesen, die die Besatzung zum Hafen hin gegeben hat.“

„O Himmel, das ist also die Rettung, ehe wir alle zum Sterben verdammt werden …“

„Falls das Schiff die nötigen Arzneien und auch einen Mann an Bord hat, der unsere Kranken behandeln kann, ja.“

Sandra befeuchtete die Lippen mit der Zungenspitze und legte den Kopf ein wenig schief. „Falls? Aber Dona Adriana, Ihr Gatte und der Hafenkapitän Alvaro Broviras – der Herr sei seiner armen Seele gnädig – haben doch vor zwei Monaten einem portugiesischen Handelssegler, der hier Station einlegte, die geheime Nachricht an Cadiz mit auf den Weg gegeben, daß …“

„… daß auf Sao Tomé dringend Hilfe benötigt wird“, vervollständigte Adriana den gehaspelten Satz ihrer Zofe. „Daß nur Cadiz uns mit Heilmitteln, mit einem kundigen Arzt, mit unverseuchtem Trinkwasser versorgen kann. Und daß Alvaro Broviras und Joaquin Barba Valiente vorschlügen, die ‚Santa Catalina‘ solchermaßen auszurüsten, von der wir wußten, daß sie seinerzeit zum Auslaufen bereit im Hafen von Cadiz lag. Der Kapitän des Schiffes, Enrique José Algaba, ist ein Freund von Broviras gewesen, und gerade dieser Umstand verpflichtet ihn letztlich auch moralisch, etwas für uns zu tun. Nun, der portugiesische Handelssegler, dessen Kurs weiter nach Irland führte, scheint Cadiz tatsächlich erreicht und sein Kapitän die streng vertrauliche Botschaft an die Autoritäten überbracht zu haben. Doch wer garantiert uns, daß Algaba auch wirklich alles Erforderliche hat mitnehmen können?“

„Aber Senora“, hauchte Sandra entsetzt.

Adriana Valiente lächelte. „Schon gut, schon gut, laß dich von meiner Skepsis nur nicht anstecken. Hast du auch nach Don Joaquin gesehen?“

„Selbstverständlich.“

„Wie geht es ihm?“

„Er schläft nach wie vor.“

„Ohne Unterbrechung?“

„Ohne auch nur einmal aufzuwachen …“

„Und das Fieber dauert an“, sagte Adriana. „Der Schlaf trägt nicht zu seiner Genesung bei – im Gegenteil. Was ist das für eine tückische Krankheit, Sandra, die meinen Mann in einen so tiefen, ohnmachtsähnlichen Schlaf geworfen hat, aus dem er seit Wochen nicht mehr aufwacht?“

„Ich weiß es nicht.“

„Er schläft und zuckt manchmal wie unter Peitschenhieben, ohne jedoch die Augen aufzuschlagen. Das Fieber treibt ihm den Schweiß aus den Poren, läßt ihn zittern, schwächt ihn. Er kann keine Nahrung zu sich nehmen.“

„Es ist schrecklich, Dona Adriana.“

„Wenn Capitán Algaba und die anderen Männer der ‚Santa Catalina‘ die Festung betreten, führst du sie sofort in das Zimmer meines Mannes, Sandra.“

„Si, Senora. Kennen Sie Capitán Algaba persönlich?“

„Nein. Und was soll die Frage?“

„Gar nichts …“

„Dann behalte die nächste Frage dieser Art, die dir auf der Zunge liegt, gefälligst für dich. Und lege mir eines meiner Kleider bereit, damit ich die Männer der Galeone in angemessener Form begrüßen kann. So, wie ich jetzt angezogen bin, kann ich ihnen unmöglich gegenübertreten.“

„Ja, Senora.“

Adriana blickte der Zofe nach, als diese den Raum verließ und die Tür hinter sich schloß. Sandra hatte sich nur erkundigt, ob ihre Herrin den Kapitän der „Santa Catalina“ kannte, aber damit hatte sie schon an eine Wunde gerührt – sie war nun schon lange genug auf Sao Tomé und wußte natürlich, daß die Ehe der Valientes nicht die beste war und die schöne Adriana gegen eine interessante Bekanntschaft außer Haus nichts einzuwenden gehabt hätte.

Don Joaquin, dachte Adriana, ich wünsche dir nichts Böses, aber ich kann dich auch nicht bedauern, denn du hast mich zu schlecht behandelt. Vielleicht wirst du ewig schlafen und ins Jenseits hinüberdämmern, ohne mich noch einmal an dein Lager rufen zu können. Ich finde, das wäre so am besten für uns beide, und ich verspreche dir, daß ich nachholen werde, was ich versäumt habe, falls du das Zeitliche segnen solltest.

„Santa Catalina“ – der Name der schweren Viermast-Galeone grüßte in geschwungenen Lettern von ihrem Steuerbordbug zu den Besuchern herüber und schien in der Dunkelheit fast übergangslos in den Verzierungen der Bordwand und dann nach achtern zur Galerie auszulaufen.

Die Galerie umspannte massiv und gewichtig die gesamte Heckpartie des Schiffes. Sie wurde von schnörkeligen Löwenfiguren gestützt, die aus Holz geschnitzt und mit einem goldenen Anstrich versehen waren. Über der Balustrade ragten die erleuchteten Fenster des Achterkastells auf, und noch weiter darüber erhoben sich die Aufbauten bis zum stolz nach achtern aufstrebenden Oberdeck der Hütte.

Der Segundo Noberto Llamas, ein zweiter Offizier ohne Furcht und Tadel, ließ seinen Blick über den Rumpf des mächtigen Schiffes wandern, bevor er ganz nach vorn in den Bug der einmastigen Schaluppe stieg und sich anschickte, an der Jakobsleiter des Seglers aufzuentern.

Längst war die Jakobsleiter an Steuerbord der „Santa Catalina“ ausgebracht worden. Oben vom Schanzkleid winkten die Soldaten und Seeleute dem Begrüßungskomitee freundlich zu.

Die Schaluppe, deren Großsegel und Fock nun ins Gei gehängt wurden, gehörte dem Hafenkapitän von Sao Tomé. Llamas trat als sein Stellvertreter auf – aus zwingenden Gründen sozusagen.

Llamas spürte, wie sein Herz schneller klopfte. Da war sie, die langersehnte „Santa Catalina“, noch erschien ihm ihre Ankunft wie ein Traum. Wichtiges mußte sie an Bord haben, Proviant und Trinkwasser, die die zweifellos infizierte Nahrung der Inselbewohner ersetzen sollten. Einen Arzt hoffte Llamas zu sehen, einen auf Tropenkrankheiten spezialisierten und mit modernsten Arzneien ausgerüsteten studierten Mann, der die. Garnison heilen sollte.

„Warum“, so würde der Capitán Algaba zweifellos fragen, „warum haben Sie die Insel nicht evakuieren lassen, Segundo?“

Nun, darauf gab es eine sehr plausible Antwort. Ein Teil der Zivilbevölkerung war zu den Kolonien des schwarzen Kontinents hinübertransportiert worden, aber wer Besitz auf Sao Tomé hatte, war geblieben. Und die Offiziere und Soldaten konnten diesen verfluchten Flecken Erde nicht verlassen, denn sie hatten den ausdrücklichen Befehl, hier, auf diesem vorgeschobenen und strategisch so wichtigen Posten mitten im Atlantik, die Stellung um jeden Preis zu halten.

Aber ohne Hilfe konnte Sao Tomé nicht mehr lange existieren. Ein erbarmungslos heißer Sommer und Myriaden von Dschungel-Ungeziefer, die über die Siedlung und den Hafen hergefallen waren, hatten die spanischen Besatzer in die Knie gezwungen.

Die Kapitäne der Schiffe, die an den Piers oder auf der Reede lagen, waren samt dem Großteil ihrer Offiziere und Mannschaften nicht mehr imstande, einen Segler vorschriftsmäßig zu manövrieren. Sie waren also zum Hierbleiben verdammt.

Aber auch das war streng geheimgehalten worden.

Sao Tomé galt als eine uneinnehmbare Bastion. Ihr Hafen konnte durch eine riesige Eisenkette zur offenen See hin abgeriegelt werden, und die Festung mit ihren Kanonen hatte bisher noch jedem Angriff getrotzt.

Aber nur ein elender Pirat brauchte von dem Mißgeschick zu erfahren; das Sao Tomé getroffen hatte, dann war es um diese Kolonie geschehen. Mit einer Handvoll von wild entschlossenen Kerlen konnte ein Freibeuter-Kapitän hier sehr schnell aufräumen und das Kommando an sich reißen. Damit hatte er dann eine Insel unter der Fuchtel, von der aus er so manchen spanischen Schiffsverband aufbringen und kapern konnte.

Falls er nicht an den Krankheiten zugrunde geht, dachte der Segundo Noberto Llamas, als er aufenterte. Die Schaluppe war längsseits der Galeone gegangen. Llamas war als erster Mann der fünfköpfigen Schaluppenbesatzung in die Querhölzer der Leiter gestiegen.

Llamas legte sich schon sämtliche Worte zurecht, mit denen er die Landsleute begrüßen und den Kapitän José Algaba über die prekäre Situation unterrichten würde. Broviras, der Hafenkapitän, hatte diesen Mann persönlich gekannt und ihn aus diesem Grund ja auch von Cadiz bis hier herüber gelotst. Llamas jedoch, der nicht aus Cadiz stammte wie Broviras und Algaba, sondern aus Valencia, mußte dieser Schiffsführer erst noch vorgestellt werden.

So kletterte Llamas auf die Berghölzer der „Santa Catalina“, richtete sich zu seiner vollen Körpergröße auf, schob sich mit dem Leib über die Oberkante des Schanzkleides und zog zuletzt die Beine nach.

Die Soldaten der Galeone griffen ihm hilfreich unter die Arme und stellten ihn auf die Planken der Kuhl.

Llamas atmete tief durch und sagte: „Danke. Ich will sofort zu eurem Kapitän geführt werden.“

„Si, Senor“, antwortete der eine Soldat. „Sofort, Senor.“ Irgendwie kam es dem Segundo so vor, als schwänge ein ironischer Unterton in dieser Stimme mit, aber er dachte nicht weiter darüber nach, weil die Soldaten ihn ausgesprochen ehrerbietig zum Steuerbordniedergang des Achterkastells geleiteten.

Llamas hatte den Niedergang halb bewältigt, da trat ihm oben der Mann entgegen, den er aufgrund der Kleidung als den Kapitän identifizierte. Die Perücke schien ihm etwas zu groß geraten zu sein, sie hing ihm lockig in die Stirn und reichte ihm fast bis auf die Schultern. Auch der Rest seiner Montur saß schlecht und wirkte zu weit – doch Noberto Llamas stieß sich auch daran nicht, denn er räumte ein, daß ein Kapitän während einer einmonatigen Überfahrt erheblich an Körpergewicht verlieren konnte.

„Buenas tardes“, sagte Noberto Llamas. Er war bemüht, den erforderlichen Schneid in seine Stimme zu legen. „Guten Abend, Capitán, und herzlich willkommen auf der Insel Sao Tomé. Sicher wundern Sie sich, daß nicht Capitán Alvaro Broviras persönlich hier an Bord Ihres Schiffes erscheint – Capitán Algaba.“

„Ich bin auch mit seinem Stellvertreter zufrieden.“

„Llamas ist mein Name – Noberto Llamas.“

„Hocherfreut, Senor Llamas. Ich muß sagen, ich bin froh, Sao Tomé endlich erreicht zu haben.“

„Lassen Sie mich erklären, was mit dem Capitán de Puerto, Alvaro Broviras …“

„Später“, unterbrach der Kapitän. „Halten wir uns nicht mit Förmlichkeiten und Floskeln auf, Senor Llamas. Ich sagte doch, auch der Stellvertreter des Hafenkapitäns ist mir ein angenehmer Gast auf meinem Schiff. Rufen Sie jetzt Ihre vier Bootsgasten herauf, Senor.“

„Alle vier?“ fragte der Segundo verwundert.

„Ich habe ihnen etwas zu übergeben.“

„Etwas Schweres?“

„Das kann man sagen“, erwiderte Enrique José Algaba mit sparsamem Lächeln.

Llamas glaubte zu verstehen, denn er rechnete damit, daß der Kapitän der Galeone den Männern der Schaluppe eine Last aushändigen würde, die man nicht einfach in den Einmaster abfieren konnte – beispielsweise Arzneimittel in zerbrechlicher Verpackung, die behutsam in die Schaluppe hinuntergemannt werden mußten.

Die vier Männer hatten kaum die Kuhl der Galeone betreten, da begriff Noberto Llamas seinen furchtbaren Irrtum. Das Lächeln in den Gesichtern der Algaba-Leute verwandelte sich in ein höhnisches Grinsen, sie traten plötzlich von allen Seiten auf den Segundo und seine Begleiter zu. Ehe die fünf es sich versahen, hatten die Soldaten und Seeleute der „Santa Catalina“ zugepackt. Sie hielten die Männer der Schaluppe fest, rangen sie nieder und wollten sie fesseln.

Llamas stöhnte auf. Er versuchte, seinen Degen oder seine Pistole zu zücken, wollte schreien und Alarm zum Ufer hin geben.

Aber der Kapitän des Viermasters trat dicht vor ihn hin und hob einen Belegnagel. Zwei Kerle klammerten sich an Noberto Llamas fest, ein dritter stürzte hinzu, schlang ihm einen Arm um den Hals und preßte ihm mit der Hand den Mund zu.

Llamas brachte nur noch einen erstickten Würgelaut zustande.

Der Kapitän, der nie und nimmer der echte Enrique José Algaba sein konnte, sagte: „Ja, Senor Llamas, wir haben Ihnen wirklich etwas Schweres zu übergeben. Etwas Gewichtiges, meine ich.“

Mit diesen Worten hieb er zu.

Noberto Llamas glaubte das Kastell von Sao Tomé bersten zu sehen. Rotwabernde Glut zuckte aus den auseinanderklaffenden Trümmern hervor, und monströse Wesenheiten des Dschungels sprangen ihn aus dem Feuer an. Gesprungene Bronzeglocken läuteten mit dissonantem Klang zu seinem Untergang. Dann, endlich, versank alles in erlösender Finsternis.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 132

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