Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 374 - Roy Palmer - Страница 6
2.
ОглавлениеPedro Murena war durch keinen Sturm aus der Ruhe zu bringen. Wenn das Boot am Steg so vertäut war, daß es sich nicht losreißen konnte, und auch die zum Trocknen aufgehängten Netze entsprechend gesichert waren, brauchte er um nichts mehr zu bangen.
Die Hütte am Südufer der Insel Cruz war ein sicherer Zufluchtsort, in hundert Wettern erprobt. Sie wirkte zerbrechlich, war es aber nicht. Pedro hatte lange Zeit darauf verwendet, sie nach eigenen Plänen zu errichten. Sie war nach einem simplen, aber gescheiten Konzept konstruiert. Die Wände und das Dach waren durch nach allen Seiten verspannte Taue zusätzlich gegen Einsturz gesichert – wie die Masten eines Schiffes.
Luis, Pedros Sohn, wußte ebenfalls genau, wie er sich zu verhalten hatte, wenn ein Sturm nahte, sowohl auf See als auch an Land. Er brauchte nicht zu fragen, was er zu tun hatte. Jeder Handgriff saß, alle Maßnahmen wurden praktisch im Handumdrehen getroffen. Luis war vierzehn Jahre alt, und sein Vater war sehr stolz auf ihn.
Portugiesen waren sie, seit zehn Jahren schon in der Karibik ansässig. Luis’ Mutter war bei der Überfahrt an Bord der Auswanderer-Galeone an der Ruhr gestorben. Auch Luis wäre fast ums Leben gekommen, doch die Ausdauer seines Vaters, der aufopfernd um ihn besorgt gewesen war, hatte sich ausgezahlt. Luis hatte der Krankheit getrotzt. Für Pedro war es ein Wunder des Himmels.
Einige Jahre lang hatte sich Pedro mehr schlecht als recht auf Kuba durchgeschlagen, dann hatte er das Geld zusammengekratzt, von dem er sein erstes bescheidenes Boot gekauft hatte. Ein paar glückliche Fänge hatten ihm zu einem größeren Boot verholfen, und Luis’ und seine Existenz als Fischer war gesichert gewesen.
Luis gefiel der Beruf. Pedro konnte ihn bereits allein mit dem Boot auslaufen lassen. Der Junge kannte alle Tricks seines Metiers und die Tücken der See, die er respektierte und stets richtig einschätzte.
Was Luis weitaus weniger schätzte, war, sich in Hafenkneipen herumzutreiben. Er verachtete Männer, die sich in Kaschemmen vollaufen ließen, spielten und herumhurten. Genauso zuwider war ihm, sich durch unredliche Machenschaften „nebenher etwas zu verdienen“, wie es viele Bewohner der Küste taten. Er hatte weder zum kleinen Schnapphahn noch zum Gauner das Zeug, er war eine durch und durch ehrliche Haut wie sein Vater. Und Pedro konnte wirklich sehr stolz auf ihn sein.
Schweigend saßen sie sich am Tisch gegenüber und lauschten dem Wüten des Sturmes. Ein Tonkrug stand auf dem Tisch. Hin und wieder füllte Pedro die Becher mit Wein. Es war ein leichter Wein, hell und klar wie Wasser. Luis trank schon mal zwei Becher davon, sein Vater zuweilen auch einen halben Krug.
„Der Wein tut dem Blut gut“, sagte Pedro. Das stimmte auch wirklich. Aber Vater und Sohn betranken sich nie. Ihr Handeln, ihr ganzes Leben wurde durch ihre ausgeprägten Instinkte bestimmt, die ihnen in jeder Situation eingaben, was richtig und falsch war. Und natürlich wußten sie auch genau, wo ihre Grenzen lagen.
Pedros Frau hatte ein ähnlich ausgeglichenes Gemüt gehabt, und sie drei hätten sehr gut zusammengepaßt. Das wußte Pedro, und wenn er gelegentlich darüber nachsann, fühlte er sich stark deprimiert. Dann versuchte er, die Erinnerung an Luis’ Mutter zu verdrängen. Er hatte sie sehr geliebt. Luis war damals noch zu klein gewesen, er konnte sich nur dunkel ihrer entsinnen.
„Morgen ist der Sturm vorbei“, sagte Pedro. „Dann fischen wir zwischen dem Riff und der Nordseite der Insel.“
Luis schaute auf. „Glaubst du, daß uns wieder so viele Zackenbarsche ins Netz gehen wie letztes Mal?“
„Sicher. Sie suchen Zuflucht südlich des Riffes. Aber wir werden auch Glück mit Umbern und Zahnfischen haben, denke ich.“
„Ja, und Makrelen und Sardinen fangen wir sowieso“, sagte Luis. „Die Hauptsache ist, daß uns nicht wieder ein paar Hummer ins Netz gehen, die mit ihren Scheren die Maschen zerschneiden.“ Plötzlich horchte er auf. „Hast du das gehört?“
„Nein. Was denn?“
„Stimmen.“ Luis stand auf. „Da sind Menschen. Ich sehe mal nach, was los ist.“
„Bist du sicher?“ fragte sein Vater überrascht. „Ich habe wirklich nichts gehört. Und wer soll bei diesem Wetter hier auftauchen?“
„Vielleicht Schiffbrüchige, die dringend unsere Hilfe brauchen“, entgegnete Luis. Mit diesen Worten ging er zur Tür, stemmte sie gegen den jaulenden Nordostwind auf und schlüpfte ins Freie. Sein Vater erhob sich mit leicht betroffener Miene, griff dann aber vorsichtshalber zu seinen Waffen und folgte ihm.
Hector, Ubaldo, Saint-Laurent und Mariana hatten den Dschungel der Insel durchquert und sahen die Hütte sofort, als sich der grüne Vorhang wieder vor ihnen öffnete. Sie stand unmittelbar am Wasser, unter hohen Palmen, die sich im Sturmwind wie Grashalme bogen. Weiter erblickten die vier ein Boot, das sich hüpfend an einem Steg auf und ab bewegte, und ein paar Fischernetze, die an Gerüsten aufgespannt waren.
„He!“ brüllte Ubaldo. „So ein Glück! Das Boot holen wir uns!“
„Sei still!“ fuhr Hector ihn an. „Wir wissen nicht, wie viele Leute in der Hütte sind!“
„Das ist doch egal“, sagte Mariana. Sie hatte sich inzwischen erstaunlich schnell erholt und ihre Fassung wiedererlangt. Sie konnte jetzt kühl überlegen und wußte, was sie zu tun hatten. Sie hatte nur den einen Gedanken: Das Silber. „Wenn uns jemand Schwierigkeiten bereitet, schießt ihr ihn nieder.“
Saint-Laurent grinste. „Hast du schon mal mit nassem Pulver geschossen?“
„Ich habe noch nie eine Pistole oder eine Muskete benutzt“, sagte sie.
„Deshalb kannst du’s auch nicht wissen. Nach dem unfreiwilligen Bad sind unsere Pistolen untauglich, wir müssen sie erst wieder an der Sonne trocknen.“
„Ihr habt aber noch eure Säbel und Messer“, sagte sie.
„Achtung!“ stieß Hector hervor und zog sich unwillkürlich wieder ein Stück in den Busch zurück. „Da ist jemand!“
Die drei anderen duckten sich. Zusammen beobachteten sie aus dem Dickicht, wie Luis die Hütte verließ und ihnen ein Stück entgegenging.
„Vielleicht hat er was gehört, als du rumgebrüllt hast“, zischte Hector Ubaldo zu. „Aber das spielt jetzt auch keine Rolle mehr. Wir schnappen ihn uns und können ihn gut gebrauchen – als Lotsen.“
„Wenn er uns sieht, ergreift er die Flucht“, sagte Ubaldo.
„Laßt mich das erledigen“, sagte Mariana.
Ohne eine Äußerung der drei Kerle abzuwarten, verließ sie das Gestrüpp und ging im wirbelnden Sand auf Luis zu. Es hatte aufgehört zu regnen, aber sie war immer noch pudelnaß. Luis blieb stehen. Er konnte nicht anders, er mußte die fremde Frau in ihrer provozierenden Nacktheit ansehen. Fast schämte er sich dessen, als sie ein paar Schritte von ihm entfernt stehenblieb und die Hand nach ihm ausstreckte.
„Hilf mir!“ stieß sie hervor. „Ich bin am Ende.“ Dann brach sie zusammen.
Entsetzt stürzte er zu ihr und beugte sich über sie. In diesem Augenblick drehte sie sich auf den Rücken, griff mit beiden Händen zu und zog ihn zu sich heran. Sie preßte ihn an sich und raunte ihm ins Ohr: „Junge, du bist hübsch. Hast du überhaupt schon mal ein Mädchen gehabt?“
„Das genügt“, sagte Hector. Er hatte sich mit den beiden anderen angepirscht und sie umringten Mariana und den Jungen jetzt.
Mariana lachte rauh. Luis sprang auf. Hector packte ihn, zerrte ihn zu sich heran und hielt ihm das Messer an die Kehle, das er gezückt hatte.
„Vorsicht“, sagte er. „Wenn du dich wehrst, krepierst du, du Kröte. Wer bist du?“
Luis schwieg. Seine Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepreßt, er warf haßerfüllte Blicke auf die Frau und die drei Kerle. Mein Gott, dachte er, das sind Piraten.
Pedro Murena hatte die Hütte ebenfalls verlassen und eilte auf die Gruppe zu. In den Händen hielt er eine Muskete, in seinem Gurt steckten eine Pistole und ein Cutlass.
„Luis!“ schrie er. „Luis!“
Die Kerle lachten.
„Aha, er heißt also Luis“, sagte Hector. „Und wer ist das?“ Er trat mit dem Jungen vor Pedro hin und brüllte: „Wer bist du?“
„Pedro Murena.“ Fassungslos blickte Pedro auf die Szene, dann hob er die Muskete. „Laßt meinen Sohn los!“
Hector schüttelte den Kopf, die anderen lachten wieder. „Ich steche dein Söhnchen ab, wenn du feuerst, du Esel! Wenn du trotzdem schießt, hast du nur zwei Kugeln und kannst nur zwei von uns erledigen! Die beiden anderen schneiden dir den Kopf ab!“
„Was wollt ihr?“ fragte Pedro erschüttert.
„Nicht viel, nur dein Boot.“
„Es ist Wahnsinn, bei dieser See auszulaufen.“
„Gehen wir erst mal in die Hütte“, sagte Hector. „Da unterhalten wir uns weiter. Wir brauchen nämlich jemanden, der sich in dieser Gegend auskennt. Ich war schon mal hier, aber das genügt nicht.“
„Richtig“, sagte Ubaldo. Er wandte sich an Pedro. „Los, Amigo, her mit den Waffen. Oder willst du, daß Hector dein Söhnchen mit dem Messer kitzelt?“
„Vater!“ schrie Luis. „Kümmere dich nicht um mich! Sie töten uns sowieso!“
Hector faßte ihm mit einer Hand an den Hals und drückte ihn langsam zusammen. Pedro ließ die Waffen fallen, hob beschwörend beide Hände und rief: „Ich flehe euch an, laßt ihn in Ruhe! Wir ergeben uns!“
Hector lockerte seinen Griff und stieß den Jungen vorwärts. „Das hört sich schon besser an. Habt ihr auch Wein und Rum in eurer Bude?“
„Wein“, erwiderte Pedro. „Einen guten Tropfen sogar.“
Ubaldo hob die Muskete, die Pistole und den Cutlass vom Strand auf.
Saint-Laurent nickte anerkennend und hieb Pedro auf die Schulter. „Gut so, Compadre! Du scheinst vernünftig zu sein! Mit dir kann man reden!“
„Ich hoffe, wir können uns einigen“, sagte Pedro.
Verzweifelt suchte er nach einem Ausweg. Was immer auch die Absichten dieser Halunken waren, eins war sicher: Sobald die Kerle sie nicht mehr brauchten, wurden sie getötet. Auf Rücksicht seitens der Frau brauchten sie auch nicht zu hoffen. Sie schien schlimmer zu sein als die Kerle, eine hartgesottene, durchtriebene Hafenhure, wie Pedro auf den ersten Blick erkannte.
Sie erreichten die Hütte.
„Ist hier sonst noch jemand?“ fragte Hector drohend.
Pedro verneinte, und Hector riß die Tür auf. Er stieß Luis ins Innere, folgte ihm und sah sich aufmerksam überall um. Dann schrie er: „Bueno! Ihr könnt reinkommen!“
Ubaldo dirigierte Pedro vor sich her, Saint-Laurent ließ Mariana an sich vorbei und trat als letzter ein. Eine Weile standen sie sich in der Hütte gegenüber, dann ließ Hector sich auf eine hölzerne Sitzbank sinken und hielt den Jungen neben sich fest.
„Her jetzt mit dem Wein“, befahl er. „Ich hoffe, er taugt wirklich was.“
Pedro füllte den Tonkrug am Faß, stellte ihn auf den Tisch und holte Becher. Er servierte den Weißwein, und Hector stürzte den Inhalt seines Bechers sofort die Kehle hinunter.
„Frisch!“ rief er. „Aber nicht stark genug! Hast du wirklich nichts Besseres da, Mann?“
„Leider nicht“, erwiderte Pedro.
„Schlecht“, sagte Ubaldo. „Wir müssen wohl das ganze Faß aussaufen, um wenigstens ein bißchen besoffen zu werden.“
„Wir behalten einen klaren Kopf“, sagte Hector. „Herhören! Sobald der Wind etwas nachläßt, laufen wir mit dem Boot aus. Ich habe es mir schon angesehen, es scheint groß genug zu sein. Du“, er richtete seinen Zeigefinger auf Pedro, „begleitest uns, und dein Söhnchen auch!“
„Wohin?“ fragte Pedro.
„Wir sind mit unserer Schaluppe auf eine verfluchte Korallenbank gebrummt“, entgegnete Hector. „Jetzt geht es darum, die Ladung abzubergen. Du kennst dich mit der Wassertiefe bestimmt hervorragend aus, und du kannst deinen Kahn an das Riff lavieren, ohne daß er dabei Schaden nimmt. Was für ein Fischer wärst du sonst?“
„Ja, ich kann es“, erwiderte Pedro. „Und was geschieht dann? Wollt ihr das Boot? Nehmt es euch. Ich schenke euch auch die Netze und die Reste des letzten Fanges, wenn ihr wollt.“
„Sehr großzügig!“ Saint-Laurent lachte schallend. „Aber auf Fisch können wir verzichten, Amigo!“
„Wir wollen nach Santa Maria de Puerto Principe“, sagte Hector.
„Nach Nuevitas?“ fragte Pedro.
„Ja, so wird die Stadt wohl auch genannt, besonders von Portugiesen wie dir“, brummte Hector. „Du kennst sicher den kürzesten und besten Weg dorthin und wirst uns den Kurs weisen.“
„Ja, auch das werde ich tun“, sagte Pedro. „Aber danach laßt ihr uns frei, nicht wahr?“
Hector musterte ihn in einer Mischung aus Überraschung und Empörung. „Natürlich. Was hast du denn gedacht? Wir sind brave, ehrliche Leute, Kerl.“
Mariana begann zu kichern. Ubaldo und Saint-Laurent grinsten höhnisch. Luis saß wie gelähmt da und beobachtete sie aus schmalen Augen.
„Welche Garantie haben wir dafür, daß du dein Versprechen hältst?“ fragte Pedro Murena.
Hector hob die buschigen Augenbrauen etwas an und spitzte die Lippen. Er trank noch einen Becher Wein leer, dann schmatzte er genüßlich und knallte den Becher auf den Tisch.
„Mein Wort“, sagte er. „Genügt dir das nicht?“
„Nein.“ Pedro warf sich über den Tisch hinweg auf ihn – so plötzlich, daß selbst Ubaldo und Saint-Laurent verblüfft waren.
Hector stieß einen Fluch aus und griff zum Messer. Luis riß sich von ihm los, lag mit einemmal unter dem Tisch und kroch auf Ubaldo zu. Pedro räumte den Krug und die Becher durch seine Bewegung ab, sie fielen zu Boden, und der Krug zerbrach, dann packte er Hector und warf ihn mit sich zu Boden. Sie rangen miteinander, Pedro versuchte, dem Kerl das Messer zu entreißen.
Luis packte Ubaldos Fußknöchel und brachte den Kerl durch einen heftigen Ruck zum Fallen. Dann war er auf den Beinen, schoß quer durch den Raum und versuchte, die Muskete zu erreichen.
Mariana war jedoch auf der Hut und stellte ihm ein Bein.
„Luis!“ schrie Pedro Murena. „Flieh! Lauf weg!“
Luis hatte nicht vor, die Flucht zu ergreifen – und er hätte es auch nicht mehr gekonnt. Schon lag er auf dem Boden, und Saint-Laurent war über ihm und drückte ihm den Fuß ins Kreuz.
„Noch eine Bewegung, und du stirbst, du Laus“, sagte er. Das Messer hielt er bereits in der Hand.
Ubaldo hatte sich aufgerappelt, sprang zu Hector und Pedro und trat diesem mit voller Wucht in die Seite. Pedro rollte von Hector weg, Hector sprang auf, war mit einem Satz bei ihm und riß ihn zu sich hoch. Er trieb ihn mit Hieben durch die Hütte, bis er zusammenbrach.
„Töte ihn“, sagte Mariana kalt. „Er hat dich gedemütigt, Hector.“
Hector stand über dem ohnmächtigen Mann und spuckte aus. „Wir brauchen ihn noch. Los, fesselt ihn! Den Bengel auch. Es darf keine Schwierigkeiten mehr geben.“ Er blickte zu Mariana. „Und du hältst besser dein Maul, Weib! Ich weiß selbst, was ich zu tun habe. Kapiert?“
Sie sah ihn an, als wolle sie aufbegehren. Dann aber senkte sie ihren Blick und murmelte: „Ja, ich habe verstanden.“