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Vorwort des Autors

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Vorwort des Autors

Seit drei Jahrhunderten wälzt sich aus Deutschlands Gauen ein Strom von Auswanderern nach der Neuen Welt, je nach den im alten Vaterland obwaltenden politischen oder wirtschaftlichen Verhältnissen bald gleichmäßig fließend, bald nachlassend, um dann plötzlich wieder mächtig anzuschwellen und den Charakter einer wahren Völkerwanderung anzunehmen.

Fragte man die in der Heimat Zurückgebliebenen, was aus ihren nach Millionen zählenden ausgewanderten Landsleuten in der Fremde geworden, so vermöchten gewiss nur sehr wenige eine befriedigende Auskunft zu geben. Man verhielt sich in Deutschland gegenüber dem Schicksal seiner ausgewanderten Söhne bisher recht gleichgültig, indem man sich an die durchaus falsche Vorstellung gewöhnte, dass dieselben für ihr Vaterland wie für das deutsche Volkstum verloren seien. Man betrachtete sie als Faktoren, mit welchen man nicht länger rechnen dürfe. Man weiß nicht, was sie da draußen erlebten und verrichteten, ob sie im Elend verkamen oder es verstanden, eine achtunggebietende Stellung zu erringen.

Und die Ausgewanderten selbst? – Obwohl sie die Erfolge vieler ihrer Brüder vor Augen sehen, so sind auch sie über das, was die Gesamtmasse der Deutschen in Amerika leistete, doch nur oberflächlich unterrichtet. Weder sie, noch die neben ihnen wirkenden Amerikaner anderer Abstammung wissen, wie ungeheuer viel die großartig entwickelten Vereinigten Staaten von Amerika der rastlosen Arbeit, dem unermüdlichen Fleiß und der Intelligenz der Deutschen verdanken. –

An Geschichtswerken, welche die Vergangenheit Amerikas, den Ursprung und die Entwicklung der Vereinigten Staaten behandeln, ist zwar kein Mangel. Aber gegen diese Werke ist von vielen klarblickenden, nach historischer Wahrheit strebenden Forschern mit vollem Recht der Einwand erhoben worden, dass sie die Geschichte nur eines Teiles des amerikanischen Volkes, und zwar des aus England eingewanderten berücksichtigen, während auf die Vergangenheit und Leistungen der anderen Völkerelemente, die zum Aufbau der amerikanischen Nation beitrugen, entweder gar nicht oder nur sehr oberflächlich eingegangen sei. –

Beim Prüfen dieser Angelegenheit kann der mit der Entwicklungsgeschichte Amerikas Vertraute sich der Erkenntnis nicht entziehen, dass jener Einwand durchaus zutrifft. Fast alle in den vorhandenen Geschichtswerken geschilderten Ereignisse sind vom Gesichtswinkel des Anglo-Amerikaners, speziell des Neu-Engländers aus gesehen und beschrieben. Was andere Völkerelemente zur amerikanischen Kultur, zum Aufbau der Nation beitrugen, welche hervorragenden Männer sie lieferten, welche Taten dieselben verrichteten, was sie an Großem, Bleibendem schufen, blieb entweder unberücksichtigt oder wurde nur mit flüchtigen Strichen angedeutet, oft sogar absichtlich entstellt. Infolgedessen bildet sich bei den Lesern solcher Werke die irrige Anschauung, als ob die Anwesenheit der zahlreichen, nicht angelsächsischen Stämme auf amerikanischem Boden für die dort entstandene Kultur gar nichts bedeutet habe, und den Angelsachsen allein das Verdienst gebühre, das Material zum Aufbau der amerikanischen Nation geliefert und die Kultur derselben geschaffen zu haben.

So wenig aber eine Schilderung des Mississippi Anspruch auf Vollständigkeit erheben dürfte, die es unterließe, auch seine Hauptarme, den Missouri und Ohio zu beschreiben und ihre Bedeutung für die Größe und den Charakter des ganzen Stromsystems darzulegen, ebenso wenig können so einseitig aufgefasste Geschichtswerke wie die bezeichneten Anspruch auf den Titel einer „Geschichte des amerikanischen Volkes“ erheben.

Diese muss noch geschrieben werden. Und zwar unter gerechter Berücksichtigung aller verschiedenen Rassen- und Völkerelemente, aus denen sich das Volk der Vereinigten Staaten zusammensetzt und die in irgendeiner besonderen Weise zur amerikanischen Kultur beitrugen.

Das kann erst geschehen, wenn das erforderliche historische Material in Spezialwerken niedergelegt ist, die den Anteil der Deutschen, Iren, Schotten, Holländer und Skandinavier, der romanischen und slawischen Völker, der Israeliten, der indianischen, afrikanischen und mongolischen Rassen feststellen. Durch ausgedehnten Gebrauch solcher Spezialwerke kann die zu schreibende Geschichte der amerikanischen Nation an Interesse, Mannigfaltigkeit und Farbenreiz nur ungemein gewinnen. –

Wie zu dem in der Bundeshauptstadt Washington gen Himmel ragenden Monument zu Ehren des Begründers der Union, George Washington, fast alle Nationen des Erdballs Bausteine beitrugen, so mögen die in den Vereinigten Staaten ansässig gewordenen Vertreter solcher Nationen dies auch tun zu dem erhabenen Ruhmestempel der amerikanischen Geschichte. –

Der Verfasser dieses Buches bietet einen solchen Baustein, in der Überzeugung, dass die nach Millionen zählenden Abkömmlinge des deutschen Volkes, welche seit frühen Tagen in das Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten von Amerika einströmten, in jeder Beziehung ein gewaltiger Faktor waren, der nicht übersehen werden sollte.

Berlin, im Sommer 1909.

Rudolf Cronau.

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Teil eins dieses Bandes beginnt: – Die Deutschen während der Kolonialzeit

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Die ersten deutschen Flugblätter über Amerika und die Vorläufer der deutschen Auswanderung dorthin

Die glückliche Heimkehr des Genuesen Christoph Columbus von seiner ersten großen Entdeckungsreise war ein Ereignis, dessen Bedeutung von allen Kulturvölkern der damaligen Zeit sofort empfunden wurde. Man erkannte instinktiv, dass die gelungene Fahrt für die ganze Menschheit von höchster Wichtigkeit sei und gewaltige Umwälzungen zur Folge haben müsse. Welch tiefen Eindruck die Kunde in der Gelehrtenwelt erregte, kann man am besten aus folgendem Brief des spanischen Geschichtsschreibers Peter Martyr an seinen Freund Pomponius Laetus ermessen: „Du schreibst, mein lieber Pomponius, dass du beim Eintreffen meiner die Entdeckung der entgegengesetzten Welt betreffenden Nachricht vor Entzücken aufgesprungen seiest und dich der Freudentränen nicht hättest erwehren können. Das zeigt, dass du als Gelehrter die Größe und Tragweite der neuen Entdeckung wohl zu würdigen weißt. In der Tat, auch ich kenne keine Speise, die erhabenen und genialen Geistern willkommener sein könnte, als diese. Ich fühle eine wunderbare geistige Erregung in mir, wenn ich mit den aus jenen Gegenden zurückgekehrten Männern rede. Es ist, als ob ein Armer plötzlich zu Reichtum gelange. Unsere durch die kleinen täglichen Sorgen und gesellschaftlichen Pflichten herabgezogenen Gedanken werden erhoben und geläutert durch das Nachsinnen über so herrliche Ereignisse.“

Selbst in dem nüchternen England wurde die Tat des Columbus als etwas Unerhörtes, Göttliches gepriesen. Schrieb doch Giovanni Caboto (Johann Cabot), der von England aus im Jahre 1497 eine Fahrt nach dem Westen unternahm und dabei das Festland von Nordamerika entdeckte: „Als die Nachricht eintraf, dass Christoph Columbus, der Genuese, die Küsten Indiens entdeckt habe – wovon im ganzen Reich des damals regierenden Königs Heinrich VII. gesprochen wurde, indem alle voll größter Bewunderung erklärten, es sei mehr ein göttliches als menschliches Wagnis, auf nie zuvor befahrenen Wegen vom Westen aus nach den im Osten gelegenen Gewürzländern zu segeln, – da entbrannte in meinem Herzen ein heißes Verlangen, gleichfalls eine große Tat zu verrichten.“

Auch in Frankreich und Deutschland erkannte man die Bedeutung des Ereignisses. Deutschland war schon damals das Land der Denker und Gelehrten. Martin Behaim, Schöner, Reisch, Münster, Pirckheimer u. a. verfolgten mit scharfen Blicken die in Afrika und Asien gemachten geographischen Entdeckungen und trugen dieselben auf ihre Weltkarten und Erdkugeln ein.

Der Brief, den Columbus am 3. März 1493 nach seiner Ankunft in Lissabon an Raphael Sanchez, den Schatzmeister des spanischen Königspaares, gesandt hatte, fand in lateinischen und italienischen Ausgaben Verbreitung und wurde auch in deutscher Übersetzung in Straßburg, wahrscheinlich auch an andern Orten gedruckt. Man kennt bis jetzt siebzehn verschiedene Ausgaben dieses Columbusbriefes in spanischer, lateinischer, italienischer und deutscher Sprache. Es ist nicht ausgeschlossen, dass außerdem manche andere gedruckt wurden, von denen wir keine Kunde mehr besitzen.

Noch größeres Aufsehen erregten die Reisebeschreibungen des Amerigo Vespucci. Sie versetzten ganz Europa in Erregung, da sie im Gegensatz zu dem Brief des Columbus, der nur die Entdeckung einiger Inseln gemeldet hatte, die Entdeckung einer „neu gefunden Region“ verkündigten, „die wohl eine Welt genannt mag werden“. Dazu war in Vespuccis Schilderungen das Interessante hervorgehoben und in pikanter Weise ausgemalt; die Beschreibungen des Völker-, Tier- und Pflanzenlebens waren neu und fesselten umso mehr, als man außer dem mageren Brief des Columbus noch nichts über die Neue Welt erfahren hatte. Columbus, um das Geheimnis des neuen Seeweges nach Indien zu bewahren, vermied absichtlich jede weitere Mitteilung über seine Entdeckungen. Dadurch, wie auch durch den Umstand, dass Vespuccius fälschlich angab, die erste seiner angeblich vier Reisen im Jahre 1497 vollführt zu haben, wobei er konsequent die Namen der Befehlshaber verschwieg, an deren Forschungsreisen er sich beteiligte, gelangten die den Unternehmungen fernstehenden italienischen, deutschen und französischen Geschichtsschreiber jener Zeit zu der irrtümlichen Anschauung, Vespuccius sei der Leiter jener Expeditionen gewesen und habe das Festland der neuen Welt entdeckt. Unter diesem Eindruck stand auch der um das Jahr 1481 in Freiburg in Baden geborene Gelehrte Martin Waldseemüller, der in der lothringischen Stadt St. Dié lebte und an dem vom Herzog René II. errichteten „Vogesischen Gymnasium“ Geographie und Naturwissenschaft lehrte.

Waldseemüller war zugleich mit einer Neuausgabe des Atlas von Ptolemäus beschäftigt, in welcher alle in der Neuen Welt gemachten Entdeckungen berücksichtigt werden sollten. Ferner schrieb Waldseemüller einen Leitfaden für den Unterricht in der Erd- und Himmelskunde.

Während er mit diesen Arbeiten beschäftigt war, erhielt der Herzog ein Exemplar der Vespuccischen Reisebeschreibungen. Dieselben erfüllten Waldseemüller mit solcher Begeisterung, dass er die Reisen Vespuccis in seinem am 25. April 1507 gedruckten Lehrbuch „Cosmographiae introductio“ ausführlich besprach und im neunten Abschnitt den Vorschlag ausbrachte, die bis dahin noch namenlose Welt zu Ehren ihres Entdeckers, Amerigo Vespucci, „Amerika“ zu nennen. Der betreffende Satz lautet verdeutscht: „Nun wahrlich, da diese Regionen weiter durchforscht sind und da ein anderer Erdteil von Americus Vespuccius entdeckt wurde, wie aus den nachstehenden Briefen ersehen werden mag, so kenne ich keinen Grund, warum er nicht gerechterweise Amerigen genannt werden sollte, das ist das Land des Amerigus, oder America, nach seinem Entdecker Americus, einem Manne von scharfem Verstande; haben doch Europa und Asien beide ihre Namen nach Weibern erhalten.“

Waldseemüllers Vorschlag fand bei vielen Geographen der damaligen Zeit Anklang. Da Columbus bereits im Jahre 1506 gestorben war, und niemand auftrat, um den wissenschaftlichen Irrtum zu berichtigen, so fand der von dem deutschen Gelehrten vorgeschlagene Name rasch Annahme. Schon 1510 konnte der dem „Vogesischen Gymnasium“ angehörende Walter Lud in seiner „Grammatica Figurata“ mit Stolz erklären, „dass St. Dié jetzt eine in der ganzen Welt bekannte Stadt sei, weil sie America den Namen gegeben habe“.

Es war die einzige Großtat, durch die das Gymnasium bekannt wurde, denn als Herzog René starb, löste sich die kleine Gelehrtengemeinde auf. Waldseemüller zog nach Straßburg, wo er bei Jean Grüninger die fünfte Ausgabe seiner „Cosmographiae introductio“ drucken ließ. Nachdem der Straßburger Jean Schott die Druckerpresse und den Typenvorrat des „Vogesischen Gymnasiums“ erworben hatte, gab Waldseemüller hier auch im Jahre 1513 die von jenem Gymnasium geplante Neuausgabe des Atlas des Ptolemäus heraus. Inzwischen hatte er seinen Irrtum bezüglich des Entdeckers der Neuen Welt erkannt, denn er trug auf die schöne, dem Atlas beigegebene Karte von Amerika an der Stelle, wo Columbus zuerst seinen Fuß auf das Festland der Neuen Welt gesetzt hatte, folgenden Satz ein: „Hec terra adjacentibus insulis inventa est per Columbu ianuensem ex mandato Regis Castelle“, „Dies Land und die benachbarten Inseln wurden durch Columbus unter der Regierung des Königs von Kastilien entdeckt“. Über die Reisen des Vespucci findet sich im ganzen Atlas kein Wort. Aber der frühere Irrtum konnte nicht wieder gutgemacht werden. Der Name Amerika hatte sich bereits so eingebürgert, dass er trotz aller Bemühungen, ihn durch die passendere Bezeichnung „Columbia“ zu ersetzen, der Neuen Welt bis heute verblieb.

Den Reisebeschreibungen Vespuccis folgten zahlreiche „Newe Zeitungen“, welche die Entdeckungen der Portugiesen in Südamerika, die kühnen Eroberungszüge der Spanier in Yucatan, Mexiko und Peru schilderten. Sie umfassten meist nur wenige Seiten.

Von solchen, aus leicht erklärlichen Gründen, der Verzettelung unterworfenen Flugblättern haben sich leider nur wenige erhalten. Von diesen nenne ich die wahrscheinlich im Jahre 1520 gedruckte „Copia der Newen Zeytung auß Presillg Landt“ (Brasilien); die „Newe Zeittung von dem Lande, das die Spanier funden haben im 1521 jare, genannt Yucatan“. Von den mexikanischen Eroberungszügen erzählen Flugschriften, die im Jahre 1520 bei „Friyderichen Peypus in Nürmberg“, 1522 in Augsburg, 1534 bei Georg Ulricher in Straßburg und 1550 bei Philipp Ulhart in Augsburg erschienen. Über den Raubzug Pizarros berichtet ein 1535 gedruckter Brief, der mit den Worten anhebt: „Item es ist vor etlichen Jaren durch Kay. May. beuelch (auf Befehl Sr. Majestät des Kaisers) außgefaren auß Hispania ein hispanischer Her Francisco de Pysaria ...“ usw.

Im Verein mit den von den Geographen und Geschichtsschreibern in umfangreichen Erdbeschreibungen niedergelegten Nachrichten übten diese neuen Zeitungen einen ungeheuren Eindruck auf das deutsche Volk. Man verschlang die Beschreibungen der mit goldenen Schätzen und seltsamen Götzenbildern gefüllten Tempel und Paläste der Inkas und Montezumas; staunend las man von den volkreichen Städten Tenochtitlan, Cholula, Tlaskala und Cuzko, von ihren großen Märkten und Festen. Man hörte von der Fahrt des Ritters Ponce de Leon nach Bimini, wo eine Quelle existiere, deren Wasser ewige Jugend verleihe. Man vernahm vom Eldorado, einem indianischen König, dessen Körper tagtäglich derart mit Goldstaub bedeckt werde, dass er einer Goldfigur gleiche.

Es bedurfte nicht mehr, um das Wunderfieber und die Lust zu Abenteuern bei den Deutschen zu erregen. Diese beiden Neigungen steckten ihnen von jeher im Blute. Seit den frühesten Tagen des Mittelalters zogen fahrende Ritter, Reisige und Minnesänger von Burg zu Burg, von Hof zu Hof, um Speere zu verstechen oder beim Klang der Saiten die Gunst hoher Herren und schöner Frauen zu gewinnen. Neben ihnen gab es viel anderes ruheloses Volk: fahrende Gaukler, Spielleute, Schüler und Fräulein, fahrende Ärzte und Quacksalber, und nicht zuletzt der unabsehbare Tross der Landsknechte, die ihre Dienste bald diesem, bald jenem Herrn verkauften. Deutsche Landsknechte fochten in fast allen europäischen Kriegen. Wenn einer dieser rauen Söldlinge, Nikolaus Schmid von Regensburg, der für Philipp II. von Spanien in Marokko focht, in seiner poetischen Beschreibung der Kriege in selbstbewusstem Tone singt:

Uns Deutsche braucht man zu dem Spiel

wann man einen Krieg will fangen an.

ohn‘ uns wird nichts gerichtet aus,

wo wir nicht sein dabei im Strauß ...

so bezeichnete er die damalige Zeit in der zutreffendsten Weise.

Es konnte nicht ausbleiben, dass diese allzeit abenteuerlustigen Landsknechte durch die Nachrichten über die neu entdeckte Welt und deren Schätze mächtig angezogen wurden. Besonders diejenigen, welche unter den Fahnen des zum Erben des spanischen Thrones, und im Jahre 1519 auch zum deutschen Kaiser ausgerufenen Karls V. gen Spanien zogen. Dort kamen sie in Berührung mit jenen Abenteurern, die für diesen Herrscher die Länder der Neuen Welt eroberten. Mit Sicherheit dürfen wir annehmen, dass viele dieser deutschen Landsknechte sich für die Eroberungszüge in Amerika anwerben ließen. Leider wissen wir nur wenig über die Beteiligung solcher Deutschen. Dass sie aber keineswegs gering veranschlagt werden darf, geht daraus hervor, dass unter den 3.000 Soldaten des Pedro de Mendoza, der im Jahre 1534 nach dem südamerikanischen „Silberstrom“, dem La Plata, zog, sich 150 Deutsche befanden. Einer derselben war Ulrich Schmidel aus Straubing. Er verweilte 19 Jahre lang am La Plata und nahm an fast allen von Mendoza unternommenen Eroberungszügen teil. Als er nach zahllosen Abenteuern endlich wieder in die Heimat zurückkehrte, schrieb er seine: „Warhafftige Historien Einer Wunderbaren Schiffart, welche Ulrich Schmidel von Straubing von Anno 1534 biß Anno 1554 in Americam oder Neuwewelt, bey Brasilia und Rio della Plata getan. Was er in diesen neuntzehn Jahren außgestanden, und was für seltzame Wunderbare Länder und Leut er gesehen“ usw.

Noch absonderlichere Erlebnisse bestand der aus Homburg in Hessen stammende Hans Stade. In Brasilien geriet er in die Gefangenschaft „der wilden, nacketen, grimmigen Menschenfresser Leuthen“, deren Sitten er in einem 1556 zu Frankfurt a. M. gedruckten Büchlein höchst anschaulich beschrieb.

Sicher befanden sich auch viele deutsche Landsknechte bei jenen Expeditionen, die in den Jahren 1528 bis 1546 von den Augsburger Kaufherren Welser ausgesandt wurden, um Venezuela zu erobern. Diese Expeditionen, von denen die erste 50 Bergleute aus dem Erzgebirge mit sich führte, wurden sämtlich von deutschen Rittern befehligt. Von der am Karabischen Meere gelegenen Ortschaft Coro aus drangen sie in überaus waghalsigen Entdeckerzügen durch die tropischen Niederungen des Zuliagebietes bis auf die kalten Hochebenen Kolumbiens, in südlicher Richtung bis zu den oberen Nebenflüssen des Orinoco. Nikolaus Federmann schrieb über diese oft mehrere Jahre währenden Fahrten seine berühmte „Indianische Historia“. Der Junker Philipp von Hutten sandte gleichfalls hochinteressante Reisebriefe an seine in der Heimat zurückgebliebenen Angehörigen.

Alle diese Flugblätter, Zeitungen und Reiseschilderungen, zu denen sich noch viele in Erdbeschreibungen enthaltene umfangreiche Mitteilungen gesellten, erregten im deutschen Volke das lebhafteste Interesse für die Neue Welt. Die Folge war, dass im 17. und 18. Jahrhundert die auswanderungslustigen Deutschen sich nicht mehr ausschließlich nach Ungarn, Siebenbürgen, Polen und Russland wendeten, sondern sich auch an der Besiedelung der Neuen Welt beteiligten.

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Teil drei dieses Bandes von Rudolf Cronau endet mit diesen Texten:

Der Einfluss des deutschen Erziehungswesens auf die Lehranstalten der Vereinigten Staaten

Seit langer Zeit genießt Deutschland den Ruhm, das Land der großen Denker, Philosophen und Wissenschaftler zu sein. Seine Bildungsanstalten sind die Resultate unermüdlicher, über ein ganzes Jahrtausend sich erstreckenden Arbeit, hingebender Studien und der dabei gewonnenen Erkenntnisse. Infolgedessen sind Gründlichkeit und gediegene Lehrmethoden die Lichtseiten des deutschen Erziehungswesens.

Die dem ganzen Volke innewohnende Liebe zur Wissenschaft zeichnete, wie wir in einem früheren Abschnitt dartun konnten, auch die während der Kolonialzeit nach Amerika gekommenen Deutschen aus, von denen manche, wie z. B. der edle Pastorius, die Prediger Mühlenberg und Schlatter, die Lehrer Schley, Dock und andere die im alten Vaterland genossenen Unterrichtsmethoden auch in den von ihnen gegründeten Schulen anwendeten. Mit welchem Erfolg, ersahen wir aus der Geschichte des Lehrers Dock, des „deutschamerikanischen Pestalozzi“.

Niemand erkannte den Wert dieser Methoden mehr als Benjamin Franklin, der große Philosoph und Staatsmann, in dessen Druckerei die Deutschen viele ihrer Schulbücher herstellen ließen. Franklin war es auch, der, nachdem er im Jahre 1766 auf einer Reise durch Deutschland die vortrefflichen Einrichtungen der Universität zu Göttingen kennen gelernt hatte, den Anstoß dazu gab, die in Philadelphia bestehende Public Academy in eine nach dem Muster der Göttinger Universität geleitete Hochschule, die heutige Universität von Pennsylvanien umzuwandeln. Das geschah noch vor Beendigung des Unabhängigkeitskrieges, im Jahre 1779. Dass seine frühere Abneigung gegen die Deutschen sich in das direkte Gegenteil verwandelt hatte, beweist die Tatsache, dass er dem von ihm entworfenen Lehrplan eine von dem Professor Wilhelm Craemer geleitete deutsche Abteilung einfügte und so der deutschen Sprache Eingang unter den gebildeten Amerikanern verschaffte.

Franklin unterstützte auch lebhaft die Gründung der von den Deutschen Pennsylvaniens geplanten „Franklin-Hochschule“ zu Lancaster. Er steuerte nicht bloß 1.000 Dollar zum Bau derselben bei, sondern unternahm noch als 81jähriger Greis die sehr beschwerliche Reise dorthin, um der Grundsteinlegung beizuwohnen.

Außer jener Hochschule unterhielten die in Pennsylvanien lebenden Deutschen, namentlich die rasch zu Wohlstand gelangten Mennoniten und Herrnhuter, vortrefflich geleitete Schulen. Diejenigen zu Bethlehem und Nazareth bezeichnet Payne in seiner „Universal Geography vom Jahre 1798“ als die besten ganz Amerikas.

In Bethlehem bestand seit 1749 auch bereits ein Lehrerinnen-Seminar. Wie weit voraus die Herrnhuter damit den Puritanern Neu-Englands waren, beweist die Tatsache, dass, als im Jahre 1793 der Vorschlag gemacht wurde, eine ähnliche Anstalt in Plymouth, Massachusetts, zu gründen, man dort das Projekt bekämpfte, „weil in einer solchen Schule Frauen gelehrter als ihre zukünftigen Ehemänner werden könnten!“

Ein freierer Geist griff erst Platz, als in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche geistig hochstehende Amerikaner „Entdeckungsreisen“ nach dem Lande der großen Denker unternahmen, um dort ihre Studien fortzusetzen oder zu vollenden. Sie lernten dabei die Einrichtungen der deutschen Schulen und Universitäten so schätzen und lieben, dass sie gleich Franklin für die Umgestaltung des amerikanischen Erziehungswesens nach deutschem Muster eintraten.

Am nachdrücklichsten taten dies die Professoren John Griscom von New York, Alexander D. Bache von Philadelphia und Calwin E. Stowe von Ohio. Diese hervorragenden Pädagogen bereisten Europa zu dem speziellen Zweck, um die dort angewandten Erziehungsmethoden kennen zu lernen. Griscom traf während der Jahre 1818 und 1819 mit Pestalozzi zusammen und hatte Gelegenheit, die nach dessen System geleitete Anstalt in Hofwyl bei Bern zu studieren. Ihre Einrichtungen entzückten ihn dermaßen, dass er schrieb: „Ich kann nur meine Hoffnung aussprechen, dass diese Art der Erziehung, wo landwirtschaftliche und mechanische Fertigkeiten mit literarischem und wissenschaftlichem Unterricht verbunden sind, rasch und in ausgedehntem Maß in den Vereinigten Staaten angenommen werde.“

Seine Beobachtungen veröffentlichte Griscom später in dem zweibändigen Werk „Two years in Europe“, von welchem der berühmte amerikanische Pädagoge Barnard sagt, dass kein Buch einen so mächtigen Einfluss auf das amerikanische Erziehungswesen ausgeübt habe, als dieses. Thomas Jefferson benutzte die darin gegebenen Winke beim Einrichten der Universität von Virginien.

Alexander Bache, erster Präsident des von Stephen Girard in Philadelphia gestifteten „Girard College“ verwertete seine während der Jahre 1837 und 1838 in Preußen gemachten Erfahrungen beim Entwurf der Regeln der von ihm geleiteten hochberühmten Anstalt.

Calwin Stowe besuchte Deutschland während des Jahres 1836, und zwar im Auftrag der Regierung des Staates Ohio. In dem Bericht, welchen er nach seiner Rückkehr erstattete, sagt er über das preußische Schulsystem: „In der Tat, ich halte dieses System in seinen großen Zügen für nahezu so vollkommen, als menschlicher Scharfsinn und menschliche Geschicklichkeit es zu machen imstande sind. Manche Einrichtungen und Einzelheiten mögen noch verbessert werden. Natürlich sind auch Änderungen nötig, um es den Verhältnissen anderer Länder anzupassen.“

Seinem, die kleinsten Details berücksichtigenden Bericht fügte Stowe eine Übersetzung der preußischen Schulverordnungen bei, welche bei der Neugestaltung der Schulgesetze Ohios als Grundlage dienten.

Es geschah dies zur selben Zeit, wo auch in anderen Staaten aus Deutschland eingewanderte Schulmänner, wie Franz Lieber, Karl Follen, Karl Beck, Franz Joseph Grund und andere deutsche Lehrmethoden an amerikanischen Hochschulen praktisch anwendeten. Sie wurden darin später durch zahlreiche in Amerika geborene Gelehrte unterstützt, die in Deutschland studierten und nach ihrer Heimkehr als Lehrer in amerikanische Schulen und Universitäten eintraten, um die gesammelten Erfahrungen den amerikanischen Studenten zu übermitteln.

Professor Ira Remsen, Präsident der berühmten, ganz nach deutschem Muster eingerichteten John Hopkins-Universität zu Baltimore, schildert diesen Vorgang in folgenden Worten:

„Seit einem Jahrhundert besuchen Amerikaner deutsche Universitäten, von wo sie jenen Geist mitbrachten, der für diese Hauptsitze der Gelehrsamkeit so bezeichnend ist. Viele der bedeutendsten Professoren an amerikanischen Universitäten und Hochschulen erhielten ihre Schulung in Deutschland und die Hörer solcher Männer nehmen viel von dem Geist, den sie dort empfingen, auf, um ihn weiter über alle Welt zu verbreiten. Gerade hier wünschte ich statistische Angaben einschalten zu können. Es würde nicht nur interessant, sondern auch nützlich sein, festzustellen, wie viele Professoren an etwa einem Dutzend der leitenden Universitäten Amerikas in Deutschland studierten. Und ferner zu wissen, wie viele jener, die nicht dort studierten, unter solchen Personen arbeiten, die dieses Vorzugs teilhaftig wurden. Soweit ich die Lehrkörper mehrerer der wichtigsten Universitäten persönlich kenne, weiß ich, dass die meisten ihrer Mitglieder entweder in die eine oder die andere Kategorie gehören. Dabei brauchen wir uns nicht auf die größeren Hochschulen zu beschränken. Die gleichen Zustände bestehen auch an vielen kleineren und wenig bekannten. Sie beziehen ihre Professoren größtenteils von Universitäten der ersten Klasse, und auf diese Weise wird deutsche Gelehrsamkeit über das ganze Land verbreitet.

Aber es genügt nicht, den Einfluss Deutschlands auf unser akademisches Leben nur auf diese Weise festzustellen, da der Prozess zu unbestimmt wäre. Wir kommen weiter, wenn wir zeigen, wie der Einfluss Deutschlands sich in bezug auf die Organisierung unsrer Universitäten kundgibt. – Bis zum Jahr 1876 bildete das „College“ (Gymnasium) die höchste Stufe der Erziehungsanstalten unsres Landes. In manchen dieser Colleges befanden sich einige vorgeschrittene Studenten, sogenannte „post graduates“, für welche keine besonderen Vorkehrungen getroffen waren. Sie standen außerhalb des Systems und ihre Anwesenheit hatte auf das Lehrpensum der Anstalten geringe Wirkung. Falls ein solcher Student höhere als die vom Lehrplan vorgesehenen Arbeiten zu verrichten wünschte, so riet man ihm stets, nach Deutschland zu gehen. Und viele wandten sich dorthin.

Der erste ernstliche Versuch, der in Amerika angestellt wurde, um solche vorgeschrittene Studenten zu fördern, geschah seitens der „John Hopkins-Universität“ zu Baltimore im Jahre 1876. Präsident Gilman, welcher diese Universität organisierte, erklärte aufs bestimmteste, dass es der Wille ihrer Behörden sei, eine wirkliche Universität zu besitzen, die zur Weiterbildung vorgeschrittener Studenten geeignet wäre. Die Tatsache, dass so viele derselben nach Deutschland zogen, hatte gezeigt, dass ein Verlangen nach höherem Studium bestand, als wie es bisher auf den Colleges geboten wurde. Diese Tatsache bestimmte Präsident Gilman, seinen Plan zu fassen. Die Einzelheiten wurden nicht von Anfang an genau ausgearbeitet. Man wählte einen Lehrkörper, mit dem der Präsident gemeinschaftlich das gesteckte Problem lösen könne. Drei Mitglieder dieser Fakultät waren Engländer, die anderen Amerikaner, welche in Deutschland studiert hatten. Auch von jenen Lehrkräften, die späterhin der Fakultät zugefügt wurden, hatten die meisten in Deutschland studiert. In unseren Bemühungen, den zu uns kommenden vorgeschrittenen Studenten weiter zu helfen, fanden wir, dass wir manche der an deutschen Universitäten bestehenden Einrichtungen annahmen. Das kann nicht überraschen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Universitäten Englands damals so wenig wie heute für die Bedürfnisse vorgeschrittener Studenten besonders eingerichtet waren, und dass die deutschen Universitäten die einzigen in der Welt vorhandenen Vorbilder sind. Wir kamen bald dahin, auf dem Unterricht in methodischen Untersuchungen als einem der wichtigsten Teile der Arbeiten jedes vorgeschrittenen Studenten zu bestehen. Und obwohl wir unsere eigenen Regeln für die Anleitung der Kandidaten für Doktoren der Philosophie aufstellten, ähnelten dieselben doch im Allgemeinen den Regeln der deutschen Universitäten. Über ein Vierteljahrhundert hat die „John Hopkins-Universität“ die Ideale deutscher Gelehrsamkeit hochgehalten. Sie ist nicht irgendeiner besonderen Methode der deutschen Universitäten blindlings gefolgt, aber sie hat die Wichtigkeit gründlicher Forschung aufs nachdrücklichste betont und damit einen starken Einfluss auf die höhere Erziehung Amerikas ausgeübt. Das von der „John Hopkins-Universität“ gegebene Beispiel wurde von vielen anderen Erziehungsanstalten dieses Landes nachgeahmt und die Methoden, welche von den neueren Universitäten angenommen wurden, haben vieles mit jenen der „John Hopkins-Universität“ gemeinsam. In allen tritt der Einfluss Deutschlands klar zutage.“

Dem Vorgang der „John Hopkins-Universität“ folgten zunächst die im Jahre 1890 gegründete „Universität zu Chicago“ und die im Jahre 1891 gestiftete „Leland Stanford-Universität“ in San Francisco. Ihnen schlossen sich später die älteren Schwestern Harvard in Cambridge, Yale in New Haven und Columbia in New York an. Diesen Beispielen folgten zahlreiche andere Hochschulen, seitdem Deutschland auf den Weltausstellungen zu Chicago und St. Louis sein Unterrichts- und Erziehungswesen in umfassender Weise veranschaulichte und dadurch dem Studium aller amerikanischen Pädagogen zugängig machte.

Die Größe und Bedeutung des so vom deutschen Erziehungswesen auf die Lehranstalten in Amerika direkt und indirekt ausgeübten Einflusses lassen sich natürlich weder statistisch noch anderweitig feststellen. Aber sicher treffen die Worte zu, welche eine anerkannte Autorität, Andrew D. White, der ehemalige Präsident der „Cornell-Universität“ zu Ithaka, einst sprach:

„Mehr als irgendein anderes Land hat Deutschland dazu beigetragen, die amerikanischen Universitäten zu dem zu machen, was sie jetzt sind: zu einem gewaltigen Faktor in der Entwicklung der amerikanischen Kultur.“

* * *

Eine ebenso eigenartige wie bedeutungsvolle Neuerung im amerikanischen Erziehungswesen wurde in der jüngsten Zeit durch Kuno Francke Professor der deutschen Sprache und Literatur an der Harvard-Universität eingeleitet.

Er befürwortete, dass zwischen den Universitäten Deutschlands und der Vereinigten Staaten ein regelmäßiger Austausch von Professoren vorgenommen werden möge, damit durch den so bewirkten direkten Gedanken- und Meinungsaustausch nicht nur eine innigere Verschmelzung deutscher und amerikanischer Wissenschaft und eine geistige Verbrüderung zwischen dem deutschen und amerikanischen Volke herbeigeführt, sondern zugleich der großen Masse der amerikanischen Studenten das gewährt werde, was gegenwärtig nur einer bevorzugten Minderzahl, die den Besuch ausländischer Universitäten nicht zu scheuen brauche, zu genießen möglich sei: die persönliche Berührung mit hervorragenden, scharf markierten, wissenschaftlichen Persönlichkeiten, wie sie für das deutsche Gelehrtentum so bezeichnend sind. Der deutsche Gelehrte, so betonte Francke, setze sich ein für seine Sache, er gehe auf in seiner Wissenschaft und sei erfüllt vom Glauben an dieselbe. Viele besäßen eine eigenartige Kampfnatur, die Selbständiges leisten wolle, sich durch nichts beirren lasse und nach den höchsten Idealen strebe. Die von solchen Personen ausgehende Anregung müsse sowohl auf die Studierenden wie auf die Lehrer der amerikanischen Hochschulen einen außerordentlich belebenden Einfluss ausüben.

Dieser von Professor Francke im Jahre 1902 erhobene Vorschlag fand sowohl diesseits wie jenseits des Ozeans begeisterte Zustimmung. Namentlich seitens Sr. Majestät des Kaisers Wilhelm II. und des Präsidenten Theodore Roosevelt, welche die Ersprießlichkeit eines engeren freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten längst erkannt und, jeder nach seiner Weise, seit geraumer Zeit für ein solches gewirkt hatten. Es kam infolgedessen im November 1904 zwischen der Universität Harvard und dem preußischen Kultusministerium ein ganz dem Sinne des Franckeschen Vorschlags entsprechender Vertrag zustande, demgemäß sich Professor Francis G. Peabody von der Harvard-Universität im Winter 1905 nach Berlin begab, um an der dortigen Universität eine Reihe von Vorträgen über soziale Ethik im allgemeinen und über die sozialen Probleme Amerikas im besonderen zu absolvieren. Um die gleiche Zeit reiste der Leipziger Professor Wilhelm Ostwald nach Cambridge, Mass., um an der Harvard-Universität im Auftrag der preußischen Regierung über Naturphilosophie und physikalische Chemie Vortrag zu halten. Ihm folgte im Herbst 1906 als zweiter deutscher Austauschprofessor der Literaturhistoriker Eugen Kühnemann aus Breslau mit Vorträgen über das moderne deutsche Drama. An Stelle Peabodys trat hingegen Professor Theodore W. Richards, der im Frühjahr 1907 an der Berliner Universität einen Kursus über Chemie eröffnete. Diesen Leuchten der Wissenschaft schlossen sich in der Folgezeit manche andere namhafte Gelehrte an.

Ein ähnliches Kartell wurde bald darauf auch zwischen der Columbia-Universität zu New York und dem preußischen Kultusministerium geschlossen, aber mit dem Unterschied, dass dank der hochherzigen Stiftung eines früheren Studenten der Columbia-Universität, des New Yorker Bankiers James Speyer, in Berlin ein permanentes „Amerikanisches Institut“, verbunden mit einer „Roosevelt-Professur“ geschaffen wurde. In diesem Institut sollen die bedeutendsten Denkmäler der amerikanischen Wissenschaft, Literatur und Kunst allmählich gesammelt und aufbewahrt werden.

Als erster Inhaber der „Roosevelt-Professur“ begann im Oktober 1906 Professor John W. Burgess mit Vorlesungen über die Verfassungsgeschichte der Vereinigten Staaten. Ihm folgten später der Nationalökonom Professor Arthur Hadley von der Yale-Universität, Felix Adler, der Gründer der „Ethical Culture Society“ und Professor an der New Yorker Columbia-Universität und der Geschichtsprofessor Charles Alphonse Smith von der Universität von Nordkarolina. Die deutsche Regierung hingegen entsandte die Professoren Hermann A. Schumacher aus Bonn (Nationalökonomie und Staatswissenschaften), Rudolf Leonhard aus Breslau (Rechtswissenschaften) und Albrecht F. Penck aus Berlin (Geologie). Ähnliche Kartelle wurden auch seitens der Universitäten zu Chicago und Madison, Wisc, eingeleitet.

Obwohl seit der tatsächlichen Verwirklichung des hochinteressanten Experiments nur kurze Zeit verstrichen ist, liegen für seine Ersprießlichkeit doch bereits die glänzendsten Beweise vor. Denn hüben wie drüben drängten sich lernbegierige Studenten, Professoren, Lehrer, Journalisten, Staatsmänner und andere im öffentlichen Leben stehende Personen zu Hunderten herbei, um die, neuen Botschaften gleichkommenden Eröffnungen entgegenzunehmen, welche von den beredten Lippen jener, einer befreundeten Nation entstammenden Sendlinge, flossen. Dass man in der Auswahl der letzteren auf beiden Seiten glücklich gewesen, zeigten die in Berlin wie in Cambridge und New York gehörten Worte schmerzlichen Bedauerns, dass man so berufene Vertreter echter Wissenschaft nicht zu dem ständigen Lehrpersonal zählen dürfe.

„Unser einziges Bedauern ist nur, dass wir ihn nicht beständig hier behalten können“, so berichtete der mit der Leitung der preußischen Universitätsangelegenheiten im Kultusministerium betraute Geheimrat Dr. Althoff über Professor Peabody nach Harvard. Und dort empfand man in gleicher Weise, dass die Besuche der Professoren Ostwald, Kühnemann und anderer Ereignisse waren, die auf die gesamte dortige Studentenschaft tiefe, unauslöschliche Eindrücke hinterließen.

Da sowohl die amerikanischen wie die deutschen Austauschprofessoren während ihres Verweilens in dem befreundeten Lande auch Besuchsreisen nach anderen dort bestehenden Universitäten unternahmen und daselbst Vorträge hielten, so blieb ihr befruchtender Einfluss nicht auf einen engeren Kreis beschränkt, sondern erstreckte sich über große Teile der beteiligten Nationen.

Welche Anregungen diesem fortgesetzten Austausch von Gelehrten fernerhin entsprießen mögen, das lässt sich zurzeit noch nicht absehen. Aber schon jetzt darf man die im schönsten Sinne kosmopolitische Idee als einen vollen Erfolg bezeichnen, der sowohl für Amerika wie für Deutschland von hoher Bedeutung zu werden verspricht. „In dem Austauschgedanken“, so äußerte sich Professor Kühnemann über das Experiment, „drückt sich in einer edlen Weise das Gefühl der Verwandtschaft zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Volke aus, etwas wie eine Zusammengehörigkeit, die zu dem Bedürfnis führt, sich wahrhaft kennen zu lernen und dadurch wahrhaft näherzutreten, dadurch, dass man die Lehrer der fremden Jugend das Wesen des eignen Volkes erklären hört. Ja, noch mehr, man möchte beteiligt sein am Leben des anderen großen Volkes, indem man mitarbeitet an der Seele seiner Jugend. Jeder dieser ins Ausland gehenden Professoren – das ist gewiss – kommt zurück als ein Mittelpunkt freundschaftlicher Gefühle für die Fremden. Ward je in gleich starker Weise der Professor aus der Enge seiner Gelehrtenstube hinausgeführt? Ward er je stärker daran erinnert, dass auch er ein Glied ist im Dienst der öffentlichen geschichtlichen Aufgaben seines Volks? Eine neue Klasse dieser internationalen Professoren wird sich bilden, die sich untereinander verbunden fühlen als Mitarbeiter an einem gemeinsamen Werk. Der Austausch von Gelehrten ist ein wahrhaft kosmopolitischer Gedanke – nur dass dieser Kosmopolitismus die nationale Eigenart nicht auslöscht, sondern geradezu voraussetzt und steigert.“

Und Professor Peabody fügte dem hinzu: „Der Besuch eines Professors ist eine vorübergehende Episode eines Semesters. Was von viel größerer Wichtigkeit ist, als die unmittelbare Wirkung eines einzelnen Vorlesungskursus, das ist die kumulative Wirkung dieser neuen Gelegenheit auf den Ehrgeiz und die Wünsche der jungen Leute. Viel wirksamer, als ein Austausch von Professoren an sich, wäre die Möglichkeit, durch den Austausch von Professoren die Mehrung des Austausches von Studenten zu fördern und den weiterblickenden, unternehmungslustigeren Studenten beider Länder die Erweiterung ihrer Lerngelegenheiten nahezulegen. Der Strom der studentischen Wanderung von den Vereinigten Staaten nach Deutschland ist bereits bedeutend, aber er bedarf sowohl der weiteren Ausdehnung wie der Direktion, welche ein frisch vom Mittelpunkt deutscher Wissenschaft gekommener Ratgeber geben könnte. Auf der anderen Seite könnte eine Gegenwandrung deutscher Studenten nach den Vereinigten Staaten und in soziale Verhältnisse, in denen Initiative und Fortschritt einen von Deutschland so scharf verschiedenen Lauf nehmen, lehrreich genug sein, um eine so kühne intellektuelle Entdeckungsreise zu rechtfertigen. Für die Vereinigten Staaten wenigstens liegt hierin die größte Bedeutung des akademischen Austausches. Der zunehmende Gedankenaustausch und Verkehr der jungen Gemüter in beiden Ländern würde eine Garantie für die Zukunft und die Bürgschaft internationaler Duldsamkeit, Freundschaft und Friedensliebe bedeuten. In Deutschland erwarten den amerikanischen Studenten viele Lehren, die er getrost nach Hause tragen kann, ohne einen Prohibitivtarif auf den wertvollsten deutschen Export fürchten zu müssen. Aber bei diesem Aneignen deutschen Wissens kann der Amerikaner zwei tiefere Lehren erhalten, welche sein Land noch sehr notwendig hat. Die erste dieser Lehren betrifft die Natur der Universität als einer Schöpfung, nicht des Geldes oder lediglich aus Gebäuden bestehend, oder aus ihrer Einrichtung, sondern groß durch die Gelehrsamkeit, die sie fördert, durch die Liebe zur Wissenschaft, welche sie erzieht, als eine Heimat des Idealismus, die sie darbietet. Die zweite Lehre, die sie erteilt, besteht in der Gelehrtennatur, in der Freude an dem selbständigen, fleißigen und zufriedenen Suchen nach Wahrheit, in dem Freisein von Selbstsucht und Ehrgeiz, in welchen Eigenschaften sich noch immer der schönste Typus deutschen Gelehrtentums kennzeichnet.“

Der an den Universitäten bemerkbare Einfluss deutscher Methoden strahlt natürlich auch auf die anderen Lehranstalten und Volksschulen über, die bekanntlich einen großen Teil ihrer Lehrkräfte von den Universitäten beziehen.

Die ausgezeichneten Ergebnisse des gegenseitigen Professorenaustauschs veranlassten im Jahre 1908 den Verwaltungsrat der Carnegie-Stiftung zur Förderung des Unterrichtswesens mit dem preußischen Kultusministerium Verhandlungen betreffs eines preußisch-amerikanischen Lehreraustauschs einzuleiten. Diese Verhandlungen kamen zum Abschluss, und es ward vereinbart, dass Preußen einen Oberlehrer und sechs Kandidaten entsenden solle, die in New York, Boston, New Haven, Worcester, Chicago und Exeter amtieren sollen. Die Vereinigten Staaten sollen zwölf Lehrer nach Preußen schicken, die hauptsächlich in den Universitätsstädten untergebracht werden. Zweifellos dürfte auch dieser Austausch von großem erzieherischem Wert sein.

Der Einfluss deutscher Methoden erstreckt sich selbstverständlich auch auf die Kindergärten, jene von dem großen Menschenfreund Friedrich Fröbel angebahnte Neuerung, die man mit Recht zu den bedeutendsten Errungenschaften der modernen Pädagogik zählt.

Es war Fröbel klar geworden, dass zwischen der Kinderstube, in welcher das Kind zwanglos schalten und walten darf, und dem unerbittliche Anforderungen stellenden Schulzimmer ein Übergang fehle, der dem Kind die Angewöhnung an die Pflichten und Gesetze der Schule erleichtere. Gerade die besten und talentvollsten Kinder, die eine Fülle von Lebenslust bekunden, empfinden den schroffen Wechsel von dem einem zum andern am schwersten. Die Kluft zu überbrücken, schuf Fröbel den Kindergarten, dessen Lieder, Spiele und unterhaltende Beschäftigungen das Kind unbewusst in das ernste Leben hinüberleiten.

Der erste Kindergarten in den Vereinigten Staaten wurde bereits im Jahre 1858 von der Hannoveranerin Karoline Louise Frankenberg, einer Schülerin Fröbels, in Columbus, Ohio, gegründet. Fröbel selbst hatte schon im Jahre 1836 in seiner Broschüre „Wiedererweckung zum Leben“ auf die Vereinigten Staaten als dasjenige Land hingewiesen, welches vermöge seines freiheitlichen Geistes und reinen Familienlebens am besten dazu geeignet sei, um seine Gedanken einer idealen Kindererziehung zu verwirklichen und aus derselben moralischen Nutzen zu ziehen. Wahrscheinlich durch diese Worte ihres Meisters angeregt, traf Fräulein Frankenberg 1838 in den Vereinigten Staaten ein, um die amerikanische Jugend nach den Theorien Fröbels zu erziehen. Ihre gute Absicht fand jedoch kein Entgegenkommen und sie kehrte deshalb schon 1840 wieder nach Keilhau, dem Wohnsitz Fröbels, zurück, unterrichtete dort zunächst zwei Jahre unter der persönlichen Leitung Fröbels, um dann ihren Wirkungskreis nach Dresden zu verlegen, wo sie elf Jahre tätig war. Dann wandte sie sich wieder den Vereinigten Staaten zu und gründete einen Kindergarten in Columbus, Ohio. Auch sie musste alle jene Widerwärtigkeiten und Enttäuschungen durchmachen, die sich stets mit einem bahnbrechenden Pionierleben verknüpfen. Nur mit großer Mühe gelang es ihr, einige Schüler zu erhalten, denn die Eltern betrachteten das Anfertigen von Vögeln, Booten, Hüten und dergleichen aus Papier, das Formen in Sand und Lehm, das Marschieren und Singen lediglich als Spielerei, als die beste Art und Weise, den Kindern die Zeit zu vertreiben und sie vor Unheil und Torheiten zu behüten. Dass in diesem kindlichen Spiel ein hoher erzieherischer Sinn lag, war den wenigsten klar. In ihrem sechzigsten Jahre ward Fräulein Frankenberg infolge eines Unfalls gezwungen, ihre Schule aufzugeben und nach dem Lutherischen Waisenhaus in Germantown, Pennsylvanien, überzusiedeln. In dieser Anstalt führte sie das Kindergartenwesen mit großem Erfolge ein. Fräulein Elisabeth Peabody, welche als die eigentliche Gründerin des amerikanischen Kindergartenwesens gilt, besuchte dort Fräulein Frankenberg öfter, um sich Winke für ihren Kindergarten zu holen, den sie in Boston gegründet hatte.

Fräulein Frankenberg starb in Germantown im Jahre 1882.

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Wir können diesen Abschnitt nicht schließen, ohne der Bestrebungen zu gedenken, die gemacht wurden, um auch den Unterricht in deutscher Sprache, Literatur und Kulturgeschichte in die Lehrpläne der amerikanischen Bildungsanstalten einzufügen.

Die in die Vereinigten Staaten eingewanderten Deutschen unterhalten seit langer Zeit deutsche Schulen, einesteils in dem Wunsch, ihren Kindern und Nachkommen die erhabenen Geistesschätze des deutschen Volkes zugängig zu machen, dann auch aus praktischen Gründen, die der Verfasser dieses Buches in einer im August 1903 von den „Vereinigten deutschen Gesellschaften der Stadt New York“ ausgesendeten Flugschrift in folgender Weise zusammenfasste: „Unsere öffentlichen Schulen sind diejenigen Anstalten, wo unsere Kinder für ihren späteren Kampf ums Dasein ausgerüstet werden sollen. Es muss demnach allen Eltern, welchen die Wohlfahrt und Zukunft ihrer Kinder nicht gleichgültig ist, daran gelegen sein, dass dieselben seitens der Schulen in erster Linie mit solchen Kenntnissen ausgestattet werden, welche die besten und sichersten Garantien für ihr späteres Fortkommen darbieten. Angesichts der Tatsache, dass die Handelsbeziehungen sämtlicher Länder Amerikas mit Deutschland in beständiger Zunahme begriffen sind, angesichts der Tatsache, dass in den Vereinigten Staaten allein mehrere Millionen Personen sich des Deutschen als Umgangs- und vielfach auch als Geschäftssprache bedienen, angesichts der von vielen amerikanischen Gelehrten zugestandenen Tatsache, dass die Kenntnis des Deutschen beim Verfolgen wissenschaftlicher Studien heutzutage geradezu unentbehrlich geworden sei, weil unzählige der wichtigsten neueren Werke aller Wissenschaften gerade in dieser Sprache geschrieben sind, angesichts der Tatsache endlich, dass von allen europäischen Sprachen Deutsch, die Mutter des Englischen, nach dem Englischen die verbreitetste ist und gegenwärtig von etwa 80 Millionen über den ganzen Erdball zerstreuten Personen geschrieben und gesprochen wird, geben wir unsrer Überzeugung Ausdruck, dass eine gründliche Kenntnis der deutschen Sprache für unsere Kinder von größter Wichtigkeit ist, weil diese Kenntnis ihre Befähigung zur späteren Teilnahme am wissenschaftlichen Leben erhöht und ihre Aussichten auf eine gesicherte Lebensstellung wesentlich verbessert.“

Die betreffende Flugschrift erschien als ein Protest gegen von gewissen Seiten gemachte Versuche, den deutschen Sprachunterricht durch Vorschieben anderer, weit weniger wichtiger Fächer aus den Schulen der Stadt New York zu verdrängen.

Dass das aufgeklärte Amerikanertum an solchen, leider nur zu häufig wiederkehrenden Versuchen keinen Anteil hat, beweisen – Professor Will H. Carpenter von der Columbia Universität zu New York äußerte sich über die kommerzielle Wichtigkeit der Kenntnis der deutschen Sprache folgendermaßen: „There are almost innumerable instances in America when the value of the possession of the German language may be expressed in the most material way, in terms of actual dollars and cents. In all our larger cities there are opportunities in plenty in the legal and medical profession that are not readily accorded a lawyer or physician who speaks English only.

In teaching, since German has and is to have an important place in the school curriculum, there are opportunities that can only be grasped by one who knows well both German and English. In many branches of trade, a knowledge of the two languages is necessary to a conduct of the business. This is not alone true of the great importing houses which in special cases deal only with Germany, but it is true, also, along vastly extended lines of export and import, in all parts of the country where the industrial and commercial importance of modern Germany inevitably creates German connections and German correspondence which, again, can only be properly attended to by one who knows both the English and German languages. This is true, furthermore, of insurance companies, of banks, and of many other branches of business in which bi-lingual correspondence-clerks and stenographers are needed as a necessary part of equipment. These conditions, too, are increasing, rather than diminishing in numbers and in value, and will continue to increase with the dominance of the English and German speaking nations.“

Und Präsident Gilman von der John Hopkins-Universität zu Baltimore sagte: „Wie im Mittelalter das Lateinische, so ist heute das Deutsche die Sprache der Gelehrsamkeit und Bildung, und kein Student kann auf letztere Bezeichnung Anspruch machen, wenn er das Deutsche nicht vollkommen beherrscht.“ – nicht bloß zahlreiche Äußerungen hervorragender amerikanischer Professoren, die sich für den Unterricht in deutscher Sprache erklärten, sondern auch die Tatsache, dass der deutsche Sprachunterricht trotz solcher Anfeindungen sich von Jahr zu Jahr mehr auf den höheren amerikanischen Lehranstalten einbürgert. Um die Jahrhundertwende wurde festgestellt, dass an den Universitäten 30.000, an den Hochschulen und Colleges 100.000, an den öffentlichen Volksschulen 300.000, an den katholischen Pfarrschulen 125.000 und an Privatschulen 30.000 Zöglinge am deutschen Unterricht teilnahmen. Da von vielen Schulen keine Angaben eingelaufen waren, so lässt sich annehmen, dass im Jahre 1900 von etwa 15 Millionen Schülern mindestens eine Million Deutsch erlernte.

Fast jede auf Bedeutung Anspruch erhebende Universität und Hochschule besitzt jetzt eine besondere Abteilung, wo deutsche Sprache gelehrt und germanistische Studien betrieben werden. An der Harvard-Universität, deren deutsche Abteilung heute bereits zwölf Professoren benötigt und etwa 1.500 Teilnehmer an vierzig germanischen Studien gewidmeten Kursen zählt, kam es sogar dank der Anregung des Professors Kuno Francke zur Gründung eines „Germanischen Museums“, welches die Kulturentwicklung der germanischen Rasse in Deutschland, Skandinavien, Dänemark, den Niederlanden, Deutsch-Österreich, den deutschen Kantonen der Schweiz und dem angelsächsischen England an charakteristischen Denkmälern der Kunst und des Gewerbes veranschaulichen soll. Das Ziel, welches Francke sich dabei steckte, ist, dieses Museum zu einem Hochstift deutscher Kultur zu gestalten, wo berufene Gelehrte Vorträge über deutsche Geschichte, Literatur und Kunst halten und die studierende Jugend Amerikas mit den Schätzen der deutschen Kultur bekannt machen sollen. Dieses mit dem Anbruch unseres Jahrhunderts eröffnete Museum hat sich in hohem Grade der Förderung seitens Seiner Majestät des deutschen Kaisers und mancher deutschen Städte zu erfreuen gehabt. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass es im Lauf der Zeit zu einem mächtigen Denkmal deutschen Geistes auf amerikanischem Boden anwachsen wird.

Zu Ende des Jahres 1904 entstand auch in New York eine „Germanistische Gesellschaft von Amerika“. Sie stellt sich die Aufgabe, das Studium und die Kenntnis deutscher Bildung in Amerika und amerikanischer Bildung in Deutschland zu fördern, und zwar durch Unterstützung des Universitätsunterrichts auf diesem Gebiete, durch Veranstaltung öffentlicher Vorträge, durch Herausgabe und Verbreitung geeigneter Schriften sowie durch andere Mittel, die dem Gründungszweck entsprechen. Ein Zyklus von Vorträgen über deutsche Kulturgeschichte an der Columbia-Universität während des Jahres 1905/06, sowie die Einladung des Dichters Ludwig Fulda und des Assyriologen Professor Friedrich Delitzsch zu einer Reihe von Vorträgen in verschiedenen amerikanischen Städten bildeten die ersten Taten dieser Gesellschaft. Im Jahre 1907 folgten Vorträge der Professoren Heinrich Krämer von der Kunstakademie zu Düsseldorf, des Professors Otto Hötzsch von der Akademie in Posen und von Professor W. Sombart aus Berlin. Diesem schlossen sich in der Folge andere namhafte Gelehrte an.

Ähnliche Ziele verfolgt das in Verbindung mit der „Northwestern Universität“ zu Chicago gegründete „Germanische Institut“. Es will gleichfalls in Amerika ein weiteres und tieferes Interesse für die Ergebnisse deutscher Gelehrsamkeit und Kultur schaffen und die zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland bestehenden Bande enger knüpfen. Es will ferner zeigen, inwiefern das deutsche Element das Leben und Streben des amerikanischen Volkes beeinflusste und eine wie große Rolle Deutschland und die Deutschen in der Geschichte der Entwicklung Amerikas spielten. Ähnliche Ziele erstrebt die im Oktober 1906 in Boston gegründete „Deutsche Gesellschaft“.

Alle diese Gründungen sind nicht bloß bedeutsame Symptome für das mächtig wachsende Interesse an deutscher Kultur, Kunst, Literatur und Wissenschaft, sondern auch Betätigungen des immer weitere Kreise erfassenden Glaubens, dass zwischen der Bevölkerung der Vereinigten Staaten und derjenigen Deutschlands nicht bloß eine Stammesverwandtschaft, sondern auch eine Wahlverwandtschaft besteht und dass die Zukunft der Weltkultur vorwiegend von der geistigen Bundesgenossenschaft beider Völker abhängig sei.

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Dass die Deutschamerikaner in vielen Städten eigne, ganz nach deutschem Muster eingerichtete Schulen gründeten, wurde bereits erwähnt. Viele standen und stehen noch unter der Leitung tüchtiger, meist in Deutschland ausgebildeter Pädagogen, wie Rudolf Dulon, Adolf Douai, Hermann Dorner, Emil Dapprich, Otto Schönrich, Hermann Schuricht, Heinrich Scheib, Georg Adler, Julius Sachs, Maximilian Großmann, G. A. Zimmermann, Rudolf Solger, H. H. Fick und andere.

Eine dieser Erziehungsanstalten, die von Peter Engelmann gegründete „Deutsch-Englische Akademie“ zu Milwaukee, erhielt eine höhere Mission durch ihre Verbindung mit dem „Deutsch-Amerikanischen Lehrerseminar“, dessen Stiftung von dem im Jahre 1870 entstandenen „Deutsch-Amerikanischen Lehrerbund“ beschlossen wurde. Und zwar aus folgenden Gründen:

1 Die deutschamerikanische Jugend braucht deutschamerikanische Erzieher.

2 Die zweisprachige Schule, die Schule der Zukunft, fordert für die Vereinigten Staaten Lehrer, die im Deutschen und Englischen gleich vollkommen ausgebildet sind.

3 Die deutsche Pädagogik, die Pädagogik der Humanität, bedarf solcher Vertreter, denen diese Wissenschaft, diese Kunst zu Fleisch und Blut geworden ist. Solche Lehrer und Erzieher muss das Seminar des Lehrerbundes bilden, wenn es seine Aufgabe richtig erfasst hat.

Bei der Gründung des Seminars traf man folgende Bestimmungen: „Dass der deutschamerikanische Lehrerbund den Lehrplan für das Seminar und die Seminarschule festsetzen, und dass nur mit seiner Einwilligung derselbe abgeändert werden darf, sowie dass im Seminar nur Wissenschaft von ihrem jeweiligen Standpunkte aus zu lehren ist, nicht aber Glaubenssätze, und dass Geistliche darin nie Lehrer sein können.“

Die Eröffnung dieses durch freiwillige Beiträge des Deutschamerikanertums unterhaltenen Seminars erfolgte im Jahre 1878. Der Unterricht ist kostenfrei. Der Lehrplan sichert den Seminaristen eine gründliche Ausbildung auf allen Gebieten. In politischen und religiösen Fragen herrscht die weitestgehende Toleranz. Ein einziger Gedanke leitet die Anstalt: aus ihren Zöglingen echte Schulmänner zu machen.

In der mit dem Seminar verbundenen „Deutsch-englischen Akademie“ bietet sich den vorgeschrittenen Seminaristen Gelegenheit, sich für ihren Beruf praktisch auszubilden. Außerdem besteht ein Abkommen mit den Schulbehörden der Stadt Milwaukee, demzufolge die Seminaristen auch in den öffentlichen Schulen, wo deutscher Unterricht erteilt wird, sich täglich eine Stunde lang im Ausüben ihres künftigen Berufs betätigen können.

So ist das deutschamerikanische Lehrerseminar eine Musteranstalt, die nicht nur dem Deutschamerikanertum zur Ehre gereicht, sondern durch die stete Aussendung vorzüglich ausgebildeter Lehrkräfte in hohem Grade befruchtend auf das Bildungs- und Erziehungswesen der Vereinigten Staaten wirkt.

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Hier geginnt Teil vier dieses Bandes:

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Rudolf Cronau: Drei Jahrhunderte deutschen Lebens in Amerika Teil 4

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