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2.

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Erst kurz vor dem Anbruch der Mittagsstunde erreichten Smoky, Al Conroy, Carberry, Ferris Tucker und der Gambia-Mann das Ziel hoch oben in den Bergen. Der Weg war nicht mehr so mühselig wie beim erstenmal, denn Smoky und Al hatten sich genau eingeprägt, wie man die Geysire, die Schlammlöcher, die Schwefelgasquellen und die wassergefüllten Kieselsinterterrassen trokkenen Fußes hinter sich brachte. Aber zeitraubend war der Aufstieg immer noch.

Vor der Höhle, in der die Zwillinge mit ihrem Beschützer Jonny die Nacht verbracht hatten, wurde die fünfköpfige Gruppe bereits von Hasard, Shane, dem alten O’Flynn, Bill, Blacky, Pete, Jonny und den Zwillingen erwartet. Sir John hob krächzend von der Schulter des Seewolfs ab, flatterte zum Profos hinüber und ließ sich mit einem Laut auf dessen Schulter nieder, der beinah wie ein wohliges Schnurren klang.

„Du blinde Schnepfe“, sagte Carberry mit verdrießlicher Miene. „Hab ich dich vielleicht gerufen?“

Sir John knabberte zutraulich an dem großen Profos-Ohr herum. Carberry war das zwar wieder mal peinlich, aber nach einigen erfolglosen Versuchen, den Vogel wegzuscheuchen, ließ er ihn gewähren.

„Da seid ihr ja endlich“, sagte der Seewolf. „Wir haben uns schon gefragt, ob ihr wohl in eine heiße Quelle gefallen seid. Los, wir wollen keine Zeit mehr verlieren.“

Ferris Tucker bedachte den Sumatra-Jonny beim Nähertreten mit einem höchst argwöhnischen Blick. Wie kann man so einem Kerl vertrauen? fragte er sich. Herrgott, was für eine Jammergestalt!

Jonny bemerkte die Blicke, die nicht nur der rothaarige Riese, sondern auch der Profos und der schwarze Herkules auf ihn abschossen, und er begann wieder, verlegen an seiner total zerlumpten, schmutzigen Kleidung herumzuzupfen.

„Tut mir leid, daß ich so ein schlechtes Bild abgebe“, sagte er. „Aber was Besseres als meine alte Seemannskluft hab ich hier nicht auftreiben können. Zwar habe ich mir den Federmantel und die Gesichtsmaske genäht, um die Maoris zu täuschen und ihnen als Dämon zu erscheinen, aber – nun, darin sehe ich auch nicht viel besser aus.“ Er kratzte sich am Hinterkopf. Sehr überzeugend war seine Rede nicht ausgefallen.

Ferris, der Profos und der Gambia-Mann betrachteten den Fremden, der einen verfilzten Bart und kleine, gerötete Augen hatte, nach wie vor mit einer Mischung aus Mißtrauen und Geringschätzung. Der Mensch, der sich ihnen da als der „Schutzengel“ der Zwillinge präsentierte, sah nicht nur unglaublich verwahrlost aus, er war auch von exemplarischer Häßlichkeit. Unter seiner fleischigen, roten, verwachsen wirkenden Nase klaffte ein viel zu großer Mund mit schadhaften Zähnen. Unter seinem langen, schmuddeligen Bart wölbte sich ein enormer Bauch, der in keiner Proportion zum Rest des seltsamen Körpers stand. Krumme kurze Beine, um deren Füße Lappen von undefinierbarer Farbe gewickelt waren, trugen die gesamte unglückselige Konstruktion, aber sie erweckten den Eindruck, als würden sie das Mannsbild jeden Moment umkippen lassen.

Der Seewolf lachte und trat zu den soeben Eingetroffenen. „Keine Sorge, Männer, Jonny ist in Ordnung. Er ist eine ehrliche Haut, soviel verrät mir meine Menschenkenntnis. Und er hat meinen Söhnen aus der Patsche geholfen. Wenn das nicht zählt!“

„Aye, Sir“, sagte Ferris Tucker und streckte dem Zerlumpten seine klobige Hand entgegen. „Hallo, Jonny, ich bin Ferris Tucker. Der Zimmermann der ‚Isabella‘.“

Jonny drückte die ihm dargebotene Hand und begann zu grinsen. „Freut mich, Mister Tucker. Wir werden schon gut miteinander auskommen. Du wirst dich an Bord nicht über mich beklagen.“

„Was denn?“ stöhnte der Profos. „Wie denn? An Bord? Heißt das etwa, daß wir diesen … Ich meine: Heuert dieser Jonny jetzt etwa bei uns an?“

„Na, hör mal“, sagte Old Donegal Daniel O’Flynn. „Du willst ihn doch wohl nicht hierlassen, unter Tausenden von Kannibalen?“

„Hol’s der Teufel“, stieß Carberry hervor. „Sie sind also doch Menschenfresser, diese Maoris. Hab ich’s mir doch gedacht.“

„Sie verzehren ihre Gefangenen aber nur aus rituellen Gründen“, sagte Philip junior und gab damit zum besten, was er und sein Bruder Sumatra-Jonnys Erzählungen entnommen hatten.

Carberry grinste freudlos. „Das beruhigt mich aber, Junge. Verdammt, und wie mich das beruhigt.“

Der Seewolf sagte: „Ed, ich habe Jonny genehmigt, mit uns weiterzusegeln. Aber ich habe ihm auch erklärt, daß er bei uns wie jeder andere Decksmann zu arbeiten hat und bedingungslos unserer Borddisziplin unterworfen ist.“

Carberry stieß einen schnaubenden Laut aus und rieb sich die Nase. „Ja, die Disziplin. Die wird bei uns auf der ‚Isabella‘ ganz groß geschrieben. Denn gerade bei so einer Weltumsegelung und der weiten Heimreise nach England können an Bord die wüstesten, haarsträubendsten Dinge passieren.“

„Mich zieht zwar vieles nach Merry Old England zurück“, sagte Sumatra-Jonny. „Aber ich habe beschlossen, mich noch ein oder zwei Jahre auf Sumatra und in Malakka umzusehen. Wer weiß, wann ich jemals wieder dorthin gelange. Deshalb würde ich auf das nächste Schiff, dem wir begegnen und dessen Kurs zu den Sunda-Inseln hinaufführt, überwechseln.“

„In dieser Ecke Welt herrscht ja ein reger Schiffsverkehr“, brummte der Profos. „Jeden Tag läuft ein dicker Rahsegler vorbei, was?“

Jonny lachte. „Das nicht gerade, aber ich habe bestimmt Glück. Wenn wir keine Engländer treffen, können es von mir aus auch Holländer oder Franzosen sein, die mich mitnehmen. Ja, vielleicht sogar Spanier oder Portugiesen.“

„Die sind besonders gut auf unsereins zu sprechen“, versetzte Carberry. „Die schneiden dir gleich die Ohren ab, wenn du dich ihnen zeigst, Jonny aus Bristol, und das würde mir für deine großen Horchwerkzeuge sehr leid tun.“

Alle lachten jetzt, und der Seewolf sagte: „Hör auf, Ed. Sei nicht so unfreundlich zu unserem Landsmann.“

„Bin ich das?“ Carberry blickte sich verdutzt nach allen Seiten um, dann wandte er sich wieder Jonny zu. „Ho, dem alten Carberry soll keiner nachsagen, daß er einen Engländer mies behandelt oder gar kujoniert. Hölle und Teufel, bei uns sind sogar schon Spanier mitgesegelt, und auch denen hat’s prächtig gefallen.“ Er spielte mit diesem Satz auf Serafin und Joaquin, die ehemaligen Decksleute der „Hernán Cortés“, an. Diese beiden waren als Besatzungsmitglieder mit der „Isabella“ von Tutuila nach Espiritu Santo gereist.

„Also, Jonny.“ Der Profos reichte dem zerlumpten Mann seine große Hand. „Willkommen in der Crew der ‚Isabella‘. Bei uns hast du was zu lachen, das schwöre ich dir, und mit mir kommen alle bestens aus. Stimmt’s?“

„Klar“, sagte Al Conroy, der nur mühsam sein Lachen unterdrücken konnte. „Wir verstehen uns so großartig, daß unser Profos nie einen Anlaß zum Fluchen und zum Brüllen findet.“

Jonny ergriff die Profos-Hand und hielt tapfer stand, als Carberry ihm die Rechte zu zerquetschen drohte.

„Mit mir wirst du keinen Ärger haben, Mister Carberry“, sagte er ein wenig gequält.

Batuti trat auf den dicklichen Mann zu und sagte: „Ich bin Batuti aus Gambia, Freund. Schwarzes Farbe ist nicht aufgemalt, wenn dich wer fragt.“

„Mann!“ Sumatra-Jonny begann zu kichern. „Ich bin doch nicht von gestern und selbst schon in Gambia gewesen, ja, da staunst du, was? Und wenn ich dir erzähle, wie herzlich ich dort von einem Stamm deiner Brüder aufgenommen und beköstigt worden bin, wirst du begreifen, was für eine prächtige Meinung ich von deinesgleichen habe.“

„Donnerkeil“, entfuhr es dem schwarzen Herkules. „In welches Gegend war das, Jonny?“

„Darüber könnt ihr euch später noch ausführlich unterhalten“, sagte der Seewolf. „Laßt uns jetzt aufbrechen. Jonny, du marschierst mit mir an der Spitze unseres Trupps und weist uns den Weg. Ist der Platz, an dem das Gold liegt, weit von hier entfernt?“

„Es sind gut zwei Meilen bis dorthin“, erklärte Sumatra-Jonny. „Aber die Höhle liegt viel tiefer als mein Schlupfwinkel hier, und die Strecke dorthin ist nicht so beschwerlich wie der Weg über die Sinterterrassen.“

Ferris Tucker hielt ihn noch einmal kurz zurück, bevor er mit dem Seewolf die Führung der Gruppe übernahm. „Sag mal, bist du wirklich ganz sicher, daß es Gold ist, das du entdeckt hast?“

Jonny zerrte den Klumpen, den er am frühen Morgen schon dem Seewolf gezeigt hatte, wieder aus der einzigen Tasche hervor, die in seinem Fetzengewand verblieben war. Demonstrativ hielt er ihn Ferris unter die Nase.

Carberry und Batuti rückten neugierig näher.

„Vielleicht sehe ich so aus, als wäre ich nicht mehr ganz richtig im Kopf“, sagte Jonny. „Aber ich bin’s noch. Das hier ist wirklich und wahrhaftig Gold, und ich weiß, daß es eine ganze Ader davon gibt, die ich bloß allein nicht freilegen kann. Mister Tucker oder Mister Carberry – oder du, Batuti, wollt ihr mal ’reinbeißen, um euch von der Echtheit zu überzeugen?“

Ferris schüttelte grinsend den Kopf. „Danke, nicht nötig. Mit Gold kennen wir uns aus. Ich sehe es auf den ersten Blick, daß dies ein massiver Klumpen des geliebten Metalls ist.“

Jonny zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Ach? Du verstehst dich also auf die Beurteilung von Gold und Silber? Bist du ein richtiger Fachmann? Ein Goldschmied oder so?“

„Unsinn. Ich habe dir doch gesagt, daß ich der Schiffszimmermann auf der ‚Isabella‘ bin.“

„Wir sind Korsaren“, erklärte der Profos. „Das sagt dir doch genug, Jonny, oder?“

„Noch lange nicht alles.“

„Dann warte ab“, sagte Carberry. „Du erfährst schon noch früh genug, was für mordsgefährliche Schnapphähne wir sind.“ Er klopfte sich an den Waffengurt, an den er zwei Hämmer, zwei Äxte und ein Beil gehängt hatte. „Mit diesen hübschen kleinen Werkzeugen hier können wir nicht nur Gold aus den Felsen klopfen, merk dir das. Hast du es dir auch wirklich gut überlegt, ob du zu uns an Bord willst?“

„Ed“, sagte der Seewolf. „Erzähl keine Schauergeschichten. Das ist doch Donegals Privileg.“

„Mein was?“ fragte der alte O’Flynn verdutzt.

„Dein Vorrecht“, sagte Hasard. „Ed, Ferris, Batuti, Al und Smoky, berichtet mir lieber, ob ihr auf dem Weg vom Schiff hierher Maoris begegnet seid.“

„Nein, Sir“, erwiderte der rothaarige Riese. „Nicht den Schatten eines Wilden haben wir entdeckt. Nur ein paar Riesenvögel haben wir gesehen, aber die haben gleich Reißaus genommen.“

„Die Maoris sind wie vom Erdboden verschluckt“, sagte Big Old Shane. „Ist das nun ein gutes Zeichen oder nicht?“

„Es ist ein schlechtes Zeichen“, behauptete der Sumatra-Jonny düster. „Sie hecken eine neue Teufelei aus, verlaßt euch darauf.“

Der Ruf des Ausgucks im Vormars war soeben erst verklungen, und schon hatte Don Lucas el Colmado sein Spektiv hochgerissen und vors Auge gehoben und im kreisrunden Ausschnitt der Optik den schmalen Streifen gesichtet, der sich im Osten über der Kimm erhob. Eine blasse graue Linie, mehr war es nicht. Und doch waren er, der Kommandant des spanischen Schiffsverbandes, und seine Männer sich schlagartig der gleichsam geschichtlichen Bedeutung ihrer Entdeckung bewußt.

„Land in Sicht!“ schrien nun auch die Männer auf der Kuhl. Die Decksleute warfen ihre Mützen hoch und stießen Pfiffe und johlende Laute aus.

Die Soldaten trommelten mit den Kolben ihrer Musketen auf den Planken herum und riefen immer wieder: „Es lebe Don Lucas! Es lebe der König! Es lebe Spanien!“

Wie weggewischt war jetzt die müde, apathische Stimmung, die sich während der letzten Tage der schon Monate dauernden Reise bis ins Unerträgliche gesteigert hatte. Nach dem letzten Sturm, den die drei Schiffe Seiner Allerkatholischsten Majestät, König Philipps II. von Spanien, abgeritten hatten, hatten Erschöpfung, Niedergeschlagenheit und Mutlosigkeit in den Reihen der Seeleute und Seesoldaten mehr und mehr um sich gegriffen. Es hatte nach Meuterei und Fahnenflucht gerochen. Über einen Monat war es her, daß sie kein Land mehr gesehen hatten. Die Vorräte gingen zur Neige. Krankheiten drohten auszubrechen. In dieser Situation wirkte das unverhoffte Auftauchen des Landes auf den Comandante Don Lucas el Colmado wie ein Geschenk des Himmels.

Mit leicht abgespreizten Beinen stand er auf der Back seiner Dreimast-Galeone „San Rosario“ und spähte ausgiebig durch das Rohr. Er genoß diesen Augenblick in vollen Zügen, ein Gefühl des Triumphes bemächtigte sich seiner und ließ ihn nicht mehr los.

„Wir haben es geschafft!“ brüllte hinter seinem Rücken eine Stimme, die er klar als die seines Bootsmannes identifizierte. „Das ist das Südland! Signalisiert zur ‚Sebastian Guma‘ und zur ‚San Biasio‘ hinüber, daß wir unser Ziel endlich erreicht haben und …“

Er unterbrach sich, denn in diesem Moment schallten auch von der zweiten, etwas kleineren Dreimast-Galeone und der zweimastigen, lateinergetakelten Karavelle, die nach achtern gestaffelt hinter der „San Rosario“ liefen, helle, freudige Rufe herüber.

„Land!“

Und so wurden jetzt auch auf der „Sebastian Guma“ und der „San Biasio“ Pfiffe ausgestoßen. Don Lucas wandte sich langsam um und schickte einen langen Blick zu den beiden Schiffen hinüber. Ja, die fast ausgelassene Heiterkeit und Begeisterung der Männer des Flaggschiffes war wie ein Funke auch auf die Besatzungen der anderen beiden Segler übergesprungen.

Von Unmut und Verschwörung, gärendem Haß und dem Drang zur Rebellion konnte jetzt nicht mehr die Rede sein. Ausgelöscht war jeder Gedanke daran, das Interesse der Männer galt nur noch dem fremden Land, das im Osten unter klarem blauen Himmel auf sie wartete.

Don Lucas senkte das Spektiv, schob es wieder halb zusammen und betrachtete die Menschenmenge, die sich auf der Kuhl zusammengeballt hatte. Einzelne Gestalten lösten sich aus der Masse und hangelten katzengewandt in den Wanten hoch, um einen besseren Ausblick auf das Land zu erhaschen. Andere beugten sich weit übers Schanzkleid, so weit, daß sie über Bord zu fallen drohten.

Don Lucas war ein Kommandant, dem es an der nötigen Umsicht nicht mangelte. Er wußte, daß er die Männer jetzt gewähren lassen mußte. Wenigstens im ersten Sturm der überschwenglichen Freude tat er gut daran, wenn er ihre Disziplinlosigkeit duldete.

Später konnte er sie immer noch zur Ordnung rufen.

Nur Ramon de Mesonero, dem Bootsmann, winkte er zu.

Dieser bahnte sich sofort einen Weg durch die Männer und steuerte quer über die Kuhl auf die Back zu, erstieg sie über den Steuerbordniedergang und blieb vor seinem Comandanten stehen.

„Zur Stelle, Don Lucas“, sagte er. „Sie haben mich gerufen?“

Don Lucas maß ihn mit einem kalten, zurechtweisenden Blick. De Mesonero ertrug es, ohne eine Miene zu verziehen, ja, er schien völlig gelassen zu sein.

Die beiden Männer waren von völlig unterschiedlichem Naturell, nichts verband ihre Charaktere miteinander. Don Lucas el Colmado zeichnete sich durch Eisenhärte, Entschlußkraft und Unnachgiebigkeit aus, Eigenschaften, die für eine Aufgabe wie die seine unabdingbar waren. Kompromißlos, hart gegen sich selbst und gegen seine Mannschaften, verfolgte er die Ziele, die er im Auftrag seiner Befehlsgeber in Manila abgesteckt hatte. Er war hochgewachsen und von massiver Statur, sein breites, glattrasiertes Gesicht mit den stechenden blauen Augen hatte eine fast nordische Prägung. Dies war auf seine Herkunft zurückzuführen, denn er stammte weder aus dem Zentrum noch aus dem Süden Spaniens. Seine Heimat war die baskische Hafenstadt Bilbao.

Ramon de Mesonero war genauso groß wie sein Vorgesetzter, jedoch viel schlanker. Sein Haupthaar war ebenso dicht und schwarz wie sein gepflegter Knebelbart, seine Augen groß und dunkel, seine Lippen breit und etwas aufgeworfen, die Farbe seiner Gesichtshaut olivfarben. Er war ein waschechter Andalusier. Doch nicht nur sein Äußeres war so grundlegend anders als das des Kommandanten. Er stellte immer wieder gern unter Beweis, daß er dienstbewußt und der spanischen Krone treu ergeben seine Arbeit verrichtete. Er war sozusagen ein Musterbeispiel von Disziplin und Ehrenhaftigkeit. Und doch ahnte Don Lucas, daß es anders war. Der Bootsmann war im Grunde seines Herzens ein geborener Intrigant und Opportunist, einer, auf den man stets ein waches Auge haben mußte. Wenn die Lage es erforderte, würde er jederzeit mit einer gegnerischen Seite paktieren und – nur auf seinen persönlichen Vorteil bedacht – seine Fahne nach dem Wind hängen.

Don Lucas wußte, daß dies im Falle einer Meuterei fatale Folgen haben konnte. Ein Schiffsoffizier auf der Seite eines aufwieglerischen Haufens konnte genügen, und die Partie war für den Comandante verloren.

„Bootsmann“, sagte Don Lucas, „ich verbitte mir, daß Sie voreilige Schlüsse ziehen. Sie haben eben gerufen, daß wir das Südland vor uns hätten. Dabei wissen wir doch noch gar nicht, ob es der gesuchte Kontinent ist.“

„Senor Comandante, angesichts der Position, in der wir uns befinden, kann es doch nur der südliche Erdteil sein.“

„Widersprechen Sie mir nicht“, sagte Don Lucas um einen Ton schärfer. „Und überlassen Sie alle Schlußfolgerungen mir, verstanden?“

„Si, Senor.“

„Wir gehen jetzt direkt auf Ostkurs und laufen das Land an. Der Wind hat gedreht und weht günstig für uns aus Westen. Das müssen wir ausnutzen. Wir setzen den letzten Fetzen Zeug, den wir zur Verfügung haben. Am frühen Nachmittag will ich vor der fremden Küste vor Anker gehen.“

„Si, Senor“, sagte der Bootsmann noch einmal. Dann wandte er sich mit einer Drehung auf dem Stiefelhacken ab und kehrte auf die Kuhl zurück, um die Order weiterzuleiten. Seine Miene war unverändert, wie Don Lucas mit einem raschen Blick feststellte. Doch der Kommandant hätte nur allzu gern gewußt, was hinter Ramon de Mesoneros Stirn vorging.

Natürlich konnte der Mann mit seiner Annahme recht haben, soviel mußte Don Lucas ihm zugestehen. Doch der Baske wollte sich erst die Gewißheit verschaffen, daß er tatsächlich einen ganzen Erdteil und nicht nur eine Insel vor sich hatte. Erst dann würde er in sein Logbuch eintragen: „Heute haben wir das sagenhafte Südland entdeckt.“

Rein theoretisch konnte es möglich sein. Sie waren mit ihrem Verband weit nach Süden vorgedrungen, so weit, daß Don Lucas und die Kapitäne der beiden anderen Schiffe fast Furcht vor der eigenen Courage bekommen hatten. Sie befanden sich jetzt nahezu im Gebiet der berüchtigten „Brüllenden Vierziger“, der Sturmregionen jenseits des vierzigsten Breitenkreises.

Enttäuscht von der Erfolglosigkeit ihres Unternehmens, hatte Don Lucas el Colmado vor drei Tagen schon nach Westen abdrehen wollen, um ein paar Tagesreisen weit in jener Himmelsrichtung weiterzusuchen. Doch der starke Wind aus Südwesten hatte sie weiter nach Südosten gedrückt. Sie hatten es nicht geschafft, mit den beiden Galeonen und der Karavelle dagegen zu kreuzen.

Heute war Don Lucas froh über diese Entwicklung. Sie schien wirklich eine Fügung des Himmels zu sein. Mit einemmal rückten all die Ziele, die er anstrebte, wieder in greifbare Nähe.

Er sollte neues Land entdecken und erforschen, wenn schon nicht das legendäre Südland, von dem alle Wissenschaftler und Seefahrer träumten, dann doch wenigstens neue Inseln. Er sollte Pflanzen und Früchte sammeln, fremdartige Tiere erlegen und Wilde einfangen – letztere nicht nur als Exemplare, die den Gelehrten für ihre Studien dienen würden, sondern auch als Sklaven, die in ganz Ostindien für den Ausbau der spanischen Niederlassungen dringend gebraucht wurden.

Darüber hinaus war es Don Lucas’ Pflicht, auch nach dem verschollenen Don Mariano José de Larra zu forschen. Dieser war im Frühjahr des Jahres 1590 mit der Galeone „Hernán Vortés“ von Manila aus in See gegangen, um ebenfalls nach dem südlichen Kontinent zu suchen. Nie wieder hatte man von de Larra und seiner Mannschaft gehört, keine Nachricht über das Schicksal der Männer hatte je wieder die Philippinen erreicht. War die „Hernán Cortés“ in einem der vielen Wirbelstürme, die Jahr für Jahr die Südsee peitschten, gesunken? Oder hatte de Larra, der ein verwegener Abenteurer und Glücksritter war, gar den Erdteil entdeckt – ein Land, in dem es Gold und Silber geben sollte und in dem nach den Behauptungen der kühnsten Träumer „Milch und Honig flossen“?

Don Lucas blickte wieder voraus.

Die „San Rosario“ segelte jetzt mit achterlichem Wind und lief mehr Fahrt. Die „Sebastian Guma“ und die „San Biasio“ hatten mitgezogen. Mit hohen, rauschenden Bugwellen liefen die drei Schiffe auf das unbekannte Land zu, das über der östlichen Kimm jetzt mehr und mehr zu einem schwarzen Schattenriß wurde.

Don Lucas ahnte nicht, daß dort bereits eine stolze dreimastige Galeone vor Anker gegangen war und deren Kapitän vor einiger Zeit mit eben jenem Don Mariano José de Larra eine höchst dramatische Begegnung gehabt hatte.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 196

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