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2.

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Auf allen vieren kroch sie unter den dichten Vorhang der Mangroven, ließ sich nieder und beobachtete, was draußen, auf See, weiter geschah. Mit vor Wahnsinn flackernden Augen sah sie, wie die Fleute „Zeehond“ nach Nordosten verschwand und die „Isabella IX.“ und die „Caribian Queen“ nach Westen segelten.

Aus! Wieder hatte sie eine Niederlage erlitten, und diesmal schien ihr Schicksal endgültig besiegelt zu sein.

Was nutzte es ihr noch, daß sie am Leben geblieben war? Sie hatte Glück gehabt und durch lange Tauchgänge die Küste erreicht, ehe die Haie sie packen konnten. Die Biester waren außerdem zu sehr mit den anderen beschäftigt gewesen – mit den Hurensöhnen und Bastarden, die feige die Flucht ergriffen hatten.

Ihr blöden Hunde, dachte die Black Queen, jetzt habt ihr euer Fett. Was habt ihr euch denn eingebildet? Daß ihr den Tiburónes entwischt? Oh, was für Narren seid ihr doch gewesen!

Dumpf wurde ihr jedoch bewußt, daß sie blindlings gehandelt hatte, als sie den Hafen von Havanna verlassen und sich auf die „Caribian Queen“ gestürzt hatten. Sie hätte wissen müssen, daß es eine Falle war, und doch hatte sie sich von ihrem Haß zu einer unüberlegten Tat verleiten lassen.

Caligula war tot. Sein Ende traf sie nun doch, obwohl er ihr eigentlich schon im Wege gewesen war, was das Bündnis mit Don Antonio de Quintanilla betraf. Stets hatte ihr Caligula zur Seite gestanden, im guten wie im schlechten. Mit ihm hatte sie ihren einzigen wirklichen Bundesgenossen und Freund verloren, ihren Geliebten und ihre rechte Hand. Ihr war nichts geblieben außer dem Messer, das in ihrem Leibgurt steckte.

Sie war geschwächt, aber sie spürte es nicht. Sie merkte es erst, als sich alles um sie herum zu drehen begann und düstere Schleier vor ihren Augen wallten. Sie sank zur Seite und wurde bewußtlos. Alles schien in erlösender Finsternis zu versinken, sie nahm nichts mehr wahr.

Califano verharrte lange in seiner Deckung, ehe er sich entschloß, sie näher zu untersuchen. War sie tot? Oder ohnmächtig? Oder hatte sie ihn bemerkt und bediente sich eines Tricks, um ihn anzulocken? Möglich war alles, und Vorsicht war die Mutter des Überlebens. Auf leisen Sohlen schob er sich an sie heran und beugte sich über sie. Sie atmete noch, wie er registrierte, aber sie war besinnungslos. Also kein Theater.

Er ließ sich auf die Knie sinken und betrachtete sie eingehend. Jetzt, wie sie so hilflos dalag und sich nicht rührte, schien sie ihm doch eher eine Schönheit als ein Satansweib zu sein. Er konnte nicht anders, er mußte sie berühren. Er streckte die Hände nach ihr aus und betastete ihre Brüste, ihren Bauch und ihre Lenden. Sein Atem ging schneller, sein Herz begann wieder wie verrückt zu schlagen. Warum nahm er die Chance nicht wahr?

Aber was war, wenn sie überraschend wieder erwachte? Sie würde ihn töten. Sie hatte die Kraft von einem Dutzend Männern, hieß es. Sie hatte schon ganz andere Kerle aus den Stiefeln gehauen. Die tollsten Geschichten kursierten in den Kneipen von Havanna, ein Weib wie diese Queen schien es auf der ganzen Welt nur einmal zu geben.

Califano stand auf, bekreuzigte sich und verscheuchte die sündigen Gedanken. Nein, er durfte es nicht tun. Das einzige, was sich empfahl, war, so schnell wie möglich zu verschwinden. Sie war nicht verwundet und brauchte keine Hilfe. Sie würde bald das Bewußtsein wiedererlangen und durch den Urwald irren, und dann war es gut, wenn er einige Distanz zwischen sie und sich gelegt hatte.

Er tauchte im Dickicht unter, verharrte aber plötzlich doch wieder. Gaukelte sein Geist ihm jetzt etwas vor – oder war da noch jemand im Dschungel? Nein, er irrte sich nicht. Da keuchte jemand. Ganz in seiner Nähe. Leise Schritte bewegten sich auf das Ufer zu.

Califano duckte sich. Er vernahm einen dumpfen, grunzenden Laut und dann einen Fluch. Der Kerl, der sich da durch das Gestrüpp arbeitete, schien nicht minder zornig zu sein als die Black Queen. Califano begriff die Welt nicht mehr. Sollte es noch einem anderen von der Teufelscrew gelungen sein, seine Haut zu retten?

So unwahrscheinlich es klang: es stimmte. Viele Blätter behinderten Califanos Sicht, aber er konnte doch verfolgen, wie der Kerl – ein Bulle mit einem derben Gesicht – an die Stelle trat, an der die Queen bewußtlos zusammengebrochen war.

Califano verharrte auch weiterhin in seiner Deckung. Wenn er sich jetzt rührte, bemerkte ihn der Kerl. Das durfte er nicht riskieren. Lieber verhielt er sich still und verfolgte, was weiter geschah. Was er sah, würde er jedoch für sich behalten und keinem anderen erzählen, das beschloß er schon jetzt. Unterschwellig war ihm bewußt, daß er sich dadurch nur Ärger einhandeln würde. Und Ärger wollte er nicht, um keinen Preis der Welt.

Es wäre besser gewesen, wenn er beim Donnern der Schiffsgeschütze in seiner Hütte geblieben wäre, aber das ließ sich jetzt nicht mehr ändern. Er war dazu verdammt, wie ein verängstigtes Kaninchen im Dickicht zu hocken, sonst war er geliefert. Auch der bullige Kerl schien sich in einem Zustand des unbändigen Hasses zu befinden, in dem er jeden umbrachte, der ihm in die Finger geriet.

Pablo, der bullige, etwas dickliche Kreole, stand wie vom Donner gerührt vor der Black Queen.

„Queen, Queen“, murmelte er. „Du bist ja mehr tot als lebendig.“

Daß sich ihre Brust kaum merklich hob und senkte, entging ihm jedoch nicht. Mehr noch – sein Blick wurde von ihrem Busen gleichsam magisch angezogen. Er konnte es kaum fassen, daß es auch ihr gelungen war, sich an Land zu retten, doch die Tatsache, sie entdeckt zu haben, war für ihn wie eine Eroberung.

Caligula lebte nicht mehr. Auch von den anderen Kerlen war keiner den Haien entkommen. Sie, die Queen, gehörte jetzt ihm. Auf einen Moment wie diesen hatte er schon lange gewartet, eigentlich schon seit den Tagen, in denen sie auf der kleinen Insel der Cay-Sal-Bank gesessen hatten und zum Warten verdammt gewesen waren.

In knappen Sequenzen zogen die Ereignisse noch einmal an seinem geistigen Auge vorbei. Sicher, es wäre vielleicht besser gewesen, wenn sie dem Anderthalbmaster nie begegnet wären, aber wer hatte schon ahnen können, welche Ereignisse sich aus dem Bündnis mit Don Antonio de Quintanilla ergaben, das die Queen trotz Caligulas anfänglichem Aufbegehren eingegangen war?

Als Sieger waren sie in Havanna eingezogen, und sie hatten dank der Hilfe des Gouverneurs über sehr viel Machtvollkommenheit verfügt. Zwar hatte es einigen Aufruhr gegeben, doch die Queen hatte immerhin auch ihren Profit aus der Situation gezogen: Sie hatte die „Zeehond“ als ihr neues „Flaggschiff“ und von dem Dicken eine Schatztruhe erhalten, gewissermaßen als „Betriebskapital“.

Sie hätte sich dann ruhig verhalten und die weiteren Entwicklungen abwarten sollen. Statt dessen hatte sie zum Kampf geblasen, als sie die „Caribian Queen“ vor der Hafeneinfahrt hatte erscheinen sehen – und sie hatte nicht erkannt, daß es eine Falle gewesen war.

Nun, jetzt war sie die „Zeehond“ los und mit ihr die vom Gouverneur gespendete Schatztruhe sowie ihre eigene Schatzkiste – ihre letzte Reserve – und die erbeuteten Silberbarren. Alles hatte sie verloren, nur die nackte Haut hatte sie retten können.

Aber was für eine Haut! Pablo konnte seinen Blick nicht von ihr lösen, er starrte sie an, als habe er nie zuvor eine Frau gesehen. Er ließ sich neben ihr nieder und griff nach ihrem runden, festen Hinterteil. Allein die Berührung versetzte ihn in einen Zustand höchster Erregung. Er konnte sein brennendes Verlangen kaum noch bezwingen.

Califano entging nicht, daß der Kreole drauf und dran war, sich auf die ohnmächtige Frau zu stürzen. Schwein, dachte er, Dreckskerl, aber er nahm die Gelegenheit auch wahr, um sich tiefer in den Dschungel zurückzuziehen. Zoll um Zoll, Yard um Yard – und Pablo bemerkte es nicht, denn seine volle Konzentration galt der Black Queen.

Pablo war es nur recht, daß Caligula tot war. Aber er wußte auch, daß sein Ende die Queen trotz allem getroffen hatte – trotz der Tatsache, daß er ihr bei ihren hochfliegenden Plänen und dem Pakt mit dem Gouverneur eigentlich schon im Wege stand und wegen seiner Morde zum Risiko geworden war. Eine Art Haßliebe hatte sie mit Caligula verbunden. Sie hatten sich geschlagen und in der Koje wilde Nächte verbracht.

Pablo grinste. Wir können uns einigen, Queen, dachte er, ich übernehme Caligulas Rolle. Aber ich lasse mich nicht von dir schlagen und treten. Das kannst du mit mir nicht tun.

Er glaubte, im Gestrüpp ein Rascheln wahrzunehmen, sah aber nur kurz hin. Vielleicht bewegte sich ein Tier durch die Mangroven, ein Vogel oder ein Affe. Mit einem Angriff von der Landseite war nicht zu rechnen. Der Gegner hatte sich zurückgezogen. Auch die Haie waren verschwunden, wie ihm ein Blick auf die See bewies.

Er grinste immer noch. Was sollte jetzt noch passieren? Nichts. Er war allein mit der Queen, und keiner würde sie suchen.

Califano hatte sich weit genug von dem Ufer zurückgezogen, er konnte jetzt wagen, sich aufzurichten. Er drehte sich um und schlich durch das Dickicht. Kurz darauf begann er zu laufen, über einen schmalen, kaum zu erkennenden Pfad, den nur er kannte.

Er erreichte seine Hütte, verkroch sich und beschloß, alles, was er an diesem Morgen gesehen und gehört hatte, schleunigst wieder zu vergessen.

Die Queen erlangte unterdessen das Bewußtsein wieder. Sie war etwa eine Stunde lang ohne Besinnung gewesen, aber das wußte sie nicht, denn sie hatte das Zeitgefühl verloren. Sie schlug die Augen auf und schaute mit verständnisloser Miene zu Pablo auf.

Er grinste nach wie vor, und es gelang ihm nicht, die lüsternen Gedanken schnell aus seinen Zügen verschwinden zu lassen.

Sie registrierte es sofort – trotz des Mühlrades, das sich in ihrem Kopf zu drehen schien.

„Pablo“, flüsterte sie. „Du hier?“ Sie griff nach seiner Hand. „Wie kann das sein? Träume ich?“

„Du träumst nicht“, erwiderte er mit schiefem Lächeln. „Ich habe mich retten können.“

„Dann ist alles wahr?“

„Ja. Die Haie waren zu sehr mit den anderen beschäftigt“, sagte er. „Mit denen, die als erste über Bord sprangen.“

„Das kann ich mir vorstellen“, sagte sie leise. „Wir haben ziemlich danebengegriffen mit diesen Hunden, als wir sie aus den Kneipen von Havanna rekrutierten.“

„Sie taugten einen Dreck. Aber jetzt sind sie weg. Aus und vorbei. Denen weint keiner eine müde Träne nach.“

„Du warst hinter mir?“

„Klar. Ich bin kein so schneller Schwimmer wie du, aber ich hab’s trotzdem geschafft, obwohl ich dachte, ich saufe ab.“

„Das dachte ich auch“, sagte sie. „Die Strecke erschien mir endlos lang.“

„Bei einem Luftschnappen hab’ ich gesehen, wo du an Land gekrochen bist“, sagte er. „Ich dachte, ich würde dich vielleicht lebendig wiederfinden, war aber nicht sicher. Na, jetzt hat’s doch noch geklappt.“

„Da war eine starke Strömung“, murmelte sie. „Hat sie dich von der Richtung abgebracht?“

„Ja, denn sie setzt nach Westen und hat mich nach dorthin vertrieben. Aber nur ein bißchen.“

„Hast du beobachtet, wie die Schiffe davongesegelt sind?“

„Ja. Und ich habe auch gesehen, wie es Caligula erwischt hat.“ Er sagte das absichtlich – für den Fall, daß sie es noch nicht wahrhaben wollte.

„Er scheidet nun aus“, murmelte sie. Ihr Blick tastete Pablo ab, und er spürte, wie ihm innerlich heiß wurde.

Am liebsten hätte er sich wirklich gleich auf sie gestürzt, als er sie gefunden hatte. Es war die Gegenreaktion dessen, der noch einmal davongekommen war, was nach dieser totalen Niederlage wahrhaftig wie ein Wunder anmutete. Aber dazu hatte ihm denn doch der Nerv gefehlt. Außerdem hätte eine ohnmächtige Queen für ihn nur den halben Spaß bedeutet.

Natürlich hatte er nach wie vor seine festen Vorstellungen und recht eindeutigen Phantasien, die er entwickeln konnte, wie es ihm paßte – keiner konnte ihn daran hindern. Kein Caligula war da, der ihn mit Blicken oder Tritten zurechtwies. Und: Welcher Kerl vermochte sich schon diesem verlockenden Weib zu entziehen? Jeder normale Mann an seiner Stelle hätte empfunden wie er. War das vielleicht eine Schande?

Er hatte wahnsinniges Glück gehabt. Er lebte noch und war im übrigen völlig unversehrt. Das mußte gefeiert werden. Er hielt sich für außerordentlich schlau, und gerade wegen seiner Gerissenheit kratzte es ihn nicht besonders, mal wieder „ins Wasser gefallen zu sein“. Heute oben, morgen unten – was kostete die Welt! Von den tiefergehenden Erschütterungen einer Black Queen oder eines Caligula – falls dieser noch gelebt hätte – ob der erneuten Niederlage gegen den Bund der Korsaren war er weit entfernt.

Das bedeutete: Zwar wünschte auch er diesen Hunden die Pest und die Pocken an den Hals, aber zum glühenden Haß nach Art der Black Queen reichte es bei ihm nicht. Im Gegenteil – er wußte, daß Haß letztlich nichts einbrachte.

Zu solchen tiefschürfenden Erkenntnissen war Pablo fähig, wenn er auch sonst nicht zu den klügsten Kerlen gehörte. Er zeichnete sich durch eine gewisse Bauernschläue aus – und er war bärenstark. Das allein zählte im Moment. Die Queen brauchte einen Spießgesellen, um wieder etwas aufbauen zu können. Allein hatte sie kaum noch eine Chance, erneut gegen ihre Feinde vorzugehen.

Genau das wollte sie: Sie war noch nicht am Ende, sie konnte sich noch rächen, wenn sie den Spieß umdrehte und die Männer der „Isabella“ und der „Caribian Queen“ sowie die Rote, Korsarin in einen Hinterhalt lockte. Eine Kriegslist – das war es, was sie brauchte. Aber sie hatte einen Helfer bitter nötig.

„Irgend jemand muß Caligulas Platz einnehmen“, sagte Pablo. Er ließ ihre Hand los und griff nach ihrer Schulter.

Ihre Blicke schienen sich ineinander zu verfangen.

„Du denkst genau das, was auch ich denke“, sagte sie heiser – und dann geschah das Unfaßbare.

Mit einem animalischen Schrei warf sie sich Pablo in die Arme. Er war selbst überrascht – das hatte er denn doch nicht erwartet. Sie warf ihn zurück ins Dickicht, kniete über ihm, umschlang ihn, und ihre wilden, heißen Küsse bedeckten sein Gesicht. Dann wurde er von dem Rausch der Leidenschaften mitgerissen und entführt. Er hatte das Gefühl, in einem tosenden Sturm über gewaltige Wellenberge zu reiten.

Die Queen wußte, was sie tat, alles beruhte auf eiskalter Berechnung. In ihrer ausweglosen Situation konnte sie auf diesen letzten Verbündeten nicht verzichten – und die Männer hatte sie sich noch immer mit ihrem Körper unterjocht – bis auf die eine Ausnahme: El Tiburón.

Er hatte sich ihr verweigert, hatte sie hintergangen und sie angeschossen und ins Elend gestürzt. Wie der Seewolf gehörte er zu jenen Feinden, denen sie geschworen hatte, sie in Stücke zu schneiden, falls sie sie wiederfand und überwältigte.

Wo El Tiburón steckte, wußte sie nicht. Aber sie hatte den Seewolf in greifbarer Nähe – und er würde mit für das büßen, was El Tiburón ihr angetan hatte.

Wieder gellte ihr Schrei durch den Dschungel, und er schien Lust und Rache gleichzeitig zu verkünden.

Califano, der sich in seiner Hütte wieder auf sein Lager gelegt hatte, preßte die Hände gegen die Ohren. Er wollte nichts mehr hören und mit alledem, was am Nordufer vor sich ging, nichts zu tun haben. Er wälzte sich auf den Bauch, schloß die Augen und war binnen weniger Atemzüge tatsächlich eingeschlafen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 415

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