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Kapitel 3

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Als endlich die Arbeiten und Vorbereitungen zum Dekorieren der Kirche losgingen, trafen sich einige der Dorfbewohner und schmückten den Innenraum mit allerhand weihnachtlichem Schmuck aus wunderhübsch gebundenen Sträußen, die auch getrocknete Blüten enthielten. Es wurden zwei riesige Tannenbäume aus dem nahen Wald herbeigeholt und links und rechts neben den Altar aufgestellt. So viele Kerzen wurden gespendet, dass es zu hoffen war, die Kirche am Heiligen Abend hell erleuchten zu können, ohne dass elektrisches Licht eingesetzt werden musste.

Die harmonische Kerzenbeleuchtung wurde stets zu Beginn eines großen Gottesdienstes bevorzugt.

Einige Wochen vor Weihnachten zog der Geruch von frisch gebrühter Wurst durchs Dorf.

Wo es möglich war, wurde selbst geschlachtet und anschließend auch selbst die Wurst hergestellt. Von der guten Wurstbrühe wurden dann herzhafte Suppen gekocht, auf die alle in der Familie schon mit Heißhunger warteten. So war es auch in der Familie Lato.

Durch die mitgebrachten Schwiegerkinder vergrößerte sich die Familie um einige Personen. Man stellte neue Stühle um den Küchentisch, damit alle am Festtage um den großen Tisch versammelt sein konnten. Auch die Kinder, welche als Soldaten dienten, nahmen selbstverständlich mit ihren Bräuten am Festessen der Familie teil. Außerdem musste ein Platz mehr angeordnet werden. Ein freier Platz, der auch eingedeckt wurde und der traditionell am Heiligen Abend in Polen immer unbesetzt bleibt. Und zwar, für einen fremden Gast, den es zu ihnen verschlagen könnte und den man willkommen heißen würde.

Die Jungen halfen ihrem Vater bei den Schnitzarbeiten, die für die Vervollständigung der Krippe nötig waren. Und auch dabei, neue Stühle herzustellen, weil sich ja die Familie vergrößerte. Geredet wurde dabei über die neuen Machtverhältnisse im Nachbarland Deutschland. Und wie radikal sich das schon auf die jüdische Bevölkerung ausgewirkt hatte. Immer mehr Menschen jüdischen Glaubens kamen nach Polen, um dort ihr Leben zu führen.

Zu unsicher war die Situation in Deutschland für sie geworden. Es gab nun viele jüdische Mitbürger, auch in Lublin. Dorthin waren ja Piotr und Edek mit ihren neuen Freundinnen schon im Herbst geradelt. Es war ein toller Tagesausflug, der den vier jungen Leuten immer in liebevoller Erinnerung bleiben würde.

Ein wunderschönes altes jüdisches Viertel gab es in Lublin schon immer, seit sie denken konnten. Aber nun erzählte man ihnen, dass es immer mehr Menschen aus dem Ausland in dieses Viertel ziehen würde. Diese Leute arbeiteten, waren fleißig und unterhielten ihr eigenes Viertel und sorgten dort für einen gewissen Wohlstand. Diverse Informationen über die dortige Bevölkerungs-zunahme kamen auch von den drei jungen Soldaten der Familie. Auch hier war man beunruhigt über die Verhältnisse in Niemcy, in Deutschland.

Jetzt, im Winter 1936, zeigten sich erste Auswirkungen der gewaltigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die Hitler in seinem Reich, nach seiner Wahl zum Reichskanzler vornehmen ließ. Trotzdem wurde immer wieder die Hoffnung geäußert, dass es niemals mehr zu einem Krieg kommen könnte. Dazu war die allgemeine Wirtschaftslage nicht stabil genug. Das würde doch wohl auch ein Hitler einsehen müssen.

Im Dorf Leszkowice gab es genügend Arbeit für jedermann. Man wurde wahrlich nicht reich dabei. Die Genügsamkeit war oberstes Gebot. Aber man lebte gut und hatte sein Auskommen. Deshalb war es auch natürlich, dass über die Anwerbungen, die man in Deutschland betrieb, um polnische junge Leute ins „Reich“ zum Arbeiten zu holen, gesprochen wurde. In dieser Familie machte sich allerdings niemand ernsthafte Gedanken darüber, dass die Arbeit im Dorf ein Ende finden könnte. Wenn es nicht durch höhere Gewalt höherer Mächte, beschlossen war. Und eine höhere Macht als die der Regierung ist in Polen nur die Göttliche Macht. Und die sollte sie doch nun endlich beschützen, so beteten die Polen in diesem Dorf und lebten ihren Alltag. Jeder mit seinen eigenen Sorgen.

In der Familie Lato gingen die Arbeiten am Ausbau des Kirchendachstuhls weiter. Neben den üblichen Verrichtungen für Familie, Haus und Hof. Die Kinder mussten nun seit es kalt wurde häufiger die Schulbank drücken. Jetzt, wo sie nicht mehr so viel auf dem Feld gebraucht wurden, hieß es, tüchtig zu lernen. Auch Piotr und Edek, letzterer im letzten Jahr, gingen dorthin. Sie trafen natürlich ihre Freundinnen regelmäßig, um zusammen Schularbeiten zu machen, so wie es überall in der Welt die Kinder und Jugendlichen machten. Mal bei Piotr, mal bei Basia. Mal bei Edek, mal bei Emilia oder am schönen und schon fast zugefrorenen See in Firlej. Dorthin zu radeln, wenn der Schnee nicht zu hoch lag und es die Dorfstraße einigermaßen zuließ, bedeutete immer einen besonderen Spaß für die drei aus Leszkowice. Unterwegs mussten sie mehrmals anhalten, weil Piotr und Basia es nicht aushielten und sich umarmen und küssen mussten. Edek, der ja schon soooo erwachsen war, schmunzelte dann immer und schaute weg, um dann anschließend tüchtig zu stänkern.

Die beiden, Basia und Piotr, revanchierten sich prompt, sobald sie in Firlej ankamen und von Emilia willkommen geheißen wurden. Denn gleich ließ Edward sein Rad in den Schnee fallen und stürzte auf sie zu und umarmte sie herzlich. So verbrachten die vier Jugendlichen ihre Sommer und Winter über noch kommende Jahre, bis sie sich offiziell versprochen wurden oder sie von tragischen Ereignissen eingeholt wurden, die ihnen nicht erlaubten, die gegebenen Versprechen einzulösen.

Nun nahte das Weihnachtfest in großen Schritten. Die Kirche war fast fertig ausgebaut und das Gerüst wurde da, wo es nicht mehr gebraucht und es die Feierlichkeiten zum hohen Fest stören würde, schon mal etwas abgebaut. Blumengestecke waren in üppiger Fülle aufgestellt und die Kerzen bereit, ihre Leuchtkraft in Fülle zu verschenken. In den Häusern wurden für die Festlichkeit besondere Kuchen gebacken, Schinken und Würste vom Trockenspeicher geholt, sowie Pilze und Dörrobst. Herrliche Düfte zogen nun durch die verschneite dörfliche Landschaft.

Die Wieprz war ihrerseits fast zugefroren. So, dass man froh sein konnte, schon vor einigen Tagen ohne große Probleme das Arbeitspferd Janyk aus dem dortigen zugigen alten Schuppen auf der anderen Seite, des nun sehr kalten Flusses nach Hause in die warme Scheune geführt zu haben. Und man hoffte sehr darauf, für diesen Winter das letzte Mal durch das eiskalte Wasser des Flusses gewatet zu sein. Immerhin wurde nun endlich beschlossen, zügig eine Holzbrücke zu bauen, sobald die Kirchenausgestaltung abgeschlossen war.

So ging es jedenfalls nicht mehr weiter. Es musste eine Brücke her. Darüber freute man sich allgemein fast noch mehr, als über den Kirchenausbau. Nur laut sagen durfte man das nicht, um niemanden zu brüskieren. Denn die allgemeine Vorfreude, auch auf der anderen Flussseite öfter durch die Wiesen zu ziehen, war schon riesig. Die Dorfjugend war begeistert von der Idee. Aber nicht nur sie. Alle wollten endlich diese Brücke. Auch der Pfarrer sah ein, dass sie nötig war und dass dann in Zukunft ein paar Groschen weniger bei der Kollekte für seine Kirche zusammen kommen würden.

Am Abend des großen Tages erstrahlte das Dorf in frischem Weiß. Die Schneediamanten glitzerten auf den Wegen und die Gemeinde traf sich zur traditionellen Weihnachtsmette. Im Dunkeln der Nacht wurden alle gespendeten Kerzen angezündet. Die Frauen eröffneten mit ihrem herrlichen Gesang die Mette. Die Gemeinde stimmte ein und die feierlichen Töne durchzogen ein tiefverschneites, friedliches polnisches Dorf mit Ehrfurcht und Andacht.

Die Augen der Kinder wurden riesengroß, als der Priester um Mitternacht das Christkind in die Krippe legte. Gewaltig ertönte der Chor der Gemeinde in andächtigem Gesang, die Geburt des Gotteskindes zu preisen. Während zwei der anwesenden Gläubigen, Rozalia und Władysław, die Tränen in Erinnerung an ihr verlorenes Kindchen still und traurig die Wangen hinunter liefen.

Nach dem Ende der Christmette versammelte sich die Dorfgemeinschaft draußen auf dem friedlichen Kirchplatz, reichten sich die Hände und wünschten sich eine gesegnete Weihnacht. Im tiefen Neuschnee ging dann jede Familie zu sich nach Hause, um das weihnachtliche Festmahl zu bereiten. Um das Christfest in einem vollkommenen, harmonischen Abend im Kreise der Familie, ausklingen zu lassen.

Heute waren die großen Söhne der Latos mit ihren zukünftigen Frauen anwesend. Sowie auch Marian, der der Ehemann von Anna werden würde. Paarweise eng aneinander gekuschelt gingen sie den einsamen dunklen Weg an der Weggabelung vorbei, an der schon immer ein mit Blumen und Schleifen geschmücktes Holzkreuz steht, den Weg hinunter zur Wieprz, zu ihrem Haus.

Schneller als üblich nahm man heute den Weg. Es war bitterkalt in dieser Christnacht. Die Schuhe wurden im Flur abgestellt und die Füße in die Holzschuhe gesteckt, die in warmen selbstgestrickten Socken warm gehalten wurden. Anna und Rozalia wärmten die vorbereitete Suppe auf und machten sich daran, alle Speisen, die mindestens zwölf verschiedene sein mussten, auf den Tisch zu bringen. Władek holte schon mal den Wodka heraus und goss jedem Erwachsenen ein Gläschen zum Aufwärmen ein. Zur Feier des Tages bekamen heute auch Edward und Piotr einen ganz winzig kleinen Schluck dieses edlen Getränks zu kosten. Die Festtafel war gedeckt und das Mahl konnte beginnen. Die zukünftigen Schwiegerkinder waren ebenso herzlich und warm aufgenommen worden, wie die eigenen Kinder.

So sehr die Gastgeber selbst sich bemühten, und es herrschte wahrlich eine rege Fröhlichkeit, doch bei den beiden im Herzen war ein Licht erloschen, das so schön und so lange glühte. Sie waren herzlich und sehr höflich miteinander im Umgang. Aber tief in ihrem Innern war etwas unwiderruflich zerbrochen und sollte nie mehr den Weg zur Heilung finden. Keiner von beiden gab dem anderen für etwas die Schuld am tragischen Geschehen. Und doch blieb die tiefe Wunde der Einsamkeit zwischen ihnen, die eine so abgrundtief klaffende Schlucht des Schmerzes hinterließ, dass sie fortan keinen Pfad zurück zur trauten Zweisamkeit fanden.

Sie verloren doch beide etwas, das sie lieben wollten und hatten dabei ihre eigene Liebe zueinander verloren. Wie konnte dies nur geschehen? Sollte gemeinsames Leid nicht eher zusammenschweißen? Natürlich machte sich jeder von ihnen seine Gedanken zu dieser Frage. Nur es gab niemanden, der sie ihnen hätte beantworten können, da sie ihre Gefühle nicht laut äußerten und somit in ihrem Schmerz alleine blieben. Man hatte nicht gelernt, darüber zu sprechen, wenn einem das Herz solche üblen Streiche spielte, für die man keine Erklärungen fand, litt es.

Davon, dass ihre Herzensglut erloschen war, merkten sie zunächst wenig, da sie wegen des kalten Winters sehr um die Versorgung der Familie bemüht sein mussten. Piotr und Edek bemühten sich, die morgendliche Schule, so gut wie es Jungs in diesem Alter vermögen, hinter sich zu bringen. Sie waren gute, fleißige und aufmerksame Schüler, aber auch gerne an der frischen Luft und mit der Natur sehr verbunden.

Beide liebten ihr Dorf sehr und streunten ständig zwischen zu Hause, den Arbeiten im Stall und den Freundinnen hin und her. Sie beratschlagten, wie es möglich gemacht werden konnte, wieder einen so schönen Tanzabend, wie den im Herbst, zu organisieren. Die Gelegenheit bot sich ihnen schon an Silvester. Ein großes Aufgebot an Speisen aller Arten wurden in der Gemeindescheune zusammengetragen und nach der üblichen vorherigen Messe trafen sich dort Jung und Alt. Die letzteren schwer durch den tiefen Schnee trabend und vorsichtig wegen der Eisglätte. Die Tiere in den Ställen waren versorgt und so konnte ein fröhliches Silvesterfest seinen Anfang nehmen. Dennoch gab es Dorfbewohner, die sich vor dem Abendessen, welches ebenfalls in der Gemeinschaft eingenommen wurde, verabschiedeten, die dann eilig ihren Häusern zustrebten, um ins Warme zu kommen und noch einmal nach dem Vieh zu schauten.

Die Tiere waren neben den Feldern und den Wäldern ihre Lebensgrundlage und mussten abends noch versorgt werden. Vor allem die Kühe mussten gemolken werden. Die frische Milch wurde ausnahmsweise bis zum Neujahrstag nach der Messe kühl gestellt, bevor man sich nach der ersten Messe im neuen Jahr daran gab, die erste Butter des Jahres selbst zu schlagen.

Es wurde wie immer viel getanzt, gesungen, getrunken und geflirtet. Piotr war so verliebt in seine Basia, dass er es kaum ertragen konnte, noch so jung an Jahren zu sein. Vier reife Teenager liebäugelten miteinander und erwarteten sehnsüchtig erwachsen zu werden.

Sie zeigten heute offen, wie sehr sie zusammengehörten. Bei Edek war klar, dass er seine Mamusia, seine Mama, und seinen Tata, seinen Papa, für diese Nacht um Erlaubnis bat, damit Emilka in der Neujahrsnacht nicht mehr nach Firlej zurück musste, sondern im Sommerchen Haus übernachten durfte. Am ersten Tag des Jahres 1937 wollten sie nach der Messe zusammen nach Firlej zurück radeln. Oder ihr Rad schieben, je nachdem wie, der Schnee und die Eislage auf den Wegen es zuließen, ihre Räder zu bewegen. Der Abend war für die ganze Familie ein riesengroßes Vergnügen.

Jożef machte seiner Solanka einen Heiratsantrag und es dauerte nicht lange, so zog Marian nach und bat auch Anna um ihre Hand. Die Familie strahlte eine Zufriedenheit und ein Glück aus, dass für das ganze Jahr die Sonnenschein Prognose getroffen werden konnte. Alle feierten, stießen mit dem ein oder anderen Gläschen auf ihr Glück und die Zukunft an und gelobten sich den familiären Zusammenhalt.

Die Einladungstage für die verschwägerten Familien wurden besprochen und was man natürlich alles an Köstlichkeiten auffahren wollte. Die beiden Jüngsten beteiligten sich an diesen Planungen genau so wenig, wie seltsamerweise Julian. Bei Piotr und Edek war es wohl der Altersunterschied, der ihnen klarmachte, dass sie auf ihre Vermählungen noch ein wenig warten mussten.

Julian war nun fast neunzehn Jahre alt und war noch mehr mit seinen Büchern beschäftigt, als dass er die jungen Dorfschönheiten umgarnte. Bei jedem Fest tanzte er genau so vergnügt und machte seine Scherze mit den anderen seines Alters, wie alle anderen auch. Trotzdem beschäftigte ihn etwas in einer grüblerischen Weise, die ihn auch in der Armeeschule schon auffällig von den anderen unterschied und ihm den Titel „Streber“ einbrachte.

Immer musste er sich Gedanken machen über das Weltgeschehen und die Politik. Sein Bücherschatz war vorläufig sein einziger fester Schatz, den er zu hüten sich bemühen wollte. Durchaus Gefallen fand er an den tanzfreudigen Mädchen des Dorfes schon und er selbst gefiel auch den jungen Damen sehr. Doch vorerst dachte Julian nur ans Tanzen und Vergnügen mit ihnen. Wenn da nicht die Sorge um die Zukunft gewesen wäre. Er schien für sein Alter ein junger Mann zu sein, der sehr früh gereift war. Sein Eifer bestand im Lernen und Lesen seiner heißgeliebten Bücher. Sich fest zu binden, sollte die Zeit für ihn entscheiden; - war seine Einstellung.

Nachdem alle ausgiebig und freudig ihr neues Jahr begrüßt hatten, die Glocken des Kirchturms durch die tief verschneite kalte Winternacht geläutet hatten, blieb nur noch wie immer, nach einigen Stunden, der „feste Kern“ zusammen, um bis zum Schluss auszuharren und dann für Ordnung zu sorgen. Die Älteren und die Jüngeren zogen sich nach Hause zurück ins warme Nest.

Zuerst musste im Ofen allerdings wieder gut Holz nachgelegt werden, denn die großen Stücke vom Abend waren zu einer Restglut herunter gebrannt. Und für diese Nacht wollte man es warm haben. Wie schon üblich, brachten die jungen Burschen ihre Eroberungen nach Hause und es blieben nur die Honoratioren des Dorfes, gemeinsam mit dem Priester, dem Lehrer, dem Dorfpolizisten Piotrowski und dem Arzt zurück.

Es wurde über alles Mögliche des Weltgeschehens diskutiert und debattiert. Wie weit der schon fast abgeschlossene Innenausbau der Kirche gebührend gefeiert werden dürfte, ob man eventuell zuerst die neue Holzbrücke über die Wieprz bauen sollte und anschließend für beide Projekte ein einziges Fest veranstalten würde oder für jedes Projekt ein separates Fest? Die am Ausbau der Kirche Beteiligten der Familie Lato waren natürlich für ein eigenes Kirchenfest. Im Frühjahr hätte man dann wieder einen Grund, vor Ostern etwa, denn dann sollte die neue Brücke fertig sein, und man könnte ein schönes Frühlingsfest veranstalten.

Die Einwände, dass dann auch die Feldarbeit wieder im vollem Gange wäre, ließ man nicht gelten. Man sollte die Feste feiern, wie sie fallen. Und das hieße auch, wenn die Holzverkleidung der Kirche fertig angebracht ist, sollte jenes Ereignis auch gebührend gefeiert werden dürfen.

Der Gemeinderat war wegen der Kosten dagegen und bekam prompt die Rechnung von Familie Lato aufgestellt. Dass nämlich das gesamte Holz nicht in Rechnung gestellt werden würde, weil es von ihnen gespendet wurde und auch noch die vielen freiwilligen Arbeitsstunden. Also wäre ein Festakt nicht nur gerecht und eine Ehrung für ihre Leistung, sondern nicht mehr als richtig! Da die Spende hiermit offiziell bestätigt wurde, sahen nun alle ein, dass es ein extra Festakt für die Kirche geben musste. Nur dem Polizisten Piotrowski passte das nicht so recht ins Konzept. Von ihm kamen eifersüchtige Einwände für all zu viel Lob an diese engagierte Familie. >>Allen recht machen kann man es eben nicht immer.<< Bemerkte Władek düster.

Dennoch freudestrahlend mit diesen Neuigkeiten, machte er sich auf den Weg nach Hause und wollte alles, brühwarm an seine Rozalia weitergeben. Sein Stolz auf sein gelungenes Projekt, für das er ja die Bauleitung übernahm, war schon berechtigt. Mehr schlitternd und schlurfend machte er den Weg vom Festplatz bis zum Fluss hinunter. Als er sein Haus schon im Dunkeln liegend vorfand, schlich er leise die Stufen hinein, am Wohnraum vorbei in das Elternschlafzimmer. Auch hier herrschte vollkommene Dunkelheit. Leise entledigte er sich seiner durch die Kälte klamm gewordenen Bekleidung und schlüpfte zu seiner Frau unter die Daunendecke. Als er Rozalias Beine vorsichtig mit seinen Füßen berührte und sie im Schlaf zusammenzuckte, merkte er erst, wie kalt seine Füße doch waren. Genüsslich kuschelte er sich an ihren Rücken und schlief den Schlaf der Gerechten.

Am Morgen beim Frühstück, als sie ihre Familie um den Tisch herum versammelt sah, bot sich der selbe traurige Anblick für die Hausfrau, wie nach jeder Feier.

Es fehlte allen an Schlaf. Nur Anna und sie schienen ausgeschlafen zu sein und nahmen einen schnellen Teller Grütze zu sich, bevor sie zu den Tieren in den kalten Stall gingen. Als sie auf den Hof hinaustraten, konnten sie zunächst nicht weiter, denn es hatte in der Nacht von neuem heftig geschneit. Die Schneewand vor ihrer Tür war fast einen halben Meter hoch aufgetürmt und es bedurfte nun Männerhände, die Schaufeln zu packen und den Weg frei zu machen. Mutter und Tochter kämpften sich durch die kniehohen Schneemassen, denn sie wollten das Vieh nicht länger unnötig warten lassen. >>Also gehen wir unser Tagwerk an! Und wenn wir fertig sind, ist vielleicht schon der Schnee im Hof weggeräumt, hofften die Frauen.<<

So unterhielten sie sich, während sie Arm in Arm weitergingen. Die Hühner gackerten aufgeregt und flatterten aufgescheucht umher, als die beiden Frauen die Stalltüre öffneten. Die Kühe brüllten, weil ihre Euter schwer waren und entleert werden wollten und beide Schweine und Pferde wollten auch ihr Frühstück. Anna strahlte vor Glück, ihre baldige Hochzeit im Blick. Rozalia schaute ihre schöne Tochter wissend von der Seite an und schmunzelte nur verstehend.

Im Haus, am Frühstückstisch, halfen nun Solanka und Emilia. Nach einem allgemeinen Dziękuje, sich für die Bereitung der Speisen bedankend, beendeten sie die Mahlzeit, standen auf und räumten den Tisch ab. Die drei Männer, Władysław, Jożef und Bolesław griffen sich anschließend die schweren Schaufeln und gingen nach draußen.

Julian ging in seine Stube hinauf, gefolgt von Edek und Piotr, um sich für den Kirchgang fertig zu machen. Die Jüngsten kamen als erste wieder herunter. Fein gestriegelt erschienen sie nun in der warmen Küche, in die eben gerade ihr Vater und ihre Brüder vom Schnee- schaufeln wiederkamen, sich die roten Hände rieben und vor Kälte zitterten. Keine Minute später ging die schwere Holztür erneut auf und die beiden Frauen kamen hereingestürmt und taten Gleiches.

Alle bestätigten, dass dies ein sehr frostiger Tag sei und der Kirchgang heute eine Schlitterpartie werden würde. Trotzdem musste es sein. Die feineren Kleidungsstücke wurden nach der Körperreinigung mit Sorgfalt angelegt. Die Herren in weißen Hemden und dunklen Anzügen, einen groben, wollenen schwarzen Mantel darüber. Die Militärdienst Leistenden durften ihre wollenen Uniformen und Mäntel tragen. Nur keine Waffen durften mit ins Gotteshaus genommen werden. Das war streng verboten.

Als sich alle fein genug vorkamen, wurden die Gummigaloschen über die Schuhe gezogen und die Frauen banden ihre Kopftücher fester um den Kopf als gewöhnlich. Die wenigen Minuten bis zur Kirche kamen ihnen heute sehr lange vor, denn der Weg war beschwerlich. Gesprochen wurde unterwegs wenig. Hauptsächlich über das Resultat der Besprechung vom letzten Abend, über die Arbeiten, die im Stall zu tun waren und, dass es in der Nacht ein Fuchs wohl geschafft hatte, eines ihrer Hühner zu erbeuten.

Also musste der Hühnerstall gesäubert und vor diesem Räuber gesichert werden. Denn auch wenn es ihnen im Moment wirtschaftlich an nichts fehlte, so durfte der Leichtsinn doch nicht einkehren. Es wurde nicht geduldet, dass sich der Nutztierbestand verringerte, ohne dass man davon selbst einen Nutzen erfuhr. Darauf war man in einer Bauernfamilie dringend angewiesen. Genauso wie auf den Anbau von verschiedenen Getreide und Gemüsearten und das Sammeln dessen, was die Natur so großzügig verschenkte. Der Lebensunterhalt war gesichert, solange diese Dinge sich im Gleichgewicht bewegten.

Deshalb war es auch bei einem vernünftigen Bauern nicht angesagt, in großem Stil eine Monokultur zu betreiben, denn diese würde das Gleichgewicht der Natur erheblich schädigen. Für einen klugen Menschen käme so etwas nicht in Betracht und grenzte an Selbstzerstörung. Damit das Gleichgewicht erhalten blieb, hatte jeder seinen Beitrag zu leisten. Wie das werden sollte, wenn gleich drei Kinder heirateten und Julian dann auch noch beim Militär bliebe, darüber wollten sie sich im Moment keine Gedanken machen. Kommt Zeit, kommt Rat. Das Leben musste man nehmen, wie es der Herrgott einem einrichtete. Brachte es Schlechtes oder Gutes? Egal was es brachte. Es musste demütig angenommen und ertragen werden. So wurden sie erzogen und so schien es seine Ordnung zu haben.

Die Ordnung brach nicht gleich zusammen, als Jożef und Solanka im März dieses Jahres heirateten. Beide bauten sich zunächst auf einem bescheidenen Grundstück von Solankas Familie ein kleines Holzhaus. Hier halfen wieder die Familienangehörigen beider Familien. Die Hochzeitsgeschenke fielen so aus, dass der junge Hausstand begründet werden konnte. Mit ein paar Hühnern, Gänsen, einem Schwein, einer Kuh und einem Pferd mit Wagen sollten die beiden Frischvermählten versuchen, sich ihr Leben aufzubauen. Immerhin verdiente Jożef seinen Sold beim Militär und radelte nun sehr früh an jedem Morgen zur Kaserne nach Lubartow.

Hier traf er auch seine beiden Brüder und den zukünftigen Schwager, mit dem alle sich durchaus gut verstanden. Gerne erinnerten sie sich in ihren Gesprächen der vergangenen Hochzeitsfeier. Drei volle Tage und Nächte dauerte diese und wurde mit allen polnischen Traditionen eine der schönsten Hochzeiten des Dorfes, die seit langem gefeiert wurde. Immer wenn sie davon schwärmten, ließen Bolek und Marian durchklingen, dass sie auch gerne schon in den Genuss kämen, ihre Angebeteten als ihre Ehefrauen zu betrachten. Doch man musste warten und das Nötige für die nächste Hochzeit erst erwirtschaften. Denn so eine traditionelle Hochzeit kostet viel Geld. Und so einträglich ist der Sold eines Soldaten nicht. Auch wenn er, wie bei den Dreien schon an Leutnants, und nicht nur an „Soldaten“ ausgezahlt wurde. Es fiel ihnen schwer auf ihren großen Tag zu warten und sie beneideten ihren großen Bruder sehr um sein Glück mit Solanka.

Piotr, der Zwangsarbeiter

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