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2.

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Fast wäre Sarego einem der Hamiten vor die Klinge gelaufen. Dieser Kerl hatte die Hütte gerundet – offenbar in der Absicht, den Frauen und Kindern, die man ja in der Hütte hatte verschwinden sehen, den Rückzug abzuschneiden.

Der Hamite schwang seinen Krummsäbel.

Sarego hatte keine Zeit mehr, einen Pfeil zu benutzen, aber er hatte das Messer, das er dem getöteten Gegner vor der Hütte abgenommen hatte.

Mit einer schwungvollen Bewegung seines rechten Arms beförderte er das Messer auf den Gegner zu. Die Klinge war ein matter Schlitz im Feuerschein, zuckte auf den Kerl zu und grub sich mitten in dessen Brust.

Sarego sah den Kerl, der ein Gewand aus Stoff trug, stürzen. Er drehte sich um und winkte den Frauen zu, die die Hütte nur zögernd verließen.

„Rasch“, zischte er ihnen zu. „Bei Mulungu, so lauft doch. Lauft, so schnell ihr könnt!“

Sie kamen jetzt hurtiger zum Vorschein, Frauen und Kinder abwechselnd. Ohne den mit ausgebreiteten Armen und Beinen liegenden Toten eines Blickes zu würdigen, hasteten sie durch die Nacht, fort vom Kral, auf den rettenden Hügel zu.

Sarego bereitete Pfeil und Bogen zum nächsten Schuß vor. Unausgesetzt blickte er nach rechts und links und achtete auch darauf, daß er den Rücken frei hatte.

So sah er die beiden Dromedarreiter, die sich von Norden näherten, rechtzeitig. Die letzten Schützlinge hatten die Rundhütte immer noch nicht verlassen, das ganze Unternehmen dauerte viel zu lange. Es war abzusehen, daß die Hamiten die durch die Dunkelheit huschende Menschenschlange in ihrer Mitte unterbrechen und mit Klingen durchtrennen würden.

Sarego lief. Er eilte an der Reihe der Hals über Kopf Dahinstürmenden entlang, sah wieder zu den Dromedarreitern und war selbst fast der Verzweiflung nahe. Nie, nie würde er sie alle retten können!

Er blieb stehen, kauerte sich hin und spannte die Bogensehne, als wolle er sie zerreißen. Mit beinahe übermenschlicher Beherrschung nahm er sich die Zeit, auf das herantrampelnde Großtier und seinen Reiter zu zielen, die sich linker Hand befanden.

Ein Dromedar sah plump und behäbig in seinen Bewegungen aus, und doch war es schnell, unheimlich schnell.

Sarego schickte den Pfeil auf die Reise.

Ganz knapp sirrte er über den Widerrist des Tieres weg und stieß den Reiter aus dem primitiven Sattel. Der Mann überschlug sich in einer Staubwolke auf dem Untergrund, die auch in der Nacht deutlich zu erkennen war.

Sarego handhabte den nächsten Pfeil mit traumhafter Sicherheit und Schnelligkeit. Hinter seinem Rücken war das Hetzen, Flüstern und Wimmern der Bantufrauen und Kinder. Aus den Augenwinkeln verfolgte Sarego, wie das letzte Kind in der langen Schlange hinfiel, wie seine Mutter verhielt und sich bückte, das Kleine hochzerrte und das Kind wieder strauchelte.

Sarego glaubte, den Verstand verlieren zu müssen.

Das erste Dromedar war weit hinter dem zweiten zurückgeblieben, ohne Reiter hatte es keinen Anlaß mehr, im Galopp durch die Nacht zu toben. Der zweite Hamite hoch auf dem Höcker seines Tieres änderte etwas die Richtung, zog weiter nach rechts, um nicht den Anschluß an die Gruppe der Flüchtenden zu verlieren und um sich gleichzeitig aus dem Einflußbereich des Präzisionsschützen Sarego zu bringen.

Sarego schoß.

Er schloß die Augen, betete zu seinem Gott, öffnete wieder die Lider und sah, daß er das Dromedar getroffen hatte. In der Schulter steckte der Pfeil, und es war nicht einmal gesagt, daß es an diesem Treffer zugrunde gehen würde. Dennoch, die Schockwirkung war vollkommen. Das Dromedar knickte in den Vorderläufen ein, katapultierte seinen Herrn aus dem Sattel und streckte sich dann ganz auf dem staubigen Boden aus.

Der Hamite stürzte schwer, rappelte sich aber doch wieder auf und taumelte auf die Frauen und Kinder zu.

Sarego rannte zu ihm hinüber. Er hatte keine Pfeile mehr, warf den nutzlos gewordenen Bogen weg und zückte seinen Beutesäbel. Mit dieser ungewohnten Waffe drang er auf den Mann ein. Der Hamite schwang gleichfalls einen Krummsäbel. Klirrend trafen die Klingen aufeinander.

Die Flüchtlinge liefen und liefen, die ersten hatten den Hügel erreicht und wurden von Negwa in Empfang genommen, sie sprudelten hervor, was Sarego ihnen gesagt hatte, und hörten nicht auf, zu laufen.

Negwa begriff, was sie zu tun hatte.

Der Hamite war bärenstark und wußte den Säbel gut zu führen. Sarego spürte sofort, daß er hier seinen Bezwinger fand, wenn er nicht die Technik des anderen durch seine Gewandtheit ausglich. Noch war der Hamite benommen durch den Sturz vom Dromedar, und die unbändige Wut, die in Sarego war, bewirkte ein weiteres.

Sarego kämpfte wild, trieb die Deckung des Gegners auf, setzte sofort nach und hieb die Säbelklinge in die Schulter des Mannes.

Der Hamite brach zusammen. Sarego dachte an die Toten, die Verletzten, die Gehetzten seines Stammes und hieb noch einmal zu. Dann fuhr er herum, ließ die letzte Frau mit dem stolpernden, stammelnden Kind passieren und lief wieder auf den Kral zu, wo neue Feinde auf ihn warteten.

Er war bereit, es mit allen zusammen aufzunehmen, sich zu schlagen, bis es auch mit ihm zu Ende war. So gelangte er wieder bis an die Hütte, deren Rückwand er mit dem Messer geöffnet hatte, drosch auf zwei Hamiten ein, fällte den einen und trieb den anderen zurück. Sekunden verstrichen, bevor neue Kämpfer der gegnerischen Bande heran waren, Sekunden, die den Frauen und Kindern zwischen den Köcherbäumen genügten, sich den Blicken der Feinde ganz zu entziehen.

Sarego hätte weiterhin wie ein Berserker gekämpft, wenn nicht einer der Hamiten inzwischen seine alte, rostige Muskete nachgeladen hätte. Mit dieser Waffe sprang der Kerl zwischen den Hütten hervor und legte auf Sarego an.

Sarego hatte keinen Pfeil mehr, den er diesem Burschen zwischen die Rippen setzen konnte. Er wollte mit dem Säbel auf ihn zustürmen, aber da drückte der Hamite schon ab.

Grollend brach der Schuß. Weißer Qualm puffte hoch, ein Feuerblitz stach Sarego in die Augen und etwas unsagbar Heißes fraß sich in ihn hinein. Er breitete die Arme aus, schleuderte den Säbel von sich und war nur noch ein willenloses, wehrloses Bündel Mensch, das sich zweimal auf dem Boden überrollte und dann in der Nähe des hastig geschaffenen zweiten Ausganges der Rundhütte liegenblieb.

Nur Mulungu kann dir die Kraft verliehen haben, dies durchzustehen – das dachte Sarego, als er zu sich kam und sich unter Aufbietung aller Kräfte zu der Rundhütte schleppte. Sie hatten sie nicht angezündet, sie hatten wohl diese eine Hütte nicht mehr beachtet, und es gab auch niemanden, der den verletzten Bantumann daran hinderte, durch das ausgefranste Loch in dem Schilfmattengeflecht ins Hütteninnere zu kriechen.

Hier, im völligen Dunkel, fühlte Sarego sich vorerst sicher. Es flirrte und kreiste vor seinen Augen, und er konnte die Übelkeit und die Schmerzen kaum bezwingen, die ihn zu überwältigen drohten.

Aber er kämpfte erfolgreich gegen die Ohnmacht an.

So lag er da und vernahm, wie die Hamiten hin und her liefen und in offenbar großer Eile den Rest ihres Werkes verrichteten. Kein Zweifel, sie hatten die in einer großen Hütte gelagerten Stoßzähne der Elefanten längst entdeckt und waren jetzt dabei, diese auf die Rücken ihrer Dromedare zu hieven.

Das Ziel war erreicht. Die Hamiten würden neben ihren vollgepackten Tieren herlaufen und auf das Reiten verzichten. Der Gewinn, der ihnen irgendwo dort oben in ihrer Heimat winkte, glich alle Entbehrungen mehr als aus.

Sie kannten die Wege an den Niederlassungen der Spanier und Portugiesen vorbei, die sie sicher nach Hause führten. Und sicherlich hatten sie schon den Abnehmer, der sie für diesen Reichtum entlohnen würde – einen oder mehrere mächtige Männer, die den weißen Schatz mit barer Münze bezahlten.

Die Schmerzen waren wie eine Schlange, die um sich beißend durch Saregos Körper kroch. Sie setzte sich in seinem Hals fest, preßte, würgte und wollte ihm den Atem nehmen, den er zum Leben brauchte. Sie wollte ihn um jeden Preis umbringen.

Es dröhnte im Schädel des schwarzen Mannes. Die Kraft, die in seinem Inneren hauste und wütete, drohte seinen Kopf zu zersprengen. Sarego wußte, daß dies unweigerlich das Ende War: Wenn der düstere Vorhang fiel, wenn er noch einmal hinabsank in jene bodenlose Finsternis, dann gab es keine Hoffnung mehr.

Er suchte verzweifelt nach einem Weg, die Schmerzen und den Wundfraß zu unterdrücken. Der Schuß hatte die linke Schulter getroffen. Sarego wußte, daß die Donnerrohre Kugeln ausspuckten, aber ob diese Kugel in seiner Schulter steckte oder nach hinten ausgetreten war, war ihm nicht klar. Er tastete nach seiner Blessur und stellte fest, daß sie ziemlich stark blutete.

Mit dem Blut verließ auch die Kraft seinen Körper.

Sarego sah in die Glut des erlöschenden Hüttenfeuers. Er stöhnte auf, als er daran dachte, was er tun konnte – und dann tat er es doch. Die Schulter leicht vorgezogen, ließ er sich mit verbissener Miene in die glimmenden Reste des Feuers gleiten. Er fühlte Hunderte von Marterwerkzeugen, die Schlange verbiß sich weiter in ihn und ließ ihr ganzes Gift in seine Schulter strömen, aber er wurde nicht besinnungslos.

Während die Glut seine Schulter versengte; lag Sarego da und hörte, wie die Hamiten mit dem erbeuteten Elfenbein abrückten. Ja, sie zogen fort! Sarego glaubte zunächst an einen Trick, der auch die letzten Überlebenden des Massakers aus ihren Schlupfwinkeln locken sollte. Aber dann entsann er sich der Tatsache, daß irgendwann eine spanische Patrouille auftauchen konnte, durch die Schußgeräusche und den Feuerschein angelockt.

Auch die mordenden Banditen mußten dies in ihr Kalkül einbeziehen. Da ihnen weiß Gott nicht daran gelegen war, sich mit den gut bewaffneten und kampferprobten Spaniern herumzuschlagen, die im übrigen das Elfenbein als ihren rechtmäßigen Besitz ansahen, hatten sie es für besser gehalten, rechtzeitig zu verschwinden.

Sarego lag da und dachte an Rache, die gewaltigen Schmerzen konnten dem abgehärteten Naturmenschen den Wunsch nach Vergeltung auch nicht austreiben.

Schritte näherten sich.

Saregos Muskeln spannten sich. Die Schrittgeräusche steuerten auf seine Hütte zu, und er rechnete noch damit, es mit einem Feind aufnehmen zu müssen, der zurückgekehrt war – da vernahm er das Weinen.

Eine Gestalt schlüpfte zu ihm in die Hütte.

„Negwa“, hauchte er.

„Ja, ich bin es, Sarego, und mit mir sind alle jungen Frauen gekommen“, wisperte sie.

„Zurück – zum Hügel …“

„Nicht sprechen. Du bist verwundet.“ Sie kauerte sich neben ihn, und er bewunderte in diesem Moment, mit welcher Überwindung sie in das Dorf der Toten gegangen war. Hier lagen ihre ermordeten Eltern, ihre Verwandten, ihr zukünftiger Schwiegervater und ihre Schwiegermutter – ein grausiges Bild. Und doch, die Sorge um den geliebten Mann war größer gewesen.

„Die anderen“, flüsterte Negwa. „Sie haben sich alle in den Erdlöchern versteckt, die du mir auf der anderen Seite des Hügels gezeigt hattest. Der Feind ist fort, aber selbst wenn er zurückkehren sollte, wird er die Frauen und Kinder dort nie entdecken.“

„Gut“, preßte Sarego hervor. „Die Kugel, Negwa, ich muß wissen, ob sie steckt …“

„Mit Hilfe der anderen Frauen werde ich dir die Eisenkugel aus der Wunde holen, falls sie noch darin ist. Und wir werden dir heilende Blätter auflegen.“

„Jetzt, Negwa.“

„Sarego, du bist zu schwach …“

„Ich verblute, wenn ihr mir nicht helft“, sagte er.

Er erhob sich aus eigener Kraft, stolperte zu der Büffelhaut, die den Eingang verdeckte und zwängte sich ins Freie. Hier brach er in den Knien zusammen, und sofort stürzten die Frauen von allen Seiten heran, um ihn zu stützen.

Saregos Blick ruhte auf den Toten. „Beeilt euch“, flüsterte er. „Wenn ihr mich versorgt habt, will ich den Spuren dieser Bestien folgen. Ich werde sie wiederfinden.“

„Das darfst du nicht“, stieß Negwa entsetzt aus.

„Ich muß. Und keiner widerspricht mir. Auch du nicht.“ Seine Augen richteten sich auf ihr dunkles, tränennasses Antlitz. „Die Geister der Toten verlangen von mir, daß ich die Fährte der Mörder bis in die Ewigkeit, bis ins Unendliche hinein verfolge.“

„Dann begleite ich dich.“

„Unmöglich.“

„Es gibt keinen einzigen Krieger, der sich dir anschließen kann“, stammelte sie.

„Ich gehe allein.“

„Alle jungen Frauen bewaffnen sich und ziehen mit dir“, sagte jetzt die Frau, die schon vor der Flucht der Frauen und Kinder in der Rundhütte mit Sarego gesprochen hatte. Ihr Name war Injuru, und sie galt als eine der besten Freundinnen von Negwa. „Das sind wir dir, der du uns gerettet hast, schuldig“, fuhr Injuru fort. „Und auch du darfst uns jetzt nicht widersprechen.“

Er stöhnte auf, als sie Hand an seine Verletzung legten. „Das dürft ihr nicht, das geziemt sich nicht für Frauen eines Bantustammes.“

„Es geziemt sich auch nicht, daß wir dich in den Tod schicken“, beharrte Injuru. „Deshalb mußt du unser Angebot annehmen. Auch wir werden zu kämpfen wissen. Aber jetzt schweig, ich glaube, die Kugel steckt nicht in deiner Schulter, und der Knochen scheint auch heil zu sein. Im Licht des Feuers können wir deine Wunde auswaschen und verbinden.“

Die Feuer brauchten nicht geschürt zu werden, ihre Flammen, die die Hütten gierig verzehrten, loderten hoch in den Himmel auf. Nur wenige Rundhütten des Krals, der mehr als zwanzig Meilen nördlich der Kolonie Lourenco Marques vernichtet worden war, blieben stehen.

Die Spanier und Portugiesen erschienen jedoch nicht.

Der Wind aus Osten hatte die Schußlaute weiter landeinwärts, nicht zum Hafen Lourenco Marques, getragen.

Jeff Bowie hatte im Morgengrauen kein Land im Westen entdeckt. Afrika schien noch weiter entfernt zu sein, als sie angenommen hatten. Achselzukkend ließ sich Jeff von dem Schiffsjungen Bill im Großmars ablösen.

Dreieinhalb Glasen später war es dann der Junge, der sich kerzengerade von seinem Ausguck aufrichtete und schrie: „Deck, Deck, ich sehe sie! Sir, so was gibt’s doch nicht!“

Carberry unterbrach seinen morgendlichen Rundgang. Wie vom Donner gerührt blieb er auf der Kuhl stehen, nicht weit vom Großmast entfernt. Er stemmte die Fäuste in die Seiten, lehnte seinen Oberkörper etwas zurück und legte den Kopf in den Nacken.

Und dann brüllte er auch schon.

„Bill, du räudiger Kakerlak, du Hering, du elender Affenhintern – wie oft soll ich dir noch sagen, daß du dich klar und deutlich ausdrücken sollst? Hölle und Teufel, Bursche, warte, diesmal entgehst du deiner Strafe nicht.“

Er wollte sich in die Luvhauptwanten schwingen, um in den Großmars aufzuentern, da drang die gellende Stimme des Bürschchens erneut an seine Trommelfelle.

„Kamele!“

Wie ein Schiffsgalgen, dessen Tau gekappt worden war, klappte das Rammkinn des Profos’ herab. Er geriet wahrhaftig ins Taumeln. War das denn die Möglichkeit, war das überhaupt zu fassen? Was nahm der Bengel sich da heraus? Träum oder wach ich? dachte Carberry.

„Kamele!“

Matt Davies und Dan O’Flynn, die auf der Kuhl beieinanderstanden, konnten nicht mehr an sich halten. Sie prusteten vor Lachen los und hielten sich die Bäuche. Matt Davies wurde ganz wacklig in den Beinen, er mußte sich auf die Kuhlgräting setzen. Ausschütten wollte er sich vor Heiterkeit.

„Davies!“ brüllte der Profos plötzlich. „Wie hat das Rübenschwein von einem Moses uns soeben genannt?“

„Kamele!“

Carberry sprang in die Wanten, klomm in den Webeleinen aufwärts, erreichte den Großmars in Windeseile und schob sowohl seinen Schädel als auch sein Rammkinn und den Rest seiner beängstigenden Gestalt über die Umrandung der Plattform.

Er wunderte sich, wieso Bill, dieser Schlingel, nicht zusammenzuckte. Nein, der Bengel stand einfach nur da, hielt ihm den Rücken zugewandt und blickte durch das Spektiv nach Westen.

„So, Freundchen“, sagte der Profos grollend. „Jetzt sprechen wir Klartext. Jetzt biege ich dir Manieren bei, daß dir die Schwarte kracht.“

„Sir“, sagte Bill, ohne sich umzudrehen.

„Irrtum, diesmal rettest du dich nicht“, entgegnete Carberry und kletterte über die Segeltuchverkleidung. Der Schimpanse Arwenack, der Bill gerade Gesellschaft geleistet hatte, flüchtete in die Leewanten – vorsichtshalber.

„Diesmal ziehe ich dir das Fell über die Ohren“, drohte Carberry dem Moses an.

„Sir“, sagte dieser – überraschenderweise immer noch unbeeindruckt von soviel Groll. „Sir, das sind wirklich Kamele.“

Der Profos wuchs wie ein riesiger Götze neben dem eher schmächtigen Bill hoch, stierte ihm über die Schulter – und stellte erst jetzt richtig fest, daß Bill unablässig mit dem Spektiv nach Westen spähte.

„Was denn? Wie denn? Soll das heißen …“

„Land in Sicht“, meldete der Junge stolz. „Und wir werden Kamele jagen, wilde Kamele.“

„Land!“ brüllte Carberry auf Deck hinab. „Steuerbord voraus!“ Er wandte sich wieder Bill zu und nahm ihm das Spektiv aus den Händen. „Das war eine klare, deutliche Meldung, kapiert?“

Bill wich etwas zur Seite. Er hatte jetzt Schwierigkeiten, sich im Großmars zu halten, die klotzige Figur des Profos’ füllte fast den ganzen Platz aus und ließ ihm kaum noch Raum.

„Aye, Sir“, sagte der Junge. „Verstanden. Ich war eben nur zu – zu überwältigt von dem Anblick.“

„Quatsch mit Soße“, versetzte Carberry ärgerlich. „Ein Seewolf hat nicht überwältigt zu sein. Wo kommen wir denn da hin?“

Er schwieg jetzt aber selbst, denn das Rund der Optik hatte das Bild eingefangen, das Bill vorher gesehen hatte. Carberry war ebenfalls überrascht, sein Blick sog sich an der Erscheinung fest.

Aneinandergereiht wie viele kleine Scherenschnitte hoben sich die Konturen der Tiere deutlich von jenem schmalen Streifen Land ab, der jetzt am Horizont zu sehen war. In langer Kolonne zogen sie dahin. Woher sie kamen und welches ihr Ziel war, ließ sich allenfalls erraten.

„Also, das sind tatsächlich Kamele“, brummte Edwin Carberry und ließ das Spektiv wieder sinken. Er blickte zu Bill, der jetzt doch sichtlich eingeschüchtert war, reckte sein Rammkinn und fuhr fort: „Eins laß dir gesagt sein, du Stint. Lieber verrecke ich, als daß ich Kamelfleisch esse.“

„Es soll vorzüglich sein …“

„Hat der Kutscher das gesagt?“

„Ja, Sir.“

„Der Kutscher spinnt“, erwiderte Carberry barsch. „Der hat auch behauptet, Heuschrecken schmecken wie Krabben. Aber lassen wir das.“

Bill konnte sich der Szene, auf die der Profos anspielte, noch sehr gut entsinnen. Ein Grinsen zuckte in seinen Mundwinkeln, aber er hütete sich, die Beherrschung zu verlieren und nachträglich noch einmal kräftig über jene Episode zu lachen.

„Wo Kamele sind, da gibt es sicher auch andere Tiere, Mister Carberry“, sagte er.

Carberry händigte ihm wieder den Kieker aus. „Klingt schon besser. Also, denk daran, was ich dir gesagt habe, und laß dich nicht noch einmal bei so einem zusammenhanglosen Gefasel erwischen. Sonst setzt es was.“

„Aye, aye, Mister Carberry.“

Der Profos enterte ab. Natürlich verprügelte er Bill nicht, wie er immer wieder androhte, er verpaßte ihm allenfalls mal eine Maulschelle, aber wenn, dann nicht böswillig und ohne jeglichen Anlaß, sondern stets aus der fast väterlich empfundenen, selbstgesetzten Aufgabe heraus, was Anständiges aus dem Bengel zu machen.

Carberry langte auf der Kuhl an und stellte fest, daß sich die meisten Männer auf der Back versammelt hatten. Dan O’Flynn richtete auch ein Spektiv nach Westen. Mit seinen scharfen Augen würde auch er die fremdartig wirkenden Tiere schon bald sichten.

Der Seewolf trat zu seinem Profos.

„Also Land, Ed“, sagte er. „Und was hat es mit dieser Bemerkung von Bill auf sich?“

„Stimmt, paßt, wackelt und hat Luft“, antwortete der Profos in seiner lauten Art. „Hol’s der Teufel, da sind wirklich Kamele an Land.“

„Kamele!“ rief auf der Back Stenmark. „Haben die einen oder zwei Hökker?“

„Einen natürlich, du Aal“, erwiderte Matt Davies sofort. „In Afrika haben sie immer nur einen Buckel.“

„Und wo gibt’s die Viecher sonst noch?“ fragte Bob Grey.

„In Asien“, erklärte der Kutscher. „Himmel, wir haben jetzt die ganze Welt bereist, und das habt ihr immer noch nicht kapiert? In Afrika heißen diese Tiere übrigens nicht Kamele, sondern Dromedare.“

„Laß sie doch“, sagte Dan zum Kutscher. „Sie kapieren das nie.“

„Davies, Stenmark und Grey!“ brüllte Carberry, der alles mit angehört hatte. „Was seid ihr doch für Holzköpfe! Habt ihr Stroh im Gehirn, oder was ist los? He, O’Flynn, kannst du die Trampeltiere sehen?“

„Jetzt ja.“

„Haben sie einen oder zwei Hökker?“

„Einen …“

„Na bitte“, dröhnte Carberrys Organ über Deck. „Ich hab’s ja gleich gesagt, daß es Kamele sind, keine Dromedare.“

„Allmächtiger, steh uns bei“, stöhnte der Kutscher.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 129

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