Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 337 - Roy Palmer - Страница 5
1.
ОглавлениеFlorida, das „Land der Blumen“, wie die Spanier es getauft hatten, war wirklich unberechenbar. Fort St. Augustine hatte eine unangenehme Überraschung für die Seewölfe bereitgehalten – der Pirat Mardengo hatte die „Isabella IX.“ sofort massiv befeuert, als sie in die Mündung des Rio Matanzas eingelaufen war. Nur die Schatztruhen der Spanier, die sich jetzt an Bord der „Isabella“ befanden, entschädigten die Männer unter dem Kommando von Philip Hasard Killigrew wieder etwas für die Gefahren, denen sie während der vergangenen Stunden ausgesetzt gewesen waren. Doch schon nahte neues Unheil – diesmal war es Rasmus, der den Arwenacks nicht wohlgesinnt war. Ein Wetterwechsel kündigte sich durch drohende Vorzeichen an, und so wurde auch Hasards Plan, an der Ostküste von Florida nach Norden zu segeln, in Frage gestellt.
Es war dunkel geworden, die Seewölfe segelten gut zwanzig Meilen querab von Fort St. Augustine auf Kurs Norden. Hasard hatte soeben seine Inspektion des Schiffes abgeschlossen und kehrte auf das Achterdeck zu Ben Brighton, Big Old Shane, Ferris Tucker und den beiden O’Flynns zurück, die die Wetterentwicklung mit besorgten Mienen verfolgten.
„Die Lady ist ziemlich lädiert“, sagte der Seewolf. „Aber sie ist doch noch voll seetüchtig und manövrierfähig, wie ich das angenommen hatte. Wir haben keinen Wassereinbruch oder Lecks unter der Wasserlinie. Das Ruder ist vollständig intakt. Wir sind zwar ganz schön gerupft worden, können aber noch von Glück sagen, daß wir segeln können.“
„Und die Schatztruhen?“ fragte Ben. „Sind sie auch wirklich ordentlich gestaut? Wir hatten ja nicht viel Zeit, wir mußten so schnell wie möglich aus St. Augustine verschwinden.“
„Du brauchst dir keine Sorgen zu bereiten“, erwiderte Hasard. „Sie sind alle festgezurrt, ich habe eben noch mal alles überprüft.“ Er warf einen Blick voraus, wo ein weit verästelter Blitz den Nachthimmel erhellte. Die Umrisse düsterer Gewitterwolken zeichneten sich in dem weißlichen Licht ab. Es war kälter geworden, der Wind sprang jetzt schlagartig um und blies böig aus Norden. „Ich hatte gehofft, wir könnten die schlimmsten Schäden an Deck rasch beheben“, fuhr er fort. „Aber in dem Punkt habe ich mich geirrt. Wie die Dinge stehen, müssen wir das auf später verschieben.“
Er trat zur Balustrade und rief seiner Crew ein paar Befehle zu. Der Kurs wurde geändert, bis er auf Nordosten anlag. Fluchend korrigierten die Männer die Stellung der Rahen, bis sie ganz hart nach Steuerbord angebraßt waren. Die „Isabella“ segelte nun mit Backbordhalsen über Steuerbordbug liegend hoch am Wind, doch Hasards Hoffnung, gegen den Nordwind aufkreuzen zu können, wurde bald zerstört.
Mit Sturmstärke heulte der Wind heran.
„Wahnsinn!“ brüllte Big Old Shane. „Wenn wir weiterhin kreuzen, brechen wir uns sämtliche Gräten!“
„Das hält die Lady nicht aus!“ schrie auch Old O’Flynn.
Hasard sah ein, daß sie recht hatten. Er mußte den Kurs wieder ändern, nach Süden ablaufen und versuchen, eine geschützte Bucht zu erreichen, wenn der Wind und der Seegang weiter zunahmen.
Wieder rief er seine Befehle: „Abfallen vom Wind! Wir gehen auf Kurs Süden!“
„Aye, Sir!“ brüllte Carberry, dann fuhr er zu den Männern auf dem Hauptdeck herum. „Abfallen, ihr Kanalratten! Habt ihr’s nicht gehört?“
„Spannt die Manntaue! Verschalkt die Luken und Schotten!“ schrie der Seewolf.
Die „Isabella“ richtete ihren Bugspriet unterdessen nach Osten. Pete Ballie, der Rudergänger, hatte auf Hasards Kommando hin Ruder Steuerbord gelegt. Schwer krängte das Schiff nach Steuerbord, der jaulende Sturmwind drückte mit Macht gegen die Backbordseite an. Fast schienen die Rahnocken in die aufgewühlte See tauchen zu wollen, dann aber richtete sich das Schiff, einem unergründlichen Gesetz der Natur gehorchend, plötzlich wieder auf, vollendete die Schleife und ging, nunmehr vor dem Wind laufend, auf südlichen Kurs.
„Schrickt weg die Brassen!“ brüllte der Profos. „Und dann weg mit den Marssegeln! Die Manntaue her! Kutscher, wie weit seid ihr an den Luken?“
„Gleich fertig!“ schrie der Kutscher, der mit Mac Pellew und den Zwillingen zusammen das Verschalken vornahm. Rege Betriebsamkeit herrschte überall an Deck, alle Handgriffe liefen nach einem oft erprobten Schema ab, und doch schien es nicht schnell genug zu gehen, denn die Gewitterfront aus Norden fegte mit geradezu unheimlicher Geschwindigkeit heran.
„Kurs Süden liegt an!“ schrie Pete Ballie.
„Kurs Süden halten!“ rief Hasard, dann ließ er auch den Großmars räumen. Bill, der den Posten des Ausgucks versehen hatte, enterte in den Hauptwanten ab und beteiligte sich sofort am Ausbringen der Manntaue.
Der Seewolf überlegte, was er tun sollte. Er konnte weder nach St. Augustine noch in die nähere Umgebung des Forts der Spanier zurückkehren. Die Gefahr, dort irgendwo entdeckt und von neuem angegriffen zu werden – von den Spaniern oder von Mardengos Piratenbande –, war zu groß. Ratsam erschien ihm hingegen, den Sturm zumindest in seinen ersten Ausläufern abzureiten und später, weiter südlich, nach einer geeigneten Bucht zu suchen, die ihnen für die Nacht Unterschlupf bot.
Sein Plan, an Florida vorbei höher nach Norden zu steuern, wurde somit vorerst durch das Wetter verhindert. Nach dem Land, das Carolina genannt wurde, hatte er segeln wollen, vielleicht sogar bis nach Virginia hinauf, wo sich in der Nähe der Kolonien, die Sir Walter Raleigh 1584 und 1587 gegründet hatte, möglicherweise größere Chancen boten, auf friedliche und verhandlungsbereite Indianer zu stoßen, als hier, im Land der Sümpfe und Stechmücken.
Hasard war auf der Suche nach einem Eingeborenenstamm, der bereit war, sich auf eine Nachbarinsel der Schlangen-Insel umsiedeln zu lassen. Der große Zuwachs an Menschen auf der Schlangen-Insel zwang dazu, eine Plantage zu schaffen, die die Versorgung mit Eßwaren und Trinkwasser sicherte. Eine solche Plantage mußte jedoch bearbeitet werden, und dies wiederum konnten nur Menschen tun, die im Bestellen von Feldern kundig waren.
Hasard, hegte einige Hoffnung, mit seinem Vorhaben Erfolg zu haben, obwohl er noch nicht genau wußte, wohin er sich wenden sollte. Immerhin, auch die erste Phase des Unternehmens – der Abstecher nach Fort St. Augustine – war kein „Schlag ins Wasser“ geworden, wie Ben Brighton bereits düster prophezeit hatte, Sie hatte den Seewölfen zwar keine Kontakte mit geeigneten Indianerstämmen eingebracht, dafür aber die Schatztruhen der Spanier, deren Inhalt für Philipp II. bestimmt gewesen war.
Ein Schatz von unermeßlichem Wert, Schmuck aus Gold und Diamanten – selten zuvor hatte selbst Hasard eine so große Ansammlung erlesener Kostbarkeiten gesehen! Trotz des Sturmes mußte er plötzlich lächeln, denn er dachte an Don Lope de Sanamonte, den Festungskommandanten von St. Augustine.
Don Lopes Miene war von grenzenloser Erschütterung und Verzweiflung gezeichnet gewesen, als die Männer der „Isabella“ ihm zunächst aus der Klemme geholfen, ihn dann aber um den Schatz erleichtert hatten. Als sie das Fort verlassen hatten, hatte er sich von dem Schrecken immer noch nicht erholt. Sprachlos und mit offenem Mund hatte er dagestanden. Größer hätte die Schmach, die man ihm zufügte, nicht sein können – er war ein gebrochener Mann.
Gedemütigt worden war auch Mardengo, der sich mit seiner stark angeschlagenen „Grinthian“ und acht Einmastern auf die offene See gerettet hatte. Hasard und Ferris hatten ihn nach dem mißglückten Enterangriff an Bord der „Isabella“ auf die Pfanne der Höllenflaschenabschußkanone gesetzt und dann in den Matanzas-Fluß befördert.
Hasard konnte sicher sein, daß beide Gegner diese Schande nicht vergessen würden. Von jetzt an war ihr ganzes Bestreben darauf ausgerichtet, den „schwarzhaarigen Bastard“ wiederzufinden, der ihnen derart zugesetzt hatte.
Auch sie hatten mit dem Sturm zu kämpfen, der sich jetzt zu seiner vollen Stärke entwickelte und an der Ostküste von Florida entlangbrauste. Doch sobald eine Wetterberuhigung eintrat, würden sie sich auf die Suche nach ihrem erklärten Todfeind begeben.
Der Seewolf wußte genau, daß er seine Kampfkraft jetzt nicht überschätzen durfte. Auch die „Isabella“ hatte gelitten, und drei seiner Männer waren leicht verletzt: Gary Andrews, Paddy Rogers und Mac Pellew. Ein neues Gefecht, ganz gleich, ob gegen Mardengo oder gegen die Spanier, konnte schlechter enden als der Kampf von St. Augustine. Deshalb mußte er vorläufig jedes Risiko umgehen.
In etwa zehn Meilen Abstand zur Küste segelte die „Isabella“ wenig später an der Mündung des Rio Matanzas und an Fort St. Augustine vorbei – unbemerkt von den Spaniern, ungesehen von Mardengo, der viel weiter draußen mit seinen Schiffen vor dem Sturm nach Süden abzulaufen begann, und unbehelligt auch von dem Verband aus Havanna, der in dieser Nacht St. Augustine anlief. Ein Zufall wollte es, daß dieser Konvoi von acht Galeonen unter dem Kommando von Don Augusto Medina Lorca weder der „Isabella“ noch der stark reduzierten Piratenflotte begegnete.
Tintenschwarz war die Finsternis, man konnte kaum noch die Hand vor Augen erkennen. Die Blitze sorgten für gleißende Helligkeit, die jeweils aber nur wenige Lidschläge andauerte und die Konturen der Gestalten auf dem Oberdeck der „Isabella“ wie die Umrisse geisterhafter Wesen nachzeichnete. Der düstere Vorhang der Nacht schien in Fetzen gerissen zu werden, an allen Seiten stachen die weißen Schlitze auf die Oberfläche der See.
Heftiger Donner erklang und übertönte das Fluchen der Männer. Der Wind orgelte heran und brachte die Luvwanten und Pardunen zum Schwingen, er rüttelte an den Masten und Rahen und fuhr in die nun gesetzten Sturmsegel, als wolle er sie mit einem Schlag zerfetzen. Die See bäumte sich auf und fiel über das Schiff und seine Crew her. Immer höher stiegen die Brecher auf, die brüllend gegen die Bordwände donnerten. Sie hoben die „Isabella“ hoch und ließen sie in gähnende Schluchten hinunterrasen, sie überfluteten die Decks mit ihrem Wasser und durchnäßten die Gestalten der Männer.
Die Männer klammerten sich an den Manntauen fest, um nicht über Bord gerissen zu werden. Sie sicherten die Beiboote, so gut es ging, sie überprüften immer wieder die Verschalkungen der Luken und Schotten, und sie hörten nicht auf, besorgt zum Rigg hochzuschauen, das unter den Sturmböen bedrohlich knarrte und knackte.
Hasard bemühte sich, nicht die Orientierung zu verlieren, doch bald gab es keinen einzigen Anhaltspunkt mehr für ihn und seine Männer. Die Küste war auch im Zucken der Blitze nicht mehr zu erkennen, und nach dem Mond und den Sternen konnten sie sich erst recht nicht richten. Von nun an konnten sie ihre Position nur noch schätzen, und die Suche nach einer geschützten Bucht wurde zu einem schwierigen und waghalsigen Unterfangen.
Riffe und Sandbänke waren der Küste von Florida in weiten Bereichen vorgelagert. Hasard durfte nicht riskieren, südlich von St. Augustine zu dicht unter Land zu gehen, die Gefahr, Schiff und Mannschaft zu verlieren, war zu groß.
Er war dazu gezwungen, seinen Plan aufzugeben. Vorerst bot sich keine Chance mehr, eine Bucht als Nothafen anzulaufen. Er mußte den Sturm abwettern und versuchen, die Nacht zu überstehen. Ob es ihm gelang, war mehr als ungewiß. Der Sturm peitschte wie mit Geißeln der Hölle auf die „Isabella“ ein, sie stampfte und schlingerte wie verrückt in den kochenden Fluten und schien jeden Augenblick querschlagen zu wollen.
„So ein elender Dreck!“ brüllte Carberry auf dem Hauptdeck. Mit beiden Händen klammerte er sich an einem der straff gespannten Manntaue fest. „Hölle, in was für eine Teufelssuppe sind wir da nur geraten?“
„Hoffen wir, daß es kein Hurrikan ist!“ schrie Blacky, der nicht weit von ihm entfernt in den Tauen hing.
Ein Brecher ergoß sich donnernd und mit wild sprühendem Gischt über das Schiff. Der Profos klappte schnell den Mund zu und duckte sich – die Wasser rauschten über ihn weg.
Er richtete sich wieder auf, stieß einen saftigen Fluch aus und brüllte: „Es ist kein Hurrikan, aber der Wassermann soll mich holen, wenn das kein ausgewachsener Sturm ist!“
„Er haut uns noch die Lady kaputt!“ schrie Smoky dazwischen. „Der Teufel soll dieses verdammte Florida holen!“
So ging es weiter – sie wetterten und fluchten sich die Seele aus dem Leib, aber es nutzte ihnen nicht viel. Der Sturm tobte sich voll aus und jagte die „Isabella“ wie eine leichte Kokosnußschale vor sich her. Er schüttelte sie durch und zerrte wild heulend an ihren Segeln und Rahen – und die Arwenacks begannen ernsthaft um ihr Schiff zu bangen.
Ferris mußte mit einer Handvoll Männer in den Laderaum hinunter und ein Leck abdichten. Das Wasser schien jetzt von allen Seiten mit größter Macht eindringen zu wollen. Von nun an war der Trupp des rothaarigen Riesen ständig unter Deck unterwegs und mußte, während es an den Bordwänden bedenklich rauschte, dröhnte und knackte, nach weiteren undichten Stellen suchen.
Gegen Mitternacht ereignete sich der erste Zwischenfall. Al Conroy, der sich gerade auf der Back befand und mit aller zur Verfügung stehenden Kraft festhielt, um nicht außenbords gespült zu werden, vernahm plötzlich einen alarmierenden Laut über sich. Er hob den Kopf und konnte im Aufzucken eines Blitzes erkennen, wie die Vormarsrah ins Taumeln geriet. Es krachte und knarrte, und der Sturm heulte zur Begleitung. Al begriff sehr schnell, was geschah, und stieß einen Warnruf aus.
Smoky, der an der Backbordseite die Back enterte, um Al beim Sichern einiger Fallen zu helfen, hörte den Ruf und sah Al auf sich zuspringen. Er duckte sich, und dann war Al auch schon über ihm und riß ihn vom Niedergang. Sie landeten auf dem Hauptdeck, überrollten sich und sausten auf den abschüssigen Planken bis zur zweiten Gräting und den beiden Jollen.
Im selben Augenblick löste sich die Vormarsrah aus ihren letzten Verankerungen und krachte auf die Back.
Es dröhnte und splitterte, und ein Teil des Schanzkleides zu beiden Seiten des Schiffes ging unter dem Aufprall der schweren Spiere zu Bruch. Dann lag die Rah still, sie hatte sich verfangen und rutschte wider Erwarten nicht in die tosende See.
Al und Smoky klammerten sich an der Gräting fest. Sie hoben die Köpfe, schüttelten sich wie zwei Betrunkene, blickten zu der Spiere und sahen sich dann an.
„Mann, haben wir ein Glück gehabt!“ stießen sie gleichzeitig hervor.
„Die Rah bergen!“ brüllte Hasard im Fauchen des Windes und im Donnern der Brecher.
Smoky und Al rappelten sich auf und setzten sich gemeinsam mit Blacky, Carberry, Batuti und Matt Davies zur Back hin in Bewegung. Sie enterten das Vorkastell über beide Niedergänge, dann begannen sie, die Spiere, die trotz des harten Aufpralls nicht beschädigt zu sein schien, mit vereinten Kräften festzuzurren.
„Das ist eben solide englische Eiche!“ brüllte der Profos. „Die ist so hart wie Eisen!“
„Stell dir vor, was passiert wäre, wenn sie einen von uns erwischt hätte!“ schrie Smoky.
„Sie hätte Al vielleicht zerquetscht!“ rief Carberry. „Aber dir hätte sie nichts getan, denn dein Schädel ist härter als die Rah!“
„Fahr zur Hölle!“ brüllte Smoky.
„Vielleicht tue ich dir diesen Gefallen heute nacht noch, du Hirsch!“ schrie der Profos zurück. „Aber wenn’s mich erwischt, fährst du bestimmt mit, haha!“
Sie hätten sich noch weitere Freundlichkeiten an den Kopf geworfen, wenn Bill nicht plötzlich einen Schrei ausgestoßen hätte. Carberry, Smoky, Al Conroy und auch die anderen Männer, die sich auf der Back und dem Hauptdeck befanden, fuhren zu ihm herum – und überschlugen sich mit einemmal fast, denn Bill hatte mit der einen Hand seinen Halt an einem der Taue verloren und wurde von dem nächsten Brecher, der sich rauschend über die „Isabella“ ergoß, mitgerissen, obwohl er sich verzweifelt mit der linken Hand festklammerte.
Jack Finnegan, der sich in diesem Augenblick ganz in Bills Nähe befand, handelte geistesgegenwärtig. Er gab selbst seinen Halt auf, wurde ebenfalls von dem Brecher mitgenommen, handelte aber mit eiskalter Berechnung.
Er schoß auf Bill zu, packte dessen Arm und griff gleichzeitig nach der Nagelbank des Großmastes. Auch Bill versuchte verzweifelt, sie zu erreichen, war jedoch zu weit von ihr entfernt. Jack indes schaffte das fast Unmögliche – er hakte seinen Arm hinter die Nagelbank und blieb hängen.
Ein harter Ruck lief durch seinen Oberkörper, er hatte das Gefühl, das Schultergelenk werde ihm ausgekugelt. Er fluchte und zerrte Bill mit aller Kraft näher zu sich heran.
Bills Arm drohte seinem Griff zu entgleiten, doch Bill wand sich wie eine Katze und brachte es fertig, mit der freien Hand ebenfalls die Nagelbank zu packen. Mit Brausen und Zischen lief das Wasser durch die Speigatten ab. Sie richteten sich pudelnaß wieder auf, grinsten sich verbissen an und dachten beide das gleiche: Das ist noch mal gutgegangen!
Regengüsse und Hagelschauer prasselten auf die „Isabella“ ein, das Wetter wollte kein Ende nehmen. Es bestand keine Aussicht auf Besserung. Die Männer fochten einen grimmigen Kampf gegen die Unbilden der Natur.
Ausgerechnet Mac Pellew, der im Gefecht von St. Augustine verwundet worden war, war auch in dieser Nacht wieder vom Pech verfolgt. Nach dem Sturz der Vormarsrah auf die Back kroch er in der Kombüse umher, um nachzusehen, ob hier noch alles in Ordnung war.
Einer der Kessel hatte sich selbständig gemacht und polterte wie verrückt hin und her. Mac Pellew stolperte im Stockdunkeln umher und versuchte, den Kessel festzuhalten, geriet dabei aber mit ihm ins Gehege. Er strauchelte, stürzte und knallte mit dem Kopf gegen das Kombüsenschott.
„Heiliger Strohsack“, murmelte er noch, dann wurde er ohnmächtig.
Wenig später fanden ihn die Zwillinge. Sie schleppten ihn in den Krankenraum hinüber, wo er sofort vom Kutscher behandelt wurde.
„Armer Mac“, sagte Philip junior. „Das Schicksal meint es wirklich nicht gut mit ihm.“
„Das stimmt“, pflichtete Hasard junior ihm bei. „Erst erwischt es ihn am Achtersteven, dann am Kopf – ausgerechnet an den empfindlichsten Körperteilen. Die Welt ist nicht gerecht.“
„He, ihr beiden!“ rief der Kutscher im neuerlichen Donnern eines Brechers, der die „Isabella“ hochhob und dann absacken ließ. „Haltet euch nicht mit dem Philosophieren auf! Helft mir lieber!“
Der Seewolf stand unterdessen immer noch auf dem Achterdeck. Er hatte seinen Posten nicht verlassen. Die Zwischenfälle an Deck, die Smoky, Al und Bill um ein Haar das Leben gekostet hätten, hatte er ziemlich genau verfolgen können, denn immer wieder leuchteten Blitze auf, die das Schiff für kurze Zeit in ihr unwirkliches Licht tauchten. Auch von Mac Pellews Mißgeschick erfuhr er wenig später. Er begann sich mit Vorwürfen zu plagen. Hätte er nicht lieber in St. Augustine bleiben sollen, wo er im Dunkeln leicht in einer versteckten Bucht hätte ankern können?
Er sollte jedoch noch erfahren, daß sein Entschluß, das Fort so schnell wie möglich zu verlassen, richtig gewesen war. Die Streitmacht, die dort inzwischen eingetroffen war, hätte die „Isabella“ sehr leicht entdecken und zusammenschießen können. So gesehen, war es immer noch besser, gegen einen Sturm wie diesen zu kämpfen.
Vorerst aber ahnte Hasard noch nichts von den Geschehnissen, die sich weiter nördlich abspielten. Sie sollten noch ihren Einfluß auf das weitere Schicksal der „Isabella“ und ihrer Männer haben, aber auch davon konnten die Arwenacks zu diesem Zeitpunkt nichts wissen. Selbst Old Donegal Daniel O’Flynn, der sonst immer den Teufel in den schwärzesten Farben ausmalte, hatte noch keine Vorstellung davon, welche Verwicklungen sich schon bald ergeben sollten.
Was in dieser Nacht vorging, war ihnen auch schon genug. Zornig hieben die Böen und die Brecher auf die „Isabella“ ein, ihr Wüten schien bis in die Ewigkeit dauern zu wollen. Das Bangen der Männer um ihr Schiff dauerte fort.
Die „Lady“, wie sie sie liebevoll zu nennen pflegten, war zwar aus harter Eiche gebaut, aber sie war nun mal nicht aus Eisen. Da sie durch das Gefecht ohnehin schon ramponiert war, konnte sie dem Toben der Urgewalten nicht mehr sehr lange trotzen.