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2.

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Am Nachmittag, kurz nach dem Beginn der Abendwache um vier Uhr, erwachte der Erste Offizier Juan de Rivadeneira für kurze Zeit aus seiner Ohnmacht. Don Gaspar setzte sich zu ihm ans Krankenlager in einer der Kammern des Achterkastells, doch er vermochte kein einziges Wort mit dem Mann zu wechseln, da dieser nur Unzusammenhängendes stammelte und die Anwesenheit seines Kapitäns überhaupt nicht wahrzunehmen schien.

José Tragante, der Feldscher, legte de Rivadeneira in regelmäßigen Zeitabständen kalte Umschläge auf die Stirn, die er aus in Streifen geschnittenem und in Wasser getauchtem Leinentuch angefertigt hatte.

De Rivadeneira schwadronierte noch eine Weile, dann fiel er wieder in tiefe Bewußtlosigkeit.

Tragante blickte den Kapitän an. „Er hat hohes Fieber. Ich habe ihm einen Pflanzenextrakt zu trinken gegeben, der die Temperatur senken soll, aber er hat alles wieder ausgespuckt.“

„Muß er sterben, Tragante?“

„Bislang ist noch keiner der Männer ums Leben gekommen, Senor.“

„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“

„Senor, falls es sich wirklich um Cholera oder Ruhr handelt, dann gibt es für keinen der Kranken eine Rettung, das wissen auch Sie“, sagte der Feldscher so ruhig wie möglich.

„Ja. Wie nun, wenn es eine schlimme Art von tropischem Fieber ist?“

„Mit Brechdurchfällen, Senor?“

„Nehmen wir einmal an, es handle sich um eine uns unbekannte Krankheit.“

„Gut. Auch dann sind die Aussichten auf eine Gesundung dieser Männer äußerst gering. Auch an Fieber kann man sterben. Es kann einen um den Verstand bringen und langsam zu Tode quälen.“

„Mit anderen Worten, sowohl de Rivadeneira, Victor de Andrade, Herra de Canduela und Diego de Fajardo als auch die vier einfachen Decksleute sind zum Tod verurteilt?“

„Mit größter Wahrscheinlichkeit“, sagte Tragante.

„Mein Gott.“ Don Gaspar Nunez de Arce warf noch einen erschütterten Blick auf die reglose Gestalt seines Ersten, dann erhob er sich. „Himmlische Dreieinigkeit, Santa Trinidad, hab’ Erbarmen mit diesen bedauernswerten Geschöpfen, die nichts Unrechtes getan haben und der göttlichen Gnade bedürfen.“

Er fügte noch ein paar flehende Worte hinzu, brach dann ab, verließ den Raum und schickte sich an, zu de Andrade, dem Bootsmann, und zu de Canduela, dem Zweiten Steuermann, zu gehen, die ebenfalls in Kammern des Achterdecks lagen.

Nie hatte Don Gaspar, der im Grunde seines Herzens kein besonders gläubiger Christ war, gesteigerten Wert auf die Mitnahme eines Kaplans an Bord eines Segelschiffes gelegt. Jetzt aber wünschte er sich einen Geistlichen herbei, denn in seiner wachsenden Verzweiflung wußte er nicht mehr, an was er sich klammern sollte.

Die Heilkunst des Feldschers mußte vor dieser Art von Krankheit kapitulieren, eine Erlösung konnte nur von den überirdischen Mächten kommen. Don Gaspar bereute es jetzt zutiefst, nie mehr gebetet zu haben und in den Häfen die Heilige Messe in den Kirchen nur besucht zu haben, wenn es unumgänglich gewesen war. Er schämte sich seiner selbst, aber er schimpfte sich vor sich selbst auch einen erbärmlichen Schwächling, der der Lage nicht gewachsen war.

Du mußt dich selbst besiegen, hämmerte er sich immer wieder ein, du mußt es schaffen!

Das Schott des Achterkastells schwang auf, als er sich noch im Gang befand und gerade die Tür zu de Andrades Kammer öffnen wollte. Don Gaspar blickte nach links, erkannte die breite Gestalt seines Profos’ in der Öffnung des Schotts und verlieh sich einen inneren Ruck.

„Senor“, sagte Pedro Gavena. „Eben gerade ist dem Decksmann Pascual schlechtgeworden. Ich habe ihn in eine der Kojen im Logis verfrachtet.“

„Der neunte Fall“, sagte der Kapitän. „Und wieder sind es genau die gleichen Anzeichen?“

„Ja, Senor.“

Don Gaspar trat auf ihn zu. „Ich will selbst sehen, wie es um diese armen Teufel bestellt ist, Profos. Gehen wir zusammen ins Mannschaftslogis.“

„Ins Logis, Senor?“ wiederholte Gavena verwundert.

„Ja, Sie haben mich schon richtig verstanden. Gehen wir.“

Der Profos verkniff sich ein Achselzucken. Er ließ den Kapitän an sich vorbei und folgte ihm dann in zwei Schritten Abstand auf das Hauptdeck hinaus, an der Nagelbank, am Großmast und an der Gräting vorbei in Richtung auf das Vordecksschott.

Gavena hielt es nicht für richtig, daß Don Gaspar höchstpersönlich die Mannschaftsunterkunft aufsuchte. Nicht etwa, weil es dort irgendwelche Unregelmäßigkeiten gab, die dem Mann sofort auffallen mußten – alles war aufgeräumt und sauber und befand sich in mustergültigem Zustand, dafür sorgte der Profos.

Nein, Gavena war vielmehr der Ansicht, daß es unter der Würde eines Schiffsführers war, das Vordeck zu betreten. Wie es den einfachen Dienstgraden an Bord eines spanischen Kauffahrers versagt war, das Achterdeck zu entern, so sollte auch ein Kapitän niemals bis in das Logis vordringen, fand der Profos, denn dies war ein Zugeständnis, durch das er die eigene Autorität untergrub.

Don Gaspar Nunez de Arce hatte dieses Gebot der Borddisziplin bislang in aller Strenge gewahrt, aber jetzt sah er die Dinge in einem anderen Licht. Ihm selbst verlieh der Besuch im Vordeck alles andere als einen inneren Auftrieb, aber vielleicht würde ihn die direkte Konfrontation mit dem Übel doch irgendwie aufrütteln.

Das Wichtigste aber schien ihm die Hoffnung zu sein, die die Kranken vielleicht schöpften, wenn er sich direkt an ihre Kojen begab und zeigte, daß er keine Furcht vor dem schrecklichen, rätselhaften Leiden verspürte, wenn er ihnen aufmunternd zuredete und ihnen zusicherte, daß doch noch alles gut werden würde.

Was an Bord der „Vadavia“ seinen Lauf nahm, glich einem Ausnahmezustand, und Don Gaspar hatte den Entschluß gefaßt, seinen Männern gegenüber Menschlichkeit walten zu lassen – vor allen Dingen Menschlichkeit.

Er hatte eine gute Mannschaft, vielleicht die beste, die je unter seinem Kommando gefahren war. Gerade deshalb setzte es ihm besonders hart zu, daß ein Teil von dem gräßlichen Leiden befallen worden war.

Don Gaspar öffnete das Vordecksschott, tauchte in dem Halbdunkel des anschließenden Ganges unter und näherte sich mit entschlossenen Schritten dem Logis.

Ein unangenehmer Geruch schlug ihm entgegen, vermochte ihn aber nicht aufzuhalten. José Tragante hatte alles getan, um in den engen Räumen des Vorschiffs für Lüftung zu sorgen, doch den Hauch der Krankheit konnte auch er nicht von der „Vadavia“ verbannen. Don Gaspar bekräftigte sich selbst in der Überzeugung, daß eine wirkungsvolle Quarantäne an Bord der Galeone nicht durchzuführen war.

Unter dem Türpfosten des Logis’ blieb er stehen und ließ seinen Blick schweifen. Er betrachtete jede einzelne Koje und konnte jetzt, da seine Augen sich zunehmend an die Dunkelheit gewöhnten, die Gestalten der Männer darin erkennen.

Ganz vorn lag Diego de Fajardo, der Schiffszimmermann. Don Gaspar verspürte bei seinem jammervollen Anblick tiefste Betroffenheit. Weiter im Hintergrund sah der Kapitän die Decksleute Antonio, Aurel, Solis und Luis und auch Pascual, den man soeben hereingebracht hatte. Zwei Männer der Freiwache kümmerten sich um die Kameraden und legten ihnen immer wieder nasse Lappen auf, wie der Feldscher es ihnen aufgetragen hatte.

Don Gaspar schritt langsam durch den Raum. Die Planken knarrten unter seinen Stiefeln. Die Männer der Freiwache blickten verdutzt zu ihm auf, aber sie stellten keine Fragen und sprachen kein Wort.

Der Profos verharrte in der Tür.

Rasch hatte Don Gaspar festgestellt, daß der Decksmann Pascual der einzige war, der noch nicht in tiefen Fieberträumen lag oder bewußtlos geworden war.

Deshalb setzte er sich auf den Rand seiner Koje und fragte ihn: „Pascual, kannst du mich hören und sehen?“

„Si, Senor.“

„Hast du Schmerzen?“

„Keine, Senor Capitán, aber – aber ich darf nicht mit Ihnen reden, weil es – untersagt ist.“

Don Gaspar schüttelte den Kopf. „Vergiß es. Ich will, daß du dich mit mir unterhältst. Ich will, daß ihr alle wißt, wie sehr ich um euch besorgt bin. Das ist ein dienstlicher Befehl. Was quält dich, Pascual?“

„Die Übelkeit – und die Schwäche. Mal ist mir heiß, daß ich glaube, ich brenne, und mal so kalt, daß ich denke, jetzt erfrierst du.“

„Das ist das Fieber, Pascual. Aber so sehr es dir auch zusetzt, es wird wieder vergehen.“

„Danke, Senor“, sagte Pascual mühsam. „Wenn Sie das sagen, glaube ich es.“

„Senor Capitán“, sagte der Profos verhalten hinter Don Gaspars Rükken. „Darf ich mir eine Bemerkung erlauben? Es hat doch keinen Zweck, daß Sie …“

„Nein, dürfen Sie nicht“, unterbrach der Kapitän ihn schroff. Dann wandte er sich wieder dem kranken Mann zu. „Es wird alles wieder gut werden, denn es kann keine schlimme Krankheit sein, verstehst du?“

„Ja, aber – aber Sie werden sich hier anstecken, Senor.“

„Ich kann mich auch im Achterdeck schon angesteckt haben, denn dort liegen ebenfalls drei Patienten: der Erste Offizier, der Bootsmann und der Zweite Steuermann“, sagte de Arce ruhig. „Darum brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu bereiten, Pascual. Ich habe auch keine Angst vor dieser Krankheit, weil ich weiß, daß sie wieder abklingt, ohne Spuren zu hinterlassen.“

„Ich bin froh darüber, Senor Capitán.“

Don Gaspar blickte dem kranken Mann in die Augen und nickte ihm lächelnd zu. Wenn Pascual ihn gefragt hätte, wie er in seiner Vorhersage so sicher sein könne und ob er denn überhaupt wisse, um welche Krankheit es sich handele, hätte er keine Antwort darauf gewußt. Er war froh, daß dem armen Teufel keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Darstellung der Dinge aufstiegen.

Und wenn es hundertmal eine Lüge war – Don Gaspar wußte, daß seine Worte den Widerstandsgeist in diesem Mann stärken würden. Wenn ein Mann kämpfte und sich nicht selbst aufgab, hatte er größere Chancen, doch noch zu überleben.

„Pascual“, sagte Don Gaspar langsam. „Was würdest du davon halten, wenn ich dich und die anderen vorläufig an Land absetzen würde – mit einigen Betreuern und dem nötigen Proviant?“

„An Land?“ Pascual keuchte, griff sich an den Kopf und bäumte sich unter der Hitze und den Krämpfen auf, die seinen Leib schüttelten.

Der Profos brachte einen kalten Umschlag, und Don Gaspar selbst legte ihn dem Kranken auf die Stirn, nachdem er das Tuch weggenommen hatte, das sich auf dem Gesicht des Mannes erwärmt hatte.

„An Land“, wiederholte Pascual. „Das – wäre eine gute Idee, und die anderen wären vor der – Ansteckung bewahrt, nicht wahr? Die ‚Vadavia‘ könnte bis nach Manila segeln und wieder zurück …“

An dieser Stelle brach er ab und wurde ohnmächtig.

Don Gaspar wandte den Kopf und blickte zu den anderen Männern, vorbei an dem Profos, der ihn nur verständnislos ansah.

Der Decksmann Aurel war soeben zu sich gekommen. Da er nicht schwadronierte, sondern bei klarem Bewußtsein zu sein schien, stand Don Gaspar von der Koje Pascuals auf und ging zu dem Mann hinüber, um ihm die gleiche Frage zu stellen.

Als die Dämmerung über die See kroch und die „Vadavia“ mit ihren Schleiern gefangensetzte, ertönte aus dem Vormars der Ruf des Ausgucks: „Deck ho, Backbord voraus! Land in Sicht!“

Die Männer der Deckswache hoben die Köpfe und spähten voraus, aber sie vermochten in dem bleigrauen, verklingenden Büchsenlicht nichts zu erkennen, das wie ein Streifen Küste über die Kimm hinauswuchs.

Don Gaspar, der inzwischen wieder das Achterdeck betreten hatte, stellte sich mit dem Spektiv bewaffnet an die Schmuckbalustrade und richtete seinen Blick durch die Optik nach vorn. Bald sichtete er wie einen Schemen den schmalen schwärzlichen Streifen an der östlichen Kimm und gab den Befehl, Kurs auf die Erscheinung zu nehmen.

„Kurs Osten liegt an!“ meldete ihm kurz darauf Ruben Dario, der Zweite Offizier, der inzwischen die Aufgaben von de Rivadeneira und de Andrade mit zu versehen hatte.

Eine halbe Stunde später war die Insel im letzten ersterbenden Licht des Tages vor der „Vadavia“ zu erkennen. Daß es eine Insel und kein Festland war, stand außer Zweifel, denn auf dieser Position zwischen Indien und Malakka gab es keine Kontinentalmasse.

Die Sonne zeigte den letzten Rest ihrer roten Scheibe über dem westlichen Horizont, dann verschwand auch dieser von einem Augenblick auf den anderen, wie es in den Tropen üblich war. Die Nacht senkte sich auf das Schiff und die See.

Don Gaspar drehte sich im Dunkeln zu Ruben Dario und zu Bernardo Altez, seinem Ersten Steuermann, um. Er konnte die beiden und die Gestalt des Rudergängers gerade noch erkennen.

„Senores, wir segeln dicht unter Land, geien die Segel auf und gehen vor Anker. Es hat keinen Zweck, die Insel während der Nacht erkunden zu wollen. Wir warten das Morgengrauen ab, segeln einmal um die Insel herum, um festzustellen, wie groß sie ist und welche Beschaffenheit sie hat, setzen dann mit einem Trupp von Männern über und erforschen ihr Inneres.“

„Jawohl, Senor Capitán“, antworteten sie.

Pedro Gavena, der Profos, stand zu diesem Zeitpunkt an der Nagelbank hinter dem Großmast und konnte deutlich verstehen, welche Anweisungen sein Kapitän erließ.

Ja, dachte er, gut so, und hoffen wir, daß die Insel menschenleer ist, damit wir die Kranken dort zurücklassen können. Damit der Kapitän sein angekratztes Selbstvertrauen bald wiedergewinnt und den Don Gaspar herauskehrt, den wir von ihm gewohnt sind.

Er mußte sich plötzlich an der Nagelbank festhalten. Eine heiße Welle schoß durch seinen Körper und fuhr ihm bis in die Knie. Er begann zu zittern und spürte, wie ihm der kalte Schweiß auf die Stirn trat und an seinem Gesicht niederrann.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 207

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