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Briefe an einen Freund Brief 1

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Mein Freund! Was ist das Leben? Wie leicht sich diese Frage stellt ... Ich versprach dir Nachricht zu geben, wenn ich hier sei. Und da es nun so ist, will ich mein Versprechen auch halten. Mein Kopf ist frei, doch nicht mehr fern sind die Stunden der Bewährung. Diese Vorahnung beschleicht mich mit unsicheren Gefühlen. Das sind tatsächlich zweierlei Ding: Planung und Ausführung. Wer weiß, ob ich den Anforderungen gewachsen sein werde, die Herausforderungen annehmen kann. – Ja, ja ... du hattest mir mehrmals von meinem Unterfangen abgeraten, in aller Freundschaft, doch mit Nachdruck. Aber der Mensch ist Mensch – und wer könnte ihm seine Natur absprechen? So nimm denn Anteil an meinem künftigen Schicksale, wie es auch immer geraten möge. Gönne dir in mancher Stunde einen flüchtigen Gedanken an mich und wünsche mir Glück. Du weißt, unter welchem Himmel ich mich momentan bewege.

Ich wurde sehr freundlich empfangen, mein bescheidenes Gepäck aufgenommen, der Kutscher zum Nebenhaus geleitet, die Pferde versorgt. Das Haupthaus, schemenhaft erkennbar, stand mir zu Diensten. Ein Mann und eine Frau, Bediente ausweislich ihrer Kleidung, versicherten mich aller Bequemlichkeiten, ich solle nur nach ihnen verlangen. Die Anreise war beschwerlich gewesen (wenngleich durch Landschaften führend, die ebenso herrlich wie mir fremd waren; ich könnte nicht sagen, ob dabei manche Grenze überschritten wurde) und hatte mich erst zu später Stunde an meinen Bestimmungsort geführt, doch hinderte dies die lieben Menschen nicht daran, mir schnell genug eine Mahlzeit zu kredenzen. In einer kleinen Kammer, wo ich Schüssel und einen Krug frischen Wassers vorfand, konnte ich die Zeit der Zubereitung für die nötigste Reinigung verwenden. Das Essen ließ ich mir wohl schmecken, zumal die Verpflegung der letzten Tage nicht von der besten Sorte gewesen war. Anschließend wurde mir höflich ein Schlafgemach zugewiesen, wobei der mich begleitende Diener versicherte, dass mir der Hausherr morgen zur Verfügung stünde. Heute sei dieser überraschend und ohne möglichen Aufschub zu einer Konsultation gerufen worden und ließe mir hiermit sein Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass er nicht selbst habe mich empfangen können. Seine Verpflichtung sei jedoch dringlich gewesen. Ich wurde befragt, ob ich es wünsche, des Morgens zu einer bestimmten Stunde geweckt zu werden oder es, angesichts der Beschwernisse der weiten Anreise, vorzöge, nicht verfrüht dem erholsamen Schlafe entrissen zu sein. Keine Umstände, entgegnete ich. Meine innere Uhr würde mich wohl frühzeitig aus dem Bett führen (du weißt, mein Schlaf ist seit längerer Zeit nicht mehr der beste).

So bin ich also hier gelandet, lieber Hans. Und wäre froh, wieder fort zu sein. – Nein, mein Herz, bleibe stark, wenn die Angst sich über dich legt. Denke an die absolute Verzweiflung, die dich hierher getrieben hat. Die Macht der Verzweiflung wird stärker sein als alle Dämonen, die dich wieder unter das Joch der Verdammnis knechten wollen. Was ist schon das bisschen Angst, verglichen mit einem freudlosen Dasein. – Also gut: Du sollst auch weiterhin Nachrichten von mir erhalten, auch das war versprochen. Dabei wäre keine Verpflichtung nötig gewesen, tue ich es doch gerne. So bleiben wir im Geiste einander nah: in der Hoffnung auf ein besseres Wiedersehen (gib es zu: So konnte es mit mir nicht weitergehen). Du kannst mir nicht schreiben, wir hatten das besprochen. Ich kenne ja selbst nicht meine jetzige Adresse. Und ich dürfte, könnte und wollte sie dir auch nicht mitteilen (wer weiß, auf welche Gedanken du kommen würdest). Die Zensur, die in diesem Hause herrscht, würde es auch vollkommen unmöglich machen. Das wurde mir vor Antritt meiner Reise mitgeteilt, und ich war mit diesen Gepflogenheiten einverstanden gewesen, besiegelte das Abkommen mit meiner Unterschrift. Wie sagtest du? Eine Fahrt ans Ende der Welt. Ja, so könnte man es nennen. Doch selbst dabei spielt es eine Rolle, ob man sein Pferd an der ersten Wegkreuzung nach rechter oder linker Hand führt. Wo ist das Ende dieser Welt? Soll es liegen, wo es mag. Wenn’s für mich nur ein neuer Anfang wäre! Ich jedoch darf dir schreiben, so viel und so oft ich möchte (dir alleine), nur kann ich nicht sagen, ob dir die Briefe überhaupt, und wenn ja, welche davon, zugeleitet werden. Auch darf ich die Schreiben nicht mit einem Datum versehen. (Ob ich sie nummerieren darf?) Aber das sind in meinen Augen nur Belanglosigkeiten. Welchen Sinn hätte auch eine Zeitangabe auf einer nicht übermittelten Botschaft? Habe ich das eine akzeptiert, so werde ich das andere verschmerzen. Wir beide hatten in mancher langen Nacht mein Vorhaben ausführlich diskutiert, du hattest mich gewarnt, beschwört, mich nicht auf solche sicherlich ungewisse, wahrscheinlich gefährliche Machenschaften einzulassen, ich hatte dir zugehört, mit Stolz in der Brust, einen solchen Freund zu haben, hatte versucht dich zu trösten, letztendlich meinen Kopf durchgesetzt ... mein Guter, wie hättest du es verhindern können? –

Nun bemerke ich doch, wie schnell mich die Müdigkeit überkommt. Es ist sehr spät. Die mehrtägige Kutschfahrt auf schlechten Wegen, wie auch die mit der Reise verbundenen, nur hinlänglich ausgestatteten Übernachtungsquartiere haben mich doch mehr beansprucht, als ich mir eingestehen wollte. So höre meinen ersten, stillen Gruß aus weiter, unbekannter Ferne. Zermartere dir nicht das Hirn ob deines armseligen Freundes. Alles wird gut werden! – Gute Nacht! ... Schlafe ruhig.

Wantlek - Die Briefe

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