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Mittwoch

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Hauptkommissar Keller saß an seinem Schreibtisch und bemühte sich erfolgreich, einen miese­petrigen Eindruck zu machen. Es musste ihn ziemlich viel Mühe kosten, das Klischee vom griesgrämigen Kommissar zu kultivieren: schlecht gekleidet, schlecht rasiert, schlecht gelaunt. Jeder hat halt so seine Ticks.

Keller war Mitte fünfzig, hager, mit scharf geschnittenen Gesichtszügen. Auf seine Art ein attraktiver Mann. Neuer­dings trug er sein dichtes, graues Haar ganz kurz. Wenn er wollte, konnte er durchaus charmant sein. Meistens wollte er nicht. Heute schon gar nicht.

»Sie schon wieder«, brummte er.

Mein Verhältnis zu Keller war nicht eindeutig. Wir waren uns berufsbedingt bei ein paar Fällen über den Weg gelau­fen und hatten uns halbwegs vertragen. Ich hatte sogar den leisen Verdacht, dass er mich ganz gut leiden konnte.

»Ich habe Sie doch nicht etwa aus Ihrem Beamtenschlaf geweckt?«, fragte ich so munter, wie es mir um diese Zeit möglich war.

»Sie haben mir einen schönen Mist eingebrockt«, knurrte Keller und linste über den Rand seiner Lesebrille zu mir.

Er schaute noch zerknautschter aus als sonst und kaute schon am frühen Morgen auf einem Zigarillo herum. Kein gutes Zeichen.

»Eine glasklare Geschichte. Aber ich muss meine Zeit verschwenden mit Vernehmungen und Protokollen«, schimpfte er. »Und warum?«

»Weil ich Sie irritiert habe?«, schlug ich vor.

»Weil Sie eine gottverdammte Eingebung hatten!«

»Na, dann will ich euch doch gerne an meinen göttlichen Eingebungen teilhaben lassen«, grinste ich.

Keller nahm mein Gequassel nicht ernst, aber sein Assis­tent sprang natürlich prompt an. Bergers Haltung zu mir war wenigstens klar. Er mochte mich ganz entschieden nicht. Das beruhte freilich auf Gegenseitigkeit.

»Dillinger, Ihre Meinung interessiert hier überhaupt nicht!«, herrschte er mich an.

So, so. Ein bloßes »Dillinger«, ohne ein »Herr« davor, wie das unter gebildeten und gesitteten Menschen üblich ist. Gut, Keller sprach mich auch so an. Aber Berger war nicht Keller.

»Ein Kerl muss eine Meinung haben, Bergerchen«, sagte ich ganz freundlich. »Haben Sie auch eine Meinung?«

»Von Ihnen schon!«, giftete er. »Sie sind nichts weiter als ein Klugscheißer.«

Hm. Darüber könnte man diskutieren. Aber nicht jetzt. Und nicht mit Berger.

Der Kerl war nur neidisch. Er war etwa so alt wie ich, sah aber lange nicht so gut aus. Klein und dick war er, mit strähnigen Haaren, seine Brille rutschte ihm ständig auf die Nase und das Hemd aus der Hose. Sie gaben ein göttliches Bild ab, er und Keller, wenn sie gemeinsam durch die Stadt trot­teten.

»Und überhaupt, Chef«, sagte Berger zu Keller, »weiß ich nicht, was der Dillinger hier zu suchen hat.«

»Schon vergessen, Herr Berger«, sagte ich, wobei ich das »Herr« betonte, »dass der Dillinger so was wie ein Zeuge ist? Ich habe den Toten schließlich gefunden. Ich muss doch das Protokoll unterschreiben, das Sie sicher schon fertig haben. Aber bitte ohne Tippfehler diesmal.«

Berger starrte mich wütend an. Er war ja so leicht auf die Palme zu bringen.

»Fertig jetzt?«, fragte Keller ungerührt. »Dann zu den Fakten. Todeszeitpunkt ist klar, zwischen acht und zehn Uhr, genauer lässt er sich im Moment nicht eingrenzen. Wunde am Hinterkopf. Bei der eigentlichen Todesursache will sich die Gerichtsmedizin im Moment noch nicht ein­deutig festlegen. Vielleicht ein Schlag auf den Schädel, möglicherweise eine Folge des Sturzes, von was immer der ausgelöst wurde.«

»Was gefunden?«

Er schüttelte den Kopf.

»Noch nichts. Wenigstens nichts, was als mögliche Tat­waffe in Betracht käme. Blutspuren am Rand der Luke, durch die er gefallen ist. Wahrscheinlich hat er sich beim Sturz angeschlagen.«

»Irgendeine Theorie?«

»Das Geländer oben auf dem Heuboden ist morsch. Vielleicht hat er sich dagegengelehnt, vielleicht ist er aus­gerutscht.«

»Oder er ist dagegengesprungen«, gab ich zu bedenken.

Berger mischte sich ein: »Ein als Unfall kaschierter Selbstmord? Wozu das denn?«

»Doppelte Versicherungssumme bei Unfall. Reine Fürsorge. Man tut ja alles für seine Lieben«, sagte ich.

»Das ist doch Blödsinn!«, fuhr Berger auf. »Dillinger, Sie haben eine krankhafte Phantasie!«

»Ei forbibbsch! Wänn’s um dä Mäbbse gäht!«, sagte ich spöttisch.

Berger lief rot an. Er war ein Wendeimport aus Sachsen, der sich krampfhaft bemühte, hochdeutsch zu reden. Ein aussichtsloses Unterfangen. Er mochte es gar nicht, wenn man ihn damit hänselte.

Keller wiegte bedächtig den Kopf.

»Ko scho sei«, sagte er. »Älles scho do gwest.«

Er war auch nicht von hier. Aber als Schwabe von der Ostalb, sozusagen als landsmannschaftlicher Vetter, hatte er einen Bonus. Außerdem: Er konnte Hochdeutsch. Und sprach es auch meist.

Er wechselte wieder in die Amtssprache. »Wir können derzeit jedenfalls kein Verdachtsmoment ausschließen.«

Das Wort »Verdachtsmoment« hörte ich gerne. Es be­deutete, dass der Kommissar die Akte noch nicht geschlos­sen hatte.

»Was weiß man über den Tathergang?«, fragte ich.

»Vorerst gibt es noch keinen Tathergang, sondern nur einen Todesfall, dessen Ursache wir untersuchen«, belehrte er mich.

»Es war ein Unfall, nichts weiter«, sagte Berger.

»Das glaube ich vorerst mal noch nicht«, erwiderte ich.

»Und warum nicht?«, wollte Berger wissen.

»Sagt mir mein Gefühl.«

»Pah!« Berger plusterte seine Pausbäckchen auf. »Ge­fühl!«

»Mit dem Wort können Sie nichts anfangen, gell?«

Keller bot mir seine Thermoskanne an. Ich lehnte dan­kend ab. Wenn ich etwas hasse, dann ist es Kamillentee. Keine Ahnung, weshalb er den trank. Vielleicht half er bei der Ausnüchterung.

Keller konsultierte seine Notizen.

»Also zum Hergang. Gesehen oder gehört hat natür­lich niemand etwas. Die Nachbarn waren im Stall oder sonst wo beschäftigt. Ach ja, der Viehhändler war im Dorf, ein gewisser …« Er blätterte in seinen Unterlagen. »… ein gewisser Norbert Czichon. Der war übrigens auch bei Huber. Er hat ihn im Stall nicht gefunden, hat am Haus geläutet, aber keiner hat aufgemacht. Dann ist er wieder gegangen.«

»Sagt er.«

»Sagt er. Irgendwelche Zweifel?«

»Es kommt mir seltsam vor. Ich habe ja auch in der Scheune nachgeschaut, als ich Huber nirgends gefunden habe.«

Keller dachte nach. »Vielleicht hatte er es eilig. Vielleicht war es ihm nicht so wichtig. Er kommt ja regelmäßig vor­bei. Und er hatte keinen festen Termin mit Huber.«

»Wann war er bei Huber?«

»Nach seiner Aussage zwischen neun Uhr und halb zehn. Genauer weiß er’s nicht.«

»Da war Huber vermutlich schon tot. Hat den Vieh­händler jemand gesehen?«

»Im Dorf ja, bei Huber nein.«

»Was ist mit der Frau und dem Sohn?«

»Alle drei waren wie üblich im Stall. Von sechs bis etwa halb acht. Danach haben sie gemeinsam gefrühstückt. Wie jeden Morgen. Frau und Sohn haben sich umgezogen und sind gegen halb neun nach Schwäbisch Hall gefah­ren. Einkaufen. Huber ging nicht mit. Was er auf dem Hof vorhatte, wussten sie nicht. Sie haben ihn zuletzt gesehen, als er in die Scheune ging. Er wollte Heu hinunterwerfen. Sagen sie.«

»Wozu er aber nicht mehr kam.«

»Richtig. Auf dem Scheunenboden lag kein Heu.«

»Das grenzt den Todeszeitpunkt zumindest ein, wenn die Hubers um halb neun weggefahren sind.«

Keller schüttelte den Kopf.

»Seit dem Frühstück haben sie den Huber nicht mehr ge­sehen.«

Ich blieb hartnäckig.

»Andersherum: Es könnte gleich nach dem Frühstück passiert sein, weil er nicht mehr dazu kam, das Heu hinun­terzuwerfen.«

»Muss nicht so sein. Wer weiß, was er sonst noch getan hat?«

»Was ist mit einem Motiv?«

»Das einzige Motiv, das ich bisher sehe, haben Sie ins Spiel gebracht. Das mit der Lebensversicherung hat mich stutzig gemacht. Kommt es häufiger vor, dass die Ehefrau als Begünstigte gestrichen wird?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Habe ich noch nie erlebt. Außer nach einer Scheidung.«

»Stand da bei den Hubers etwas an?«

»Keine Ahnung. Aber besonders mitgenommen haben Frau und Sohn auf mich nicht gewirkt.«

Ich erzählte von meinem kurzen Gespräch mit den so eigenartig gefassten Hinterbliebenen. Mein Eindruck deckte sich mit dem von Keller.

»Haben Sie die Hubers danach gefragt?«, wollte ich wissen.

Keller tat unschuldig: »Noch nicht.«

Ich merkte, worauf es hinauslief.

»Haben Sie sich im Dorf schon umgehört?«, fragte Kel­ler nun mich wie beiläufig.

Nun spannte es auch Berger.

»Chef, das ist aber nicht in Ordnung, dass der Dillinger sich da einmischt!«, protestierte er.

Keller und ich schauten uns an. Kellers Gesicht war un­durchdringlich, ich grinste.

»Rein professionell, Berger«, sagte ich. »Schließlich geht es um meine Versicherung.«

»Gudden Daach, de Härrn«, verabschiedete ich mich in meinem besten Sächsisch. Es war genauso grauenhaft wie Bergers Hochdeutsch.

***

Im Büro duftete es nach Räucherstäbchen. Sonja legte die Handflächen aneinander und verbeugte sich.

»Namaste«, sagte sie.

Meine Partnerin sah umwerfend aus wie immer. Ich hätte mich jeden Morgen neu in sie verlieben können. Mit ihren zweiunddreißig Jahren hatte sie auch genau das richtige Alter dazu. Sie war einfach zum Anbeißen. Ein geschmeidiger, sportlicher Körper. Außerdem war sie blitz­gescheit, ungeheuer tüchtig, ausnehmend hübsch und lei­der unbelehrbar lesbisch.

War vielleicht besser so fürs Betriebsklima.

Sonja war derzeit auf dem Indientrip. Das war so, seit sie im hiesigen »Indian Forum« eine Ayurveda-Behandlung ausprobiert und dabei ein nettes Mädchen kennengelernt hatte. Tatsächlich, das gibt es in Schwäbisch Hall, ein »Indian Forum«. Sogar mit echten Indern, Restaurant, Yoga, Ayurveda und diesem ganzen Zeugs. Wir sind halt weltläufig, wir Hohenloher.

Seitdem trug sie im Büro einen seidigen Hauch von Etwas. Türkisfarbene Pluderhosen, darüber eine Art ge­schlitzten Rock. Ein enges, kurzärmeliges Oberteil aus demselben Stoff, das den Bauch frei ließ, einen flachen, harten Bauch übrigens. Sie sah aus wie eine Tempeltän­zerin.

Es stand ihr gut.

Sie hatte schon die Zen-Phase hinter sich mit ausgiebi­gen Meditationen, einen Rückfall in die Hippie-Ära mit wallenden Gewändern und Zöpfchen im Haar und ebenso die vegane Periode, die mich allerdings zutiefst verstört hatte: Wie kann man von Gemüse allein glücklich werden?

Irgendwie war das alles hormongesteuert und hing mit ihren jeweiligen Partnerinnen zusammen.

Das war schon in Ordnung so. Nur hatte sie sich dies­mal die falsche Jahreszeit ausgesucht. Wir mussten die Hei­zung schon ganz schön hochdrehen. Hoffentlich legte sich dieser Fimmel wieder, bis der Winter kam.

Ich erzählte ihr von Huber. Sie hatte schon die kurze Notiz in der Zeitung gelesen, ohne zu wissen, dass es uns betraf. Natürlich war kein Name genannt worden.

Normalerweise hätte sich Sonja jetzt an den ganzen For­mularkrieg gemacht. Zuverlässig und schnell wie immer. Ich bat sie, damit noch zu warten.

»Da ist etwas faul. Es war vielleicht wirklich nur ein Unfall. Es könnte aber auch ein Mord gewesen sein«, sagte ich.

»Und wenn schon«, sagte Sonja. »Mord ist auch ein Unfall. Zahlen müssen wir so oder so, das weißt du ge­nau.«

»Nicht wenn der Begünstigte der Mörder ist.«

Sie sah mich überrascht an.

»Mal wieder auf dem Kriegspfad?« Ich sah ein wohl­bekanntes Glitzern in ihren grünen Augen. »Nun erzähl schon«, sagte sie.

Und ich erzählte, wie ich den Toten gefunden hatte, be­richtete von meinem Gespräch mit Keller und dem selt­samen Verhalten der beiden Hubers.

»Hast du sie allen Ernstes im Verdacht?«, fragte Sonja.

Ich zuckte mit den Achseln.

»Ich will einfach wissen, was passiert ist. Irgendwo müssen wir ja anfangen.«

»Was wissen wir über die Hubers?«, fragte Sonja.

Ich fuhr meinen Computer hoch und öffnete unsere in­terne und höchst geheime Datenbank, in der wir alle Fak­ten, vor allem aber Klatsch und Tratsch über bestehende und potenzielle Kunden sammeln.

Ich druckte den Datensatz in zwei Exemplaren aus und gab eines davon Sonja. Sie hatte mittlerweile einen Ayurveda-Tee aufgegossen. Er schmeckte furchtbar.

***

Fritz Huber war siebenundfünfzig Jahre alt geworden. Er stammte aus dem Dorf. Sozusagen alter Adel. Seine Vor­väter waren seit Urzeiten hier ansässig und hatten sich im Laufe der Zeit zu den größeren Bauern emporgearbeitet. Zwei jüngere Schwestern waren ausbezahlt worden. Die eine war, wie praktisch, mit einem Landwirtschaftsmecha­niker verheiratet, von der anderen wusste ich nichts.

Anita Huber war sechs Jahre jünger und die Tochter eines Kleinbauern aus dem Nachbardorf. Außer ein paar mageren Äckern hatte sie vermutlich nicht viel in die Ehe eingebracht.

Sie hatten für dörfliche Verhältnisse spät geheiratet, er mit zweiunddreißig, sie mit sechsundzwanzig, und bei der Hochzeit musste Anita un­übersehbar im sechsten Monat gewesen sein. Ihr Sohn jedenfalls kam drei Monate nach der Hochzeit zur Welt.

Das war keine Schande, und deshalb wurde auch kein Geheimnis daraus gemacht. Zu jenen Zeiten heiratete man aus genau diesem Grund oder weil auf einen Hof eben eine Bäuerin gehört. Möglichst eine, die was mitbrachte. Liebe stellte sich automatisch ein. Oder auch nicht.

Manchmal wurde die Zukünftige vermutlich auch auf ihre Gebärfähigkeit getestet. Schließlich braucht ein Hof Nachfolger. Und Arbeitskräfte.

Gerd, der Heiratsgrund, war jetzt fünfundzwanzig Jahre alt. Dann musste es im Hause Huber dieses Jahr ja eine Sil­berhochzeit gegeben haben, fiel mir auf. Ich hätte gratulie­ren sollen.

Soweit ich es mitbekommen hatte, verstanden sich Vater und Sohn nicht besonders. Aber das war ja nun keine Sel­tenheit.

So viel also wussten wir. Mehr würde ich bestimmt von den Nachbarn erfahren.

Als Versicherungsvertreter ist man für seine Stamm­kunden auch so etwas wie ein Beichtvater. Nach dem Arzt. Und vor dem Pfarrer. Die Leute brauchen jemanden, dem sie von ihren Kümmernissen erzählen können. Und nach Hubers Todessturz würde die Gerüchteküche brodeln.

»Na, dann schwing dich mal auf nach Hohenberg«, sagte Sonja.

Ich schüttelte den Kopf und seufzte.

»Das muss bis morgen warten. Ich habe heute Nachmit­tag einen anderen Termin.«

Sie verstand. Ihr Grinsen hätte ich im günstigsten Fall als anzüglich bezeichnet. Vielleicht auch als hämisch. Mitlei­dig war es auf keinen Fall.

Ich ging.

Zur Stärkung genehmigte ich mir im Eiscafé gegen­über noch einen Sgropino.

***

Mein Liebesleben lässt sich kurz und bündig mit einem Wort beschreiben: chaotisch. Das derzeitige Chaos hieß Helena, war zweiundzwanzig, sah süß aus, wenngleich die Eltern bei der Namenswahl doch etwas zu optimistisch gewesen waren, und hatte einen erfreulich üppigen Busen. Uns hatte die Not zusammengebracht. Sie arbeitete bei der Bausparkasse – ein Kleinstadtkind aus Heilbronn, das es erst vor kurzem nach Schwäbisch Hall verschlagen hatte und das noch dabei war, sich einen Freundeskreis aufzu­bauen. Sie war allein, und ich war’s derzeit auch wieder mal. Und als Mann von sechsunddreißig hat man auf dem Single-Markt nicht mehr unbedingt die große Auswahl. So trösteten wir uns gegenseitig. Es war nett, aber auch nicht mehr.

Ich hatte mich zu einem Einkaufsbummel breitschlagen lassen. Sie war ja noch neu in der Stadt und hatte sich eigens den Nachmittag freigenommen.

Das Programm sah des Weiteren ein Abendessen im »Hotel Hohenlohe« vor, dem Haller Renommier-Lokal mit bester Aussicht auf die Stadt, was mich eine Stange Geld kosten würde, und danach … Deswegen nahm ich diese ganze Tortur überhaupt auf mich.

Mit Frauen einkaufen zu gehen, ist an sich schon eine Zumutung. Damit hatte mich schon meine Ex in unserer kurzen Ehe genervt. Aber Helena war einsame Spitze.

Sie hatte sich offensichtlich in den Kopf gesetzt, den gesamten Schotter durchzuprobieren, der in den einschlägigen Geschäften auf den Bügeln hing. Nicht bloß anzuschauen. Tatsächlich anzuziehen.

Helena erwartete von mir nicht nur Geduld, sondern auch Kommentare. Und ich tappte doch immer wieder in die gleiche Falle.

»Ein Rollkragenpulli mit kurzen Ärmeln? Das ist doch total unbrauchbar!«

»Aber er voll megageil!«

Nur die Farbe gefiel ihr nicht.

Helena pendelte weiter zwischen Drehständern und Um­kleidekabine. Ich vertrieb mir derweil die Zeit mit intensi­vem Studium der aktuellen Mode. Bauchfrei finde ich gut. Tiefe Dekolletés finde ich auch gut. Ich starrte also den anderen jungen Mädchen auf die nackten Bäuche und in die Ausschnitte und stellte kritische Vergleiche an. War schon was dran, dass die Jugend immer dicker wurde, da wackelte und schwabbelte doch so einiges.

Ich durfte nur nicht so auffällig starren. Nicht wegen der Mädchen. Wegen Helena. Von den jungen Schönheiten rings um mich erwiderte keine meine lüsternen Blicke. Ich war ein Nichts. Ein altes Nichts.

Helena war inzwischen merklich angesäuert, weil ich an allem etwas auszusetzen hatte. Warum fragte sie dann überhaupt, wenn sie es gar nicht hören wollte?

Ich begann ernsthaft, mir um den weiteren Verlauf des Abends Sorgen zu machen.

Helena kam mit einem rosa Zopfmusterpulli aus der Kabine. Ich fand ihn grässlich. Sie fand ihn, natürlich, voll krass. Ihr Vokabular war in der Hinsicht etwas eingeschränkt. Ihr Geschmack auch.

»Diese Farbe steht mir super«, sagte sie.

Ich sagte nichts. Ich wurde vorsichtiger.

»Aber findest du nicht auch, dass der meinen Busen zu sehr plattdrückt?«, fragte sie.

Ich besann mich auf die bewährte Taktik.

»Total platt«, sagte ich, obwohl ich das anders sah. Da­mit war dieser Pulli sofort erledigt.

Bei der nächsten Hose machte ich den Test.

»Die macht sehr breite Hüften«, gab ich zu bedenken.

Die Hose wurde ausgesondert.

So einfach war das also.

Helena konnte sich natürlich für nichts entscheiden, wofür ich ausgesprochen dankbar war. Nicht eines dieser Stücke hätte ich geschenkt haben wollen. War das nur mein Geschmack, oder war das schon das Alter?

Wir zogen weiter. Glücklicherweise ist das Schwäbisch Haller Geschäftsleben überschaubar, aber aus der Sicht eines zum Einkaufsbummel genötigten Mannes gibt es immer noch entschieden zu viele Kleiderläden. Von Schuh­geschäften ganz zu schweigen.

Ich war erschöpft und sinnierte, ob das erwartete Ende dieses Tages in einem angemessenen Verhältnis zum Auf­wand stehen würde. Allerdings war ich mittlerweile Ex­perte, in welchen Geschäften die hübschesten Mädels ein­kaufen gingen.

An den wirklich teuren Boutiquen lotste ich Helena erfolgreich vorbei, mit dem schlagenden Argument, das Angebot sei nur für die reifere Dame. Womöglich wäre sie sonst auf den Gedanken gekommen, sich von mir was schenken zu lassen.

Begehrliche Blicke in die Schaufenster konnte ich nicht verhindern. Ich schaute pro forma mit, war angemessen beeindruckt und teilte aus vollem Herzen ihre Meinung, das sei doch arg viel Geld für solche Fummel.

Als ich da so durchs Schaufenster ins »Il Senso« von Gra­zyna Bauer glotzte, das früher mal schlicht »Lädle« hieß, auf die Hosen von Joop, die Pullis von Armani, die Röcke von Versace, hatte ich eine Halluzina­tion, die nur eine Folge meiner modemäßigen Überreizt­heit sein konnte.

Ich schaute nochmals. Die Halluzination blieb. In der Tat, in der Boutique tummelte sich Huber junior. Er schar­wenzelte um eine Frau herum, die ich nur von hinten sah. Schlank. Eng geschnittener, schwarzer Mantel. Lange, dunkle Haare.

Was, um alles in der Welt, wollte der junge Huber­-Bauer in diesem teuren Laden? Kein Wunder, dass die Hubers auf eine schnelle Auszahlung der Lebensversicherung drängten.

Ich überredete Helena zu einer Espresso-Pause im »Simonetti« gegenüber, mit direktem Blick auf das Modegeschäft.

Natürlich war kein Fensterplatz frei. Deshalb erhaschte ich lediglich einen flüchtigen Blick auf die Frau, die gemeinsam mit Huber die Boutique verließ. Ich konnte sie nur undeutlich erkennen. Jedenfalls war sie viel zu alt für den jungen Kerl und viel zu hübsch. Gerd Huber stapfte neben ihr her und redete erregt auf sie ein.

Ich warf das Geld für die zwei Espressi auf den Tisch, packte die verdatterte Helena und zog sie ohne weitere Erklärung auf die Schwatzbühlgasse hinaus.

Dort allerdings fand meine süße Unschuld aus Heilbronn schnell ihre Sprache wieder und äußerte ihre Verwunderung über den überstürzten Aufbruch. Um die Wahrheit zu sagen: Sie beschimpfte mich fürchterlich.

»Du Arsch!«, schrie sie. »Was fällt dir ein, mich so herumzuzerren!«

Ganz so süß war Helena doch nicht immer.

Ich murmelte etwas von einem alten Freund, den ich zu sehen geglaubt hatte. Das seltsame Paar war natürlich mittlerweile verschwunden. Schade. Ich hätte zu gerne gewusst, mit wem Gerd Huber sich die Zeit vertrieb.

An eine planvolle Suche war nicht zu denken mit einer kaufwütigen und keifenden Helena im Schlepptau. Vielleicht liefen mir die zwei noch einmal über den Weg. Schwäbisch Hall ist ja klein.

Aber so klein dann doch wieder nicht. Ich sah sie nicht mehr. Und Helena wunderte sich kein bisschen, dass ihr Begleiter plötzlich hellwach war und sie von Laden zu Laden drängte.

Wir entschieden uns schließlich im »Da Vinci« für etliche farbenfrohe Pullis, die so kurz waren, dass mich schon bei ihrem Anblick fror, und woanders für eine hautenge graue Hose, nachdem ich mehrfach versichert hatte, dass die ihren Hintern äußerst vorteilhaft zur Geltung brächte. Was ja nun auch stimmte. Die passenden Schuhe dazu fanden wir nicht, trotz vieler heroischer Versuche.

Der Rest des Abends entsprach dann aber durchaus meinen Erwartungen.

Allerdings war er auch nicht ganz billig.

Die Nadel im Heuhaufen

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