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Don Gaspar Nunez de Arce, der Kapitän der spanischen Dreimast-Galeone „Vadavia“, stand an diesem frühen Nachmittag nicht weit vom Besanmast entfernt auf dem Achterdeck seines Schiffes und blickte genau in dem Moment zu seinem Ersten Offizier Juan de Rivadeneira, als dieser die obersten Stufen des Backbordniederganges, der die Kuhl mit dem Achterdeck verband, mit drei unbeholfenen, wankenden Schritten bewältigte.

Eine böse Ahnung beschlich den Kapitän und ließ ihn nicht mehr los. Er nahm eine steife Körperhaltung an. Seine Hände ballten sich allmählich zu Fäusten. Er war ein schlanker und hochgewachsener Mann mit harten, wettergegerbten Zügen, die von dem Erkennen einer tödlichen Wahrheit gezeichnet waren.

Noch vor zwei Stunden hatte er mit de Rivadeneira in der Kapitänskammer am Pult gesessen. Sie hatten bei einer gemeinsamen Mittagsmahlzeit beratschlagt, was in der erschütternden Lage, in der sich die Besatzung des Schiffes befand, wohl am besten zu tun sei.

Juan de Rivadeneira war nicht nur de Arces ranghöchster und zuverlässigster Schiffsoffizier, er war auch der einzige echte Vertraute, den es für den Kapitän an Bord der „Vadavia“ gab, ein Mann, mit dem er offen alle Probleme besprach.

Seit jener bedrückenden Mittagsstunde jedoch, in der sie alles Für und Wider einer möglichen Notlösung erwogen hatten, hatte sich de Rivadeneiras Gestalt merklich gekrümmt, und auch mit seinem Gesicht schien eine Veränderung vorgegangen zu sein.

Don Gaspar Nunez de Arces Ahnung wurde zur Gewißheit, als der Erste Offizier zu taumeln begann und sich an der Schmuckbalustrade festhalten mußte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dort verharrte er nun, vornübergebeugt und mit einem seltsam starren Blick, der auf einen imaginären Punkt des Achterdecks gerichtet zu sein schien.

Mein Gott, dachte der Kapitän, heilige Jungfrau Maria, jetzt hat es auch ihn erwischt!

Er trat auf de Rivadeneira zu, und ihre Blicke begegneten sich plötzlich. Dem Kapitän entging nicht das fiebrige Flackern, das jetzt in de Rivadeneiras vormals so klaren hellen Augen war.

Das Achterdeck schwankte nur leicht unter Don Gaspar Nunez de Arces Füßen, und es bedurfte kaum der ausgleichenden Beinbewegungen, um die Körperbalance zu halten. Es war ein sonniger Tag und doch nicht zu heiß. Eine frische Brise wehte von Norden, aus dem Golf von Bengalen her, und trieb die „Vadavia“ auf ihrem südöstlichen Kurs genau auf die Andamanensee zu.

De Arces Blick wanderte nach Lee, zum tiefblauen Spiegel der See, dem die leichte Dünung ein sanftes Kräuselmuster verlieh. Zum erstenmal seit ihrem Auslaufen aus dem Heimathafen Malaga – Malaga in Süd-Andalusien, das jetzt so unerreichbar weit entfernt war – verspürte er den Wunsch, alle Verantwortung ablegen zu können, nur noch Beobachter der Geschehnisse zu sein und in die Rolle eines Mannes schlüpfen zu dürfen, der die Szene verlassen konnte, wann immer er es wollte.

„Senor“, sagte Juan de Rivadeneira. Seine Stimme klang rauh und schleppend, und das Sprechen schien ihm plötzlich erhebliche Mühe zu bereiten.

De Arce kehrte abrupt aus seinem Tagtraum in die erschreckende Wirklichkeit zurück. Sein Blick richtete sich wieder auf das Gesicht seines Ersten.

De Rivadeneira war kalkweiß. Kleine Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, seine Züge hatten sich verzerrt.

„Senor, jetzt ist es auch bei mir soweit“, stieß er hervor. „Jesus Maria, und ich Narr dachte, daß die verfluchte Krankheit mir nichts anhaben könne. Ich …“

De Arce stellte sich dicht vor ihn hin und legte ihm die Hand auf die rechte Schulter. „Sie reden mehr, als Ihnen vielleicht guttut, mein lieber de Rivadeneira. Sie sollten jetzt ins Achterkastell zurückkehren und Ihre Kammer aufsuchen.“

„Es fing ganz plötzlich an, Senor.“

„Und jetzt ist Ihnen hundeelend zumute, nicht wahr?“

„So übel war mir noch nie zuvor, nicht einmal auf meiner ersten Seereise und …“

„Wie ich annehme, wird es Ihnen auch abwechselnd heiß und kalt?“ erkundigte sich der Kapitän. Er hatte Mühe, das Gefühl aufkeimender Panik zu bezwingen.

Juan de Rivadeneira nickte mühsam. „Si, Senor. Heiß und kalt. Es ist entsetzlich.“

„Ich rufe den Medico, den Feldscher“, sagte Don Gaspar Nunez de Arce. Er sah auf und richtete seinen Blick über die Schmuckbalustrade, die den Querabschluß des Achterdecks zur Kuhl hin bildete, hinunter auf das Hauptdeck. Er entdeckte die Gestalt von Pedro Gavena, dem Profos, und schrie ihm zu: „Senor Gavena, holen Sie sofort den Feldscher! Er wird hier auf dem Achterdeck gebraucht!“

„Si, Senor!“ rief der Profos und setzte sich eilends in Richtung auf das Vordeck in Bewegung.

Juan de Rivadeneira sah seine Umgebung durch gelbliche, wogende Schleier. Er spürte, wie seine Knie weich wurden, und klammerte sich mit beiden Händen an der Balustrade fest. Siedende Hitze stieg in seinem Inneren auf und trieb ihm den Schweiß aus allen Poren. Im nächsten Augenblick jedoch wurde ihm kalt, entsetzlich kalt, gerade so, als befände sich die „Vadavia“ mitten im Eismeer. Er begann am ganzen Leib zu beben und die Zähne aufeinanderzuschlagen.

Er riß die Augen weit auf, drehte sich halb herum, ließ die Balustrade los und torkelte zum Steuerbordschanzkleid. Er drohte zusammenzubrechen, hielt sich aber mit letzter Kraft doch noch aufrecht und schaffte es, sich mit dem Oberkörper über das Schanzkleid zu lehnen. Die Übelkeit übermannte ihn. Er erbrach sich. Während er sich mit beiden Händen festhielt, um nicht über Bord zu kippen, opferte er der See, wie die Seeleute zu sagen pflegten.

„Feldscher!“ schrie Don Gaspar.

Pedro Gavena, der Profos, hatte den Feldscher inzwischen aus dem Mannschaftslogis geholt, wo der Mann um diejenigen Decksleute bemüht gewesen war, die in den vergangenen Tagen bereits von der schweren Krankheit befallen worden waren.

Das waren Diego de Fajardo, der Schiffszimmermann, sowie die einfachen Seeleute Antonio, Aurel, Solis und Luis. In zwei Kammern des Achterdecks waren überdies Victor de Andrade, der Bootsmann der „Vadavia“, und Herra de Canduela, der Zweite Steuermann, untergebracht, die unter den gleichen Beschwerden litten.

Nun war auch noch der Erste Offizier erkrankt, und somit waren es acht Männer der Galeone, denen Übelkeit, Brechreiz und Fieber heftig zusetzten.

Angefangen hatte dies alles mit dem Zusammenbruch von Zimmermann Diego de Fajardo, den die Kräfte vor nunmehr achtzehn Tagen verlassen hatten, und zwar querab von Madras.

Die „Vadavia“ hatte sich in Küstennähe gehalten, statt den Indischen Ozean südlich von Ceylon zu durchsegeln. Drohende Stürme hatten Kapitän de Arce zu diesem zeitraubenden Kurswechsel veranlaßt. Alles Übel, so glaubte er jetzt, hatte begonnen, seit er jene Entscheidung getroffen hatte.

Mein Gott, mein Gott, dachte er in diesem Moment, vielleicht hätte ich doch lieber die Stürme abwettern sollen!

José Tragante, der Feldscher, stürzte aus dem Vordecksschott auf die Kuhl, hastete zum Steuerbordniedergang des Achterdecks und erstieg das Deck, indem er jeweils drei hölzerne Stufen mit einem Schritt nahm. Es war ihm sonst nicht erlaubt, das Achterdeck zu betreten, denn dieser Platz des Schiffes war dem Kapitän und seinen Offizieren vorbehalten, doch in dieser Ausnahmesituation war es Don Gaspar mehr als selbstverständlich, seinem „Medico“ den Zutritt zu gewähren. Tragante hingegen wünschte inständig, es hätte sich niemals ein Grund für diese Sondergenehmigung ergeben.

„Tragante!“ rief Don Gaspar. „Santa Madre, wo bleiben Sie denn? Sehen Sie doch, wie es dem armen de Rivadeneira ergeht, dabei war er vor zwei Stunden noch völlig auf der Höhe. Sie …“

Er unterbrach sich.

Juan de Rivadeneiras Hände rutschten vom Schanzkleid ab. Er kippte rücklings auf die Planken, streckte die Arme und Beine von sich und rührte sich nicht mehr.

José Tragante beugte sich über ihn und horchte an seiner Brust. Er sah wieder auf und meldete seinen Kapitän, der das Entsetzen in seinen Zügen nicht mehr zu verbergen vermochte: „Senor Capitán, er ist nur ohnmächtig geworden. Ich brauche einen Helfer, um ihn ins Achterdeck schaffen zu können.“

„Dieser Helfer ist schon zur Stelle“, sagte Gavena, der Profos, vom Steuerbordniedergang her. Seine Miene war starr, seinen Blick hatte er auf die Gestalt des Ersten Offiziers gerichtet.

„Es ist – dieselbe Krankheit, nicht wahr, Tragante?“ fragte der Kapitän seinen Feldscher.

„Ja, Senor.“

„Es handelt sich um eine Seuche, oder?“

„Die Befürchtung besteht, Senor“, antwortete José Tragante.

„Ist es Cholera?“

„Vielleicht. Vielleicht auch die Ruhr.“

„Mein Gott“, stammelte Don Gaspar. „Warum können wir nichts dagegen tun, warum nicht?“

„Die Arzneien, die wir an Bord mitführen, haben sich als wirkungslos erwiesen“, erklärte der Feldscher leise – so leise, daß weder der Profos noch der Rudergänger es hören konnten. „Ich kann den Kranken nur kalte Umschläge auflegen, die ihr Fieber etwas dämpfen, Senor.“

„Wir werden alle erkranken, wenn nicht ein Wunder geschieht“, sagte Don Gaspar Nunez de Arce. „Und wir müssen alle sterben, ehe wir Manila, unser Ziel, erreichen. Wir sind verdammt dazu.“

„Es gibt einen Weg zur Rettung, Senor.“

„Diese Möglichkeit habe ich vorhin mit de Rivadeneira erörtert.“

„Wir müßten die Kranken unter Quarantäne stellen“, sagte der Feldscher.

„Wo?“

„Hier, auf der ‚Vadavia‘, ist es kaum möglich, denn ich könnte die übrigen Schiffsräume kaum ausreichend gegen ein Übergreifen der Seuche abschirmen. Ich würde es mir nicht zutrauen, Senor.“

„Folglich?“

„Folglich müßten wir die Kranken mit einigen Betreuern auf einer Insel aussetzen. Anders kann ich es mir nicht vorstellen“, sagte Tragante, obwohl es ihm schwerfiel. „Ich selbst würde mich freiwillig dazu melden, bei den armen Teufeln zu bleiben.“

„Wir könnten die Überlebenden erst auf der Rückreise von Manila nach Malaga wieder übernehmen“, sagte der Kapitän. „Sechzig Tage würden mindestens verstreichen, vergessen Sie das nicht.“

„Senor Capitán, dieses Risiko müßten wir eingehen.“

Don Gaspar wandte sich dem Profos zu, der sich jetzt anschickte, näherzutreten und sich nach dem bewußtlosen Juan de Rivadeneira zu bücken.

„Senor Gavena“, sagte Don Gaspar. „Geben Sie folgenden Befehl an den Ausguck weiter: Ich will unverzüglich unterrichtet werden, wenn eine Insel vor uns auftaucht. Wir werden sie anlaufen, und ich werde feststellen lassen, ob sie unbewohnt ist, denn das ist die Grundvoraussetzung für unser Unternehmen. Falls wir eine Insel finden, die unseren Anforderungen entspricht, werde ich nicht zögern, unsere Kranken dort mit dem nötigen Proviant und Trinkwasser versehen zu isolieren.“

Er blickte Pedro Gavena fest in die Augen und fügte hinzu, als müsse er sich für seinen Beschluß rechtfertigen: „Anders geht es nicht, wenn wir leben wollen. Zwei Drittel der Besatzung sind noch gesund, aber falls wir so weiterreisen wie bisher, wird es früher oder später uns alle erwischen.“

„Si, Senor“, sagte der Profos.

„Bringen Sie jetzt de Rivadeneira ins Achterdeck, und kümmern Sie sich um ihn“, befahl der Kapitän.

„Si, Senor Capitán“, sagten Gavena und Tragante.

Don Gaspar richtete seinen Blick voraus und dachte daran, was werden sollte, wenn innerhalb der nächsten Tage keine Insel gesichtet wurde.

Messerscharf zeichnete sich nur der Rand des kreisrunden Ausschnittes gegen die Helligkeit des Tages ab, undeutlich hingegen war die Kimm, jene Linie, die sich dort bildete, wo der Himmel mit der See zusammenzutreffen schien. Nur verschwommen zeigten sich auch die Umrisse des kleinen Schiffes, das – tief im Wasser liegend – an der Kimm entlangsegelte, doch das Bild war ausreichend, um einige genauere Feststellungen zuzulassen.

„Ein Einmaster“, sagte Philip Hasard Killigrew. „Sein einziges Segel scheint ein Lateinersegel zu sein. Der Form des Rumpfes nach könnte er einer der kleinen Küstenkähne sein, wie sie vor Malakka und Siam anzutreffen sind.“

„Ein Praho also?“ fragte Bill, der Moses.

„Nicht unbedingt. Ich glaube, diese Art von Einmaster hat einen anderen Namen.“

„Ja, Sir. Wir könnten ihn aber auch als Schaluppe oder als Pinasse bezeichnen, oder? Wie genau, das ist letzten Endes doch egal, nicht wahr?“

„Eben.“ Der Seewolf nahm den Messingkieker, durch den er angestrengt spähte, etwas weiter nach rechts und konnte nun die Konturen eines zweiten Schiffes erkennen, das noch etwas weiter hinter der nördlichen Kimm lag als das erste. „Wichtig ist etwas ganz anderes, nämlich, um wie viele Segler es sich handelt. Von diesem hier kann ich nur den Mast, die beiden Segel und ganz knapp den oberen Rand der Bordwand sehen, aber er scheint mir nicht größer als der andere zu sein.“

Bill, der mit seinem Spektiv ebenfalls Ausschau hielt, sagte: „Das kann ich nur bestätigen, Sir. Aber wo steckt der dritte?“

Hasard zog den Kieker noch eine Idee weiter nach rechts und forschte den Horizont gründlich ab, vermochte aber kein anderes Schiff zu entdeckten. Er bewegte die Optik wieder nach links und fing noch einmal die dunklen Schattenrisse der beiden Einmaster ein. Danach schwenkte er das Rohr noch ein Stück nach links, konnte aber wieder nichts anderes erkennen als die glitzernde Einöde der See.

„Nichts, Bill“, sagte er. „Keine Spur von einem dritten Kahn.“

„Ich bin aber ganz sicher, vorhin, als ich meine Meldung erstattete, drei Mastspitzen gesehen zu haben.“

„Das bezweifle ich auch nicht.“

„Sie meinen also, daß die drei in Dwarslinie segeln, wobei der letzte so weit nördlich querab des zweiten läuft, daß seine Mastspitze für uns jetzt ganz hinter der Kimm verschwindet?“

Hasard ließ den Kieker sinken und blickte seinen Moses an. „Ich halte es für sehr wahrscheinlich. Und wer immer sich an Bord dieser Schiffe befindet, er beobachtet uns.“

„Glauben Sie, daß er näher heransegeln wird?“ fragte Bill. Seine Züge verhärteten sich. Deutlich war ihnen abzulesen, wie der junge Mann sich eine Begegnung mit den fremden Seglern vorstellte – alles andere als freundschaftlich-herzlich.

Hasard lächelte ein wenig, wurde aber gleich wieder ernst. Er schob seinen Kieker zusammen und steckte ihn weg. „Wenn der Anführer dieses kleinen Verbandes etwas gegen uns plant und sich wirklich an uns heranwagt, dann wird er das nach Einbruch der Dunkelheit tun. Halt die Augen offen, Bill, und melde mir sofort jede neue Bewegung, die er vornimmt.“

„Aye, Sir.“ Bill nahm das Spektiv nur kurz herunter, um seinem Kapitän zuzunicken, dann hob er es wieder vors Auge und blickte hindurch.

Hasard richtete sich auf der Plattform des Großmarses auf. Vor einer halben Stunde, als Bill die Mastspitzen an der Kimm zum erstenmal gesichtet hatte, hatte er sich hier heraufbegeben, um sich selbst ein Bild von dem oder den fremden Schiffen zu verschaffen. Kurze Zeit später, nachdem die Masten zunächst wieder verschwunden waren, waren allmählich zunächst der eine und dann der andere Einmaster aufgetaucht und hatten ihm und den anderen Männern der „Isabella VIII.“ erneut ein Rätsel aufgegeben.

Das Großmarssegel bauschte sich neben dem Großmars und knatterte ein wenig in dem Wind, der aus Norden blies. Hasard hatte hart anbrassen lassen und segelte sein Schiff hoch am Wind auf Kurs Westnordwest, also über Backbordbug liegend.

Vom Großmars aus konnte man folglich zwar nach Norden Ausschau halten, hatte das Großmarssegel aber im Rücken, so daß von hier aus nicht einmal der Vormars zu sehen war.

Hasard kletterte über die Segeltuchumrandung und enterte in den Luvhauptwanten ab, bis er unter dem Großmarssegel-Unterliek hindurch zu Gary Andrews hinüberblicken konnte, der als Fockmastgast in den Vormars aufgeentert war. Er winkte ihm zu und gab ihm ein Zeichen, auf dem Posten zu bleiben. Gary zeigte klar, dann hob auch er wieder den Kieker an und beobachtete, was an der nördlichen Kimm vorging.

Der Seewolf enterte bis auf die Kuhl ab, trat zu Ed Carberry, den beiden O’Flynns, Blacky, Smoky, Luke Morgan und all den anderen, die ihn fragend ansahen, und erklärte: „Der Teufel soll mich holen, wenn das keine Piraten sind.“ Er fügte hinzu, was Bill und er im einzelnen erspäht hatten.

„Nußschalen!“ stieß der Profos verächtlich aus. „Wenn die Kerle in diesen lächerlichen Kübelchen sich wirklich erdreisten, es mit uns aufzunehmen, machen wir nicht viel Federlesens mit ihnen. Denen heizen wir ein, daß ihnen Hören und Sehen vergeht.“

„Langsam, langsam, Ed“, sagte Hasard. „So klein ihre Schiffe auch sind, man soll sie nicht unterschätzen. Du weißt doch selbst genau, was für hartnäckige Gegner Seeräuber sein können, die sich mit Pinassen, Schaluppen oder winzigen Küstenseglern an Galeonen heranpirschen.“

„Schon, aber es sind doch nur drei“, brummte der Narbenmann.

„Wer sagt dir das?“ ließ sich jetzt Old Donegal Daniel O’Flynn vernehmen. „Zur Zeit sind ohnehin nur zwei von den verteufelten Kähnen zu sehen, der dritte scheint verschwunden zu sein. Doch ist er da, Bill hat ihn vorhin gesehen, und der Junge hat keinen Schlick auf den Augen. Also: Wie viele von diesen Seglern können sich noch hinter der Kimm versteckt halten? Drei, vier, fünf, ein halbes Dutzend oder noch mehr, was, wie?“

„Du sollst mich nicht nachäffen, Donegal“, sagte der Profos drohend.

Der Seewolf hob die rechte Hand. „Schluß der Debatte! Wir treffen unsere Vorbereitungen und gehen Klarschiff zum Gefecht!“

„Aye, Sir“, sagten die Männer.

„Im übrigen halten wir unseren Kurs und warten die Entwicklung der Dinge ab. Bill und Gary werden uns jede Bewegung des mutmaßlichen Gegners melden.“ Hasard drehte sich mit diesen Worten um und schritt zum Achterdeck. Er enterte auf und setzte auch Ben Brighton, Big Old Shane, Ferris Tucker sowie Pete Vallie, der sich aus dem Ruderhaus hervorbeugte, auseinander, was es mit den Einmastern auf sich hatte.

Carberry brüllte unterdessen auf der Kuhl seine Befehle. Es waren die üblichen Worte, gewürzt mit den deftigsten Flüchen und Beleidigungen, die typische Bordmusik, die auf der „Isabella“ erklang, wenn ein Manöver durchgeführt oder zum Gefecht gerüstet wurde. Die Männer hatten sich daran gewöhnt und – so absurd es klang – es hätte ihnen sogar etwas gefehlt, wenn der Profos sie nicht in den lautesten Tönen als Rübenschweine, triefäugige Kanalratten und plattfüßige Kakerlaken bezeichnet hätte.

Er war ihnen eben so richtig ans Herz gewachsen.

Die Männer öffneten also die Stückpforten und rannten die Culverinen aus. Philip junior und Hasard junior, die Söhne des Seewolfs, streuten auf der Kuhl Sand aus, um den Geschützführern im eventuellen Kampf einen sicheren Stand zu gewährleisten. Der Kutscher füllte Pützen und Kübel mit Seewasser, die er zum Befeuchten der Wischer und Bürsten bereitstellte. Alles lief mit traumhafter Schnelle und größter Präzision ab, jeder Handgriff saß.

„Ich glaube nicht, daß die Kerle an Bord der Einmaster uns von Siam aus gefolgt sind“, sagte Ben Brighton, der Bootsmann und Erste Offizier der „Isabella“. „Wäre dem so, hätten wir sie schon früher bemerkt. Nein, sie müssen uns ganz zufällig entdeckt haben.“

„Und von jetzt an sitzen sie uns am Hals“, schlußfolgerte Big Old Shane. „Schnell sind ihre Kähne bestimmt, wendig auch. Wir können ihnen nicht davonsegeln.“

„Das wollen wir doch auch nicht, oder?“ warf Ferris Tucker ein. „He, Hasard, wir kneifen doch wohl nicht vor diesen Himmelhunden, wie?“

„Nein. Aber wir schlagen uns nur, wenn es sich nicht vermeiden läßt.“

„Es wird sich nicht vermeiden lassen“, sagte der rothaarige Riese. „Vielleicht sind es birmanische Piraten, wer weiß. Vielleicht sind sie auch aus dem Golf von Bengalen heruntergesegelt. Oder ihr Schlupfwinkel liegt drüben in Malakka. Egal. Sicher ist, daß sie sich eine fette Beute erhoffen und annehmen, sie in uns gefunden zu haben. Blutrünstig, wie sie sind, werden sie mit allen Waffen, die sie haben, über uns herfallen.“

„Vielleicht kennen sie den ‚Tiger von Malakka‘!“ rief Pete aus dem Ruderhaus herüber. „Wenn wir Sotoro ihnen gegenüber erwähnen, sobald sie, auf Rufweite heran sind, werden sie vielleicht friedlich!“

„Kinderkram“, erwiderte Ferris in der gleichen Lautstärke. „Daran glaubst du doch wohl selber nicht, Pete!“

„Himmel, darf man hier jetzt gar nichts mehr sagen?“ rief der Rudergänger erbost.

„Sicher darf man das“, entgegnete Shane. „Und du, Ferris, solltest nicht so eine dicke Lippe riskieren. Du tust so, als könntest du gar nicht abwarten, mit Freibeutern herumzuholzen. Hast du Airdikit auf Sumatra schon vergessen?“

Ferris’ Miene verdunkelte sich. „Es war nicht meine Schuld, daß die Dons mir eine Kugel verpaßten. Außerdem war das Ding nur ein kleiner Kratzer.“

„Na, na“, sagte Shane.

Hasard ergriff wieder das Wort. „Shane hat recht, wir sollten nicht zu sehr auftrumpfen, Ferris. Denk an Yao-Yai, unser letztes Abenteuer mit den achtundzwanzig spanischen Galeonen – auch das hätte ins Auge gehen können. Ich will damit sagen, wir haben schon eine gehörige Portion Glück gehabt, daß wir dem Gefecht heil entronnen sind. Und ich will das Risiko für uns so gering wie möglich halten. Anders ausgedrückt, ich wäre ziemlich froh darüber, wenn wir ohne große Reibereien in den Indischen Ozean hinübergelangen könnten.“

„Na ja“, meinte Ferris Tucker jetzt einlenkend. „Dagegen hätte ich natürlich auch nichts einzuwenden.“

Hasard grinste. „Dann sind wir uns ja einig.“

„Sir!“ rief Bill hoch über ihren Köpfen. „Jetzt verschwinden die Einmaster wieder hinter der Kimm. Sie haben angeluvt und segeln Kurs Nordwesten!“

„Die wollen uns an der Nase herumführen“, sagte Ben Brighton.

„Aber vielleicht haben wir ja die besseren Nerven“, meinte Ferris Tucker.

„Zumindest genauso gute wie sie“, sagte der Seewolf. „Das werden wir ihnen beweisen. Wir halten unseren Kurs und zeigen uns von unserer sturen Seite.“

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 207

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