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Geschichte

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der Stadt der drei Namen

Prähistorische Zeit – erste Siedlungsspuren

Wann sich die ersten Menschen rund um den Bosporus aufhielten und ansiedelten ist eine Frage, die sich, nicht zuletzt aufgrund der heutigen Baudichte Istanbuls, nur schwer beantworten lässt; doch zeigen einzelne Fundstätten, dass sich schon sehr früh Menschen am Übergang von Asien zu Europa aufhielten. Beispiel hierfür ist die Yarımburgaz-Höhle etwa 1,5 Kilometer nördlich vom Küçükçekmece-See, die heute als eine der wichtigsten Höhlen für die Forschungsarbeiten der mittelpleistozänen Archäologie und Paläontologie im nördlichen Mittelmeerraum gilt. Seit den 1960er Jahren fanden hier mehrere Untersuchungen und Ausgrabungen verschiedener Wissenschaftler statt. Sie besteht aus einer oberen und einer etwa 600 Meter langen unteren Höhle, in der sich am Eingangsbereich etwa 400 000 Jahre alte altpaläolithische Ablagerungen befinden. Bei den Untersuchungen hat sich gezeigt, dass hier Bären überwinterten (der Deninger-Höhlenbär, Ursus deningeri, und der Braunbär, Ursus arctos). Es wurden zwar keine Knochen von Menschen gefunden, doch aufgrund von Steinabschlägen wird angenommen, dass während des Sommers eine kleine Gruppe von Menschen die Höhle nutzte. Bei Ausgrabungen in der Nähe von Dudullu fanden Archäologen Werkzeuge aus dem Altpaläolithikum, und bei Ağaçlı nördlich von Istanbul fand man Werkzeuge aus dem Mittel- und Jungpaläolithikum (300 000–40 000 Jahre alt).


Wo einst der Höhlenbär seine Winterlager aufschlug, untersuchen heute Archäologen Spuren früher Menschheitsgeschichte.

Im oberen Abschnitt der Yarımburgaz-Höhle liegen Siedlungsschichten, die in die Jungsteinzeit (Neolithikum) bis Kupfersteinzeit (Chalkolithikum) datieren, wobei die Keramik des Chalkolithikums hier große Ähnlichkeiten mit denen mitteleuropäischer Kulturen aufweist.

Weitere Spuren neolithischer und chalkolithischer Siedlungstätigkeit fanden sich am Küçükçekmece-See, der Ende der letzten Eiszeit entstand. Auf anatolischer Seite wurde während Bauarbeiten für die Bagdad-Bahnlinie 1908 der neolithische Platz Pendik entdeckt. Erste systematische Untersuchungen fanden hier unter der Leitung von Kurt Bittel und Halet Çambel in den 1950er Jahren statt. Ebenso finden sich früheste chalkolithische Ansiedlungen am Fikirtepe in Kadıköy Kurbağlıdere, mit Funden, die von 5500–3500 v. Chr. datieren. Während dieser Zeit war die Region um Istanbul durch die Lebensweise der Jäger, Sammler und Fischer geprägt.

Nachdem 2004 mit einem ehrgeizigen Tunnel-Projekt zwischen asiatischer und europäischer Seite tief unter dem Bosporus begonnen wurde, kam neues Licht in die vorgeschichtliche Vergangenheit Istanbuls. Unter dem byzantinischen Hafen, der in diesem Zuge entdeckt wurde, fand man in tiefer gelegenen Schichten steinzeitliche Gräber aus dem 7. Jt. v. Chr., die Skelette von zwei Erwachsenen und zwei Kleinkindern bargen, daneben Grabbeigaben und Körner einer domestizierten Getreidesorte. Weiter kamen bei dieser Notgrabung Urnengräber aus dem Neolithikum zutage, wovon die meisten die Asche der Toten beinhalteten. In einer Urne fand sich das Skelett eines Kindes. Die Funde sind insofern bemerkenswert, als sie nicht nur Hinweis auf frühe Siedlungstätigkeit geben, sondern auch zeigen, dass damals sehr wahrscheinlich das Marmarameer noch ein Binnensee ohne Verbindung zu den Dardanellen und zum Schwarzen Meer war. Zudem kannte die Forschung auf türkischem Boden Kremationen bisher erst aus der Bronzezeit.


In der Yarımburgaz-Höhle fanden sich bei Grabungsarbeiten Knochen von Braunbären und Deninger-Höhlenbären.

Bereits im 1. Jt. v. Chr. soll am oberen Ende des Goldenen Horns eine Siedlung existiert haben, die den Name »Semistra« trug und deren Bewohner sich später auf der Serailspitze niederließen.

Byzanz – eine Metropole entsteht

Nach den ersten Siedlungsspuren, die sich rund um den Bosporus finden, tritt die Stadt nun erstmals als »Byzantion« ins Licht der Geschichte – oder besser der Geschichtsschreibung. Freilich ranken sich anfänglich auch hier noch sagenhafte Erzählungen und Legenden um Byzantions Gründung und überragen das faktisch Fassbare. So soll zunächst ab dem 9. Jh. v. Chr. eine thrakische Siedlung mit Namen Lygos auf der Serailspitze errichtet worden sein, an derselben Stelle, wo zuvor schon der Ort Semistra gelegen haben soll. Reste dieser beiden Siedlungen sind jedoch nicht bekannt. Um 660 v. Chr. kam es dann zur Gründung der Stadt Byzantion, die, so will es die Legende, unter Führung des sagenhaften eponymen Heros Byzas aus Megara erbaut wurde. Anlass hierfür war demnach ein Orakelspruch von Delphi, der ihm nahegelegt hatte, eine neue Siedlung gegenüber der »Stadt der Blinden« zu errichten. Die Suche nach eben dieser Stadt führte ihn auf die Landzunge am Goldenen Horn, der gegenüber er Kalchedon sah (das heutigen Kadıköy). Da die dort Ansässigen ganz offensichtlich nicht die Vorzüge der Halbinsel mit ihren natürlichen Hafenplätzen erkannten und als Siedlungsplatz nutzten, sondern sich stattdessen auf der anderen Seite ansiedelten, mussten jene die im Orakel erwähnten »Blinden« sein – Kalchedon wurde von Byzas somit als »die Stadt der Blinden« identifiziert. Daraufhin gründete er an der Stelle, wo sich heute die Altstadt von Istanbul befindet, sein nach ihm benanntes Byzantion für die Bürger seiner und anderer griechischer Städte.

Wenngleich die Ausmaße der allerersten »byzantinischen« Siedlung nicht bekannt sind, so muss sie bereits früh gegen die fortwährenden Angriffe von Thrakern sowie von aus Kleinasien und über den Seeweg kommenden Widersachern befestigt worden sein. Diverse Heiligtümer lassen sich, wenn auch nicht mit letzter Sicherheit, durch verschiedene mittelalterliche Quellen lokalisieren. Demnach lag der Tempel des Apollon, der Aphrodite und der Artemis im heutigen Serail-Areal, auf der einstigen Akropolis. An der Einfahrt zum Goldenen Horn stand der Tempel des Poseidon und befand sich der Bezirk der Athena.

Schon früh scheint die Stadt einen ansehnlichen Wohlstand erreicht zu haben, wofür nicht nur die fischreichen Gewässer und der in der Antike berühmte Wein verantwortlich waren, sondern eben auch die günstige geografische Lage und die Anzahl natürlicher Buchten an der Einfahrt ins Goldene Horn; sie boten ideale Voraussetzungen zur Nutzung als Hafenanlagen. Schon im 6. und 5. Jh. v. Chr. entwickelte sich die Stadt zu einer reichen Handelsstadt mit weitreichenden Handelsbeziehungen, begünstigt durch die Lage am Bosporus, dem Nadelöhr zwischen Schwarzem Meer und Mittelmeer, und zugleich am Übergang von Asien und Europa. Diese strategisch herausragende Lage und der neugewonnene Wohlstand weckten jedoch auch schnell Begehrlichkeiten, und so wurde Byzantion schon bald in diverse kriegerische Handlungen verwickelt.

Im Jahre 512 v. Chr. überquerte der Perserkönig Darius I. (522–486 v. Chr.) im Zuge seines Skythenfeldzugs mithilfe einer Pontonbrücke den Bosporus und eroberte die Stadt. 479 v. Chr. bereitete der spartanische Feldherr Pausanias der persischen Herrschaft ein Ende und errichtete für einige Jahre hier eine Königsherrschaft, bevor er 476 v. Chr. vom Athener Kimon vertrieben wurde. Nach seiner Flucht in die Troas wurde er später in Sparta, im Tempel der Athena Chalkioikos, eingemauert, wo er eigentlich Zuflucht gesucht hatte, und wurde qualvoll zu Tote gehungert. Nach dessen Vertreibung trat Byzantion dem 1. Attischen Seebund bei, entwickelte sich bis zur Mitte des 5. Jhs. v. Chr. zu einer der reichsten Städte des Mittelmeers und begann Ende desselben Jahrhunderts mit der ersten eigenen Münzprägung. Nachdem Byzantion im August 411, wie zahlreiche andere Mitglieder, infolge der immer rücksichtsloser ausgeübten Führungsrolle Athens vom Bund abfiel, geriet es im Wechsel unter die Gewalt Spartas und Athens. Als Athen im Peloponnesischen Krieg gegen Sparta 404 v. Chr. eine schmerzliche Niederlage erfuhr, war die Auflösung des 1. Attischen Seebundes besiegelt.


Seit jeher ist der Bosporus eine der bedeutendsten Wasserstraßen weltweit.

378 v. Chr. formierte sich der 2. Attische Seebund, als Defensivbündnis gegen Sparta, bei dem der Führungsrolle Athens durch die Autonomie der Mitglieder zunächst deutliche Grenzen gesetzt waren. Als Mitglied des neuen Seebundes erhielt Byzantion einen einträglichen Anteil am Bosporuszoll, beteiligte sich jedoch ab 364 v. Chr. an mehreren Unternehmungen, die gegen Athen gerichtet waren, um seine wirtschaftliche Stellung und seine Unabhängigkeit zu bewahren. Als einige Bundesgenossen vom Seebund abgefallen waren, versuchte Athen erneut eine stärkere Führungsrolle durchzusetzen und löste damit 357 v. Chr. den sog. Bundesgenossenkrieg aus, an dem sich auch Byzantion beteiligte. Mit der Niederlage Athens endete der Krieg 355 v. Chr., und der 2. Attische Seebund wurde aufgelöst.

Im Frühjahr 340 v. Chr. begann Philipp II. (336–317 v. Chr.) von Makedonien einen Vorstoß gegen die Meerengen und bedrängte zunächst mit neuer Belagerungstechnik die mit Byzantion verbündete Polis Perinthos. Die Stadt blieb jedoch, nicht zuletzt durch Hilfe Byzantions, wehrhaft, woraufhin Philipp II. einen Überraschungsangriff auf das stark befestigte Byzantion startete, ein Unternehmen, das jedoch ebenso fehlschlug. Der weitere Belagerungskrieg gegen die Stadt brachte dem Makedonenkönig auch nicht den erhofften Erfolg, so dass er im Herbst 340 v. Chr. einen Konvoi athenischer Getreideschiffe in seine Gewalt brachte. Athen sandte daraufhin zwei Flottengeschwader ins Marmarameer, die die makedonische Flotte schlugen und ins Schwarze Meer abdrängten, woraufhin Philipp II. die Belagerung aufgab und geschlagen den Rückzug anordnen musste.

Die im 3. Jh. v. Chr. in Kleinasien einfallenden Keltenstämme, die Galater, bedrohten bei ihrem Durchzug im Jahre 279 v. Chr. auch Byzantion, ließen von einem Angriff auf die Stadt jedoch ab, nachdem ihnen hohe Tributzahlungen zugesichert wurden.

Gemeinsam mit Rom gegen Antiochos

Als im 2. und 1. Jh. v. Chr. die Römerherrschaft sich auf Kleinasien auszuweiten begann, verbündeten sich die Byzantiner mit Rom gegen Antiochos III. (223–187 v. Chr.) und später gegen Mithridates von Pontos, was von Rom mit zahlreichen Privilegien honoriert wurde und Byzantion 62 v. Chr. zur freien Stadt machte. Seine Sonderstellung verlor es erst wieder unter Vespasian (69–79 n. Chr.), bei den antirömschen Aufständen in den Ostprovinzen. Das Verhältnis zu Rom verschlechterte sich nochmals deutlich unter Kaiser Septimius Severus (193–211 n. Chr.) und brachte wohl auch deutliche Einschnitte in der Stadtentwicklung mit sich. Nach der Ermordung des Commodus brach ein heftiger Thronstreit zwischen Pescennius Niger und Septimius Severus aus. Byzantion unterstütze hierbei den später unterliegenden Pescennius Niger und wurde dafür von Septimius zweieinhalb Jahre lang belagert, geplündert, ausgehungert und am Ende seiner Selbständigkeit beraubt. Dies wog umso schwerer, da die zerstörte Stadt Teil eben jenes Reiches war, dessen Thron Septimius Severus besteigen wollte. Doch erneut begann man gezielt mit dem Wiederaufbau und der Wiederbelebung der Stadt. Nach einem Umdenken Septimius Severus’ und angeblich auf Bitten seines Sohnes Caracalla (211–217 n. Chr.) wurde die Stadt u. a. mit einer neuen Befestigungsmauer versehen und zu neuer Pracht geführt. Eine systematisch geplante, nach Süden hin erweiterte Neustadt entstand mit neuem Straßensystem und Hippodrom (Pferderennbahn) im Zentrum. Die gewaltigen Bögen der Substruktion des Hippodroms, für dessen Errichtung das Gelände mit großem Aufwand terrassiert werden musste, sind noch heute im abschüssigen Gelände zu sehen. Zudem wurden die Mauern des alten Teils wiederhergestellt und der Apollo-Tempel sowie das Theater ausgebessert, und die zeitweise »Antonia Polis« genannte Stadt wuchs auf etwa 110 Hektar an und wurde unter Caracalla noch mit weiteren Ausbesserungsarbeiten und Stiftungen bedacht; dennoch scheint die einst so prosperierende Handelsstadt deutlich an Bedeutung verloren zu haben, wie die unvollendet geblieben Zeuxipposthermen und der Hippodrom deutlich machen.


Mitten im Straßenbild noch immer sichtbar ist die Substruktion des Hippodroms, die das abfallende Gelände befestigte.

Die wiederhergestellte Befestigung schien Byzantion ausreichend Schutz geboten zu haben, um nicht von den Goten und Herulern, die zwischen 258 und 269 n. Chr. die Ägäis unsicher machten und hierbei mehrmals an der Stadt vorbeizogen, eingenommen zu werden. Nach den Thronwirren, die auf Diokletians (284–305 n. Chr.) Abdankung folgten, ging Konstantin (306–337 n. Chr.) als Sieger hervor; er schlug den letzten seiner Gegner, Licinius, auf kleinasiatischer Seite bei Chrysopolis. Byzanz kapitulierte widerstandslos.

Konstantinopel – Aufstieg zum Reichszentrum

Allen Widrigkeiten zum Trotz sollten erneut glanzvolle, wenn nicht sogar die glanzvollsten Zeiten der Stadt anbrechen. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte entwickelte sie sich zum politischen, wirtschaftlichen, geistigen und kulturellen Zentrum des Oströmischen Reiches. Auch wenn es vielleicht nicht gerade zwingend erschien, innerhalb der Grenzen des Römischen Reichs eine neue Metropole entstehen zu lassen, da es bereits mehrere »Zentren« gab, so entschied sich Kaiser Konstantin dennoch zur Schaffung eines neuen Reichszentrums an eben dieser Stelle.

Ein Grund dafür waren wohl die militärischen Schwierigkeiten in der Osthälfte des Herrschaftsgebiets. Aus dem Westen drangen immer wieder Völker ein, im Osten stellten die Perser eine Bedrohung Kleinasiens dar. Im November 323 begannen die Bauarbeiten an der zweiten Hauptstadt des Imperium Romanum, die am 11. Mai 330 feierlich als nova Roma – »neues Rom« – eingeweiht wurde und den Namen »Stadt des Konstantin« erhielt: Konstantinopel.

Dabei war die Wahl Konstantins nicht sofort auf das alte Byzanz gefallen. Zunächst hatte er die Eignung von Orten wie Kalchedon, Thessaloniki, Sofia und auch Troia/Ilion geprüft (schließlich stammte aus Troia, so der Mythos, die Gründerfamilie Roms). Die Residenz Nikomedeia seines Vorgängers Diokletian schien ihm aber letztendlich ebenso wenig geeignet wie die anderen, und so entschied er sich für die Stadt am Bosporus. Dies war der Ort, an dem die Karawanen Asiens zusammenliefen und über die engste Stelle zwischen den beiden Kontinenten Anschluss an das europäische Verkehrsnetz fanden. Schiffe, die zwischen dem Schwarzem Meer und dem Mittelmeer verkehrten, ließen sich leicht kontrollieren, und damit bestanden außergewöhnlich gute Voraussetzungen für ein neues Machtzentrum.

Ein »neues Rom« wird gegründet

Bei der Stadtgründung vollzog Konstantin (immerhin der erste römische Kaiser, der sich zum Christentum bekannte) der Überlieferung nach freilich noch ein rein »heidnisches« Zeremoniell: Mit einem Pflug schritt er die neuen Stadtgrenzen ab, um diese durch eine Ackerfurche zu kennzeichnen. In den Ritus involviert waren auch Auguren, Seher, und »heidnische« Philosophen. Doch bedenkt man, dass er das nova Roma geschaffen hatte, wird die Wahrung dieser Tradition mit seinem Bezug zum »alten Rom« verständlich; der Überlieferung nach soll auch Romulus auf diese Weise die Stadtgrenze Roms markiert haben. Zudem respektierte er die althergebrachten religiösen Traditionen – doch dürfte das nicht zuletzt auch aus taktischen Erwägungen resultiert haben, zumal ein Großteil der höheren Gesellschaft noch den alten Religionen anhing.

Die Neugründung Konstantinopels bedeutete keine komplette architektonische Neuordnung, sondern baute auf den Maßnahmen des Septimius Severus auf und führte teilweise unter diesem begonnene Projekte zu Ende. Die vorhandenen Tempel ließ Konstantin weiterhin bestehen und auch zum Teil restaurieren, wenngleich sie nun ohne Einkünfte auskommen mussten. Er ließ sogar noch zwei zusätzliche Tempel errichten. Aus allen Teilen des Römischen Reichs ließ er Reliquien herbeibringen, um die sakrale Bedeutung herauszustellen, sowie Plastiken und bildnerische Monumente ins neue Zentrum transportieren, um das Fehlen der lokalen Tradition zu kompensieren. Kostbare Statuen, etwa aus Delphi und Olympia sowie aus anderen alten Kultstätten Griechenlands, wurden herangeschafft, was den Kulturhistoriker Jacob Burckhardt im 19. Jh. zu der Äußerung veranlasste, es handelte sich »um den schändlichsten und massenhaftesten Kunstraub der ganzen Geschichte, zum Behuf der Ausschmückung einer neuen Hauptstadt.« Das Fehlen einer Kunsttradition begründet sich in der Funktion des alten Byzantion, das in erster Linie Handelsstadt war und keine größere kulturelle Bedeutung erlangte, wie dies etwa bei den zahlreichen anderen griechischen Städten der Fall gewesen ist. Somit brachte das Engagement der ersten Kaiser beim Wiederaufbau mit sich, dass Handwerker, Künstler und mit ihnen die Bautraditionen und Stile aus allen Reichsteilen nach Konstantinopel eingeführt wurden. Hier vereinigten sich infolgedessen der gesamte Formenschatz und die Handwerkskunst insbesondere des Oströmischen Reichs an einem Ort, von wo aus sie später wiederum in neuer Form weitergegeben wurden.


Während heute Istanbul dicht bebaut ist, versuchte Konstantin I. durch verschiedene Anreize die Bevölkerung des Reichs als Zuwanderer für sein »neues Rom« zu begeistern.

Zuwanderung erwünscht!

Trotz der Anknüpfung an die Baumaßnahmen des Septimius Severus scheint es durchaus gerechtfertigt zu sein, nicht einfach von einer städtebaulichen Erweiterung zu sprechen, sondern in Konstantinopel eine Neugründung zu sehen. Konstantin übernahm zwar die über Jahre gewachsenen Strukturen, jedoch erweiterte er die Stadt, die wie das Vorbild Rom auf sieben Hügeln lag, um ein Vielfaches. Nicht dass diese Ausweitung durch einen Bevölkerungszuwachs zwingend notwendig geworden wäre; Konstantin stiftete sogar Mittel für die weniger betuchte Bevölkerung als Anreiz zur Übersiedlung nach Konstantinopel und schaffte neue Privilegien (ius Italicum), um alteingesessene, angesehene Familien Roms hierherzulocken. Desweiteren wollte man Zuwanderer durch großzügige Getreidezuteilungen anziehen. Hierfür wurden extra im Hafenareal sowie im südlichen Bereich der Landzunge große Magazine für die Getreidelagerung errichtet. Als weiteres Mittel für die Darstellung der Bedeutung der Stadt nutzte er die Münzprägung, mit der sich Konstantinopel als Rom ebenbürtig präsentierte. All diese Bemühungen, die Stadtbevölkerung zu vergrößern, zeitigten jedoch zunächst eher bescheidenen Erfolg.

Das Schema des Stadtplans unterschied sich deutlich vom Rasternetz, das in der Kaiserzeit häufig der städtebaulichen Konzeption zugrunde lag. Wenngleich aufgrund der intensiven Bautätigkeit über Jahrhunderte heute keine detaillierte Aussage über den Gründungsplan mehr getroffen werden kann, so zeigt sich doch, dass die Hauptstraßen fächerförmig auseinanderliefen und über Querachsen miteinander verbunden waren. Dazwischen lagen teilweise frei bebaubare Flächen. Wichtige repräsentative oder sakrale Bauwerke bzw. Anlagen wurden an herausragenden Stellen der hügeligen Stadt errichtet. Einige bereits unter Septimius Severus begonnene Großprojekte ließ Konstantin fertigstellen, wie etwa den Hippodrom oder die Zeuxipposthermen. Die Stadtfläche wuchs auf ungefähr 6 km2 an und wurde zum Landesinneren hin mit einer neuen Mauer, deren Verlauf sich heute nur bedingt rekonstruieren lässt, befestigt. Es entstanden ein Straßennetz, eine Wasserversorgung mit Zisternen und Wasserleitungen, Hafenanlagen und Speicherbauten. Auf dem kreisförmigen Konstantinsforum mit Verwaltungsbauten und Sklavenmarkt wurde im Jahr 328 eine große, ursprünglich etwa 50 m hohe Säule aus Porphyr mit einem vergoldetem Kaiserstandbild aufgestellt, deren Reste noch heute erhalten sind. Dargestellt war der Kaiser – nackt und mit der Strahlenkrone des Apoll bekrönt. In der Basis der Säule wurden ebenso christliche wie »heidnische« Reliquien vermauert, eine Vorgehensweise, die mit dem »heidnischen« Zeremoniell des sich zum Christentum bekennenden Kaisers bei der Gründung einherging. Natürlich waren Profanbauten wie Verwaltungsgebäude oder der prunkvolle Kaiserpalast von großer baulicher repräsentativer Bedeutung, doch gelangte man in weiten Bevölkerungskreisen grundsätzlich durch die Errichtung von Sakralbauten zu höherem Ansehen. So ließ Konstantin neben der Erhaltung bestehender »heidnischer« Stätten die Kirche der Heiligen Eirene ausbauen: sein wohl als wichtigster zu wertender Bau. Sie soll die älteste Kirche von Byzanz gewesen sein, errichtet, noch bevor Konstantin in Erscheinung trat. Eine sicherlich wohlüberlegte Besonderheit war, dass der Kaiser sie nicht etwa einer heiligen Gestalt weihte, sondern dem abstrakten Gedanken eines »göttlichen Friedens«. Der Kirchenbau wurde im Laufe der Zeit mehrmals zerstört und brannte zuletzt beim Nika-Aufstand ab.

Besondere Beachtung scheint Konstantin dem Hippodrom als Ort einerseits der Unterhaltung, andererseits des Zusammentreffens von Kaiser und Volk geschenkt zu haben. Hierher ließ er zahlreiche, insbesondere aus Griechenland stammende Bildwerke schaffen und aufstellen. Ein Beispiel hierfür ist die sog. Schlangensäule aus Bronze. Sie zeigt drei ineinandergewundene Schlangen, die auf ihren Köpfen einen Dreifuß trugen. Die an der Schlacht bei Platäa 480 v. Chr. beteiligten siegreichen Griechenstädte hatten sie ursprünglich als Weihegeschenk nach Delphi gebracht.

Vom Kaiserpalast zum Hippodrom bestand ein direkter Zugang; ob dieser bereits aus der Zeit Konstantins stammt, lässt sich zwar nicht sicher sagen, ist aber denkbar. Ein heute noch hoch aufragendes, eindrucksvolles Bauwerk ist der Valens-Aquädukt (Bozdoğan Kemeri), der sich über die Istanbuler Stadtteile Sarachane und Zeyrek erstreckt. Er wurde noch unter Konstantin begonnen und 378 unter Kaiser Valens (364–378) fertig gestellt. Dieser Aquädukt war Teil eines weit verzweigten Wasserleitungssystems, über das Konstantinopel und z. T. noch das heutige Istanbul mit Trinkwasser versorgt wurde bzw. wird. Das Wasser entstammt einer Quelle ca. 20 km westlich der Stadt bei dem Dorf Mahmutbey. Heute sind noch etwa 920 m des doppelgeschossigen Bauwerks erhalten.


Der 378 fertig gestellte Valens-Aquädukt war Teil eines weit verzweigten Wasserleitungssystems.

Konstantin fand seine letzte Ruhestätte in der von ihm begonnenen und unter seinem Sohn Konstantin II. fertig gestellten Apostelkirche.

Fortführung des väterlichen Erbes

Nach Konstantins Tod am 22. Mai 337 kam es zu einer Serie von politischen Morden. Opfer waren meist männliche Verwandte Konstantins, ausgenommen seine Söhne. Sein Sohn Constantius II. (337–361) führte als sein Nachfolger – zunächst Kaiser des Oströmischen Reichs – die begonnene Bautätigkeit weiter. Er ließ die Befestigungsmauern, die erste Hagia Sophia sowie die Apostelkirche fertig stellen und begann weitere, neue Projekte, darunter die Konstantinianai-Thermen und den Konstantinianai-Palast. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurde die Wasserversorgung der Stadt ausgebaut; es wurden Zisternen errichtet und eine Fernwasserleitung gebaut, wovon der heute noch eindrucksvollste Teil der Valensaquädukt ist, eine monumentale mehrstöckige Anlage, die zwischen 368 und 373 erbaut wurde. Außerhalb der Stadt entstanden um 380 die ersten beiden Klöster, die zusammen mit einigen kleinen Kirchen im Umkreis größerer Landgüter standen.

Bei all den groß angelegten Bautätigkeiten der ersten Kaiser wurde Konstantinopel erst gegen Ende des 4. Jhs. unter Theodosius I. (379–395) ständiger Regierungssitz eines der beiden Kaiser des Römischen Reiches und dauerhaftes Zentrum. In diesen und den folgenden Jahren erhielten die noch freien Flächen entlang der Ausfallstraßen ihre architektonische Gestaltung in Form großer Hallenplätze. Noch heute sichtbare Reste dieser Anlagen sind die Substruktionen der umfangreichen Terrassierungen, die aufgrund des hügeligen Geländes notwendig waren. In diesen Jahren wurde die schon zuvor »inoffiziell« verwendete Bezeichnung »neues Rom« Bestandteil offizieller Dokumente und war damit mehr als nur eine »Ruhmesfloskel«.


Archäologische Untersuchungen im antiken Hafen Konstantinopels aus der Zeit Theodosius’ I.

Bei den Bauarbeiten am Marmara-Tunnel wurden 2005 im Stadtteil Yenikapi Reste eines Hafens und seitdem über 30 Schiffswracks gefunden. Der Hafen entstand vermutlich in der Regierungszeit Theodosius’I. Gefunden wurden auch Reste von Gebäuden aus römischer und byzantinischer Zeit, Steinanker und unzählige Amphoren, die als Transportgefäße dienten, sowie weitere Gefäße und Scherben.

Unter Theodosius II. (408–450) wurde im 5. Jh. das inzwischen dicht besiedelte Stadtgebiet nochmals auf über das Doppelte erweitert, von etwa 6 auf 14 km2, und in 14 regiones mit weiteren 322 Verwaltungseinheiten (vici) eingeteilt. Die Erweiterung machte auch den Bau einer neuen Stadtmauer notwendig. So wurde in zwei Bauabschnitten ein innerer und äußerer Landmauerring errichtet, eine Befestigungsanlage, die die Stadt zur mächtigsten Festung des zeitgenössischen Europa machte. Noch heute kennzeichnet der Mauerring mit seiner beeindruckenden Mächtigkeit die historische Altstadt.

Der Sophist Themistios konnte bereits 356 Constantius II. überzeugen, eine Schreibstube zum Kopieren klassischer Schriften einzurichten. Dies war der Grundstock für die Bibliothek, deren Bau Julian im Jahre 362 stiftete und in der auf Veranlassung von Valens sieben antiquarii angestellt wurden, welche sich um die Vergrößerung des Buchbestands sowie um den Erhalt der Bücher zu kümmern hatten. Zu einem geistigen Zentrum wurde Konstantinopel in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten dennoch nicht, obwohl 425 zudem eine Hochschule gegründet wurde, in der zunächst noch theologische Streitigkeiten die Hauptrolle spielten. 475 brannte die Bibliothek, die bis dahin einen Buchbestand von etwa 120 000 Büchern aufgebaut hatte, nieder.

Obwohl Klöster aufgrund eines Gesetzes Ende des 4. Jhs. außerhalb der Stadt angesiedelt wurden, wuchs im Laufe des 5. Jhs. die Zahl derer, die dennoch innerhalb der Stadtbefestigung errichtet wurden. So existierten bis Mitte des 6. Jhs. über 70 Klöster in der Stadt.

Nika-Aufstand und Bilderstreit

Nachdem unter Justinian I. (527–565) beim sog. »Nika-Aufstand« im Jahre 532 vermutlich Aufständische ein Großfeuer legten, welches große Teile des Stadtzentrums im Bereich um die Hagia Eirene, den Palast und das Konstantinsforum zerstörte, erfuhr Konstantinopel nochmals eine grundlegende Erneuerung. Justinian ließ die Hagia Eirene und das Sampson-Spital sowie Teile des Palasts und der Zeuxipposthermen neu errichten und baute in der Stadt und ihrer Umgebung weitere Kirchen und Klöster. Glanzpunkt dieser »Justinianischen Renaissance« ist die berühmte Hagia Sophia. In dieser Zeit erweiterte das Reich erstmalig wieder sein Staatsgebiet, und Kunst und Wissenschaft gelangten zu einer einzigartigen Blüte. Ab Mitte des 6. Jhs. wurde die Entwicklung der Hauptstadt u. a. von mehreren Pestepidemien stark gehemmt. Darüber hinaus waren im 7. Jh. die wirtschaftlichen Mittel allmählich erschöpft, und das Reich musste mehrere Gebiete einbüßen.

Das 7. und beginnende 8. Jh. waren durch zahlreiche mittelbare und unmittelbare Bedrohungen für Konstantinopel gekennzeichnet: Abwechselnd bedrohten Perser, eine avarisch-slawische Truppe, Araber und Bulgaren die Stadt von Landseite oder über See. Die Bautätigkeiten beschränkten sich in dieser Zeit naturgemäß im Wesentlichen auf die Sicherungsanlagen der Stadt. Die Stadtmauern wurden ebenso ausgebaut wie die Hafenbefestigung, wobei 717 zum ersten Mal von einer Sperrkette im Goldenen Horn die Rede ist. Die Siedlungen außerhalb der Stadt, denen bei der Versorgung Konstantinopels eine bedeutende Rolle zukam, waren zerstört und die Bevölkerung durch Epidemien stark dezimiert. Zudem entwickelte sich ein innerer Konflikt, und vieles von dem, was die vorangegangenen Jahrhunderte an Bildwerken hinterlassen hatten, ging zwischen 726 und 843 durch die ikonoklastischen Streitigkeiten (den sog. »Bilderstreit«) verloren: Im Verlauf dieser religiös-politischen Bewegung, die sich auf das Mosaische Gesetz berief, das keine Darstellung Gottes erlaubte, wurden nahezu alle Bilder Gottes und seiner Geschöpfe vernichtet.


Zahlreiche Bildwerke, wie die Fresken der Kalenderhane Camii, fielen dem Ikonoklasmus (Bilderstreit) zum Opfer. Einige davon konnten wieder restauriert werden.

Heute sind nur noch sehr wenige Bauten aus der Zeit zwischen dem 7. und 10. Jh. erhalten. Unsere Kenntnis über das Stadtbild erhalten wir hauptsächlich aus Bauvorschriften und anderweitigen Erwähnungen. Dabei zeigt sich, dass gegen Ende des 9. Jhs. offensichtlich die Bevölkerungszahl wieder deutlich angestiegen ist.

Aufbruch in ein neues Zeitalter

Als durch die Synode von 843 das Ende des Bilderstreits proklamiert wurde, begann Konstantinopel erneut aufzublühen, und es folgte das »Goldene Zeitalter« der Stadt unter den Kaisern der Makedonischen Dynastie. Zahlreiche Kirchen wurden neu ausgeschmückt, andere unter Basileios I. (867–886) wiederhergestellt und dazu noch acht weitere neu errichtet. Im Jahre 863 wurde im Magnaurapalast von Caesar Bardas eine neue Hochschule gegründet, die sich schnell zu einem Zentrum byzantinischer Bildung und Wissenschaft entwickelte. Unter Kaiser Konstantin IX. (1042–1055) und dem Patriarchen Michael I. kam es dann 1054 zur endgültigen Trennung der griechisch-orthodoxen und der römisch-katholischen Kirche. Knapp zwei Jahrzehnte später sah sich Konstantinopel jedoch bereits einem neuen Feind gegenüber: 1071 besiegten die Seldschuken unter Alp Arslan (1063–1072) die Byzantiner bei Mantzikert, nordwestlich des Vansees, und besetzten das Innere Kleinasiens. Aus innerbyzantinischen Machtkämpfen ging mit Alexios I. (1081– 1118) ein Vertreter der Komnenendynastie im Jahre 1081 als Kaiser hervor. Aufgrund des desolaten Zustands seines Heeres und der massiven Bedrohung durch normannische Einfälle von der Adriaküste her sowie Angriffen von Slawischen Völkern blieb dem Kaiser nichts anderes übrig, als die römisch-katholische Kirche (die ja ihrerseits inzwischen vom östlichen Christentum getrennt war) um Hilfe zu bitten. So ersuchte er Papst Gregor VII. (1073–1085) um Entsendung westlicher Truppen; da dieser aber eigene Machtkämpfe mit dem deutschen Kaiser auszufechten hatte, kam es nicht dazu.

Dies änderte sich nach neuerlichem Bitten von Alexios I. unter Gregors Nachfolger Urban II. (1088–1099). So kam es in Europa zu Kreuzzugsbewegungen, die die Glaubensbrüder retten und das Heilige Land von den »Ungläubigen« befreien sollten. Während des 4. Kreuzzugs fand jedoch ein Angriff auf Konstantinopel selbst statt. Die Venezianer versuchten gemeinsam mit den Kreuzfahrern einen Thronwechsel in Konstantinopel durchzusetzen, was letztendlich am Widerstand der Byzantiner scheiterte. Am 17. Juli 1203 erlag Konstantinopel nach der Belagerung von Galata ein erstes Mal und wurde besetzt. Als Kaiser wurde der von seinem Bruder Alexios III. (1195–1203) abgesetzte Kaiser Isaak II. (1203–1204) erneut inthronisiert. Er war jedoch nicht in der Lage, die vorausgegangenen Versprechungen, wie die Kirchenunion mit Rom zu veranlassen, hohe Gelder an Venedig zu zahlen oder das Kreuzfahrerheer mit 10 000 Soldaten zu unterstützen, einzuhalten.

Am 13. April 1204 wurde daraufhin die Stadt erneut erstürmt, drei Tage lang geplündert und ein wahres Blutbad angerichtet, Kunstschätze geraubt oder auch nur in blinder Zerstörungswut vernichtet. Im darauf folgenden halben Jahrhundert zerfiel die Stadt mit ihren einst prächtigen Bauwerken Stück für Stück. Die wirtschaftliche Situation verschlechterte sich deutlich, der Handel ging zurück und die Versorgung der Bevölkerung wurde schwieriger. Vom Papst bestätigt, regierte als oströmischer Kaiser nun Balduin von Flandern (1204– 1205), während die byzantinischen Kaiser ins Exil nach Nikäa gingen bzw. das Reich von Trapezunt gründeten.



Blick über die Serailspitze mit der Hagia Sophia.

Nachdem Michael VIII. Palaiologos (1261–1282) seit seinem Sieg bei Pelagonia gezielt die Umgebung Konstantinopels besetzt hatte, eroberte er 1261 die Stadt, die er nahezu unverteidigt vorfand. Die Quartiere der Lateiner am Goldenen Horn wurden niedergebrannt, und der Kaiser und die lateinische Bevölkerung ergriffen die Flucht. Im Folgenden wurden die Befestigungsmauern erneuert, dann die Paläste, Kirchen und Klöster instandgesetzt und die wiedergewonnene, inzwischen fast leere Hauptstadt wieder bevölkert.

Ende des 13. Jhs. nahm eine Serie von Klosterstiftungen durch Adelsfamilien und Angehörige des Kaisers ihren Anfang. Bestehende Klöster wurden erneuert und dem Baustil der Zeit angepasst. Ab dem frühen 14. Jh. spielten die italienischen Kaufleute die Hauptrolle im Schwarzmeerhandel. Die 1267 von den Genuesern gegründete Stadt Pera, nördlich des Goldenen Horns, erreichte im Vergleich zu Konstantinopel das Vielfache an Zolleinnahmen, und sie wurde immer bedeutender für die Lebensmittelversorgung der Hauptstadt. Das letzte Jahrhundert byzantinischer Herrschaft in Konstantinopel war angebrochen.

Mehmet ante Portas – Übernahme durch die Osmanen

Bürgerkriege, verheerende Erdbeben und Pestepidemien machten der Stadt schwer zu schaffen. Das alte Stadtzentrum war derweil größtenteils zerfallen. Versuche zur Erhaltung (wie etwa die Reparatur der eingestürzten Kuppel der Hagia Sophia Mitte des 14. Jhs.) waren mit eigenen Mitteln gar nicht mehr realisierbar. Zahlreiche Gebäude waren nur noch Holzkonstruktionen, die Bebauung glich einer Ansammlung kleiner Dörfer innerhalb der alten Stadtmauern.

Der Druck des sehr rasch expandierenden Osmanischen Reichs wurde gegen Ende des 14. Jhs. immer größer. Im Inneren Anatoliens war unter Osman (1288–1326) aus dem zusammengebrochenen Sultanat der Rum-Seldschuken eine neue Herrschaft hervorgegangen. Bereits dessen Sohn Orhan (1326–1359) wagte einen, wenngleich erfolglosen, Angriff auf Konstantinopel und gab seinem Sohn Murad I. (1359– 1389) den offiziellen Befehl sich auf europäischem Boden festzusetzen. Murad baute Adrianopel – das heutige Edirne – nach seiner Eroberung zur Residenz aus, wodurch sich das Gebiet von Konstantinopel mehr und mehr bis auf das eigentliche Stadtgebiet verkleinerte und nur noch über den Seeweg erreichbar war.

1402 drang der Mongolenkhan Timur Lenk in das von den Osmanen eroberte Gebiet und schlug Beyazıt I. (1389– 1402) bei Ankara. Nachdem dieser in Gefangenschaft starb, tobten zehn Jahre lang Thronfolgekämpfe unter seinen Söhnen, aus denen Mehmed I. (1413–1421) 1413 als neuer Sultan hervorging. Nach einer kurzen Erholung Konstantinopels dezimierte 1435 erneut die Pest weite Teile der Bevölkerung, und der Kaiser bat ein letztes Mal das katholische Abendland um Hilfe gegen die drohenden Türken, woraufhin Revolten in der Stadt ausbrachen. Zum zweiten Mal bestieg im Jahre 1451 Mehmed II. (1444–1446 und 1451– 1481) in Edirne den Thron des Sultans, und er machte sich unmittelbar daran, Konstantinopel zu erobern. Gegenüber der Festung Anadolu Hisarı ließ er die Sperrfeste Rumeli Hisarı errichten und konnte nun die Schifffahrt auf dem Bosporus komplett blockieren. 1453 zog er mit einem großen Heer gegen die Stadt, die sich zwar noch einige Zeit zu wehren imstande war, dann aber am 29. Mai 1453 fiel. Nach der Eroberung wurde die Stadt, die sich nicht ergeben hatte, für drei Tage zur Plünderung freigegeben.

Istanbul – die osmanische Ära

Mit dem Einzug von Mehmed II., dem man nun den Beinamen Fâtih, »der Eroberer«, gab, begann ein neuer Abschnitt der Stadtgeschichte. Die Stadt wurde Residenz der osmanischen Sultane und erhielt den Namen »Istanbul« (vermutlich gebildet aus dem griechischen is tin pólis = »in die Stadt«, »zur Stadt hin«) und wurde im Abendland nun »Stambul« genannt. Alle Sultane haben seit Mehmed II. von Istanbul aus das Reich regiert und wurden auch dort bestattet.

Um die Stadt wieder zu bevölkern, ließ der Sultan in den Jahren nach der Eroberung zahlreiche Kriegsgefangene und Zwangsumsiedler von seinen Feldzügen aus Kleinasien, Serbien, Makedonien und den Ägäischen Inseln hineinbringen. Diese wurden als geschlossene ethnische Gruppen in Quartieren angesiedelt, was sich noch heute in einigen Namen von Straßen oder Stadtvierteln widerspiegelt. Ab 1459 wurde auch den vertriebenen Einwohnern die Rückkehr gestattet, jedoch flohen viele der zwangsweise angesiedelten Einwohner wieder, und zudem rafften zwischen 1455 und 1472 weitere Pestepidemien zahlreiche Bürger hinweg. Dennoch stieg die Zahl der Einwohner (im Wesentlichen Türken, Griechen, Franken, Armenier und Juden) bis 1480 auf geschätzte 65 000–85 000 an.

Blüte der Architektur

Zwei große Palastanlagen ließ Mehmed II. errichten; den sog. Alten Palast (Eski Saray), der sich heute unter der Universität und unter der Süleymaniye befindet, sowie 1458 den Neuen Palast (Yeni Saray), später Topkapı Sarayı genannt. Die altehrwürdige Hagia Sophia wurde zur wichtigsten Moschee der Stadt umgewandelt, und die Apostelkirche war nun Amtssitz des Patriarchen. Auch viele kleinere Kirchen wurden zu Moscheen umgebaut und weitere Gotteshäuser in den türkischen Stadtbezirken errichtet. Schon bald nach 1453 wurde die Wasserleitung erneuert, die nun die größeren Moscheen, den Palast sowie Bäder und Brunnen mit Frischwasser versorgte. Am Platz der bei einem Erdbeben zusammengestürzten Apostelkirche entstand zwischen 1463 und 1470 die Fâtih Camii, mit 16 Medresen und weiteren Stiftungsbauten einer der bedeutendsten Baukomplexe Mehmeds. Damit begründete er eine Tradition, der sich seine Nachfolger verpflichtet sahen, und so prägen heute im Wesentlichen die großen Sultansmoscheen und -stiftungen die Silhouette Istanbuls.

Sein Nachfolger Beyazıt II. (1481–1512) setzte die Umsiedelungspolitik Mehmeds II. fort. 1509 fielen erneut zahlreiche Bauwerke einem starken Erdbeben zum Opfer, wobei insbesondere die Stadtmauern beschädigt wurden. Unter Selim I. (1512–1520) wurde Konstantinopel nach der Eroberung von Syrien und Ägypten Sitz des Kalifats und Metropole der islamischen Welt. Unter seinem Sohn Süleyman I. (1520–1566), genannt der Prächtige, gedieh in der Stadt eine zuvor unvorstellbare architektonische und künstlerische Blüte. Den markantesten baulichen Akzent setzt wohl der nach ihm benannte Moscheenkomplex mit seinen 4 Minaretten. Möglich wurden die umfangreichen Bautätigkeiten durch steigende Staatseinnahmen und v. a. durch die Beute aus den Eroberungsfeldzügen Anfang des 16. Jhs. Mehrere große Moscheenkomplexe entstanden in dieser Zeit, und für viele davon ist der bedeutendste zeitgenössische Baumeister Sinan verantwortlich. So entstanden binnen kurzer Zeit die Sultan Selim-Moschee (1520–1526), die Şehzade-Moschee (1543–1548) und die Süleymaniye (1550–1557). Daneben entstanden noch weitere Moscheen als Stiftungen der Gattin und Tochter des Herrschers sowie der Wesire. Die Bedeutung dieser Bauten geht über das Sakrale weit hinaus, dienten sie doch auch der sozialen und geistigen Fürsorge, meist verbunden mit Armenküchen.


Minirock und traditionelles Kunsthandwerk: nirgends scheinen der »Orient« und der »Okzident« so nah beieinander zu sein wie in Istanbul – und dies nicht nur geografisch.

Dies war die Zeit der Osmanischen Klassik, in der die schönen Künste zur Vollendung gelangten und im Inneren des Reichs Frieden herrschte. Das Reich reichte von Belgrad bis nach Täbris und von der Krim bis zum Jemen, einschließlich Ägyptens und Nordafrikas. Während seine Nachfolger Selim II. (1566–1574) und Murad III. (1574–1595) diese intensive Bautätigkeit noch weiter fortführten, kam es gegen Ende des 16. Jhs. allmählich zu finanziellen Schwierigkeiten, und so blieb etwa die Yeni Valide-Moschee, begonnen 1597, unvollendet. Eine der Ausnahmen war die Sultan Ahmed-Moschee (die sog. Blaue Moschee), die von Ahmed I. (1603–1617) in Auftrag gegeben wurde und überaus reich ausgestattet wurde.

Die »Tulpenzeit« und das Ende der Osmanischen Klassik

Im Laufe des 17. Jhs. machten sich die ersten Verfallserscheinungen bemerkbar; den Sultanen entglitt mehr und mehr die Macht, die nun zunehmend in den Händen ihrer Mütter, der Wesire und des Militärs lag. Eine verkünstelte Lebensart nach strengen protokollarischen Regeln kennzeichnete inzwischen den Hof.

In der sog. »Tulpenzeit« unter Sultan Ahmed III. (1703– 1730) gab es nochmals eine letzte glanzvolle Zeit für die Stadt, doch in der Zeit nach Napoleon entwickelte sich ein nationalstaatliches Gedankengut, und zahlreiche Bürger erhoben sich gegen die osmanische Herrschaft. Im 19. Jh. orientierte man sich zwischenzeitlich in vielerlei Hinsicht am westlichen Europa, was sich an vielen Neubauten dieser Zeit ablesen lässt. So unterscheidet sich der Dolmabahçe-Palast von 1856, mit Pomp aus Kristall und Marmor, komplett vom Konzept der alten Serailarchitektur. Selbst gotische Elemente wurden nun verarbeitet, etwa in der 1871 erbauten Valide-Moschee. Die »Lust am Bauen« war aber auch bei den folgenden und zugleich letzten Sultanen ungebrochen, und so entstanden am Ende der osmanischen Epoche nochmals zahlreiche Paläste, die einzelne Viertel prägen sollten.

Die Kemalsche Wende

Nach der Neugründung durch Konstantin und der Eroberung durch Mehmed II. Fâtih kam es 1923 zur dritten historischen Wende für die Stadt. 1600 Jahre lang war Konstantinopel Hauptstadt eines Kaiserreichs. Mehr als eineinhalb Jahrtausende lang wurden die Geschicke des Reichs vom Bosporus aus gelenkt. Dies änderte sich schon bald nach dem Ersten Weltkrieg. Nach Abzug der alliierten Truppen schien sich im Zuge der von Mustafa Kemal Atatürk (1881–1938) initiierten Staatsumwälzung dieser Ort mit all seiner Vergangenheit nicht mehr als Verwaltungszentrum einer neugegründeten modernen Republik zu eignen. Neuer Regierungssitz wurde das im anatolischen Hochland gelegene Ankara. Heute ist Istanbul eine pulsierende Metropole, die anatolische Tradition mit dem Habitus westeuropäischer Gesellschaften vereint.


Wer zur »falschen Zeit« nach Istanbul kommt … Restaurierungsarbeiten an den Denkmälern gehören mit zu den Aufgaben der Stadt (hier die Konstantinssäule).

Europäische Kulturhauptstadt 2010

Nach seiner langen wechselvollen Geschichte erfuhr Istanbul im November 2006 eine ganz besondere Anerkennung, als es von der Europäischen Union zur Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 2010 ernannt wurde. Möglich geworden war dies durch einen im Jahre 2000 gefassten Beschluss, die Nominierung auch auf Nichtmitglieder der EU zu erweitern. Dies zeigt nicht zuletzt, welche Bedeutung der türkischen Metropole, die immerhin zu 97 Prozent auf europäischem Boden liegt, insbesondere in kultureller Hinsicht beigemessen wird. Auch wenn heute nicht zu übersehende Probleme der Stadt zum Teil heftig zusetzen, wie etwa die seit Jahrzehnten stattfindende Zuwanderung und ein entsprechend rasantes Bevölkerungswachstum, große Verkehrs- und Umweltprobleme, soziale Spannungen und verbreitete Armut – ihre Geschichte, die mit jedem Schritt fassbar ist und zugleich das Tempo, mit dem diese Weltstadt gen Zukunft schreitet, wecken weltweit Interesse und machen sie zu einem beliebten touristischen Ziel. Doch vielleicht sind es auch gerade die teils krassen Gegensätze, die dieses faszinierende Bild zeichnen. Einerseits wuchern die Gecekondus, die »über Nacht gebauten« Häuser der jenseits der Sonnenseite Lebenden, andererseits wachsen immer mehr der protzigen Glaspaläste großer Banken und Konzerne in die Höhe. Während die Schere zwischen Arm und Reich zu den eindeutig negativen Erscheinungen zu zählen ist, erzeugen andere, vielleicht auch nur vermeintliche Gegensätze, eine positive Spannung. So gehören Minirock und Kopftuch heute gleichermaßen zum Straßenbild der scheinbar nie schlafenden Stadt, wie türkische Folklore und internationale Chartstürmer in den Clubs. Junge, kreative und aufstrebende Künstler – ob Musiker, Schauspieler, bildende Künstler oder Modeschöpfer – sind schon vor langem eine Verbindung mit Westeuropa eingegangen, ohne dabei die eigenen Wurzeln aufgegeben zu haben, und können gewissermaßen als Botschafter der Kultur(haupt)stadt gelten. Die räumliche Trennung zwischen Asien und Europa wurde in Istanbul ohnehin schon längst überwunden; geradezu symbolischen Charakter hat hierfür die 1. Bosporusbrücke (türk. 1. Boğaz Köprüsü), die als eine Meisterleistung architektonischer Kunst seit 1973 den Bosporus überspannt und täglich von ungefähr 180 000 Fahrzeugen passiert wird.


Die 1. Bosporusbrücke überspannt den Bosporus auf einer Länge von gut 1500 m und wurde nach dreijähriger Bauzeit 1973 zum 50. Jahrestag der Republik Türkei eröffnet.


Byzanz – Konstantinopel – Istanbul

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