Читать книгу Seewölfe Paket 24 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 44
3.
ОглавлениеAm Abend vorher.
Jean Ribault starrte düster vor sich hin. Jede Stelle seines zerschundenen Körpers tat ihm weh. Die sadistischen Wärter hatten ihm die Peitsche auch über die Schulter geschlagen, mit voller Absicht natürlich, damit er beim Wasserschleppen jedesmal daran dachte.
Er hatte den verdammten O’Leary mit einem Handkantenschlag außer Gefecht gesetzt, weil der verlangte, Ribault habe ihm seine Suppe und den Kanten Brot auszuhändigen.
Danach war er zusammengepeitscht worden. Aber ein paar Eimer Wasser hatten ihn wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt. Dann wurde er weiter geschunden, und ihm blieb nichts erspart. Auf ihn hatten sie es ganz besonders abgesehen, daher genoß er auch eine „Sonderbehandlung“.
Wasserträger war er. Don Lope trieb die Festungsarbeiten in aller Eile voran, denn St. Augustine sollte eine Inselfestung werden.
Ein breiter und tiefer Wehrgraben wurde ausgeschachtet. Das war eine Knochenarbeit, weil der Boden größtenteils sumpfig, matschig und morastig war.
Don Lope hatte Ribault dabei die schlimmste Arbeit zugewiesen – das Ausschöpfen von Schlammwasser in einem abgeschotteten Teilstück des langen Grabens.
Bis die Dreckbrühe ausgeschöpft war, konnten Wochen oder Monate vergehen. Das Wasser sickerte immer wieder nach. Ribault hatte dabei ständig das Gefühl, als versuche er mit einem Sieb, den Atlantik auszuschöpfen. Eine Sisyphusarbeit war das, ein nie ans Ziel führendes Ausschöpfen von Schlammwasser.
Er mußte zwei große Eimer schleppen, die an einem Schulterholz hingen. Das Wasser wurde dreihundert Yards weiter ostwärts zu einem Graben getragen und dort hineingekippt.
Die großen Eimer hatten Eichstriche, die von den Aufpassern immer wieder kontrolliert und nachgesehen wurden. Schwappte Wasser beim Tragen über, dann wurde das als Sabotage angesehen, und der Wasserträger kriegte die Peitsche der Wärter erbarmungslos zu spüren.
Hinzu kamen die Schikanen dieser unmenschlichen Zwangsarbeit, denn unter den Aufpassern gab es ein paar Kerle, die es darauf anlegten, die Wasserträger laufen zu lassen. Dabei schwappte natürlich Wasser über und die Eichmarke war frei. Damit begann der Kreislauf von neuem, und die Peitsche wurde eingesetzt.
Weiter drüben schufteten die anderen: Roger Lutz, Renke Eggens mit weiteren Deutschen, Hein Ropers, Hanno Harms und Karl von Hutten.
Fred Finley war zum Loreschieben eingesetzt worden und befand sich hin und wieder in unmittelbarer Nähe von Jean Ribault.
Zum Glück war Jan Ranse und Mel Ferrow noch rechtzeitig die Flucht von der „Goldenen Henne“ im Beiboot gelungen. Ribault setzte seine ganze Hoffnung auf die beiden Männer. Vielleicht stießen sie auf Thorfin Njal oder auf Hasard, und dann würde sich hier einiges grundlegend ändern.
Ribault war nicht der Mann, der sich selbst bemitleidete, aber er konnte sich an den fünf Fingern ausrechnen, wann sie ihn zur Zwangsarbeit tragen mußten. Ihm war völlig klar, daß diese seelenlosen Sklavenschinder es darauf anlegten, ihn fertigzumachen.
Einer der Kerle stieß ihm den Peitschenstiel hart in die Rippen und grinste hinterhältig. Sirona hieß der Bastard. Dem Kerl fehlten vorn drei Zähne, aber das verbarg meist der struppige Bart, der Sirona fast ins Maul wuchs.
„Los weiter, du verdammter Hugenotte“, sagte Sirona höhnisch grinsend. „Das bißchen Wassertragen ist noch gar nichts. Ich wette, du sehnst dich noch danach, Wasser tragen zu dürfen, wenn du erst gefoltert wirst. Du weißt doch, daß man dich foltern wird?“
Jean Ribault gab keine Antwort. Er nahm das Schulterholz auf und trug das Wasser zum Graben hinüber. Er hatte die Eimer kaum auf den Schultern, als ihm der hinterhältige Kerl ein Bein stellte.
Jean Ribault sah es im letzten Augenblick, fing sich und konnte gerade noch vermeiden, daß das Wasser überschwappte. Dieses Spielchen schien den Bastard köstlich zu amüsieren, denn er lachte sich halbtot.
Don Lope wollte ihn also zuerst restlos zermürben, und dann foltern lassen, überlegte er. Das war die feine Tour des ehrenwerten Don Lope, ihn zum Sprechen zu bringen, denn er wollte alles über den Seewolf erfahren.
Jean Ribault wußte aber auch, daß er nichts sagen würde, selbst unter der Folter nicht. Also würde er danach ein Krüppel sein, ein menschliches Wrack, falls er die Tortur überhaupt lebend überstand.
Schon heute nachmittag war ihm klargeworden, daß er fliehen mußte. Er hatte nicht die Absicht, sich von diesem Sadisten zerbrechen zu lassen. Wenn ihm die Flucht gelang, fand er vielleicht auch eine Möglichkeit, seine Männer zu befreien.
Vielleicht, so überlegte er, ergab sich die Gelegenheit, Don Lope als Geisel zu nehmen. Dann hatte er ein gutes Faustpfand.
Es war unerträglich heiß und stickig. Aus den nahen Sümpfen stiegen die unzähligen kleinen Plagegeister auf, die in kleinen Wolken heranschwirrten, sich gierig auf die Männer stürzten und ihr Blut saugten. Die Stiche brannten und juckten höllisch.
Zu diesem Zeitpunkt sah Ribault, daß die „Goldene Henne“ auslief – unter spanischer Flagge. Die anderen sahen das ebenfalls und knirschten vor hilfloser Wut mit den Zähnen.
Auch die Aufpasser und Sklavenschinder wurden einen Augenblick abgelenkt und starrten grinsend zu dem Schiff.
Ribault kam an Fred Finley vorbei, der eine Lore vor sich herschob. Jegliche Unterhaltung zwischen den Gefangenen war verboten, sonst setzte es Prügel, aber Jean sah eine winzige Chance.
Die Schienen führten an jenem Weg vorbei, den die Wasserträger gehen mußten, um ihre beiden Wassereimer in den Graben zu kippen, der zur See hin floß.
„Ich versuche, heute abend abzuhauen“, raunte Jean Ribault.
Fred Finley nickte nur ganz unmerklich, denn jetzt drehte sich einer der Aufpasser um und musterte Ribault. Mit unbewegtem Gesicht ging der Franzose weiter.
Genau das hier würde sein geplanter Fluchtweg werden – jener Weg zum Graben. Leider standen dort immer zwei Aufpasser, die die Eichstriche kontrollierten und nachsahen. Aber dennoch rechnete sich Jean Ribault eine Chance aus, mit den beiden Kerlen fertig zu werden. Sie würden mit dem Überfall ganz sicher nicht rechnen.
Was hatte er noch zu verlieren? Die Antwort darauf brauchte er sich gar nicht erst zu geben. Er hatte nur noch etwas zu gewinnen, und daher wollte er alles auf eine Karte setzen.
Aus den Augenwinkeln sah er, daß Fred Finley dem loreschiebenden Roger Lutz etwas zuflüsterte.
Aha, es wird schon weitergegeben, dachte Jean. Dann würden es die anderen ja ebenfalls bald wissen.
Roger Lutz, der harte Kämpfer, den die meisten Frauen unwiderstehlich fanden, war ebenfalls zum Loreschieben eingeteilt worden und hatte Glück gehabt, denn das war noch die leichteste Arbeit.
Am heutigen Vormittag hatte er noch Schlamm schaufeln müssen, am Nachmittag hatte man ihn an den Loren eingesetzt.
„Kapitän haut heute abend ab“, wisperte Finley, als er mit Roger Lutz auf gleicher Höhe war. „Weitersagen“, fügte er noch aus den Mundwinkeln hinzu.
Roger Lutz verbiß sich das Grinsen. Fein, daß der Kapitän flüchten will, dachte er. Wenn er es nicht tat, würden sie ihn brechen, bis er restlos fertig war. Er nahm sich vor, genau aufzupassen. Vielleicht konnte er seinen Kapitän noch begleiten. Diese Aussicht erfüllte ihn mit heller Freude.
Ribault näherte sich inzwischen den beiden Aufpassern.
„… bald Schluß für heute“, hörte er den einen murmeln. „Kotzt mich an, den ganzen Tag hier rumzustehen. Gehst du nachher mit in die Hafenkneipe? Wir lassen mal ein bißchen die Puppen tanzen.“
„Klar gehe ich mit“, versicherte der andere. „Ist ja nicht mehr lange bis zum Sonnenuntergang.“
Aha, bei Sonnenuntergang oder kurz davor werden also die Arbeiten eingestellt, dachte Jean Ribault. Das war ja schon bald der Fall. Dann konnte er seinen Plan in die Tat umsetzen.
Ihm war auch aufgefallen, daß die Aufpasser jetzt lustloser und unaufmerksamer geworden waren. Klar, sie hatten ebenfalls die Nase voll und freuten sich auf den bevorstehenden Feierabend, damit sie in die Hafenkneipen von St. Augustine ziehen konnten, um ihr Geld auf den Kopf zu hauen. Darauf waren sie ganz scharf.
Er trat zwischen sie und blieb stehen, bevor er das Wasser in den Graben leerte.
Sie linsten träge auf den Eichstrich und grinsten, als er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht bückte. Wieder spürte er jeden einzelnen seiner Knochen, außerdem brannte sein Rücken wie Feuer, wo ihn die Hiebe getroffen hatten.
Sehr aufmerksam, aber völlig unauffällig sah er sich die beiden Kerle an und achtete darauf, wie sie standen. Das prägte er sich genau ein, denn darauf baute er seinen Plan auf.
Als das Wasser in den Graben plätscherte, drehte sich einer der Kerle um und trat Ribault mit dem Stiefel in die Kehrseite.
„Beweg dich schneller, du Hundesohn!“ brüllte er.
Der Franzose schluckte hart. Na warte, dachte er. Der Tritt wird dir noch verflucht sauer aufstoßen.
Er nahm das Trageholz auf und kehrte wieder zurück.
Weiter drüben schufteten O’Leary und seine Schwefelbande, die Halunken, denen sie eine Menge Ärger zu verdanken hatten. O’Leary, der ehemalige Bootsmann des füsilierten Sir John Killigrew, gab bei den Kerlen den Ton an und kujonierte auch mit Vorliebe die beiden ferkelgesichtigen Söhne des verblichenen Alten von Arwenack.
Sieben Hochwohlgeborene waren auch dabei, aber die hatten schon seit langer Zeit unter dem rohen und brutalen Patron O’Leary nichts mehr zu lachen. Außerdem sahen die edlen Herren wie die Schweinchen aus, dreckig, verkommen und kaputt von der körperlichen Arbeit waren sie. Und das bißchen zu essen, was sie erhielten, um nicht zusammenzuklappen, das fraß ihnen der Bootsmann mit der größten Selbstverständlichkeit weg und mästete sich auf ihre Kosten.
Ja, dachte Jean Ribault, die feinen Herren hatten sich die Jagd auf den Seewolf auch anders vorgestellt und kamen jetzt nicht mehr klar, denn körperliche Arbeit war für sie vormals ein Fremdwort gewesen.
Jean Ribault bedauerte die Halunken nicht. Sie hatten sich den ganzen Ärger selbst eingebrockt und konnten von ihm aus daran ersticken.
Er preßte die Zähne zusammen. Gerade über ihn fielen die Mückenschwärme mit Vorliebe her, denn sein Körper war mit angetrocknetem Blut bedeckt, und das zog die Viecher mit aller Gewalt und in ganzen Scharen herbei.
Als die Sonne im Westen über dem stickigen Sumpfgebiet stand, stiegen Myriaden tanzender Schwärme auf und suchten sich ihre Opfer. Vermutlich war das mit ein Grund, warum die Arbeiten kurz vor Sonnenuntergang eingestellt wurden. Dann hielten es selbst die Aufpasser nicht mehr aus, denn da übernahmen die Moskitos das Feld.
Während er das Schlammwasser in die Eimer füllte, beobachtete er aus den Augenwinkeln die Aufpasser. Sie unterhielten sich und sehnten den Feierabend herbei. Jetzt wurden sie auch etwas nachlässig.
Er sah auch Roger Lutz an einer Lore hantieren, aber er dachte sich nichts dabei, obwohl sich Roger mit der Lore ziemlich schwertat. Er räumte ein bißchen Dreck von den Schienen und schob dann weiter.
Als die Eimer bis an den Eichstrich gefüllt waren, nahm er das Joch auf und hängte es sich über die Schultern.
Er mußte die Zähne zusammenpressen, so sehr schmerzte die Berührung. Der Aufpasser neben ihm stierte in die Sonne. Offenbar konnte er deren Untergang kaum noch erwarten.
„Beeil dich, verdammt noch mal!“ brüllte er Ribault an. Er traf jedoch keine Anstalten, ihm wieder ein Bein zu stellen. Wenn jetzt Wasser überschwappte, würde alles nur noch länger dauern.
Das ist die letzte Gelegenheit, dachte Jean Ribault. Die Kerle waren sorglos geworden. Ein paar der Aufpasser brüllten schon die Gefangenen an, daß sie sich gefälligst zu beeilen und ihren Kram zusammenzupacken hätten.
Jean Ribault ging los, dreihundert Yards mit den schweren Eimern. Jeder einzelne Schritt schmerzte. Die Last wurde fast unerträglich.
Scheinbar hielt er den Blick gesenkt, doch er beobachtete heimlich die beiden Aufpasser am Graben. Sie standen immer noch so da, als seien sie zu faul, sich zu bewegen.
Der eine stand links etwas nach hinten versetzt dicht am Graben. Der andere rechts und etwas nach vorn versetzt.
Er mußte genau in ihre Mitte, damit sie bequem nach dem Eichstrich in den Eimern linsen konnten und sich ja nicht unnötig bewegen mußten.
„Bewege mal deine faulen Knochen etwas schneller“, pöbelte ihn der eine an. „Oder willst du hier Wurzeln schlagen?“
„Er kriegt kaum noch die Knochen hoch, der Bastard. Hängt da so müde rum wie ein alter Tränensack.“
Jean Ribault ließ sie reden und wartete darauf, daß sie ihm das Zeichen gaben, die Eimer auszukippen. Er wußte nicht, daß Roger Lutz zu diesem Zeitpunkt gerade seine Lore auf jene Stelle zuschob, wo die Schiene den gemeinsamen Weg verließ und nach Norden abschwenkte.
Jean Ribault blieb kühl und gelassen, während er ein letztes Mal seine Chancen abwog. Nach außen hin gab er sich allerdings den Anschein eines total kaputten Mannes, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Der Franzose schwenkte das Joch mit den Eimern unmerklich und wie unbeabsichtigt nach links, packte dann blitzartig härter und fester zu und riß das Joch mit einem scharfen Ruck wieder zurück. Dabei baute er auf die Hebelwirkung, die auch prompt eintrat.
Der Aufpasser, der links von ihm stand, war total überrascht und konnte sich auch nicht mehr auf den Beinen halten. Die Holmseite krachte ihm hart ins Genick. Er griff mit einem leisen Aufschrei um sich, als suchte er Halt. Doch da war nur der Graben, und in den sauste er mit einem Affenzahn hinein.
Der andere war noch überraschter. Die Eisenkette, an welcher der Wassereimer hing, schlang sich um seinen Hals. Mit beiden Händen griff er danach, doch der Franzose trat einen halben Schritt zurück, so daß sich die Kette noch mehr straffte.
Stöhnend und gurgelnd brach der Aufpasser in die Knie.
Jean Ribault zögerte keinen Augenblick. Er mußte diese Aktion durchziehen, sonst war er erledigt. Nicht auszudenken, was ihm darin alles bevorstand.
Er ließ die Eimer fallen und war mit einem blitzschnellen Satz bei dem röchelnden Kerl. Ebenso schnell bückte er sich und hieb dem Kerl die Faust hart an die Schläfe. Gleichzeitig griff er zu und entriß dem Wärter das Messer, das er im Gurt stecken hatte.
Das alles geschah so schnell, daß die anderen noch nicht kapierten, was hier vorgefallen war. Jean Ribault hörte sogar noch das Klatschen im Wassergraben, wo der andere Kerl jetzt schwamm.
Er lief ein paar Schritte und hechtete in einem eleganten Bogen in den Wassergraben. In einer auf gischtenden Fontäne verschwand er.
Auf diesen Augenblick hatte Roger Lutz nur gewartet, regelrecht gelauert hatte er darauf. Er zögerte ebenfalls keine Sekunde und nutzte geschickt den Moment der Verwirrung aus. Er sah bei den Aufpassern nur fassungslose Gesichter. Starr wie Holzfiguren standen sie herum.
Roger Lutz sprintete los. Er rannte durch Matsch und Dreck, daß die Fetzen nach allen Seiten flogen und sprang aus vollem Lauf ebenfalls mit einem wilden Hechtsprung in den Graben.
Er war gerade im Wasser, als er den klatschnassen Aufpasser sah, der verzweifelt um sich schlug und lauthals um Hilfe brüllte. Nach ein paar schnellen Schlägen war er mit ihm auf gleicher Höhe.
„Hilfe!“ brüllte der Kerl und spie Wasser.
Roger Lutz half dem sadistischen Kerl auf seine Weise. Er hob einen Arm aus dem Wasser und donnerte dem Wärter die Faust an den Schädel.
Oben standen die anderen Kerle immer noch wie gelähmt herum und konnten nicht fassen, was da passiert war. Bisher hatte noch niemand einen Fluchtversuch gewagt. Sie waren zum ersten Male damit konfrontiert worden und starr vor Staunen.
Dann brüllte einer von ihnen in wilder Wut. Das Geheul wirkte offenbar ansteckend, denn jetzt brüllten auch ein paar andere und rannten unter lautem Geschrei zum Wassergraben. Einer riß die Pistole aus dem Gürtel und ballerte wild drauflos.
Von den Flüchtlingen war allerdings nichts mehr zu sehen, denn der Graben führte ein fließendes Gewässer.
Als der Kerl seine Pistole leer geschossen hatte, tauchten weiter seewärts wie zum Hohn zwei Köpfe auf. Ein kurzes Luftschnappen, dann waren sie in den Fluten wieder verschwunden.
Der Wärter warf voller Zorn seine Pistole auf den Boden, schüttelte in ohnmächtiger Wut die Fäuste, riß sich dann seine Kopfbedeckung vom Schädel und trampelte sie zornig in den Matsch.
„Wer ist da abgehauen?“ brüllte er.
„Der Hugenotte und noch einer.“
„Ausgerechnet der, das wird Don Lope aber freuen.“
Jetzt rannten sie alle zum Graben, doch zu sehen gab es nichts mehr. Zudem setzte die Abenddämmerung ein, und die Sonne verschwand als orangefarbener Ball hinter den Sümpfen. Gleich darauf wurde es auch schon dunkel. Die Aussicht, die Flüchtigen noch zu erwischen, war damit gleich null. Die Dunkelheit hatte sie verschluckt.
„Hoffentlich ersaufen die Hunde!“ schrie ein Aufpasser.
Der Bootsmann O’Leary hatte nicht mitgekriegt, wer da gerade getürmt war. Auch Simon Llewellyn und Thomas Lionel hatten nur gehört, daß zwei Kerle abgehauen wären.
Jetzt sprach es sich schnell herum.
„Was?“ brüllte der ungeschlachte Bootsmann. „Ausgerechnet der verfluchte Kumpan des Piraten Killigrew – der ist einfach abgehauen? Eine Sauerei ist das!“
Die beiden ferkelgesichtigen Söhne von Sir John stimmten in diesen Chor mächtig und lautstark ein und empörten sich über alle Maßen.
„Ihr habt es gerade nötig, von Piraten zu sprechen, ihr Hurenböcke!“ rief Fred Finley höhnisch. „Ausgerechnet ihr!“
Daraufhin brach unter den Kerlen erneut ein Wutgeheul aus. Sie benahmen sich, als sollten sie gleich gehenkt werden.
O’Leary sah seine Felle davonschwimmen, denn er gedachte immer noch, sich „freikaufen“ zu können, wenn er Ribault als Kumpan des Seewolfes belastete. Daher hatte es auch schon einige Aufregung gegeben. Jetzt war der Franzose fort und damit seine Hoffnungen.
O’Leary kriegte wieder einen seiner berüchtigten Tobsuchtsanfälle und drosch voller Wut mit den Fäusten um sich. Er traf auch ein paar der ehrenwerten Herren, die ihre Angst vor dem tobenden Ungeheuer laut in die Welt kreischten. Auch die beiden Ferkelsöhne kriegten was auf die Ohren. O’Leary reagierte sich ab.
Den Aufsehern, Wärtern und Soldaten langte es jetzt. Sie alle erwartete sowieso ein harter Anpfiff durch Don Lope, weil ausgerechnet der Mann geflüchtet war, auf den er es ganz besonders abgesehen hatte.
Renke Eggens, Hein Ropers, Hanno Harms und die anderen grinsten sich eins, denn die Galgenvögel von der „Lady Anne“ taten mit ihrem Gebrüll nur Jean Ribault und Roger Lutz einen Gefallen. Sie waren so dämlich und lenkten durch ihr Gezeter die Aufmerksamkeit der Wärter auf sich selbst und boten sich somit als Prügelknaben an.
Die Dresche ließ auch nicht lange auf sich warten. Jetzt waren die Wärter an der Reihe, ihrer Wut freien Lauf zu lassen. Ein paar Soldaten und weitere grobschlächtige Rabauken rückten an und prügelten mit Peitschen und Knüppeln auf O’Leary und seine Galgenvögel ein.
Der Bootsmann hatte schon einmal kräftige Senge von den Wärtern bezogen. Jetzt droschen sie ihn und seine Kumpane erneut heftig durch, und auch für die sieben edlen Hochwohlgeborenen setzte es Püffe und Hiebe.
„Schadenfreude ist doch immer noch die beste Freude“, sagte Renke Eggens lachend zu Hanno Harms. Der grinste auch bis an die Ohren und lauschte genußvoll dem Gebrüll. Ihn konnte sowieso nichts aus der Ruhe bringen, da mußte erst die Welt untergehen, und wahrscheinlich blieb er selbst dann noch gelassen.
„Die gehen ganz schön in die Wicken“, sagte er gemächlich. „Na ja, warum reißen die auch ihre Mäuler so weit auf!“
Die Crew der „Goldenen Henne“ blieb von der wilden Keilerei verschont. Der ganze Ärger der Aufpasser konzentrierte sich auf O’Leary und die anderen Kerle.
Es gab erst dann Ruhe, als Don Lope de Sanamonte erschien. Inzwischen hatte man auch einige Laternen entzündet.
Als Don Lope auf der Bildfläche erschien, herrschte Stille. Ein paar Kerle lagen noch im Morast und taumelten mühsam auf die Beine.
Don Lope hatte gerade wie üblich die Wachen auf den Wehrgängen und an den beiden Toren des Forts kontrolliert und natürlich auch einige Beanstandungen gefunden. Seine Stimmung war daher nicht gerade rosig zu nennen.
„Was ist hier vorgefallen?“ rief er mit scharfer Stimme.
Einer der Aufpasser, ein Bulle von Kerl, trat ein paar Schritte vor. Jetzt wirkte er geduckt und klein, und ziemlich kleinlaut klang auch seine Stimme.
„Der Hugenotte ist mit einem anderen Kerl geflüchtet, Don Lope. Sie haben die Wachen in den Graben gestoßen und sind hineingesprungen.“
Die breiten Lippen in dem etwas schwammigen Gesicht zuckten. Die Hand fuhr hoch und zwei Finger zwirbelten erregt den Spitzbart, ein Zeichen von Ärger oder Ratlosigkeit bei Don Lope.
„Der Hugenotte?“ brüllte er fassungslos. „Ausgerechnet der Hugenotte, dieser Ribault? Waren das die Schüsse, die ich vorhin hörte?“
„Ja, Don Lope, wir schossen auf ihn. Möglicherweise ist er sogar getroffen worden.“
Das ist eine glatte Lüge, aber es hört sich besser an, dachte der Wärter. In Wirklichkeit hatten sie nur einmal die Köpfe der beiden Flüchtlinge gesehen.
„Seid ihr nicht in der Lage, ein paar unbewaffnete Kerle zu bewachen?“ brüllte Don Lope mit knallrotem Schädel. „Ich habe doch befohlen, daß gerade auf diesen Bastard ganz besonders aufgepaßt werden soll! Die Posten, die dafür verantwortlich sind, melden sich bei mir auf der Schreibstube. Sie werden ihre Lektion erhalten. Zurück mit den anderen in den Kerker. Ein Trupp Soldaten zieht sofort los und durchkämmt die Hafenkneipen. Ich will diesen Kerl bis zum Morgengrauen vor mir sehen – tot oder lebendig, anderenfalls rollen hier noch einige Köpfe.“
Die Männer wurden zurückgetrieben. Don Lope hatte es plötzlich furchtbar eilig, die Stätte zu verlassen. Die Flüchtlinge waren zwar über alle Berge, aber es bestand doch noch Hoffnung, sie zu erwischen. Deshalb setzte er sofort einen Trupp Soldaten in Marsch.