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2.

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Behäbig hob und senkte sich der klobige Rumpf des einmastigen Schiffes in der Dünung vor dem Inselufer. Die mit Minjar-Grasmatten gedeckte Hütte, der offene Lehmherd am Bug und der leicht zum Vorsteven geneigte Mast wiesen den Segler unverkennbar als Baggala aus, als die omanische Form der Dhau.

Der schwere Stockanker war an seiner Trosse ausgerutscht, das Beiboot war ausgebracht und bemannt worden. Kapitän Abdrahman hatte selbst die Heckducht des Bootes eingenommen, um mit sechs abenteuerlichen Gestalten seiner Besatzung auf dem Eiland zu landen.

In der Spätnachmittagssonne nahm sich die Insel mit ihren weiten Sandstränden, ihren Palmenwipfeln und Mangroven wie der Inbegriff des Paradieses aus, aber Abdrahman und seine Begleiter hatten sehr schnell feststellen müssen, daß es eher die Umkehrung dessen war – zumindest für sie.

Sie hatten das Ufer fast erreicht und warteten schon darauf, daß sich der Bootsbug knirschend auf den Sandstrand schob, da brachen sie aus dem Gebüsch zwischen den Palmen- und Mangrovenstämmen hervor: gut zwei Dutzend schwarzer Gestalten, nackt bis auf Lendengurte, mit Messern, Speeren, Pfeil und Bogen sowie einfachen, bemalten Schilden bewaffnet.

Sie stimmten kein Geschrei an, schwärmten nur aus und hasteten in strategischer Formation auf das Boot zu. Es war eine fast gespenstische Szene in der nahenden Dämmerung.

Abdrahman erhob sich von der Heckducht. Ein wallender weinroter Kaftan umhüllte seine hagere Gestalt, er hob beide Hände und sah wie ein Prediger aus.

„Salam alai!“ rief er. „Friede sei mit euch! Wir sind gekommen, um mit euch zu verhandeln, nicht, um mit euch zu kämpfen. Allah akbar, Allah ist mächtig, Allah ist stark, er bestimmt unser Schicksal.“ Da er nicht sicher war, ob sie ihn verstanden, führte er die Handflächen vor der Brust zusammen und beugte sein Haupt in Demut und zum Zeichen der Friedfertigkeit.

Aber in den Gesichtern der wilden Inselbewohner zeigte sich keine Regung, die auf ein Begreifen hindeutete. Vielmehr waren diese Mienen von bedenklicher Starre, und während die muskulösen Gestalten auf dem leicht schimmernden Strand verharrten, hoben sich die Arme mit den Waffen.

„Wartet“, sagte Abdrahman zu seinen Rudergasten. „Ich steige aus und gehe zu ihnen. Sie werden es als Beweis unserer Harmlosigkeit werten, Inschallah, so hoffe ich jedenfalls.“

„Wartet“, erwiderte einer der bunt gekleideten, turbantragenden Männer. „Das ist zu gefährlich. Diese Kerle sind unberechenbar. Es macht ihnen nichts aus, einen Wehrlosen niederzustrecken.“

„Was für ein Narr du bist“, sagte Abdrahman abfällig. „Du begreifst nicht, daß auch diese simplen Menschen die gleichen Regungen verspüren wie wir, Furcht, Kummer und Hoffnung kennen und an eine überirdische Gerechtigkeit wie die Allahs glauben. Ich will mit ihnen sprechen und hören, ob sie etwas über Sajids Verbleib wissen.“

„Vielleicht haben sie ihn auf dem Gewissen“, sagte leise ein anderer Mann, während er unter dem Kaftan nach dem Krummsäbel tastete.

„Schweigt“, sagte Abdrahman. Er setzte einen Fuß aus dem Boot und tauchte mit diesem in das Flachwasser nahe des Ufers, wodurch das Boot ein wenig ins Schwanken geriet.

Im selben Augenblick flog der erste Speer. Einer der Schwarzen, ein hünenhafter Bursche, hatte ihn geschleudert. Er stieß einen Schrei aus, der wie ein Warnlaut klang. Dicht vor dem Bootsbug stach der Speer ins Wasser und blieb vertikal im Grund stecken, so daß der Schaft wie eine Mahnung aus dem Naß aufragte.

„Hört auf“, stieß der Kapitän der Dhau beschwörend hervor. Er zog das zweite Bein aus dem Boot, stand nun im Wasser und gestikulierte. „Das kann doch nicht euer Ernst sein! Wir werden euch Geschenke übergeben, wunderbare Geschenke, wie ihr sie noch nie zuvor gesehen habt, wenn ihr mich nur aufnehmt und auf meine Fragen antwortet!“

Die wilden Männer standen in haßvollem Schweigen und senkten nicht ihre Waffen.

„Kehrt in das Boot zurück“, drängte ein dritter Mann der kleinen Besatzung den Kapitän. „Ihr richtet auf diese Weise ja doch nichts aus, Abdrahman.“

Abdrahman tat statt dessen noch einen watenden Schritt voran. An Mut mangelte es ihm nicht. Er war bereit, kühn bis vor die Barriere feindseliger Gestalten zu treten, und hoffte, die schwarzen Männer dadurch zu beeindrukken.

Aber wieder schickten die Bewohner der Insel eine tödliche Botschaft zu dem Boot herüber. Ein Pfeil schwirrte drüben von einer Bogensehne ab, beschrieb einen flachen Bogen durch die Luft und hätte Abdrahman zweifellos getroffen, wenn dieser nicht gedankenschnell ausgewichen wäre.

Abdrahmans Miene verfinsterte sich.

„Elende Hunde“, stieß er aus. „Verfluchte Giaur, wie könnt ihr mich derart beleidigen? Ich werde euch zeigen, welches die Sprache des Propheten ist, wenn er Zorn verspürt …“

Die Männer im Boot schrien auf und stießen Flüche aus, denn jetzt rückten die Eingeborenen in geschlossener Front vor und sandten einen Hagel von Pfeilen herüber.

Abdrahman kletterte in das Boot zurück. Er hatte seine Steinschloßpistole gezückt, spannte jetzt den Hahn und legte auf die Eingeborenen an. Während vier seiner Männer durch heftiges Pullen trachteten, das Boot in tieferes Wasser zu bugsieren und zu wenden, Distanz zwischen sich und die Wilden zu legen, zückten die beiden anderen ebenfalls ihre Schußwaffen und zielten auf die Horde an Land.

Einem dieser beiden steckte ein Pfeil plötzlich bis zum Schaft im Hals. Er röchelte, knickte in den Knien ein, sank nach hinten auf die Duchten zurück und feuerte doch noch seine Pistole ab. Donnernd brach der Schuß, er fuhr in den rötlich-düsteren Himmel hinauf und strich hoch über die Köpfe der heulenden Eingeborenen weg.

Abdrahman schoß, dann drückte auch der andere Schütze ab. Zwei Kugeln rasten auf die Wilden zu, die eine grub sich dem Hünen in die Schulter, der den Speer geschleudert hatte, und dies hatte zumindest zur Folge, daß die schwarzen Kerle stockten.

Die Araber pullten, so schnell sie konnten. Abdrahman ließ sich von den vier Rudergasten die Pistolen aushändigen und reichte zwei davon an den anderen Schützen weiter. Zwei Waffen hob er selbst, spannte mit dem linken und dem rechten Daumen die Hähne und betätigte die Abzüge. Funken sprühten, die Ladungen zündeten, die Pistolen bäumten sich in Abdrahmans Fäusten und denen seines Mitstreiters auf, Mündungsblitze zuckten zum Ufer. Ungeachtet des Pfeil-, Speer- und Messerhagels, der nun wieder einsetzte, verwendeten die Männer der Baggala, die „Daira“ hieß, ihr kleines Arsenal und hielten die Eingeborenen auf diese Weise von dem Boot fern.

Abdrahman war durch ein Messer am Arm verletzt. Er ließ sich auf der Heckducht nieder, krümmte sich ein wenig und kämpfte gegen die Schmerzen an. Er sah zu dem Mann, der den Pfeil im Hals stecken hatte. Für diesen armen Teufel erfolgte jede Hilfe zu spät. Seine Augen waren gebrochen, er lag unnatürlich verkrümmt und reglos.

Abdrahman konnte sich eines eisigen Schauers auf seinem Rücken nicht erwehren.

Die Männer hatten das Boot herumgebracht, pullten im Schweiß ihres Angesichts, und einer von ihnen rief: „Herr, seht doch, sie folgen uns!“

Abdrahman drehte sich halb um und spähte zur Insel zurück. Eine Verwünschung löste sich von seinen Lippen. Da schwamm ihnen ein Teil der Krieger doch tatsächlich mit dem Messer zwischen den Zähnen nach, und die restlichen Kerle waren zur Böschung oberhalb des Strandes zurückgelaufen, hatten schmale Auslegerboote aus dem Dickicht gezerrt und trugen sie jetzt zum Wasser.

Abdrahman fühlte, wie ihm das Blut heiß bis in die Schläfen hinauf pulsierte.

„Rasch“, sagte er zu seinen Männern. „Zur ‚Daira‘! Wir müssen an Bord zurück, sonst können Jussuf und die anderen nicht die Kanonen bedienen. Rasch!“

Schreie hallten von Bord der Baggala herüber. Jussuf, der die Funktion eines Steuermanns, Bootsmanns und der rechten Hand des Kapitäns auf dem Segler innehatte, feuerte die Landsleute an, verwünschte die angriffslustigen Wilden bis in alle Ewigkeit und brannte darauf, drei der sechs Bronzekanonen zum Einsatz zu bringen, die längst klar zum Gefecht standen.

Die restlichen zehn Mann der arabischen Bahari, der bunt zusammengewürfelten Mannschaft, standen in einer Reihe auf Oberdeck und hievten mit rhythmischem „Ai-am-less, Ai-am-less“ den Stockanker vom Grund der natürlichen Reede vor der Insel hoch.

Die Wilden hatten ihre Auslegerboote zu Wasser gebracht, sprangen hinein und tauchten ihre Stechpaddel ins Wasser. Sehr schnell hatten sie die Schwimmer eingeholt, nahmen einige von ihnen auf und jagten mit erschreckendem Tempo dem Boot der Araber nach.

Abdrahman hob die linke Hand und wies nach Backbord.

„Wir runden das Heck der ‚Daira‘“, sagte er mit heiserer Stimme. „Wir gehen an Backbord längsseits, sonst gelingt es Jussuf nie und nimmer, die Kanonen zu zünden.“

Er drückte mit der rechten Hand die Ruderpinne herum. Das Boot richtete seinen Vorsteven auf das Heck der Dhau, dann links daneben und glitt in das Kielwasser des einmastigen Schiffes.

Die Baharis setzten nun das spitze Dreieckssegel der Dhau, indem sie die einzige Rah am Mast hochhievten und dabei ihr kehliges „Musurekja-Mohamed“ ausstießen. Mit dem fächelnden, lauen Wind nahm das Schiff allmählich Fahrt auf und erhielt auch eine ruhigere Lage im Wasser, was für das Abfeuern der Steuerbordkanonen von Bedeutung war.

Das Beiboot befand sich unter dem Heckspiegel der Dhau, schwenkte wieder herum und hatte Mühe, in der Geschwindigkeit mitzuhalten.

Auf der Baggala stürzten die Baharis an die Geschütze, schürten Kohlefeuer an, brachten Lunten zum Glimmen und senkten sie auf die Bodenstücke der klotzigen bronzenen Kanonen.

Ein dreifacher Donnerhall zerriß die Luft der so idyllisch anmutenden Insel. Es zuckte schmutziggelb vor den Mündungen der Geschütze, und dann stoben die Kugeln – beachtlich gut gezielt – zwischen die Auslegerboote der Eingeborenen.

Ein Boot kippte um und entleerte seine schreiende Besatzung ins klare Seewasser. Ein anderes Gefährt wurde zerrissen, Trümmer wirbelten fast bis zum Strand zurück, und mitten zwischen den Überresten schlugen blutende Gestalten ins Wasser.

Die übrigen Auslegerboote fielen zurück – nur eins saß Abdrahman und seinen Männern noch im Nakken.

Unter den gellenden Rufen der Baharis pullten die sechs Araber auf die Backbordseite der Dhau zu, klammerten sich an rasch ausgebrachte Taue, hangelten an der Bordwand hoch und ließen das Boot mit dem Toten im Stich.

Von fanatischem, blindem Eifer getrieben, paddelten die schwarzen Krieger in dem Auslegerboot weiter und holten die langsame Dhau mühelos ein.

Abdrahman stand vor der Hütte neben Jussuf und übernahm selbst den Kolderstock, aber es hatte keinen Sinn, niemals konnte der Kapitän in einer derart schwachen Brise eine Halse fahren, die das Boot der Feinde vor die Mündungen seiner Backbordgeschütze brachte.

„Musketenfeuer!“ schrie Abdrahman.

Sofort stellten sich sechs Baharis mit vier altertümlich aussehenden Musketen und zwei noch vorsintflutlicher wirkenden Arkebusen an das Backbordschanzkleid. Sie legten die Waffenschäfte auf Gabelstöcke, zielten auf die herangleitenden Verteidiger der Insel und drückten ab. Die Luntenschlosse der Arkebusen brauchten etwas länger, um betätigt zu werden, dann, endlich, krachten auch sie.

Drei Wilde brachen getroffen in dem Auslegerboot zusammen, ehe sie ihre Speere schleudern oder ihre Bogen einsetzen konnten. Einer kippte aus dem Boot, die beiden anderen stürzten zwischen ihre Kameraden. Diese Burschen hielten es jetzt für richtiger, die Jagd abzubrechen. Sie fielen zurück, wendeten das Boot und paddelten an Land zurück. Voller Haß ließen sie ihre Pfeile, Messer und Speere auf das zurückgebliebene Beiboot das Dhau prasseln.

Abdrahman blickte von dem Platz hinter der Hütte seines Schiffes zu dem Boot zurück. Er sah, wie es auf den Wellen dümpelte, wie die Eingeborenen auf dem Strand landeten und ihre Toten und Verwundeten bargen. Sie stimmten ein Wehklagen an, das dem sonst so hartgesottenen Araber wieder einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

Abdrahman blickte nach vorn und stellte fest, daß das Lateinersegel seiner Baggala immer schlaffer wurde.

In seinem vokalreichen, schnellen Farsi, dem Dialekt der Landschaft um Schiras, sagte er zu Jussuf: „Jetzt schläft der Wind endgültig ein. Wir kommen nicht mehr voran. Bei Allah, wir sind dazu verdammt, vor dieser verfluchten Insel liegenzubleiben. Wir können uns nicht einmal unser Beiboot zurückholen. Die Schwarzen werden es bewachen – und sie werden mit allen Mitteln trachten, unsere ‚Daira‘ zu entern und uns alle niederzumetzeln. Wie lange reicht unsere Munition, wie lange können wir uns halten?“

Jussuf schwieg bestürzt, er wußte keine Antwort darauf.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 127

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