Читать книгу Moselfahrt aus Liebeskummer - Rudolf G. Binding - Страница 5

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All das durchlief mich, den Wanderer, eilig wie ein Strom von Eindrücken, den man gierig in sich hineintrinkt, um keinen zu versäumen. Kaum noch hatte ich die ersten Stationen, die ersten Strecken der Straße, die ersten Halte hinter mir. Ich sah das Tal, den Fluß, die Berge, die kleinen Orte, die Rebengelände nicht das erstemal. Aber alles schien dichter, schimmernder, wahrer. Es war mit einer sanften Gewalt erfüllt – wie mit einer neuen, wahrhaftigeren Substanz, einem volleren Gehalt. Ich suchte nichts, begehrte nicht mehr, als mit einer Landschaft allein zu sein – wie mit etwas sehr Einfachem, mit einem Quell oder einer Wahrheit. Nun ereiferte ich mich für sie. Mit keinem anderen Fluß unseres Vaterlandes, sagte ich mir, ist die Mosel zu vergleichen. Sie ist landschaftlich westlicher, man möchte ruhig sagen: französischer als alle. Sie ist sehr anders geartet als der Rhein, mit dem sie so häufig verglichen wird, als sei sie ein „kleiner Rhein“. Wo er erregt, beruhigt, beglückt sie. Wo er Sehnsüchte weckt, bringt sie Erfüllung. Wo er berauscht, macht sie gefaßt. Wo er ins Weite treibt, da schließt sie ab. Wo er überschwenglich wird, da hält sie inne. Wo er heldenhaft eine breite Ebene und die Gebirge weithin beherrscht, die Landschaft bestimmt und sich in unablässigem Lauf unterwirft, da geht die Mosel ein Bündnis ein. Die Züge des Rheinischen Schiefergebirges stellen sich ihr quer in den Weg. Wenn sie einst mit Gewalt durch die vielen Riegel der gleichförmigen Geschiebe brach, so war es doch mehr List, die sie schlangengleich in vielfachen Schleifen zum Ziele führte, als siegreicher Durchbruch. Immer hält sie wieder an sich, umgeht, fließt fast zurück zur Stelle des letzten Ausbiegens, begnügt sich mit Windung nach Windung zwischen dem verworfenen Getäfel, bis sie in einem beruhigten, belebenden Gleichgewicht mit den Elementen ruht. Sowenig sie fehlen darf zwischen den wechselnden Hängen der Reben, die bald rechts, bald links, bald auf beiden Seiten sie begleiten, sowenig bestimmt sie. Rebland mit Fluß, Fluß mit Rebland in gleicher Geltung, bis weit hinauf, wo waldige Kämme die Terrassen der Berge überziehen. Diese stehen, Kulisse hinter Kulisse, oft mit den schmalen Seiten der Schieferzüge gegen den Flußlauf. Dann ist wirklich der Schiefer zerrissen. Felsiges, steiles Gebröckel, glänzend, lose, umgibt die Wurzeln der Reben. Man schmeckt den Schiefer im Wein, man atmet ihn in der Luft, man riecht ihn nach flüchtigem Regen, wenn die Sonne die porösen Schichten eilig trocknet und das samtene metallene Grau wieder aufblitzt unter den Rebstöcken, als ob die Trauben auch vom Boden noch die zurückgeworfenen Sonnenpfeile aufzusammeln hätten. –

Ich beschwichtigte mich nun wieder. Alles um mich war warm und still. Es umgab mich und hielt mich.

Wollte man den Charakter der Landschaft bezeichnen, so könnte man kaum von mehr sprechen als von leichter Ruhe, ruhiger Leichtigkeit. Und das ist viel. Legte man die beiden Charakterelemente der Leichtigkeit und Ruhe in zwei Waagschalen, sie würden sich aufheben. So sind sie gemischt zu einer bezaubernden Grazie, Reinheit, Bekömmlichkeit. Ihr Ausdruck sind der Mensch und der Wein dieses Landes.

Moselfahrt aus Liebeskummer

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