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2.

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Der Marsch von El Triunfo zur Bahia de Tela, wo die Schiffe der Black Queen ankerten, war für Willem Tomdijk sehr beschwerlich gewesen. Willem war ein übergewichtiger Mensch, der schon im zarten Kindesalter zur Fettleibigkeit geneigt hatte. Nichts haßte er mehr als körperliche Tätigkeiten jedweder Art.

Dennoch hatte der Marsch ein positives Ergebnis. Willem war seine gräßlichen Kopfschmerzen, die ihn nach der durchzechten Nacht mit der Queen, Caligula und Georges Buisson geplagt hatten, fast völlig los. Er konnte wieder klar denken. Ja, mit fast fröhlicher Miene, so konnte man sagen, trat er auf den Strand der Bucht und ließ den Blick seiner listigen schmutziggrauen Augen über die beiden Dreimaster gleiten, die da ankerten.

„Wunderbar“, sagte er. „So ein schöner Anblick.“ Er unterließ es jedoch, darauf hinzuweisen, daß die Bemerkung eher der Black Queen galt als den Schiffen. Immer wieder bedachte er sie mit Seitenblicken, die keine Fehldeutung zuließen. Schon in der Nacht hatte er versucht, sie mit seinen dicken Fingern anzufassen, hatte aber keinen rechten Erfolg gehabt. Trotzdem – es würde ihm noch gelingen, sie zu erobern. Davon war er felsenfest überzeugt.

„Nicht wahr?“ sagte die Queen und lächelte. „Der Zweidecker ist meine ‚Caribian Queen‘. Das andere Schiff ist die ‚Aguila‘. Sie hat achtundzwanzig Culverinen, vier Drehbassen und zwei Zwölfpfünder als Heckgeschütze.“

„Eine feine Armierung“, sagte Willem.

„Damit heizen wir den Spaniern ganz schön ein, wenn sie erscheinen“, meinte Georges Buisson, der den Trupp wieder begleitet hatte.

„Nicht so voreilig“, sagte einer von Tomdijks vier Leibwächtern. „Das hängt davon ab, wie groß der Verband ist, der uns angreifen soll.“

„Die Queen hat keine Angst“, sagte Buisson. „Weder vor zwei noch vor drei Dutzend spanischen Kriegsgaleonen.“

Er sah sie sehnsüchtig und entsagungsvoll zugleich an. Gern hätte auch er sich näher mit ihr befaßt, denn sie war eine Frau, die die Phantasie jedes Mannes anheizte. Schön in ihrer brutalen, unbezähmbaren Wildheit stand sie da und schaute triumphierend zu den Mannschaften der Schiffe. Sie hatte die Lage in der Hand, sie war die Herrin. Selbst Caligula, der riesige Schwarze, war nur ein williges Werkzeug in ihren Händen.

Caligula gab ein Zeichen zur „Caribian Queen“ und zur „Aguila“. Ein zweites Beiboot wurde abgefiert, bemannt und zum Ufer gepullt. Die Jolle der „Caribian Queen“ allein, die auf dem Sandstrand lag, reichte nicht aus, um die Queen, Tomdijk und deren Begleiter zu befördern.

Das Boot traf ein. Nur wenige Worte wurden gewechselt. Die Queen hatte es jetzt eilig, ihre Gäste an Bord der „Caribian Queen“ zu befördern. Die Jolle wurde ins Wasser geschoben, und die Männer kletterten an Bord beider Boote.

Das ging sehr rasch vonstatten. Nur Willem, der als letzter überenterte, hatte Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht. Er setzte einen Fuß in die Jolle der Queen, während er mit dem anderen – das Hosenbein hochgekrempelt – im flachen Wasser stand. Die Jolle sackte bedrohlich tiefer und krängte. Willem hatte nicht den richtigen Schwung, um sich ganz an Bord zu befördern. Er wankte, ruderte mit den Armen und drohte, ins Wasser zurückzukippen.

Zwei seiner Leibwächter, die schon im Boot saßen, griffen beherzt zu und packten seine Arme. Willem fluchte in seiner Muttersprache und versuchte erneut, einzusteigen. Ein wüstes Zerren und Hangeln begann, wobei anfangs nicht klar zu sein schien, wer der Sieger blieb: Die Leibwächter, die alles taten, um ihn in die Jolle zu hieven, oder Willem, der wie ein gewaltiger Mehlsack an ihnen hing und sie ins Wasser zu reißen schien.

Endlich griff der dritte Leibwächter mit zu, dann war auch der vierte heran, und gemeinsam wuchteten sie den massigen Mann an Bord. Willem ließ sich mit einem Ächzer auf die mittlere Ducht sinken und hielt sich an Backbord und Steuerbord fest, denn das Boot begann bedenklich zu kippen.

Buisson und die anderen saßen in dem zweiten Boot und konnten sich ein Lachen kaum verkneifen. Aber es mochte wohl der Gedanke an das sein, was bevorstand, der sie daran hinderte, laut loszuprusten.

Willem, die Witzfigur, wurde einer mächtigen Tonne gleich zur „Caribian Queen“ gepullt. Aber er war doch nicht nur witzig, dieser Willem Tomdijk, er war auch ein Schlitzohr und eine Krämerseele und rechnete sich sofort sämtliche Vorteile aus, die ihm durch das Auftauchen der Queen und ihrer Schiffe geboten wurden.

Schließlich mußte der Mensch zuallererst an sein persönliches Wohlergehen denken. Nach diesem Prinzip handelte Willem. Er hatte in der ehemaligen spanischen Mission von El Triunfo, die sein Hauptquartier war, eine Bierbrauerei eingerichtet. Davon lebte er.

Im übrigen verfuhr er nach dem Grundsatz, daß es ihm nur dann gutging, wenn das auch für alle anderen in seiner näheren Umgebung zutraf. Leben und leben lassen! Kein Mann in der frauenlosen Siedlung hatte je bereut, diesen Dicken zum Bürgermeister gewählt zu haben. Er nahm eine neutrale Stellung ein und wußte Entscheidungen durch Abstimmungen souverän herbeizuführen – das mußte man ihm lassen.

Die Boote schoben sich an der Bordwand der „Caribian Queen“ längsseits. Alle Insassen enterten an der bereithängenden Jakobsleiter auf, nur für Willem mußte schleunigst ein Bootsmannsstuhl abgefiert werden, ohne den er es nicht geschafft hätte, an Bord der Galeone zu gelangen.

Ein paar Flüche der Piraten, die Willem mittels der Taue hochhievten, ein sattes Schnaufen und Ächzen des Bürgermeisters, dann stand er auf dem Hauptdeck der „Caribian Queen“ und schaute sich vergnügt um.

Die Queen stand vor ihm und stemmte die Fäuste in die Seiten.

„Nun?“ fragte sie ihn. „Wie gefällt dir mein Reich?“

„Sehr gut, ich sagte es wohl schon.“

„Du siehst, wir haben hier sehr viel Platz.“

Er grinste. „Auf beiden Schiffen können gut und gern zweihundert Menschen befördert werden – was sage ich! Dreihundert!“

„Langsam, langsam“, sagte sie lachend. „Wir wollen die Einzelheiten unseres Planes erst noch eingehend besprechen. Wie wäre es mit einem Begrüßungstrunk?“

Etwas wehleidig verzog Willem sein rosiges Jungengesicht. „Im Moment kann ich höchstens einen Schluck Wasser annehmen.“

Caligula und die anderen Kerle, die sie umringten, lachten grölend. Willem betrachtete sie der Reihe nach. Auch Jaime Cerrana war inzwischen eingetroffen. Er hatte sich in dem Boot der „Aguila“ übersetzen lassen, denn er wollte sich nicht entgehen lassen, den Bürgermeister von El Triunfo persönlich zu begrüßen.

Es wurden also reihum die Hände geschüttelt, dann begann die Besichtigung der „Caribian Queen“. Willem bedachte Cerrana mit einem etwas mißtrauischen Seitenblick. Wer war dieser Kerl? Ein Spanier?

Er würde sich noch genauer über ihn informieren müssen. Jeder Spanier war in El Triunfo verhaßt, die Spanier waren die erklärten Feinde der englischen und französischen Siedler. Von ihnen konnte nur Unheil drohen.

Im Achterdeckssalon des Zweideckers legte die „Delegation“, die aus der Queen, Caligula, Buisson, Willem und den vier Leibwächtern bestand, vorerst eine Rast ein.

Willem ließ sich seufzend auf der Koje der Queen nieder, ohne viel zu fragen, breitete die Arme aus und sagte: „Queen, es ist das schönste Schiff, das ich je gesehen habe.“

In der Tat war er ganz besonders von diesem Salon angetan. Sofort bewegten sich seine Gedanken wieder in eine bestimmte Richtung. Wie würde es wohl sein, wenn er hier nächtigte, und wenn sie, die Black Queen, im Dunkeln sein Quartier betrat, nur bekleidet mit diesem lächerlichen Fetzen von einem Lendenschurz?

Sie schien seine Gedanken zu erraten und lächelte ihm aufreizend zu. „Vielen Dank für deine lobenden Worte. Selbstverständlich stelle ich dir meine Kammer für die Überfahrt nach Tortuga und Hispaniola zur Verfügung. Ich tue das gern für dich, Willem.“

„Danke. Tortuga und Hispaniola – das also ist das Land, wo wir alle sicher sind?“

„Ja.“

„Wir laufen aus und segeln davon, Bürgermeister?“ fragte einer der Leibwächter. „Das war uns noch gar nicht bekannt.“

„Moment mal, Moment mal“, sagte Willem. „Nur keine übertriebene Hast. Wir stimmen darüber noch ab, wie sich das gehört. Und wir fassen auch einen Beschluß, der die Schiffe betrifft. Es wäre wohl richtiger, sie in den Hafen zu verholen.“

„Und wenn die Spanier inzwischen angreifen?“ fragte Georges Buisson. „Dann liegen die ‚Caribian Queen‘ und die ‚Aguila‘ dort in der Falle.“

„So schnell rücken die Spanier, diese Hundesöhne, nicht an“, sagte Willem.

„Da würde ich nicht so sicher sein.“ Die Black Queen hatte eins der Schapps geöffnet und nahm eine große Flasche Wein und dickbauchige Kelche heraus, die sie verteilte. „Ich habe es dir schon gesagt, Willem, es ist stündlich mit ihrem Angriff zu rechnen. Jaime Cerrana kann es dir bestätigen.“

„Ja, Cerrana.“ Willem nahm den Kelch mit süffigem spanischem Rotwein nur zögernd entgegen. Doch als sie anstießen und er den ersten Schluck kostete, konnte er nicht umhin, den Rest gleich in einem Zug die Kehle hinunterzustürzen. „Dieser Cerrana“, sagte er. „Was ist das überhaupt für ein Mensch?“

„Ein spanischer Rebell und mein Verbündeter“, erwiderte die Queen. „Ich kann mich voll und ganz auf ihn verlassen. Auch das habe ich dir schon gesagt, Willem.“

„Wann?“

„Heute nacht.“

„Ach ja, richtig, heute nacht.“ Der Dicke grinste. Jetzt, nachdem das Schädelbrummen aufgehört hatte, war die Erinnerung an die Bier-und-Gürteltier-Orgie wieder etwas ungemein Angenehmes. Entschlossen erhob er sich. „Fahren wir also fort mit der Besichtigung der Schiffe, damit wir zu einem Abschluß gelangen. Ich nehme doch an, daß es hier auch genügend Raum für meine Bierfässer und die Brauerei-Ausstattung gibt?“

„Aber natürlich.“ Sie führte ihn in die tiefer gelegenen Decks der Galeone, und hier konnte Willem die Stauräume in Augenschein nehmen, die wahrhaftig enorm groß wirkten. Ein neues Ziel schwebte ihm vor. Auf Tortuga oder Hispaniola, das stand schon jetzt für ihn fest, würde er so schnell wie möglich eine neue Brauerei aufbauen.

Die Black Queen begann jetzt, ihm die Zukunft unter ihrer Herrschaft in den buntesten und schönsten Farben zu malen. Bereitwillig ging er darauf ein und sah sich unter anderem schon als Inhaber des Biermonopols für den Machtbereich der Queen.

Etwas Besseres konnte ihm, Willem Tomdijk, gar nicht geschehen. Er war somit bereit, auf jeden Fall mit Nachdruck für die Umsiedlung zu stimmen. Er rechnete auch nicht damit, daß es viele Gegenstimmen geben würde.

Eine Ansprache hatte er bereits gehalten. Die Männer hatten nur Augen für die Queen gehabt. Sie würden sich ihrem Kommando anschließen, da hatte er keine Zweifel. Außerdem war sich jedermann in El Triunfo der Bedrohung durch die Spanier bewußt – mit all ihren Konsequenzen. Das Dasein der Engländer und Franzosen in El Triunfo konnte nicht mehr von langer Dauer sein. Schon zu lange überfielen sie vorbeisegelnde Schiffe, die Siedlung war den Machthabern in Cartagena ein Dorn im Auge. Sie sollte völlig zerstört werden. Honduras – so hatten die Spanier dieses Land getauft – sollte wieder ganz spanischer Besitz werden, ohne „störende Umtriebe“.

Unter einigen Komplikationen wurde Willem Tomdijk in die Jolle abgefiert und dann zur „Aguila“ hinübergepullt. Jaime Cerrana übernahm es, den Dicken überall an Bord der Kriegsgaleone herumzuführen.

Auch die „Aguila“ war ein prachtvolles Schiff. Willem hatte das bereits festgestellt und erhielt jetzt die Bestätigung dafür. Der Dreimaster war gut in Schuß, die Decks und das Rigg waren tadellos in Ordnung.

Nur diese Spanier gefielen ihm nicht besonders. Die Black Queen und Caligula aber, die ihn auch jetzt begleiteten, überzeugten ihn davon, daß Jaime Cerrana und die ganze Crew in ihrer Eigenschaft als Meuterer mit den eigenen Landsleuten nicht mehr viel im Sinn hatten.

„Sie haben den Kapitän und die Offiziere getötet, ebenso die meisten Seesoldaten“, sagte die Queen. „Ist das nicht Beweis genug, wie sehr auch sie Spanien hassen?“

„Ja“, erwiderte Willem. „Eigentlich schon.“ Und damit gab er sich zufrieden.

Zu Fuß kehrte die Gruppe wenig später nach El Triunfo zurück. Willem wollte erst die Siedler versammeln und abstimmen lassen, dann sollte entschieden werden, ob die „Caribian Queen“ und die „Aguila“ in die Hafenbucht verholt wurden oder nicht.

Die Black Queen und Caligula begleiteten den Bürgermeister wieder. Die Queen wollte genau verfolgen, wie die Versammlung verlief. Nicht zuletzt war sie auch immer noch neugierig auf die Schätze, die im Keller der Mission verborgen gehalten wurden.

Unruhig schritt Siri-Tong auf dem Achterdeck der „Le Vengeur III.“ auf und ab. Immer wieder blickte sie in den undurchdringlichen Busch, aber dort regte sich nichts, Jean Ribault und Carlos Rivero kehrten nicht zurück.

Sie blieb bei Barba und dem Rudergänger Jenkins stehen. „Es wird Zeit, daß wir etwas unternehmen.“

„Ja, Madam“, pflichtete ihr Barba, der bärtige Riese, sofort bei. „Zu viele Stunden sind vergangen. Vielleicht ist Ribault und dem Spanier etwas zugestoßen.“

„Das glaube ich nicht“, sagte Jenkins. „Sie wissen, was auf dem Spiel steht. Sie haben alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen und sind bestimmt in die Siedlung geschlichen, ohne bemerkt zu werden.“

„Vorhin war es mir so, als rufe jemand“, sagte die Rote Korsarin nachdenklich und mit besorgter Miene. „Ich habe das untrügliche Gefühl, daß etwas schiefgelaufen ist. Meine Gefühle trügen mich selten.“

„Barba sieht nach, was alles im Busch herumkraucht“, sagte der Riese. „Vielleicht schnappe ich einen Siedler, der Auskunft geben kann über das, was vorgefallen ist.“

„Oder aber wir bringen Jean Ribault und Rivero auf diese Weise erst richtig in Gefahr“, sagte Jenkins. „Wir sollten uns gut überlegen, was wir tun.“

Ähnliche Überlegungen stellten auf dem Hauptdeck auch die Männer aus Siri-Tongs Crew und Ribaults Kameraden an. Sven Nyberg beispielsweise wollte der Roten Korsarin den Vorschlag unterbreiten, sofort einen Stoßtrupp mit dem Auftrag loszuschicken, nach dem Verbleib der beiden Männer zu forschen.

Pierre Puchan kratzte sich angestrengt an der Perücke, aber viel kam dabei nicht heraus. Dave Trooper und Gordon McLinn, die beiden „Schnellmerker“, überlegten und überlegten, aber zu einem Ergebnis gelangten sie nicht. Überhaupt: Keinem wollte etwas wirklich Sinnvolles einfallen, das Jean Ribault und Carlos Rivero aus einer eventuellen Notlage heraushalf.

Ihnen waren die Hände gebunden. Sie durften weder riskieren, die „Le Vengeur III.“ zu verlassen und im Dschungel nach den beiden Männern zu suchen – wegen der ständigen Gefahr, als Spione verdächtigt, gestellt und gefangengenommen zu werden – noch mit dem Schiff die Mündung des Rio Leán zu verlassen und El Triunfo anzusteuern.

Unter den gegebenen Voraussetzungen schien es nur ratsam zu sein, weiterhin hier, hinter dem dichten grünen Vorhang von uralten Mangroven und Spanischem Moos, vor Anker liegenzubleiben und die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten.

„Wir warten noch“, sagte Siri-Tong mit verdrossener Miene. „Aber wenn wir zur Mittagsstunde immer noch keine Nachricht von den beiden haben, breche ich selbst auf. Du, Barba, wirst mich dann begleiten.“

„Ja, Madam“, sagte der Riese. Sein Blick war auf die feuchte Hölle des Urwaldes gerichtet.

Vögel und Affen kreischten und schnatterten, eine Wasserschlange glitt vom Ufer in den Fluß. Was ging in der Selva vor, wie war die Lage in El Triunfo?

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 360

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