Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 132 - Roy Palmer - Страница 5

2.

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Unbeobachtet und völlig unbehelligt glitt zur selben Zeit ein Schiff aus Richtung Südwesten an die große Südbucht der Insel Sao Tomé heran, das zwar einen Mast weniger als die „Santa Catalina“ führte, sich sonst jedoch in jeder Weise mit der spanischen Galeone messen konnte.

Von der Konstruktionsweise her war auch dieser Segler eine Galeone, aber seine Kastelle waren flacher, als man es normalerweise bei Schiffen dieser Klasse sah. Auffallend waren weiterhin die drei überhohen Masten mit der großen Segelfläche sowie das Ruderhaus; das der Hersteller auf dem Quarterdeck errichtet hatte. In diesem Ruderhaus gab es ein richtiges Ruderrad, der Kolderstock gehörte hier schon längst der Vergangenheit an.

Auch die Kanonen des Dreimasters waren nicht von der herkömmlichen Art. Dem Kaliber nach 17-Pfünder-Culverinen, waren diese Geschütze mit übermäßig langen Rohren versehen, die ein genaues Zielen auf die Distanz von über einer Seemeile ermöglichten. Acht solcher Kanonen waren auf jeder Seite der Kuhl mit Brooktauen festgezurrt, und auf der Back und auf dem Achterdeck verfügte das Schiff zusätzlich über je zwei Drehbassen, also Hinterlader.

Auch mit dem Namen dieses Seglers hatte es etwas ganz Besonderes auf sich. „Isabella VIII.“, das klang spanisch, und spanisch war das Wort seiner Herkunft nach auch. Aber eben nur das Wort. Die Galeone selbst unterstand dem Kommando eines Mannes, dessen Name dem Englischen entstammte – Philip Hasard Killigrew. Ein reinblütiger Engländer war aber auch er nicht, vielmehr der Sohn eines Malteserritters deutscher Herkunft und einer spanischen Adligen.

Und so war auch Englands Sache zur See nicht uneingeschränkt seine Angelegenheit, wenn auch der Großteil der Crew aus „echten“ Engländern bestand. Als Freibeuter empfanden sie sich in erster Linie, als Gegner der Weltmacht Spanien-Portugal – und als Rebellen.

Was war das für eine seltsame Mannschaft, die sich einbildete, Spanien und der Armada mit zwanzig Kanonen trotzen zu können? Ein Haufen Verrückter? Eine Handvoll verzweifelter Galgenstricke, die nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen hatten?

Keineswegs. Sie hingen an ihrem Leben wie jeder Mensch, sie sehnten sich nach ihrem England, das sie nun schon einige Jahre nicht mehr gesehen hatten, und sie hatten ein verdammtes Verlangen, nach einem vernünftigen Landgang in der „Bloody Mary“ des Nathaniel Plymson in Plymouth mal wieder eine Runde auszuraufen.

Und außer ihrem Leben und ihren Sehnsüchten hatten sie noch einiges zu verlieren – die „Isabella“ beispielsweise, die sie gemeinsam mit Hasard von ihren Beutegeldern gekauft hatten. Oder die immensen Schätze, die in den drei Frachträumen des Schiffes ruhten und an denen jeder der zweiundzwanzig Männer seinen Anteil hatte.

Also waren sie nicht blindlings darauf aus, sich mit jedem Spanier anzulegen, der ihren Kurs kreuzte. Sie wußten sorgsam abzuwägen und hatten die nötige Umsicht, die eine Crew zu einer guten Crew stempelte und sie davon abhielt, unbedachte Handlungen zu begehen.

So hatte der Seewolf sich in der Nähe der Walfisch-Bucht zwar von Lucio do Velho, seinem Gefangenen, hereinlegen lassen, aber die Crew war beherrscht genug gewesen, keinen hitzigen Ausfall gegen den bornierten portugiesischen Kommandanten zu unternehmen. Dies hatte letztlich zu einem Sieg der Seewölfe auf der ganzen Linie geführt.

Sie konnten do Velho und dessen Bootsmann Ignazio jetzt vergessen. Eigentlich hätten sie zu dieser Stunde schon wieder von England träumen können, denn der Seewolf setzte alles daran, die „Isabella VIII.“ so rasch wie möglich nach Hause zu steuern. Westafrika war fast erreicht – und doch, da waren ein paar Kleinigkeiten, die zu einer erneuten Verzögerung führten.

„Eine Zwangspause“, sagte Ben Brighton. Er trat an die Schmuckbalustrade und ließ die Hände auf die obere Querleiste sinken. „Himmel, und das ausgerechnet jetzt, da wir den Äquator noch nicht richtig überquert haben. Der Teufel soll diese elenden Tropen holen.“ Er wischte sich mit einer Hand durchs Gesicht. Seine Finger wurden naß. Obwohl er wie die anderen Männer der Crew mit nacktem Oberkörper auf Deck stand und obwohl es Abend geworden war, drang ihm der Schweiß aus allen Poren.

Hasard trat neben seinen Bootsmann und ersten Offizier. „Wir sind über den Äquator weg, Ben. Und gerade seinetwegen sind wir ja dazu verdonnert, in diese Bucht hier zu verholen.“

„Und wegen des Windes“, gab Ben zu bedenken.

„Schön, der beständige Westwind hat uns daran gehindert, weiter nach Nordwesten abzulaufen und den Golf von Guinea nur zu streifen“, entgegnete der Seewolf. „Wir segeln zu nahe an der Küste entlang und beschreiben einen Umweg statt einer Abkürzung. Aber das Salz wäre trotzdem zerlaufen, und auch die übrigen Vorräte wären uns verschimmelt. Das letzte Trinkwasser mußte in den Fässern faulen, es war unabwendbar und praktisch vorauszusehen. Erinnerst du dich nicht mehr an den Amazonas, Ben?“

„Und ob.“

„Na also. In der Äquatorzone herrscht gerade um diese Jahreszeit eine unerträgliche Hitze — auch weiter im Westen.“

„Und der Kutscher hat nicht übertrieben?“

Hasard schüttelte den Kopf. „Ich habe die Vorräte selbst kontrolliert, um hundertprozentig sicherzugehen. Wir können es dem Kutscher nicht anlasten, daß Proviant und Wasser verdorben sind.“

„Das hatte ich auch gar nicht vor, Sir!“

„Andererseits war seine Warnung, wir würden vor dem Erreichen des afrikanischen Festlandes entweder verdursten oder verhungern, auch keine bloße Unkerei“, sagte der Seewolf ernst. „Es braucht nur eine Widrigkeit einzutreten, ein Sturm oder eine unliebsame Begegnung mit den Dons zum Beispiel, und wir sind verraten und verkauft.“

Ben blickte nach vorn. Al Conroy hatte sich auf der Galionsplattform niedergelassen. Er arbeitete mit dem Lot und sang fortwährend die Wassertiefe in der Bucht aus. Carberry gab seine barschen Kommandos. Es wurde immer mehr Segelfläche weggenommen, bis die „Isabella“ in einem Abstand von weniger als einer Kabellänge vor dem Ufer im Wind lag und der Bug- und der Heckanker fünf Faden tief ausrauschten, bevor sie auf Grund trafen.

„Aber ausgerechnet die Insel“, sagte Ben Brighton. „Ich kann das Mangrovendickicht mit bloßem Auge erkennen, es wuchert ja weit genug ins Wasser. Das eigentliche Land hingegen kann man nicht sehen. Mann, es dauert eine halbe Ewigkeit, bis wir in diesen Urwald einen Pfad getrieben haben. Und …“

„Wir haben gerade keine andere Insel greifbar, Mister Brighton“, unterbrach ihn Hasard jetzt ziemlich rauh. „Da müssen wir also in den sauren Apfel beißen, ausgerechnet hier nach einer Trinkwasserquelle Ausschau zu halten und so viel Wild zu jagen, daß uns eine problemlose Überfahrt bis zur westafrikanischen Küste gesichert ist. Ben, mir stinkt das genauso wie dir und den anderen, aber wir haben keine andere Wahl.“

„Natürlich nicht. Ich will mich ja auch nicht bei dir beschweren.“

„Sondern?“

„Mir bloß ein wenig Luft verschaffen.“

„Dann geh gefälligst auf die Galionsplattform und blase dort deinen Unmut ab“, entgegnete Hasard, wobei er auf das stille Örtchen der Seeleute anspielte.

Ben schluckte die Bemerkung, ohne mit der Wimper zu zucken. Wieder wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Soll ich dir verraten, nach was mir zumute ist?“

„Wetten, daß ich es weiß? Klirrender Frost und eisiger Wind, wie er im Dezember durch Cornwall fegt – und Schnee, so hoch, daß man bis zu den Schultern darin eintauchen kann.“

„Donnerwetter“, sagte der wackere Ben mit echtem Erstaunen. „Kannst du neuerdings Gedanken lesen?“

Hasard grinste schief. „Mann, dazu gehört doch nun wirklich kein Scharfsinn.“

Sie gingen zur Back, stiegen den Niedergang hinauf und trafen sich mit Smoky, Al Conroy, Ferris Tukker, Shane, den beiden O’Flynns und den anderen, die von hier aus zu dem überwucherten Ufer hinüberblickten.

„Verdammt“, murmelte der alte O’Flynn. „Wenn ich da an Kalimantan denke …“

„Du sollst aber nicht an Kalimantan denken“, erwiderte Hasard sehr ruhig und in fast gedämpftem Tonfall. „Wir grübeln am besten über gar nichts nach und fieren ein Boot ab, mit dem wir uns auf die erste Inspektionsreise begeben. Wird schon in’s Auge gehen, die Sache, was, Donegal? Also, wer von euch Helden hat die Hosen noch nicht so voll, daß er sich freiwillig melden kann? Oder wollt ihr, daß ich allein lospulle?“

Das saß. Außer Arwenack, dem Schimpansen, und Sir, John, dem karmesinroten Aracanga, rissen alle die Arme hoch.

Carberry blickte sich zu dem Kutscher um, der erst vor kurzem die Kombüsenfeuer gelöscht und sich zu den Männern auf Oberdeck gesellt hatte. Im Narbengesicht des Profos’ arbeitete es, er hatte was vor, und das wirkte ungefähr so, als wolle er den bedauernswerten Kutscher mitsamt dessen Mütze und dessen ausgefransten Segeltuchhosen verschlingen.

„Nun mal ’raus mit der Sprache, du Knochenflicker und Leichengeier“, sagte Carberry. „Was erwartet uns noch alles auf dieser Scheißinsel – außer wilden Tieren, menschenfressenden Pflanzen, Schlinglianen, Fallen, Kannibalen und Kopfjägern?“

„Da habe ich nicht die geringste Ahnung.“

„Du weißt doch sonst immer alles, du Kombüsenfurz. Beispielsweise, wie dieses Stück Dschungel mitten im Atlantik heißt.“

„Sao Tomé“, erklärte der Kutscher. „So wurde die Insel von ihren Entdekkern, den Portugiesen, getauft. An der Ostseite befindet sich in der Tat ein Hafen mit demselben Namen. Dort soll auch eine Festung der Spanier sein.“

„Aber die laufen wir nicht an, weil es dort zu heiß für uns werden könnte“, sagte der Profos. „Wir wissen nicht, wie stark die Dons dort sind, wie viele Schiffe sie im Hafen liegen haben, wie viele Kanonen das Kastell hat. Das leuchtet mir ein. Aber hier – was passiert uns hier?“

„Ich frage mich, ob es für uns überhaupt noch heißer werden kann“, warf Matt Davies ein. „Ich komme mir vor wie einer, der im türkischen Dampfbad sitzt und nicht mehr ’raus kann.“

„Lieber ein Pfund abschwitzen, als von den Dons nach Strich und Faden zusammengeschossen zu werden“, sagte Bob Grey.

„Davies und Grey“, fuhr der Profos sie an. „Wer hat euch nach eurer unmaßgeblichen Meinung gefragt?“

„Keiner“, murrte Matt Davies. „Aber du weckst mit deinem Gebrüll noch den ganzen Dschungel auf, trommelst die nackten Wilden zusammen, machst die Raubtiere mobil und lockst uns ein Heer von Dons auf den Pelz, Profos.“

Wider Erwarten ging Ed Carberry nicht in die Luft. Er legte dem Kutscher nur seine rechte Pranke auf die Schulter und lächelte so freundlich wie ein hungriger Hai. „Aber, aber, wer wird denn gleich den Teufel an die Wand malen, Leute! Es brauchen ja nicht überall dort, wo ein paar lächerliche Mangroven wachsen, auch gleich mordende Heckenschützen und gierige Bestien zu lauern. Es könnte zur Abwechslung ja auch mal friedlich zugehen. Was meinst du, Kutscher? O, ich glaube einfach nicht, daß sie uns mit Giftpfeilen spicken und uns die Köpfe abhacken, daß wir in Fallgruben versinken oder von Ungeheuern gefressen werden.“

„Um festzustellen, was auf uns wartet, müssen wir die Insel erst einmal erkunden“, entgegnete der Kutscher. Er grinste plötzlich verwegen. „Sir, ich melde mich nicht nur freiwillig – ich bitte auch darum, mitgenommen zu werden. Ich als Koch und Feldscher der ‚Isabella‘ will nur das Beste für die Crew und habe es satt, dauernd mißverstanden zu werden. Ich halte gern für jeden meinen Kopf hin, wenn es darauf ankommt, Sir.“

„Ich finde, es hat keiner einen Grund, sich über dich zu beklagen“, antwortete der Seewolf. „Aber deswegen lehne ich dein Anerbieten nicht ab. Es ist mir sogar recht, daß du mich begleitest.“

Carberry musterte den Kutscher verblüfft von der Seite. „Hoppla, jetzt fühlt sich unser Kombüsenhengst und Quacksalber doch wohl nicht aufs Hemd getreten? He, Kutscher, sag bloß, du bist richtig sauer …“

„Unsinn, Ed.“

„Ach, und ich dachte schon …“

„Ed“, sagte der Kutscher mit sparsamem Grinsen. „Wir haben nun so ziemlich alles herbeizitiert, was an Gefahren auf uns lauern kann. Nur die Krankheiten haben wir vergessen – dabei brüten gerade um diese Zeit die schlimmsten Erreger im Regenwald und warten nur darauf, sich auf uns zu stürzen. Wir können uns das Sumpffieber wegholen, die Schlafkrankheit, das Gelbfieber, die Amöbenruhr, Frambösie, Mykosen oder die gefürchtete Lepra. Es gibt Hakenwürmer und Guineawürmer, von Giftschlangen und anderen lieben Tierchen ganz zu schweigen.“

„Und die Piranhas? Die hast du vergessen.“

„Die gibt’s nur in der Neuen Welt.“

„Aha, da fällt mir ja ein Stein vom Herzen“, erwiderte der Profos. „Kutscher, mir hat deine Rede so imponiert, ich möchte an deiner Seite sein, wenn die Ungeheuer über uns herfallen.“ Er wandte sich an den Seewolf. „Sir, ich stelle den feierlichen Antrag, auch mitpullen zu dürfen.“

„Genehmigt“, sagte Hasard.

Der Segundo Noberto Llamas schlug die Augen auf und hatte sofort einen sehr konkreten Begriff davon, was vorgefallen war, wo er sich befand und was ihm aller Wahrscheinlichkeit nach nun bevorstand. Da waren keine Sekunden geistiger Abwesenheit, keine verständnislosen Blicke, die er um sich warf – er war sofort voll bei Sinnen und konnte sich an alles erinnern. Vielleicht lag das an den sehr wirklichkeitsnahen Schmerzen, die seinen Schädel durchtobten.

Der Kapitän der „Santa Catalina“ hockte neben ihm oder genauer, über ihm, denn Llamas lag quer zwischen den Duchten der einmastigen Schaluppe, und der Kerl, der ihn niedergeschlagen hatte, hatte sich auf einer dieser Duchten niedergelassen.

Er lächelte dünn, aber seine Augen lächelten nicht mit. Llamas rief sich noch einmal ins Gedächtnis zurück, daß dieser Kerl unmöglich der Kapitän Enrique José Algaba sein konnte.

„Wer bist du?“ stieß der Segundo hervor.

„Schrei nicht“, entgegnete der Kerl mit der Perücke und der Montur eines spanischen Schiffsführers. „Wir sind den Piers nahe und man könnte dich hören.“ Er zog bedächtig sein Messer und legte die Klinge auf die Fingerkuppen der linken Hand, während er das Heft mit der rechten hielt.

„Wer bist du?“ flüsterte Llamas.

„Beantworte zuerst du meine Fragen.“

„Der Teufel soll dich holen, wenn du mich nicht sofort freiläßt“, ächzte Llamas. „Meine Hände sind gefesselt. Was ist mit meinen vier Männern geschehen?“

Das Messer war seiner Kehle plötzlich bedenklich nahe. Unwillkürlich hielt der Segundo den Atem an.

„Halte dich an die Spielregeln“, zischte der vermeintliche Algaba. „Sonst erreichst du das Ufer nicht mehr, sondern nur noch den Grund der Hafenbucht, und zwar als Leichnam.“

„Ich – werde antworten.“

„Wo steckt der Hafenkapitän?“

„Er ist tot.“

„Broviras? Ha, das geschieht ihm recht. Er war ein elender Bastard, dessen Aufenthalt auf der Welt eine totale Fehlplanung gewesen sein muß. Ein unnützer Fresser und Luftverpester.“ Der Kerl mit dem Messer lachte leise auf. „Woran ist der Hund denn krepiert?“

„An der Gelbsucht“, sagte der Segundo wahrheitsgemäß. „Ganz Sao Tomé ist von dieser und anderen Krankheiten befallen. Die halbe Stadt siecht dahin. Es ist die Hölle.“

„Das lügst du.“

„Nein. Ich habe keinen Grund dazu.“

„Du willst mich einschüchtern!“ stieß der Kerl auf der Ducht aus. „Aber mit einem so billigen Trick verscheuchst du mich nicht von hier. Ich schätze, die Bewohner dieses idyllischen Fleckchens Erde erfreuen sich blühender Gesundheit, und genauso müßte es um die Finanzen der Stadt bestellt sein, wenn ich mich nicht irre.“

„Was hast du vor?“

„Ahnst du das nicht?“

Noberto Llamas’ Augen weiteten sich, und er spürte seine Schmerzen plötzlich nicht mehr. „Doch, ich ahne es. Was habt ihr mit — mit dem wirklichen Algaba gemacht, nachdem ihr die ‚Santa Catalina‘ geentert und an euch gerissen hattet?“

Der falsche Kapitän lächelte grausam. „Ich muß sagen, der nicht ganz offizielle Stellvertreter des Hafenkapitäns von Sao Tomé ist kein Dummkopf. Er hat genug Phantasie, um sich ausmalen zu können, was geschehen ist. Nun, wir haben Algaba und einen Teil seiner Drecksmannschaft aus dem Weg geräumt, aber den Rest des Haufens haben wir mit einem Boot davonziehen lassen.“

„Das ist eine Lüge …“

„Sag das nicht noch mal“, zischte der Mann auf der Ducht, der nicht besonders groß von Gestalt war und doch ausladende Schultern und eine wuchtige Statur hatte. Sein Messer senkte sich wieder bedrohlich auf Llamas’ Gurgel.

„Was habt ihr mit den armen Teufel getan?“ würgte der Segundo hervor.

„Denk, was du willst“, erwiderte der Pirat ungerührt. „Jedenfalls haben wir unser eigenes Schiff, das während des Gefechts stark angeschlagen worden war, kurzerhand versenkt. Die ‚Santa Catalina‘ ist nun unser Segler, und sie genügt uns, um ganz Sao Tomé das Fürchten beizubringen – das schwört dir Manuelito, Segundo.“

Llamas schloß in ohnmächtiger Wut die Augen. Manuelito – einer der gefürchtetsten Freibeuter des Golfes von Guinea! Ein gebürtiger Spanier, ein Verräter und Abtrünniger, der einst in der Armada gedient hatte und jetzt als gnadenloser Seeräuber all das ausnutzte, was er seinerzeit gelernt hatte.

„Ich sehe, mein Name verfehlt seine Wirkung nicht“, sagte Manuelito. „Das erfüllt mich mit Stolz, Segundo. Und wie brav ihr auf unsere Lichtsignale hereingefallen seid! Ich brauchte nur ein wenig in den Büchern von Algaba herumzustöbern, um die richtigen Zeichen zusammenzustellen und euch bei meiner Ankunft im Hafen hereinzulegen.“

„Ich habe schimpflich versagt“, flüsterte Llamas. „Töte mich, Manuelito!“

„Ich denke nicht daran. Willst du Selbstmord begehen? Versuche es. Ich glaube nicht, daß du es tust.“

Für einen Moment war der Segundo versucht, sich in das Messer des Piratenführers zu stürzen, aber dann siegte doch der Selbsterhaltungstrieb, ein geradezu übermächtiger Instinkt. Noberto Llamas preßte die Lippen zusammen, um nicht zu schreien. Die Niederlage war vollkommen und hätte schmählicher nicht sein können.

„Broviras kannte den richtigen Algaba persönlich“, sagte Manuelito leise. „Aber Broviras ist tot, und es gibt keinen Menschen in der Stadt, der den Schwindel aufdecken könnte. Außer dem Stadtkommandanten Barba Valiente vielleicht. Aber der hockt oben in seiner Burg und läßt sich von seiner schönen Frau streicheln. Von diesem Rasseweib! Ist es so, Segundo?“

„Du kennst dich anscheinend hervorragend aus.“

„Ich träume schon lange davon, Sao Tomé in meinen Besitz zu bringen. Ich weiß fast alles über die Insel, über das Kastell, über die Schätze, die in seinen Kellern liegen. Segundo, es war eine Fügung des Schicksals, daß ich die ‚Santa Catalina‘ aufbrachte, daß ich in der Kapitänskammer den geheimen Auftrag fand, aus dem nicht mehr hervorgeht, als die Tatsache, daß die Viermast-Galeone von Cadiz nach Sao Tomé unterwegs war …“

„Wegen der Urwaldseuchen, Manuelito“, unterbrach ihn Llamas.

„Du lügst.“

„Also gut, ich lüge.“

Manuelito grinste breit und häßlich. „Hör mir gut zu, Hombre. Caranza, meine rechte Hand, und sechs weitere Männer meiner Meute befinden sich als Offiziere und Soldaten verkleidet in dieser Schaluppe. Außerdem wären da deine vier Getreuen. Die Piers sind nahe, und mit ihnen die vielen Neugierigen, die sich wundern würden, wenn sie eure Handfesseln sähen.“

„Sie würden sich gehörig wundern, Manuelito.“

„Ich schneide euch die Fesseln auf“, sagte der Pirat. „Und du setzt deinen vier Compadres auseinander, daß es besser sei, nach unseren Anweisungen zu handeln. Wenn nicht, dann jagen wir jedem von euch ein Messer zwischen die Rippen und veranstalten auf den Piers ein Massaker.“

„Davor würdet ihr nicht zurückschrecken“, sagte Llamas mit einer Stimme, die ihm selbst fremd und unnatürlich erschien.

„Also kann ich dich jetzt Von dem Tauende befreien?“

„Ja.“

„Du wirst keinen Fluchtversuch unternehmen und keinen Alarm schlagen?“

„Ich verspreche dir, daß ich mich nicht wie ein Narr benehmen werde“, sagte der Segundo. Er atmete flach und unregelmäßig, und. ihm war elend zumute, hundeelend.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 132

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