Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 374 - Roy Palmer - Страница 5
1.
ОглавлениеHector, der Schlagetot aus der Bande des Catalina, war ein über sechs Fuß großer Kerl mit gewaltigen Muskelpaketen, ausladenden Schultern und riesigen Fäusten. Sein schwarzes Bartgestrüpp wucherte wild und unkontrolliert bis auf die Brust hinunter. Zusammen mit dem zerzausten und strähnigen Haupthaar und den buschigen Augenbrauen wirkte seine Physiognomie drohend und furchteinflößend, schlimmer noch als die jedes Kannibalen aus den Urwäldern des Amazonas.
Den Wolfs- und Höhlenmenschen sah jeder in diesem Hector verkörpert. Grauen und Unheil gingen von diesem wandelnden Ungeheuer aus, dessen rechtes Auge obendrein durch einen Messerstich verwüstet war. Blind war der Pirat auf diesem Auge, aber mit dem anderen sah er um so besser, und nichts konnte seiner lauernden Aufmerksamkeit entgehen. Er tötete bedenkenlos mit der Pistole, mit dem Messer oder mit den bloßen Fäusten, um in den Besitz von Beute zu gelangen.
Ihm zur Seite stand Ubaldo. Ubaldo war ebenso groß wie Hector, und seine immensen Körperkräfte hatten ihm den Beinamen „Knochenbrecher“ eingebracht. Das war keine Übertreibung: Durch eine simple Umarmung vermochte Ubaldo jeden Mann zu zerquetschen. Er unterschied sich von seinem Kumpan äußerlich durch den lichten Haarwuchs – nur ein Kranz von Haaren umschloß seinen Hinterkopf –, die zahlreichen Messernarben im Gesicht, das gebrochene Nasenbein, zwei gesunde graue Augen und das rote Hemd, das er im Gegensatz zu dem halbnackten Hector zu seiner zerschlissenen Hose trug.
Innerlich verband die Kerle der Pakt der Gier und Raffsucht, sonst aber gar nichts. Keine einfache Form der Halunkenehre bestand zwischen ihnen. Jeder dachte nur an seinen persönlichen Vorteil. Dies galt auch für den dritten Spießgesellen, ein Halbblut namens Saint-Laurent.
Saint-Laurent war hager und knochig, doch das täuschte leicht über die enorme Kraft, über die auch er verfügte. Er war nicht minder gefährlich als Hector und Ubaldo und hatte ein totenkopfgleiches Gesicht sowie lange Arme und Bewegungen, denen etwas Raubtierhaftes anhaftete. Er behauptete, der Sohn eines Kreolen und einer spanischen Hure zu sein, aber niemand wußte, ob das stimmte. Nur eines war sicher: Er wurde fuchsteufelswild, wenn man ihn einen Bastard nannte. Dann griff er sofort zum Messer.
Am 17. März 1594 tötete Hector in einer Hütte bei Caibarién mit einem Messerwurf Gros Piton, den Glatzkopf. Gros Piton versuchte sich zwar zu wehren, als er sich der Gefahr bewußt wurde, doch zwei Umstände waren gegen ihn: Zum einen war er durch die Hure Mariana abgelenkt, mit der er sich in die Hütte zurückgezogen hatte und gerade beschäftigte. Der zweite negative Punkt war, daß er gleich drei Kerle gegen sich hatte: Hector, Ubaldo und Saint-Laurent.
Ubaldo und Saint-Laurent griffen Gros Piton blitzschnell, kaum daß sie in die Hütte eingedrungen waren. Mariana versuchte zu fliehen, aber Hector packte sie und schleuderte sie zu Boden, wo sie wimmernd liegenblieb.
Dann sauste das Messer, von Hector geschleudert, durch die Luft und grub sich in Gros Pitons Brust. Gros Piton brach sofort zusammen.
Ubaldo und Saint-Laurent ließen ihn neben der Lagerstatt liegen. Sie durchsuchten ihn und förderten eine ansehnliche Anzahl von Münzen zutage. Schnell teilten die drei das Geld untereinander auf.
Dann fragte Saint-Laurent: „Was tun wir mit ihr?“ Er blickte zu Mariana, deren große Brüste sich bei jedem Atemzug heftig hoben und senkten.
„Besorg’s ihr“, sagte Hector. „Wir können keine Zeugen brauchen.“
„Nein, nein“, stammelte die Frau.
Ubaldo trat mit dem Messer in der Hand auf sie zu. „Schrei nicht! Sonst bist du gleich dran.“
„Ich kann nichts dafür!“ stieß sie hervor. Sie war üppig gebaut und hatte lange, leicht gelockte schwarze Haare, die ihr bis auf die Schultern fielen. Eine Augenweide für jeden Kerl, daß sie aber auch ein ausgekochtes, skrupelloses Luder war, ahnten die drei nicht: „Ich wußte nicht, daß ihr hinter ihm her wart! Das müßt ihr mir glauben, es ist die Wahrheit!“
„So?“ Ubaldo grinste und sah zu seinen Kumpanen. Eigentlich war es ein Jammer, die Frau zu töten, ohne sich vorher ein bißchen mit ihr zu vergnügen. „Was hättest du denn getan, wenn du es gewußt hättest?“
„Ich hätte ihn an euch ausgeliefert.“
„Aus reiner Ehrlichkeit?“
Mariana schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. So ein Ammenmärchen brauche ich euch wohl nicht erst aufzubinden. Ich hätte aus Eigennutz gehandelt. Ihr seid zu dritt, und ihr gefällt mir besser als er.“ Anerkennend musterte sie die drei Kerle. Sie wußte jetzt, daß man sie doch nicht umbringen würde.
„Gros Piton gehörte zu uns“, sagte Hector mit dunkler, schleppender Stimme. „Aber er hat einen Fehler begangen. Er hat versucht, uns ’reinzulegen. Das haben schon mal zwei andere tun wollen. Auch sie haben dafür bezahlt.“
Das war auf einer der westlichen Inseln der Sabana-Gruppe geschehen, also gar nicht weit von Havanna entfernt. Hector, Ubaldo, Saint-Laurent und Gros Piton waren als Bewacher der Silberbarren im Schlupfwinkel ihrer Bande zurückgeblieben, zusammen mit zwei anderen Kerlen. Als Catalina und die Bande nicht mehr aus Havanna zurückkehrten, beschlossen Hector und die drei anderen, mit den Silberbarren zu türmen. Die beiden Kumpane waren damit nicht einverstanden. Sie wollten Catalina nicht hintergehen und waren auch nicht bereit, zu desertieren.
Hector und seine drei Genossen brachten die beiden daraufhin nach einem kurzen Handgemenge um und setzten sich mit der zweimastigen Schaluppe ab, an Bord das Silber. In Caibarién sollte wenigstens ein Teil der Beute in klingende Münze umgesetzt werden, denn mit reinem Silber konnte man weder Wein und Rum noch Huren bezahlen.
Hector, Ubaldo und Saint-Laurent schickten Gros Piton los. Er sollte zehn Barren verkaufen. Tatsächlich gelang es ihm, sie in der Kneipe „Consolación“ bei dem grinsenden Riesen Domingo loszuwerden. Aber vergebens warteten die drei Kumpane auf seine Rückkehr.
Hector ließ Mariana nicht aus dem Auge, er wollte sehen, wie sie auf seine Worte reagierte. „Statt von der Kaschemme zu uns zurückzukehren, ist er mit dir losgezogen, um sich hier mit dir zu vergnügen. Das hat uns nicht gepaßt. Hast du ihn dazu überredet?“
„Nein. Er hat mich gekapert und wollte mich unbedingt abschleppen.“ Das war eine Lüge. Mariana hatte beobachtet, wie Gros Piton die Silberbarren unter dem Tisch an Domingo verkauft hatte. Daraufhin hatte sie sich an ihn herangepirscht, mit ihm Wein getrunken und ihn davon überzeugt, daß die Welt ohne seine drei Spießgesellen viel schöner und unterhaltsamer war. Als er bereits ziemlich angetrunken gewesen war, hatte sie ihn mit sich in die Hütte gelockt.
Domingo hatte davon aber nichts verlauten lassen, um sie nicht unnötig zu gefährden. So nahmen die drei Piraten ihr jetzt ab, was sie sagte.
„Gros Piton war ein blöder Hund“, sagte Saint-Laurent. „Es ist nicht schade um ihn.“ Er grinste sie auffordernd an. „Also los, Mariana, wenn wir dir so gut gefallen, wie du sagst, kannst du es uns beweisen. Zeig her, was du zu bieten hast.“
Hector hielt ihn zurück. „Nicht hier. Es ist besser, jetzt zu verschwinden – ehe jemand aufkreuzt und den Toten entdeckt.“
„Lassen wir die Leiche verschwinden“, sagte Saint-Laurent.
„Wir könnten sie im Dschungel vergraben“, schlug Ubaldo vor.
Hector schüttelte das bärtige Haupt. „Das hat keinen Zweck. Vielleicht plaudert dieser Domingo was aus, ich traue ihm nicht. Es riecht nach Unrat. In Kürze schon können wir die Stadtgarde am Hals haben. Es ist besser, wir verschwinden.“ Er wies auf Mariana. „Wir nehmen sie mit.“
„Du weißt doch gar nicht, ob sie einverstanden ist“, sagte Ubaldo grinsend.
Mariana erhob sich. Dies war ihre Chance. Sie wollte Caibarién nicht verlassen, doch sie war auf das Silber versessen. Daß sich an Bord der Schaluppe noch mehr Barren befanden, hatte sie bereits von Gros Piton erfahren.
„Ich bin einverstanden“, sagte sie. „Ich bin froh, daß ich die Hütte für eine Weile aufgeben kann. Und ihr werdet nicht bereuen, mich an Bord eures Schiffes zu haben.“
Hector lachte. „Als Kurzweil scheinst du wirklich einiges auf Lager zu haben. Darüber unterhalten wir uns noch ausführlich. Aber jetzt los.“
Sie lachten alle vier und verließen die Hütte. Sie gingen zu der nahen Bucht, in der die Zweimast-Schaluppe gut versteckt ankerte. Sie lag keine zehn Minuten Fußweg entfernt. Sie wußten nicht, daß sie von einem Kreolenjungen beobachtet wurden.
Dieser Junge – er hieß Dante – erzählte wenig später einem gewissen Don Juan de Alcazar und einem blonden Deutschen namens Arne von Manteuffel, was er gesehen hatte. Don Juan entlohnte den quicken, gewieften Burschen mit zwei Silbermünzen für seine Auskünfte und nahm sofort wieder die Verfolgung der Zweimast-Schaluppe auf, die sich nach seinen Berechnungen nur weiter nach Osten gewandt haben konnte.
Diese Annahme, die im übrigen durch Dante bestätigt wurde, erwies sich als völlig richtig. Dennoch wurde Don Juan in seiner Jagd nach den Piraten behindert – durch den Sturm, der vom Morgen des 18. bis zum Vormittag des 20. März vor der Nordküste von Kuba tobte. Mit seiner Mannschaft von acht Männern und Arne von Manteuffel mußte er an die Leeküste der Cayo Cocos verholen.
Jetzt war der Ausgang der Verfolgung ungewiß. Don Juan war wütend. Er war einer der hartnäckigsten Spürhunde, der für die spanische Krone tätig war. Er ließ nicht eher nach, bis er ein Ziel erreicht hatte. Aber wie sollte er die Piraten jetzt noch fassen? Wie verhielten sie sich im Sturm? Waren sie nicht dazu verdammt, mit Mann und Maus unterzugehen und zu ertrinken?
Das Inferno war ausgebrochen. Die zweimastige Schaluppe wurde zu einem Opfer der entfesselten Naturgewalten. Wild tanzte sie in den rauschenden Brechern und drohte, jeden Augenblick querzuschlagen. Es donnerte, orgelte, dröhnte und brauste, und in die Todessinfonie der See mischte sich Marianas hysterisches Geschrei.
Verzweifelt klammerte sie sich an einer Ducht fest. Jetzt bereute sie doch ihren Entschluß, sich den drei Kerlen angeschlossen zu haben. Es schien das Ende zu sein. Die Zweimast-Schaluppe entging diesem Wüten und Toben nicht mehr. Sie war dem Untergang geweiht.
Hector, Ubaldo und Saint-Laurent hatten die Wetterentwicklung falsch bewertet. Sie hatten damit gerechnet, nur von Ausläufern des Sturmes gestreift zu werden. Somit betrieben sie schlechte Seemannschaft und sollten ihren Fehler schwer bereuen.
Als der Sturm sie einmal gepackt hatte und durchschüttelte, war es zu spät, nach einer Insel zu suchen, in deren schützende Bucht sie verholen konnten.
„Wir können den Sturm nur abreiten!“ brüllte Hector seinen Kumpanen zu.
„Wahnsinn!“ schrie Ubaldo. „Der Kahn geht dabei drauf! Wir saufen ab wie die Ratten!“
„Ich will nicht sterben!“ rief Mariana.
Sie streckte ihre Hand nach Saint-Laurent aus, der ihr am nächsten stand, aber er kümmerte sich nicht um sie. Er hatte mit sich selbst genug zu tun und konnte gerade noch rechtzeitig genug einen Knoten in das Tau schlagen, mit dem er sich festgebunden hatte, um nicht über Bord zu gehen.
Die Segel waren rechtzeitig geborgen worden, und jetzt tat Hector das einzige, was man in ihrer Lage noch unternehmen konnte. Er brachte achtern einen Treibanker aus, der der Schaluppe wenigstens etwas Stabilität in dem Tosen der aufgewühlten Fluten verleihen sollte. Dann band auch er sich an den Strecktauen fest und führte einen wilden Kampf mit dem Ruder, das ihm nicht mehr gehorchen wollte.
Die Piraten hatten jegliche Orientierung verloren. Sie wußten kaum noch, in welche Richtung der Sturm die Zweimast-Schaluppe drückte. Doch bald sollten sie das auf dramatische Weise erfahren, und auch Ubaldos unheilvolle Prophezeiungen schienen sich zu erfüllen.
Sturzbäche von Regen und Gischt ergossen sich auf die Schaluppe, von allen Seiten dröhnte und hämmerte es auf die Bordwände und die Takelage ein. Mariana kreischte, schluchzte und stöhnte, sie schluckte Wasser, spuckte es wieder aus und drohte ihren Halt an der Ducht zu verlieren.
Plötzlich hob sich die Schaluppe, wie von einer unsichtbaren Macht getragen, und sie schien die schaumgekrönten Kämme der höchsten Wogen kühn und voll Todesverachtung abzureiten. Dann aber sackte sie wieder ab und begann eine rasende Talfahrt in gähnende schwarze Schlünde. Ein heftiger Schlag, ein Ruck und ein berstendes, krachendes Geräusch beendeten den Sturz. Die Schaluppe schien zu zerplatzen. Mariana flog außenbords, doch es war ihr Glück, daß sie sich inzwischen an einem Tau festklammerte. Der Mut der Verzweiflung hatte ihre Panik verdrängt, sie hielt sich wie eine Katze fest und ließ das Tau nicht mehr los.
Hector flog über eine Ducht und prallte mit Ubaldo zusammen. Beide stolperten sie über Saint-Laurent. Ein riesiges Leck klaffte im Boden der Schaluppe, und für einen Augenblick hatte es den Anschein, als würde es sie verschlucken.
Doch dann begriffen sie, was geschehen war.
„Wir sitzen auf einem Riff fest!“ brüllte Hector. „Der verfluchte Kahn kann jeden Moment auseinanderbrechen! Setzt das Boot aus!“
Aber das Beiboot war bereits außenbords geflogen und in den kochenden Fluten verschwunden. Die Piraten hatten keine andere Wahl: Sie mußten schwimmen. Aber wohin sollten sie sich wenden?
„Das ist ein Riff vor Cayo Cruz!“ schrie Hector. „Wir müssen die Insel erreichen, um jeden Preis! Los, hauen wir ab, ehe es zu spät ist!“
Eine Woge hob die Schaluppe wieder ein Stück hoch, das Wasser lief ab, und der Zweimaster krachte zwischen die Zacken des Riffs. Hector, Ubaldo und Saint-Laurent verloren keine Zeit mehr, sie wußten, was die Stunde geschlagen hatte. Sie stiegen über die bizarren Formationen, die zum Teil aus dem Wasser ragten, und ließen sich in die Fluten fallen. Dann schwammen sie, als säßen ihnen tausend Teufel der Hölle im Nacken.
„Hilfe!“ schrie Mariana. „Laßt mich nicht allein!“
Saint-Laurent packte sie und zog sie mit sich fort. Sie ließ das Tau los und hatte das Gefühl, wie ein Stein unterzugehen. Wieder schluckte sie Wasser. Sie war eine miserable Schwimmerin und vermochte sich aus eigener Kraft kaum über Wasser zu halten. Wild hieb sie um sich. Dadurch gefährdete sie nun auch Saint-Laurent. Er fluchte und schlug ihr mit der Faust gegen die Schläfe. Ihr Körper erschlaffte, er konnte sie abschleppen.
Aber leicht war das nicht. Auch ein kräftiger und gewandter Mann wie das Halbblut, der sich im Wasser in seinem Element fühlte, seit er geboren worden war, hatte bei dieser Aufgabe mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Ein Fliegengewicht war die Frau nicht, und ihre Bewußtlosigkeit schien sich auf ihre Schwere auszuwirken. Sie drohte, ihn in die Tiefe zu ziehen.
Er war versucht, sie loszulassen und aufzugeben, dann aber brachte er sich in eine günstigere Rückenlage, schob ihr eine Hand unters Kinn und nahm sie mit, indem er mit der freien Hand kräftig ruderte. Er handelte nicht aus Menschlichkeit, sondern weil er sich davon etwas versprach. So weit hatten sie Mariana nun schon mitgeschleppt – jetzt wollte er auch seinen Spaß mit ihr haben.
Das Riff, das sich vor der Nordküste der Insel Cruz erstreckte, nahm den Sturmbrechern etwas von ihrer Kraft und ihrem Ungestüm. Auf offener See wären Hector, Ubaldo und Saint-Laurent vermutlich ertrunken. Hier aber hatten sie eine Chance. Sie kämpften ums Überleben und arbeiteten sich nach Süden zum Ufer der Insel vor, das sie anfangs nur vermuten konnten.
Dann aber stellte sich heraus, daß Hectors Vermutung richtig war: Eine donnernde Brandung warf sie auf den Sandstrand. Hector und Ubaldo blieben keuchend liegen. Hector richtete sich als erster wieder auf, drehte sich um und hielt nach Saint-Laurent und der Frau Ausschau.
Wenn sie abgesoffen sind, brauchen wir das Silber nur noch unter uns beiden aufzuteilen, dachte Hector und warf Ubaldo einen raschen Blick zu. Oder aber auch du verreckst, Amigo. Wer weint dir schon eine Träne nach.
Ubaldos Gedanken verliefen in ähnlicher Richtung. Doch ihre Erwartungen bezüglich Saint-Laurents und Marianas Schicksal erfüllten sich nicht. Die nächste Brandungswoge spülte auch die beiden an, und Saint-Laurent erhob sich grinsend vor ihnen, nachdem er sich zweimal auf dem Sand überrollt hatte.
„Na, wie haben wir das wieder hingekriegt?“ fragte er im Rauschen des Wassers und im Heulen des Windes.
„Beschissen!“ rief Hector. „Wir müssen das Silber von dem verdammten Kahn abbergen! Aber wie?“
„Das findet sich noch!“ schrie Ubaldo und deutete auf die reglose Frau. „Aber was ist mit ihr? Ist sie tot?“
Saint-Laurent beugte sich über Mariana und drehte sie auf den Rücken. Er befreite sie von dem Seewasser, das sie geschluckt hatte. Es schienen einige Gallonen zu sein. Hector und Ubaldo sahen wie gebannt auf die Frau. Ihr ohnehin schon kurzes und enges, tief ausgeschnittenes Kleid klebte ihr durch die Nässe wie eine zweite Haut am Leib. Sie wirkte nackt, und ihre Brüste zeichneten sich wie Hügel gegen den Sand ab.
Sie kam zu sich und rieb sich mit den Fingerspitzen die Schläfe.
„Was ist geschehen?“ fragte sie verdattert.
Saint-Laurent grinste sie an. „Das erzähle ich dir später. Laß uns erst mal ein Stück laufen. Wie ich Hector kenne, hat er vor, die Insel gleich zu erforschen.“
In der Tat strebte Hector bereits dem Inseldschungel zu. Ubaldo folgte ihm. Saint-Laurent und Mariana schlossen sich ihnen an. Hector war der Führer des Trios – er war es von Anfang an gewesen. Seine Idee war es gewesen, Catalina und den Schlupfwinkel im Stich zu lassen. Er hatte seinen Getreuen bedenkenlos den Befehl gegeben, die Kumpane umzubringen, genauso skrupellos hatte er sich auch Gros Piton vom Hals geschafft. Seine Befehle wurden akzeptiert. Bislang hatte er, wie es schien, den richtigen Kurs eingeschlagen, und Ubaldo und Saint-Laurent sahen keinen Grund, sich gegen ihn aufzulehnen. Schließlich waren sie dank des Silbers zu steinreichen Männern geworden.
Aber die Silberbarren mußten von dem Riff geborgen werden, bevor sie mit dem Wrack für alle Zeiten versanken. Die Zeit drängte – sie brauchten ein Boot, um ihr Vorhaben durchzuführen. War die Insel bewohnt?
Hector bahnte sich einen Weg durchs Dickicht. Nach einigen Schritten blieb er stehen und drehte sich zu den Kumpanen um.
„Es muß hier wenigstens ein paar Fischer geben“, sagte er. „Ich bin früher nur mal kurz hier gelandet, aber ich glaube, damals lagen ein paar Boote am Südufer. Sehr breit kann die Insel nicht sein.“
„Dann weiter“, sagte Ubaldo. „Ehe es dunkel wird, müssen wir eine Nußschale gefunden haben, und wenn der Sturm ein wenig nachläßt, können wir das Silber ohne allzu große Schwierigkeiten holen.“
Es war der 19. März, kurz nach der Mittagswende.