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1.

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Alewa sah das Schiff und begann zu weinen. Die Tränen liefen ihr über die Wangen und befeuchteten fast die ganze Fläche ihres sanften braunhäutigen Gesichts. Sie kämpfte nicht dagegen an, sondern ließ ihren Gefühlen freien Lauf. Sie hatte das große, stolze Schiff mit den drei hohen Masten und den prallen, gelblich-weiß gelohten Segeln daran wiedererkannt.

Eigentlich hatte Alewa, das Polynesiermädchen, in ihr zerstörtes Dorf hinunterspähen und nach den Männern Ausschau halten wollen, vor denen sie sich so fürchtete, denn sie hatte sich überlegt, daß sie – falls die Kerle keinen Wächter bei den eingestürzten Pfahlbauten zurückgelassen hatten – wenigstens versuchen konnte, hinunterzusteigen und sich ein Boot zu nehmen. Es bestand immerhin die Möglichkeit, daß nicht alle Auslegerboote durch Tsunami, die Riesenwelle, zerschmettert worden waren. An diese Hoffnung knüpfte Alewa alle ihre Pläne.

Flucht! Darin lag die einzige Rettung. Die Insel war kein Paradies mehr, sie war zur Hölle geworden, zur Verdammnis im wahrsten Sinne des Wortes.

Jetzt aber war das Schiff hinter einer weiter südlich gelegenen, bewaldeten Landzunge aufgetaucht, und Alewas Herz begann vor jäher Freude und Überraschung heftiger zu schlagen. Es erschien ihr als ein Wunder, daß die Galeone plötzlich da war, so als wären nur Tage vergangen, seit sie davongesegelt war. Ihr Kapitän, die Besatzung – ja, waren diese Männer denn wirklich gekommen, um hier zu landen und nachzusehen, ob die Freunde von damals noch lebten?

Das war zu schön, um wahr zu sein.

„Pele“, murmelte Alewa. Ein Schluchzen erstickte ihre Stimme, und sie dachte: Pele, Pele, allmächtige Göttin der Feuerseen, du hast mich also doch erhört und dafür gesorgt, daß sie uns noch einmal besuchen, einmal, bevor wir alle sterben müssen!

Der Platz, auf dem Alewa lag und zur Küste hinunterblickte, befand sich hoch über der geschwungenen, langgestreckten Bucht, auf die sich der Bugspriet der Galeone jetzt richtete. Der Platz war von niedrigem Gebüsch gesäumt. Die Sträucher boten Alewa Deckung. Ein üppig bewachsenes, terrassenartiges Plateau, von Menschenhand geschaffen, und darüber und darunter schlossen sich weitere solcher Stufen an, die dem ganzen Hang ein treppenförmiges Aussehen verliehen. Alle diese Stufen waren auf Anraten von Thomas Federmann hin von den Insulanern eingerichtet worden. Hier hatten sie Obst und Gemüse angebaut und geerntet, und sie waren mit ihrem Werk zufrieden gewesen. Ein glückliches Leben hatten sie geführt, und es hatte ihnen an nichts gemangelt – bis zu dem Tag, an dem sie nach langer Zeit wieder überfallen worden waren.

„‚Isabella‘“, flüsterte Alewa, „komm zu mir. Pele, ich danke dir. Es wird alles wieder gut, ja, alles wieder gut.“

Die Galeone erhielt den Wind aus Osten, also ablandig, und sie hatte jetzt hart angeluvt und segelte über Backbordbug liegend mit Steuerbordhalsen auf die Inselbucht zu. Mit jedem Yard, den sie sich näherte, wuchs Alewas Hoffnung.

„‚Isabella‘“, wiederholte sie leise. „Seewolf …“

Dann vernahm sie ein Geräusch hinter ihrem Rücken und fuhr entsetzt herum.

Sie sah die Männer sofort. Es waren drei, und sie hatten sich so auf die Terrasse verteilt, daß sie, Alewa, keine Chance mehr zur Flucht hatte.

Grinsend schoben sie sich auf sie zu, überquerten schweren Schrittes die so sorgfältig angelegten Felder und traten die Pflanzen süßer Kartoffeln und grüne Beerensträucher nieder.

„Los, schnapp sie dir, Richard“, sagte der, der sich links befand. Er war ein großer, bärenstarker Kerl mit einem bunten Tuch um den Kopf und einem Ring im linken Ohr. Sein Hemd hatte er über dem Bauchnabel zusammengeknotet. Seine Beinkleider waren unten ausgefranst, er trug keine Stiefel. Barfuß marschierte er auf das Mädchen zu, das sich allmählich erhob. „Voilà“, sagte er rauh. „Hab ich euch nicht gesagt, daß hier jemand gesprochen hat? Ihr wolltet mir ja nicht glauben, aber jetzt seht ihr wohl ein, daß der alte Louis nicht spinnt, sondern ganz ausgezeichnete Ohren hat, oder? He, Richard, du bist am nächsten an ihr dran, pack sie!“

„Du überläßt sie also mir?“ fragte Richard, ein untersetzter, breit grinsender Kerl, der in der Mitte des Trios ging. „Hast du das gehört, Marcel?“

Marcel näherte sich von rechts her dem verstörten, zitternden Mädchen Alewa und entgegnete: „Du mußt das nicht falsch auslegen. Natürlich knöpfen wir sie uns alle drei vor. Dreimal, das ist das richtige Maß, ich schwör’s dir, Mann.“

Sie lachten gleichzeitig.

Alewa wich vor ihnen zurück und hob abwehrend die Hände. Sie befand sich jetzt mitten in dem flachen Gebüsch, am Rand der Terrasse. Sie wußte, daß sie nur noch den ziemlich steil abfallenden Hang hinunterspringen konnte, um sich vor ihnen in Sicherheit zu bringen. Dabei konnte sie sich die Knochen im Leib brechen, aber das war ihr lieber, als von den wilden Kerlen gefaßt zu werden. Sie verstand ihre näselnde Sprache nur ansatzweise, aber sie wußte trotzdem genau, was ihr Ansinnen war.

Sie tat noch einen Schritt zurück und war über den Abbruch des Plateaus hinweg.

Der Seewolf, Siri-Tong und die Zwillinge Philip und Hasard standen an der vorderen Schmuckbalustrade der Back, die den Querabschluß zum Galion hin bildete, und um sie herum hatte sich fast die gesamte Crew der „Isabella VIII.“ versammelt – ausgenommen natürlich Blacky, der zur Stunde als Rudergänger fungierte, Ben Brighton, der Blacky auf dem Quarterdeck Gesellschaft leistete, sowie Matt Davies, Jeff Bowie, Bob Grey und Luke Morgan, die von der Kuhl aus die erforderlichen Segelmanöver durchführten. Bill, der Moses, hockte als Ausguck im Großmars, und der Kutscher war eben noch in der Kombüse damit beschäftigt, die Holzkohlenfeuer kräftig anzufachen und die Suppe für die Mittagsmahlzeit zum Brodeln zu bringen. Aber von ihnen abgesehen waren alle auf dem Vordeck erschienen, um sich das Panorama anzusehen, das sich an diesem sonnigen Vormittag dem Auge bot.

Selbst Arwenack, der Schimpanse, kauerte an der Backbordseite auf der Handleiste der hölzernen Balustrade und hielt sich mit einer Pfote an den Fockwanten fest. Leise schmatzend kaute er auf irgend etwas herum und hielt seinen Blick so interessiert auf die große Insel gerichtet, als könne er sich wirklich daran erinnern, daß sie schon einmal hier gewesen waren.

Sir John, der karmesinrote Aracanga, hockte auf der linken Schulter seines allgewaltigen Herrn Edwin Carberry und knabberte zärtlich an dessen Ohrläppchen herum – aber nur so lange, bis es dem Profos zu bunt wurde.

Carberry hob mit einem unterdrückten Fluch die rechte Hand und schickte sich an, den frechen Papagei von seiner Schulter zu scheuchen. Sir John reagierte jedoch gedankenschnell, flatterte auf und schwang elegant bis zu Bill in den Großmars empor. „Rübenschweine, Affenärsche!“ zeterte er aufgebracht. Dann ließ er sich auf der Segeltuchumrandung der Plattform nieder und spähte mit dem Moses zusammen aufmerksam in die Bucht, die sich vor ihren Augen öffnete.

Bill beobachtete durch den Kieker und sah die ganze Landschaft wie zum Greifen nah vor sich, auch die schneegekrönten Zwillingsgipfel der Insel, die seines Wissens über viertausend Yards hoch waren.

Bill ließ seinen Blick wieder tiefer gleiten und über den Strand der Bucht wandern, bis hin zu dem zerstörten Pfahlbautendorf und den Booten, die wie von einer gigantischen Macht bis ins Dickicht jenseits der Uferzone geschleudert worden waren.

Tsunami, die Riesenwelle!

Welch ungeheure Macht sie hatte, das hatten die Seewölfe vor Nihoa, der am weitesten nordwestlich liegenden Insel des Archipels, erlebt. Sie hatten abgewartet, bis die Tsunami sich ausgetobt hatte, um dann weiter nach Süden abzulaufen und nach der Insel zu suchen, von der aus sie damals die sagenhafte Manila-Galeone aufgebracht hatten.

Hawaii.

So nannten die Polynesier die große Insel. Wie sich herausgestellt hatte, waren die geographischen Berechnungen des Seewolfs wieder einmal richtig: Zwar war die Inselgruppe von den Europäern offiziell noch nicht „entdeckt“ und daher auch nicht genau erforscht, aber die Behauptung Hasards, Nihoa gehöre zu demselben Archipel wie auch Hawaii, Maui und Oahu, hatte sich als Tatsache bestätigt. Mit Wind aus Nordwesten war die „Isabella“ zunächst auf südöstlichen Kurs gegangen und hatte Oahu an ihrem östlichen Ufer passiert. Als dann am Tag darauf der Pailolo-Kanal zwischen Molokai und Maui erreicht war, war jeder Zweifel beseitigt: Hier hatte ja seinerzeit die denkwürdige Schlacht zwischen der „Isabella“, dem schwarzen Segler und der Galeone des Ciro de Galantes stattgefunden, bei der de Galantes den kürzeren gezogen hatte.

Hasard hatte den Kanal nicht durchquert wie damals, sondern war mit jetzt wechselnden Winden weiter nach Südosten gesegelt. Er hatte Maui im Süden runden wollen, um an das flachere Westufer von Hawaii zu gelangen, hatte aber vor dem plötzlich steif aus Süden blasenden Wind kapitulieren müssen. So hatten sie die Insel im Osten gerundet und eine recht stürmische Nacht hinter sich, in der sie gegen den weiterhin schralenden Wind hatten kreuzen müssen. Am frühen Morgen hatten sie jedoch mit Ostwind Ka Lae, das Südkap von Hawaii, umrundet und waren anschließend hoch am Wind auf Nordkurs gegangen.

„Meine Güte, Hasard“, sagte Siri-Tong soeben. „Hättest du das gedacht – daß wir nach so langer Zeit wieder hierher zurückkehren würden?“

Der Seewolf hatte seine Hände auf die Schultern seiner Söhne gelegt und lächelte versonnen. „Ich hatte nicht gewagt, es zu hoffen“, entgegnete er. „Aber jetzt kann ich es kaum erwarten, Zegú, den König von Hawaii, Thomas Federmann und all die anderen wiederzusehen. Dieses Pfahlhüttendorf am Ufer der Bucht – es war damals noch nicht da.“

„Nein, ich glaube nicht.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Insulaner ihre geschützte Siedlung im Inneren der Insel aufgegeben haben, um hierher, an die Bucht, zu ziehen.“

„Vielleicht wurde dieses Dorf zusätzlich errichtet“, sagte die Rote Korsarin. „Vielleicht ist der Stamm inzwischen gewachsen, und – nun ja, vielleicht benötigen die Leute ganz einfach größeren Lebensraum.“

„Du meinst, es könnte noch andere neue Dörfer geben, die über ganz Hawaii verteilt sind?“

Sie nickte. „Ich kann es mir gut vorstellen.“

„Ich auch“, sagte nun Carberry. „Wenn ich mich nicht irre, sind seit unserem letzten Besuch gut zehn Jahre vergangen. Und in zehn Jahren passiert so allerlei.“ Er grinste plötzlich. „Hölle, wie viele kleine Kinder mögen da wohl geboren worden sein?“

„Ed“, mischte Dan O’Flynn sich ein. „Darf ich dich berichtigen? Wir schreiben jetzt den Monat März des Jahres 1590.“

„Das weiß ich doch, du Stint!“

„Schön, und deshalb liegt die Geschichte mit der Manila-Galeone eben nur sechs Jahre zurück.“

„Ach …“

„Ja, Edwin, Dan hat recht“, meinte Siri-Tong mit dem Anflug eines Lächelns. „1584 – das war das Jahr, in dem wir zusammen die ‚Santa Ana‘ überfielen. Im übrigen dürfte dies aber auch in der Bordchronik festgehalten sein.“

Carberry kratzte sich verlegen am Kinn und legte den Kopf ein wenig schief, was bei ihm immer ein Zeichen für angestrengtes Nachdenken war. „Bordchronik, Madam?“ wiederholte er verdutzt.

„Schon gut, Ed“, sagte der Seewolf. „Siri-Tong meint das Logbuch von damals.“

Carberry blickte ziemlich betroffen drein, und ihm fehlten die Worte, was sonst eigentlich selten passierte.

Dan O’Flynn wollte schon eine seiner bissigen Bemerkungen über des Profos’ Gesichtsausdruck fallenlassen, da sagte sein Vater, der alte Donegal Daniel O’Flynn: „Soso, das Logbuch von damals. Steht da auch was über die niedlichen kleinen Mädchen drin, die hier ’rumsprangen und die wir aus de Galantes‘ Gewalt befreiten? Wie hießen die doch noch gleich …“

„Alewa, Waialae, Mara und Hauula“, zählte Ferris Tucker die Namen der Mädchen auf. „Und du bist ein alter Schwerenöter, Donegal. Verzeihung, Madam.“

Siri-Tong konnte ihr Lachen kaum noch zurückhalten.

„Ferris, du ungehobelter Klamphauer“, sagte Old O’Flynn mit gespielter Freundlichkeit. „Wie kommt es eigentlich, daß du dich so genau an die kleinen Ladys erinnerst? Hast du dir die Namen vielleicht aufgeschrieben? Ha, das wäre vielleicht spaßig.“

„Quatsch, ich hab nur ein gutes Gedächtnis“, erwiderte Hasards rothaariger Schiffszimmermann. Er bereute es schon, überhaupt etwas geäußert zu haben.

„Männer, ihr braucht euch gar nicht so zu zieren“, meinte der Seewolf. „Auch Siri-Tong hat großes Verständnis dafür, daß ihr es nicht erwarten könnt, die Hawaii-Mädchen wiederzusehen. Allerdings muß ich eines gleich vorwegschicken: Ich will, daß ihr euch mustergültig benehmt. Keiner tanzt aus der Reihe, verstanden? Wenn ihr das nicht beherzigt, gibt es dicken Ärger. Ihr wißt, daß ich mich nicht scheue, den einen oder anderen von euch in die Vorpiek zu sperren, falls er sich nicht zusammenreißen kann.“

„Aye, aye, Sir“, murmelten die Männer.

Hasard hatte seine Gründe dafür, die prächtige Laune seiner Männer ein wenig zu dämpfen. Es war schon viel zu lange her, daß sie Frauen gehabt hatten, und von allen Entbehrungen, die sie seit dem Beginn der Reise durch die Nordwestpassage hatten über sich ergehen lassen müssen, war diese wohl die schlimmste. Deshalb mußte er aufpassen und seine Crew streng an der Kandare halten, denn es war gut möglich, daß die Männer beim Anblick des ersten Mädchens, das am Strand auftauchte, alle Disziplin vergaßen.

„Mal herhören“, sagte nun auch der Profos. „Ich passe auf, daß die Order des Seewolfs strikt befolgt wird, klar? Angucken dürft ihr Barsche die Frauen von mir aus, aber nicht anfassen, solange kein neuer Befehl erfolgt. Kapiert? Finger weg von den Mädchenhintern – Verzeihung, Madam.“

„Bitte, Ed.“

„Aye, Sir“, brummelten die Männer.

„Ich will mich nicht falsch verstanden wissen“, sagte Old O’Flynn. „Ich hab eher väterliche Gefühle, was die Mädchen betrifft. In Ordnung, Sir?“

„Ja, Donegal“, entgegnete Hasard.

Stenmark stieß hinter Carberrys Rücken heimlich Al Conroy an und flüsterte: „Der Alte kann uns viel erzählen, Al. Väterliche Gefühle – daß ich nicht lache!“

„Wie, du meinst …“

„Er sagt doch immer, daß er noch lange nicht zum alten Eisen gehört, oder?“

„Tja.“ Al fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Was der Schwede da eben gesagt hatte, gab ihm denn doch zu denken. Er wollte nachhaken, eine Frage stellen, aber jetzt meldete sich Gary Andrews zu Wort.

„Mädchen, ich höre immer Mädchen! Wo bleiben sie denn nur? Warum kommen sie nicht an den Strand, um uns zu begrüßen und uns geflochtene Blumenkränze umzuhängen? Ist die Insel am Ende gar nicht mehr bewohnt?“

„Hölle und Teufel“, entfuhr es Batuti. „Müßten uns doch längst entdeckt haben. Inselmenschen kennen ‚Isabella‘ wieder – oder nicht, Ssör?“

„Ruhe an Deck“, sagte Carberry. „Habt ihr den Verstand verloren, daß ihr hier so ’rumbrüllt, ihr triefäugigen Seegurken?“

Hasard hatte, während die „Isabella“ in die Bucht einlief, seinen Blick nicht von dem zerstörten Dorf am Wasser und den gestrandeten Auslegerbooten genommen. Jetzt wandte er sich zu seinen Männern um. Seine Miene hatte sich verändert. Sie war ernst geworden.

„Es gibt zwei Möglichkeiten“, sagte er. „Entweder lebt jetzt ein anderer Stamm auf Hawaii, der uns nicht wohlgesinnt ist. Oder es ist etwas passiert.“

„Was Schlimmes?“ fragte Big Old Shane. „Verdammt, du meinst doch wohl nicht, im Zusammenhang mit der Riesenwelle und …“

„Die Tsunami kann sie unmöglich alle ertränkt haben“, unterbrach Siri-Tong den graubärtigen Riesen. „Entschuldige, Shane, aber das kann ich mir nicht vorstellen. Die Insulaner sind zu erfahren im Umgang mit den Naturgewalten, als daß sie sich derart übertölpeln lassen würden.“

„Aber was ist dann geschehen?“

„Das fragen wir uns alle“, meinte Old OFlynn.

Sie alle ließen ihren Blick wieder über das Ufer der Bucht schweifen. Aber dort regte sich nichts – weder bei den eingestürzten, zermalmten Pfahlbauten noch bei den Booten, noch irgendwo im Dickicht. Keine Menschenseele zeigte sich, um die Seewölfe und die Rote Korsarin so freudig, wie es nur die Polynesier vermochten, zu begrüßen.

„Mann“, sagte der alte O’Flynn. „Ich krieg da so ein mulmiges Gefühl. Das bedeutet nichts Gutes, Leute. Es liegt Unheil in der Luft.“

„Das merkst du jetzt erst?“ Carberry gab einen undeutlichen, grunzenden Laut von sich. „Man braucht kein Hellseher zu sein, um das zu spüren.“

Hasard, der sich auch wieder umgedreht hatte und sein Gesicht dem Ufer zugewandt hielt, hob plötzlich die Hand. Im selben Augenblick registrierte auch Siri-Tong die Bewegung oben am Hang hinter dem Pfahlhüttendorf. Carberry kniff die Augen mißtrauisch zusammen, Dan OFlynn murmelte etwas Unverständliches, Ferris Tucker hob den Kieker ans Auge.

Etwa einen Atemzug darauf rief Bill, der Moses, über ihren Köpfen: „Deck, da ist jemand! Er rutscht den Abhang ’runter. Das ist ja ein Mädchen!“

Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als sie alle den verzweifelten Schrei vernahmen, der von den bebauten Inselterrassen zu ihnen herüberwehte.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 181

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