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Es waren erbarmungswürdige Gestalten, die der Ausguck im Großmars der Viermast-Galeone „Candia“ an diesem milden, sonnigen Junimorgen 1587 in einem Boot an der südlichen Kimm erblickte. Eben erst waren sie aufgetaucht, so unvermittelt, als hätte es sie vorher nie gegeben, aber schon vermochte der Ausguck auf seinem luftigen Posten die Einzelheiten ihrer Gesichter auseinanderzuhalten. Die Luft war klar, der Wind aus Nordwesten hatte die milchigen Schleier fortgekehrt, die im Morgengrauen über den Atlantik gezogen waren.

Deutlich hoben sich die Männer in der Jolle durch die kreisrunde Optik des Spektivs vom Hintergrund ab. Sie hockten zusammengesunken auf den Duchten und schienen von den Seglern, die sich auf sie zubewegten, überhaupt keine Notiz zu nehmen.

Und doch mußten sie sie bemerkt haben, denn wenn der Ausguck der „Candia“ das kleine Boot gesichtet hatte, dann mußten die Schiffbrüchigen die Galeone und die Karavelle des einst so stolzen Verbandes allemal entdeckt haben – auch ohne Fernrohr. Die Sonne stand noch als glutiger Feuerball im Osten über dem Festland und konnte keinen Mann, der nach Norden Ausschau hielt, blenden. Ja, auf diese Distanz mußten die Bänner im Boot ihre Retter mit bloßem Auge sehen können.

„Senor Comandante!“ schrie der Ausguck der „Candia“ aufs Deck hinab. „Treibendes Boot voraus! Wir segeln genau darauf zu!“

Im selben Augenblick ließ auch der Ausguck der spanischen Kriegskaravelle „Santa Angela“ einen Ruf vernehmen. Auf beiden Schiffen liefen Offiziere, Decksleute und Soldaten nach vorn und erklommen das Vorkastell, um die Entdeckung ebenfalls in Augenschein zu nehmen.

Erst jetzt hoben einige der entkräfteten, zerlumpten Gestalten in dem Boot die Hände und winkten den beiden Schiffen träge zu. Sie fanden augenscheinlich nur noch einen winzigen Rest Energie, um Zeichen zu geben und heisere Schreie auszustoßen – das Pullen hatten sie längst aufgegeben. Das Segel, das nur noch in Fetzen an dem niedrigen Mast des Bootes hing, konnte ihr Fahrzeug auch nicht mehr voranbewegen, so daß sie den Meeresströmungen ausgeliefert waren und mit unbestimmtem Kurs an der portugiesischen Küste entlangtrieben.

Die Erschöpfung und die Verzweiflung hatten diese Männer zu willenlosen Marionetten in der unendlich wirkenden Weite der Wasserwüste werden lassen.

Sie waren nervlich zerrüttet und körperlich nahezu zugrunde gerichtet. Die Geschehnisse der Sturmnacht hatten sie nachhaltig gezeichnet, Hunger und Durst hatten ein Weiteres bewirkt. Sie hatten sich hingesetzt, hatten vor sich hingestarrt, kein Wort mehr gesprochen und auf den Tod gewartet.

Lucio do Velho stand jetzt an der vorderen Schmuckbalustrade der Back der „Candia“ und spähte durch sein Spektiv zu den Schiffbrüchigen hinüber. Zu seinen Füßen erstreckte sich die Galionsplattform der großen Galeone, darunter rauschte die Bugsee. Der frische raume Wind blähte die Blinde unter dem Bugspriet, wie er die gesamte Besegelung der „Candia“ wölbte und dem Schiff beachtliche Fahrt verlieh. Sie war kein altes Schiff, diese Viermast-Galeone, sie war vielmehr erst knapp mehr als zwei Jahre alt und in ihrer Bauweise, Manövrierfähigkeit und Geschwindigkeit einer der modernsten Kriegssegler, den die Armada zu bieten hatte.

Respektvollen Abstand hielten die Offiziere der „Candia“ von ihrem Kommandanten – ganz zu schweigen von dem „gemeinen Schiffsvolk“, das auf diesem wie allen anderen Kriegsschiffen des Vereinten Königreiches Spanien-Portugal aus Seeleuten und Soldaten bestand. Keiner traute sich zu nah an diesen äußerlich nicht sonderlich auffälligen, seinen Charaktereigenschaften nach jedoch zu fürchtenden Mann heran.

Keiner, außer Ignazio. Der bullige Mann aus Porto war auch diesmal vom Achterdeck aus seinem Kapitän nachgeeilt und verharrte nun neben ihm, um ihm mit „Rat und Tat“ zur Seite zu sein. Keiner ertrug den beißenden Spott und die Ungerechtigkeiten des Lucio do Velho so geduldig wie dieser Ignazio, keiner verfügte über ein so dickes Fell wie er. Wie Ignazio es fertigbrachte, unter do Velhos Fuchtel zu existieren, da doch unzählige gestandene Kerle an der Unberechenbarkeit des Kommandanten zerbrochen waren – dies war sein Geheimnis.

Wahrscheinlich wußte er es selbst nicht genau, warum er do Velho in solcher Treue verbunden war, warum er noch nicht desertiert oder wegen Insubordination bestraft war. Mit Leichtigkeit hätte do Velho diesem recht einfältigen Bootsmann der „Candia“ etwas anhängen können, wie es seiner überheblichen, unduldsamen Wesensart entsprach. Do Velho drohte es auch immer wieder an, daß er Ignazio degradieren und von seinem Schiff weisen würde, aber letztlich setzte er es dann doch nicht in die Tat um. Im Gegensatz zu dem Bootsmann war er sich dabei über die Gründe seines Handelns voll bewußt.

Ignazio hatte ihm, do Velho, schon zweimal das Leben gerettet. Einmal bei Formosa und einmal in Südafrika, im Land der Buschmänner. So absurd es klang: Solange Ignazio an do Velhos Seite weilte, schien der Tod immer wieder an ihnen vorbeizuschlüpfen und der Höllenfürst sie zu verachten.

Dies war ausschlaggebend für Lucio do Velho, sonst hätte er sich des geistig ganz und gar nicht beschlagenen Mannes längst entledigt.

Do Velhos Gesicht war ausdruckslos und undurchdringlich. Ohne sichtliche Gemütsregung betrachtete er die Männer im Boot.

„Senor!“ rief der Ausguck. „Es sind die Männer der ‚Extremadura‘, ich habe sie erkannt!“

„Ja“, sagte do Velho. „Ungefähr ein Drittel der Besatzung, und der Kapitän ist nicht mit dabei.“

„Vielleicht stoßen wir noch auf das zweite Boot der Karavelle“, erwiderte Ignazio.

„Das glaubst du wirklich?“

„Ich hoffe es, Senor.“

Do Velho würdigte seinen Bootsmann nicht einmal eines Seitenblicks, er schaute weiter durch sein Spektiv voraus.

„Ich habe das untrügliche Gefühl, daß wir die einzigen Überlebenden des Untergangs der ‚Extremadura‘ vor uns haben“, sagte er. „Gäbe es auch das zweite Beiboot noch, dann hätten die Insassen versucht, den Kontakt mit den Kameraden nicht zu verlieren. Aber dir, Ignazio, fehlt natürlich der Scharfsinn, um eine solche Feststellung zu treffen.“

Der Mann aus Porto entgegnete diesmal nichts. Was hätte er auch sagen sollen? Daß er nur versuchte, die Situation zu beschönigen, da doch offensichtlich war, daß sie einen Fehler begangen hatten, als sie dem Sturm getrotzt hatten, statt sich unter Land oder in einer Bucht vor dem Toben des Wetters zu schützen? Ein paar ehrliche Worte hätten in diesem Fall garantiert bewirkt, daß do Velho die Beherrschung verloren hätte. Den Kommandanten durfte keiner kritisieren, auch wenn er seine Untergebenen mal nach ihrer Meinung fragte.

„Sieh sie dir an“, sagte do Velho. „Eigentlich sollten sie hocherfreut sein, daß wir umgekehrt sind und sie gefunden haben. Aber sie können nicht einmal richtig winken, und ihre Gesichter gleichen Totenmasken. Ein undankbares Volk ist das.“

„Ja“, antwortete Ignazio. „Eigentlich sind sie es gar nicht wert, daß man sie auffischt, Senor.“

„Ach? Sollen wir also an ihnen vorbeisegeln und sie ihrem Schicksal überlassen?“ fragte der Kommandant lauernd.

„Aber nein, Senor!“

„Siehst du“, sagte do Velho voll Verachtung. „Du solltest es dir wirklich abgewöhnen, mir nach dem Mund zu reden. Ich kriege es ja doch heraus, daß du gegen deine Überzeugung sprichst. Du bedauerst diese traurigen Figuren doch noch, gib es ruhig zu.“

„Sie haben viel durchstehen müssen.“

„Und wir? Haben wir nicht genauso die Zähne zusammenbeißen und gegen das Wüten der Natur kämpfen müssen?“

„Sicher, Senor Comandante.“

Lucio do Velho ließ das Spektiv sinken und sah seinem Bootsmann in die Augen. Sein Blick war bohrend, vernichtend, und insgeheim wünschte sich der Kommandant, Ignazio möge darunter zusammenzukken und vor Respekt zerfließen.

Aber das tat der Mann aus Porto nicht. Seine Verhaltensweisen waren phlegmatischer Natur, außerdem kannte er seinen Vorgesetzten ja nun lange genug, um sich nicht durch jede Geste, jeden Blick einschüchtern zu lassen. Er schob nur seine Unterlippe ein wenig vor und hielt dem tödlichen Ausdruck in do Velhos Augen stand.

„Aber wir haben das bessere Schiff, wolltest du doch sagen“, fuhr do Velho seinen Bootsmann an. „Gib es zu. Wir waren im Vorteil, weil die ‚Candia‘ jeden Sturm abreiten kann, nicht aber die vier Schiffe, die sich in unserer Begleitung befanden.“

„Wir haben den besseren Schiffsführer, Senor Comandante.“

„Du bist ein elender Stiefellecker, Ignazio.“

„Danke, Senor.“

Ohne eine Miene zu Verziehen, fuhr do Velho fort: „Aber es stimmt. Ob man den Tücken der See trotzt, hängt in erster Linie vom Kapitän, nicht von seinem Schiff ab. Auch der Kapitän der ‚Santa Angela‘ ist ein Könner, dieses Lob muß ich ihm erteilen, denn im Gegensatz zum Kapitän der ‚Extremadura‘ hat er es verstanden, seine Karavelle einigermaßen glimpflich durch den Sturm zu bringen.“

„Senor, si.“

„Wir drehen bei und nehmen die Schiffbrüchigen über. Ein Teil entert bei der ‚Santa Angela‘ auf, einen Teil nehmen wir an Bord. Ich habe unter den Männern im Boot den ersten Offizier der ‚Extremadura‘ erkannt. Mit diesem Mann will ich reden. Er wird also bei uns auf der ‚Candia‘ untergebracht.“

„Verstanden, Senor.“

Ignazio wandte sich um und gab den Befehl weiter. Rufe hallten über Deck. Auch drüben auf der „Santa Angela“ wurde auf ein Zeichen von Bord des Flaggschiffes hin die Order zum Beidrehen gegeben. Fast gleichzeitig richteten die Viermast-Galeone und die Zweimast-Karavelle ihr Vorschiff in den Wind, nahmen Zeug weg und glitten mit verringerter Fahrt auf das Boot zu.

Wirklich, die Schiffbrüchigen zeigten keine Begeisterungsstürme, sondern sahen dem Ende ihres unglücklichen Abenteuers eher apathisch entgegen. Sie hatten zuviel erlitten und waren zu abgekämpft, um lachen, weinen, gestikulieren oder lärmen zu können. Aber ihre Teilnahmslosigkeit lag zum Teil auch darin begründet, daß sie alles andere als ein Wiedersehen mit dem Kommandanten Lucio do Velho herbeigesehnt hatten.

Do Velho hatte in Lissabon durch seine Hartnäckigkeit einen neuen Verband zusammenstellen können, mit dem er den Seewolf jagte, aber niemand hatte sich darum gerissen, sich ihm anzuschließen, denn do Velho galt als einer der ungnädigsten, unmenschlichsten Geschwaderführer. Sein Ruf war ihm vorausgeeilt, er war als „El Milagrolado“, einer, der vom Wunder heimgesucht worden war, berühmt und berüchtigt geworden. In der Tat erschien es wie ein Wunder, daß Ignazio und er nach allem, was ihnen im Land der Buschmänner zugestoßen war, noch am Leben waren. Aber die meisten seiner Untergebenen wünschten sich inständig, jenes Wunder wäre nie geschehen.

Auch jetzt, als die „Candia“ zunächst alle Schiffbrüchigen in Lee übernahm, zeigte der Kommandant nicht den Anflug von Humanität. Der Anblick der Gestalten, die mehr tot als lebendig wirkten, rührte ihn nicht.

Im Gegenteil, er empfand es eher noch als richtig, mit dem ersten Offizier der „Extremadura“ im barschen Tonfall zu verfahren.

„Senor, wo steckt Ihr Kapitän?“

Der Erste der Karavelle nahm vor do Velho Haltung an. Er räusperte sich, um seiner Stimme etwas von ihrer Heiserkeit zu nehmen, aber er hatte Mühe, nicht auf die gleiche rüde Art zu antworten.

„Mit Sicherheit noch an Bord der ‚Extremadura‘, Senor Comandante“, erwiderte er.

„Das heißt, das Schiff ist nicht gesunken?“

„Das heißt, unser Capitán hat mit der ‚Extremadura‘ den ewigen Frieden gefunden, und zwar auf dem Grund der See, Senor.“

„Und da wagen Sie es noch, Witze zu reißen?“ Do Velho brüllte es fast.

„Ich antworte nur auf Ihre Fragen, Senor“, entgegnete der erste Offizier mit bewundernswerter Ruhe.

„Sie werden sich wegen Ihrer dreisten Art noch zu verantworten haben“, sagte do Velho eisig unterkühlt. „Und nicht nur deswegen. Sie werden noch sehen, was Sie sich eingehandelt haben, als Sie Ihr Schiff und Ihre Kameraden im Stich gelassen haben.“

„Mehr als die Hälfte der Besatzung war bereits vor die Hunde gegangen, als der Capitán uns den Befehl gab, von Bord zu springen“, verteidigte sich der Erste. „Die ‚Extremadura‘ sank wie ein Stein, es gab keine Hoffnung mehr. Wir nahmen an, der Capitán würde uns folgen, Senor Comandante, deswegen gingen wir außenbords und griffen uns das Boot, das irgend jemand noch abgefiert hatte.“

„Sie haben ja ein erstaunliches Geschick, Tatsachen zu verdrehen“, meinte do Velho in seiner unvergleichlich ätzenden Art. „Aber damit kommen Sie bei mir nicht durch. Bei mir nicht! Ich weiß, daß die ‚Extremadura‘ hätte gerettet werden können!“

„Ich schwöre, daß ich die Wahrheit gesprochen habe!“ rief der entsetzte erste Offizier. „Meine Leute können es bestätigen. Gott ist unser Zeuge, daß die Dinge sich so abgespielt haben, wie ich es gesagt habe!“

Lucio do Velho winkte ab. Ignazio ließ die übrigen Schiffbrüchigen, die jetzt aufbegehren wollten, zur Ordnung rufen. Stille trat ein, nur unterbrochen durch das Knarren der Rahen und Blöcke.

„Lassen wir das jetzt“, sagte der Kommandant schließlich. „Wir vergeuden nur unsere Zeit. Die ‚Santa Angela‘ haben wir wiedergefunden. Von der ‚Extremadura‘ wissen wir, daß sie nicht mehr existiert. Was aber ist aus den beiden portugiesischen Galeonen ‚Sao Sirio‘ und ‚Sao Joao‘ geworden?“

„Wir wissen es nicht, Senor“, erwiderte der Erste der gesunkenen Karavelle, als sich alle Blicke auf ihn richteten. „Im Sturm verloren wir jeden Kontakt zu den anderen Schiffen.“

„Welches Schiff haben sie als letztes gesehen?“ fragte der Kommandant ungehalten.

„Die ‚Sao Joao‘.“

„In was für einem Zustand befand sie sich?“

„In einem besseren als unsere Karavelle.“

„Und die ‚Sao Sirio‘?“

„Wir verloren sie sehr früh aus den Augen“, sagte der erschöpfte Mann. „Ich sah sie achteraus in Regen und Dunkelheit verschwinden. Sie schien ein Spielball der Wellen geworden zu sein.“

Do Velhos Miene war jetzt eher verkniffen als arrogant. Er hatte die Hände auf dem Rücken ineinandergelegt und grübelte nach, ob es sich überhaupt lohnte, nach dem Rest des Verbandes zu forschen. Rasch faßte er seinen Entschluß.

„Senores, wir segeln weiter. Die Hälfte der Männer von der ‚Extremadura‘ wechselt jetzt mit einem Boot an Bord der ‚Santa Angela‘ über, dann setzen wir wieder die Segel und fahren mit südlichem Kurs weiter an der Küste entlang.“

Eine halbe Stunde später trafen das Flaggschiff „Candia“ und die lateinergetakelte Karavelle „Santa Angela“ etwa fünfzehn Meilen von der Küste entfernt auf die arg lädierte Galeone „Sao Joao“, die vor dem Wind trieb. Der Sturm hatte ihr den Besanmast zerschlagen, wie ein Baum war er gefällt worden. Mit nur noch zwei Masten und unzureichender Takelung hatte der Kapitän getrachtet, das Land zu erreichen.

Jetzt gab es ein Wiedersehen, das in etwas angenehmerer Atmosphäre als das zwischen Schiffbrüchigen und Rettern verlief – Lucio do Velho fand in einem Gespräch von Bord zu Bord sogar ein paar lobende Worte für den Kapitän der „Sao Joao“, der sich so tapfer gehalten hatte.

Mit neuen Segeln wurde die „Sao Joao“ versorgt, dann konnte sie sich den beiden anderen Schiffen anschließen. Die Suche nach dem Rest des Verbandes ging weiter, immer an der Küste entlang in Richtung Süden.

Der Rest des Verbandes – das konnte jetzt nur noch die „Sao Sirio“ sein. Do Velho hatte seine Zweifel, daß das Schiff den heftigen Sturm überstanden hatte, aber er wollte endgültige Gewißheit haben und ließ nicht locker, bis er die ganze Wahrheit erfuhr.

Sie offenbarte sich ihm nicht sehr viel später, und seine düsteren Ahnungen wurden mit einem Schlag bestätigt.

Der Ausguck der „Candia“ sichtete zunächst die Steilküste, der sie sich jetzt genähert hatten, und dann die Schatten, die unweit dieses ungastlichen Ufers aus der See ragten. Sofort wies er seinen Kommandanten darauf hin.

Do Velho richtete wieder sein Spektiv auf die Entdeckung.

„Ein Riff“, sagte er zu den Männern des Achterdecks. „Ein sehr gefährliches Riff. Wir haben jetzt ablaufendes Wasser, und man kann die Felsen aus den Fluten hochwachsen sehen. Bei Flut sind sie aber völlig verdeckt. Einer, der die Gegend nicht genau kennt, muß unweigerlich mit seinem Schiff auflaufen, falls er in Ufernähe gerät. Der auflandige Wind konnte heute nacht ein Schiff leicht auf Legerwall drücken.“

Ignazio, der sich ebenfalls mit einem Fernrohr bewaffnet hatte, stieß plötzlich einen bestürzten Laut aus, eine Mischung aus Seufzen und Keuchen. „Senor, ich sehe Schiffstrümmer auf dem Riff.“

„Ich sehe sie auch, du Narr!“

„Sie meinen doch wohl nicht, daß es die Wrackteile der – mein Gott, laß es nicht wahr sein.“

„Warum so melodramatisch, Bootsmann?“ entgegnete do Velho. „Ich habe keinen Zweifel daran, daß wir die total zertrümmerte ‚Sao Sirio‘ vor uns haben. Warum soll man sich Illusionen hingeben, wenn die Tatsachen unverkennbar sind?“

Ignazio ließ das Spektiv sinken. „Ich frage mich, was aus dem Kapitän und seiner Mannschaft geworden ist. Monforte – so heißt der Capitán doch, nicht wahr, Senor? Ob er noch lebt? Ob sich die Besatzung an Land retten konnte?“

„Darauf, werter Ignazio, können uns die Wrackteile weiß Gott keine Antwort geben“, erwiderte do Velho bissig.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 144

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