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Vorwort zur ersten Auflage 1927

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Es war eine besonders schwere Aufgabe, diese Vorträge, die aus dem lebendigen Zusammenwirken von Redner und Darstellern entstanden sind, zu einem Buche zusammenzuschweißen. Sie wurden nicht in der Weise gehalten, daß sie einen enzyklopädischen Überblick über das ganze Gebiet der Eurythmie hätten geben sollen; sie griffen in einem bestimmten Momente der Entwicklung ein, in dem es nötig war, Überschau zu halten über das, was während einer Reihe von Jahren an Arbeit geleistet worden war, und auch schon von verschiedenen Lehrerinnen in die Welt hinausgetragen worden war. Das sollte einer Prüfung und Korrektur unterworfen werden, und »eine Summe von Richtlinien sollte gewonnen werden, die ganz aus dem Wesen der Eurythmie heraus entwickelt waren«. Rudolf Steiner sagt im letzten Vortrage dieses Zyklus, daß es ihm vorzugsweise darauf angekommen ist, ihn so zu gestalten, daß man sehen kann, »wie aus dem Gefühl unserer Seele sich das Eurythmische heraus ergibt, wie sozusagen eurythmische Technik in Liebe zur Eurythmie eigentlich erworben werden soll, wie alles aus der Liebe heraus kommen soll«. Aus der Liebe heraus strömten seine Worte und ergossen sich helfend in die geleistete Arbeit, die nun selbst einer genauen Kontrolle sich unterziehen wollte. Bis zu diesem Augenblicke hatte es noch keine stenographisch festgehaltene Niederschrift der Unterweisungen gegeben, durch welche Rudolf Steiner diese Kunst ins Leben hineingestellt hat. Im Jahre 1912 hatte er neun Stunden einem siebzehnjährigen jungen Mädchen gegeben, das nach dem Tode des Vaters in die Notwendigkeit versetzt worden war, tätig mitzuhelfen bei der Versorgung der jüngeren Geschwister: sie wollte sich gerne einer Bewegungskunst widmen, die nicht aus den materialistischen Impulsen der Zeit herausgeholt war. Diese Lebenstatsache war der Anstoß zu jener Gabe, aus der die Eurythmie geworden ist. Ich wurde aufgefordert, an diesen Stunden teilzunehmen; sie enthielten die ersten Elemente der Lautbildung und einige Übungen, die im Wesentlichen dem pädagogischen Teil der eurythmischen Ausbildung eingereiht worden sind; die Grundlagen für Stehen, Schreiten, Laufen, einige besondere Haltungen und Stellungen, viele Stabübungen, das Taktieren und Rhythmus-Halten. Aus diesen Grundlagen heraus entwickelten dann einige junge Damen, die Schülerinnen der ersten Eurythmistin wurden, den pädagogischen Teil der Eurythmie; sie gingen dann über zur lautlichen Ausarbeitung von Gedichten. Das war die erste Phase der eurythmischen Ausbildung. Hin und wieder, wenn ihm etwas gezeigt wurde, gab Rudolf Steiner Ermahnungen und Korrekturen, antwortete auf Fragen. Eine zweite Phase der eurythmischen Entwicklung begann, als die junge Kunst Fuß faßte in Dornach am Goetheanum. Die erste Gruppe junger Lehrerinnen erbat und erhielt einen weiteren Kursus, in dem hauptsächlich Wortgliederung, Wortzusammenhänge, die Gestaltung der Rede, der Strophen-Aufbau, neue Gruppenformungen und so weiter gegeben wurden. Sie zogen damit hinaus, aber der Krieg legte ihre Tätigkeit bald lahm. Um die junge Kunst zu retten und die Ausübenden der auferlegten Untätigkeit zu entreißen, wurde es nötig, daß ich mich ihrer annahm. Diese Aufgabe trat wie schicksalsgemäß, mit Selbstverständlichkeit an mich heran, denn eine neue Art der Rezitation wurde für die Eurythmie notwendig, zu der ich die Wege finden und die ich ausgestalten mußte. Ich erkannte die hohe Bedeutung der Eurythmie als Wiederbelebungsquell für alle Künste; mich jammerte der Umstand, daß der Eifer der jungen Damen während der Kriegsjahre brachgelegt werden sollte. Den Geschmacksverirrungen der Gegenwart gegenüber gab es kein besseres Heilmittel als diese neue Kunst, die zu den Urkräften, den schöpferischen Kräften der Welt zurückführte. Sie bedeutete eine ungeheure Wohltat für die Menschheit: so arbeitete ich denn das eine Halbjahr in Deutschland mit einer Reihe von jungen Damen, das andere am Goetheanum in Dornach, immer unterstützt und gefördert von Rudolf Steiner, an den wir mit all unsern Fragen herantreten durften. Was wir im Laufe der Zeit von ihm an Unterweisungen erhielten, ist in Buchform nun zusammengefaßt und niedergeschrieben worden durch Annemarie Dubach-Donath, eine unserer hervorragendsten und erfahrensten Eurythmistinnen, die zweite in der Reihe der jungen Damen, die sich dem Studium der Eurythmie gewidmet hatten. Es erscheint demnächst im Philosophisch-Anthroposophischen Verlag unter dem Titel »Die Grundelemente der Eurythmie« und bildet die nötige Voraussetzung, das Fundament für dieses Werk hier, das seiner bedarf, um verstanden zu werden, und ohne diese Grundlage keine Vollständigkeit hätte. Zu diesem Kursus vereinigten wir uns wie zu einer gemeinsamen Feier. Man war mit vielen Fragen an Rudolf Steiner herangetreten, man revidierte, man verständigte sich über Dinge, bei denen verschiedene Auffassungen entstanden waren. So trug das Ganze den Charakter der unmittelbaren frischen Improvisation; Zeichnungen wurden auf die Tafel schnell hingeworfen, Übungen zur Exemplifizierung von den jungen Damen ausgeführt; es stand alles im Zeichen des Gespräches und des Zusammenarbeitens, nicht des Dozierens. So war ja oft der Unterricht, den Rudolf Steiner seinen Schülern angedeihen ließ, aber niemals in so hohem Maße wie bei diesem Kursus über Eurythmie. Er selbst hätte wahrscheinlich verlangt, daß der Inhalt dieser Vorträge, verarbeitet und durcherlebt, nun von einem andern umgegossen und wiedergegeben würde. Jetzt aber, wo er von uns gegangen ist, ist uns sein unmittelbares Wort das höchste. Selbst da, wo es uns nur bruchstückweise und verstümmelt wiedergegeben werden kann wie in diesem durch Gebärden und Betätigungen immer wieder unterbrochenen Kursus, leuchten uns doch Zusammenhänge auf, rührt es an Höhen und Tiefen, die durch das Wort eines anderen verlorengehen müßten. In der Ursprünglichkeit seines geistigen Tonfalls hebt es sich von Untergründen ab, aus denen Weltengeheimnisse durchschimmern. So bringt er uns nun weiterhin, auch nach seinem Tode, das Opfer, das er während seines ganzen Lebens hat bringen müssen: die zerstückelten Bruchteile seines Geistes in der Niederschrift eines anderen den Menschen hinzugeben. Die von seinem Geiste lebten, erzwangen von ihm dieses Opfer. Keiner weiß, was es ihn gekostet hat. Aber das Opfer ist gebracht worden. Es birgt für unsere Zeit die Weisheit, die uns die Zusammenhänge von Welt und Mensch bis ins einzelne erschließt; es gibt unserer gegenwärtigen Menschheit, die ohne festgehaltene Niederschrift das Wort des Geistes nicht mehr gedächtnismäßig würde bewahren können, den Wissensschatz, an dem sie sich immer mehr zur konkreten Realität des Geistes emporranken kann; es enthält den zündenden, lebenweckenden Funken. Die Eurythmie war eines der liebsten Geisteskinder Rudolf Steiners. Aus kleinen Anfängen heraus entwickelte sie sich ganz organisch, Trieb an Trieb ansetzend, zu einem kräftigen Stamm, dank der ihr eigenen gesunden Lebensfülle und dem Arbeitseifer ihrer Vertreter. Sie veredelte denjenigen, der sich ihr hingab, sie zwang ihn, immer mehr das Persönliche abzulegen; zur Willkür war in ihr kein Raum. Die ihr innewohnende Gesetzmäßigkeit entsprang geistigen Notwendigkeiten; man erkannte diese willig an, denn in ihnen erlebte man Notwendigkeit, erlebte man Gott. Dadurch konnte sie die Begeisterung so stark entfachen; dadurch verbanden sich selbstlos mit ihr so viele hingebende Arbeitshilfskräfte, sodaß ihr Wirkungsfeld sich immer mehr ausdehnen konnte. Neben der Rezitation griff sie befruchtend ein in die Musik und eröffnete ihr neue Wege und Ausdrucksmöglichkeiten; eine neue Beleuchtungskunst entstand, eurythmischen Stilgesetzen folgend, eine vereinfachte, veredelte und der Willkür enthobene Bekleidungskunst, auf Grund von Farbenstimmungen, Farbeneurythmie. In der Verbindung mit dem Drama führte sie dazu, demjenigen Wesensausdruck verleihen zu können, das sich sonst einer sinngemäßen Ausdrucksweise entziehen muß. Die Darstellung des Hereinwirkens vom Übersinnlichen und Unter-sinnlichen in das Erdenleben wurde nun möglich. So hatten wir im Laufe der Jahre auf der Bühne, die in der großen Schreinerei des Goetheanums entstanden war, alle Szenen aus »Faust« durcharbeiten können, in die das Übersinnliche hereinspielt und die sonst gestrichen oder verstümmelt werden: die Romantische Walpurgisnacht erstand zu ungeahnt krausem Leben und auch die Klassische Walpurgisnacht mit ihrem Reichtum an gespenstischem Geschehen. Elfen, Engel und himmlische Heerscharen wirkten in dieser Darstellung einfach, erhaben und überzeugend. Je mehr wir arbeiteten und schufen, desto mehr erhielten wir; jedes in Tat umgesetzte Streben bewirkte neue Gaben von Seiten des gütigen Spenders. Der Arbeitsmöglichkeiten gab es so viele, daß die zu Gebote stehende Zeit damit nicht Schritt halten konnte. Nach mehreren Jahren unentwegter Trainierung und des Bühnenauftretens unter Gesinnungsgenossen hatten die Darsteller der Eurythmie sie in die breite Öffentlichkeit hinaustragen dürfen. Die Wirkung war eine starke: sie fand begeisterten Anklang oder leidenschaftliche Bekämpfung. Gleichgültig blieb niemand. Der Ostrazismus der kulturellen Machthaber bedrohte sie; die Pressevertreter hatten meistens den Auftrag, gegen sie zu schreiben, auch wenn sie selbst, wie sie oft gestanden, begeistert waren. Die Vertreter nachbarlicher Künste waren oft tief ergriffen, oft auch aggressiv ironisch. Die Zunftgenossen in Reformbestrebungen fühlten sich in ihren ausgeklügelten Systemen von einer unbekannten, aber zukunftsicheren Kraft bedroht. Unvoreingenommene Zuschauer dankten Gott, daß es eine so reine und edle Kunst geben könne. Kinder fragen meistens, ob das die Engel seien, von denen man ihnen erzählt hatte, und die kräftigen »Ah« und »Oh« der hingerissenen Bewunderung legten oft beredtes Zeugnis ihrer Eindrücke ab. Diese Kunst wirkte innerhalb der Sümpfe unserer modernen Zivilisation wie das Licht und wie die Flamme; aufzischten und geiferten manch dunkle Nachtvögel – wie im Stahlbad gereinigt atmeten diejenigen auf, die aus den Niederungen unserer Kultur herauswollten. Der Geist brach sich Bahn in einer Kunst und wirkte reinigend und belebend... Was einst der Menschheit in den alten Mysterien als Wegzehrung gereicht worden war auf ihrem Wege zur Entfaltung der Persönlichkeit hin, wird ihr neu gereicht jetzt, wo sie der Persönlichkeit verlustig gehen könnte, in diesem Augenblicke, wo das Menschliche im Unter-menschlichen zu versinken droht, wenn es sich nicht in seinem Wesenskern erfaßt. Der Intellekt allein wird hierbei nicht helfen; der Verstand, sich selbst überlassen, hat uns zum Agnostizismus geführt, zum Ignorabimus, zum Spenglerismus. Öffnet er sich aber dem Geiste, läßt er sich von ihm die Wege weisen, so werden dessen schaffende Kräfte die Todeskeime überwinden und die Kräfte des Verfalls metamorphosieren... Scheinbar Geringes kann hier das Größte bedeuten. Beginnen wir bei der Erziehung durch Kunst und in Kunst; gehen wir den Weg zurück, der zu den Quellen führt, in denen die Kunst ihren Ursprung hat. Dieser Ursprung freilich war kein geringer – es war der Sternenreigen und seine Widerspiegelung in der menschlichen Sphäre als Planetentanz – als Tempeltanz. Da strömten die schöpferischen Kräfte in den menschlichen Leib hinein, formbildend, richtunggebend, und erzeugten die Kräfte, die auch den Menschen selbstschöpferisch werden ließen. Und aus diesen Kräften heraus erwuchs ihm die Fähigkeit, das, was in ihm wirkte, hinüberzuleiten in Werke der Kunst, der bildenden, der tönenden Künste, die das Göttliche abfingen und in die Materie hineinschimmern ließen, in sich den Kosmos widerspiegelten. Als durch das Hereinbrechen des Materialismus die göttlichen Kräfte im Menschen verstummten, erstarben, und das menschliche Gehirn der Sarg wurde für tote Gedanken, die das Geistige nicht mehr ergreifen konnten, erstand uns ein Retter. Er durchgeistigte den Intellekt. Er entriß ihn der Erstarrung. Er gab ihm die lebendige Bewegung zurück. In alle Gebiete der menschlichen Betätigung brachte er hinein die Bewegung. Wir aber hatten vergessen, was Geistbewegung ist, weil uns die Bewegung des von uns ergriffenen und bewältigten Stoffes genügte und berauschte und jagte. Wir merkten nicht, daß wir dabei geistig passiv wurden und daß wir im Ersatz durch Sport uns nur Eigenbewegung vortäuschten. Auch durch ihn entfernten wir uns immer mehr von der geistigen Impulsivität. Wir müssen im erwachten Bewußtsein zu ihr zurückkehren, an uns selbst ablauschen, wo die Bewegungskräfte ihre Wirkensmacht und ihre Richtungstendenzen herleiten; dann werden wir in dem Erfassen des Schöpferisch-Wirksamen die organbildenden Kräfte verspüren und werden beginnen können, neue geistige Organe auch in uns selbst zu entwickeln. Damit werden wir die Erstarrung, die Verholzung, die Verdorrung überwinden, welche erlesenste Intelligenzen heute zum äußersten Pessimismus zwingt. Dies hat der hervorragendste Verkünder deutschen Geistes immer wieder während der Weltkriegskatastrophe warnend den Deutschen zugerufen, und er hat die ermunternden Worte gesprochen: Der deutsche Geist hat nicht vollendet, Was er im Weltenwerden schaffen soll. Er lebt in Zukunftssorgen hoffnungsvoll, Er hofft auf Zukunftstaten lebensvoll. In seines Wesens Tiefen fühlt er mächtig Verborgenes, das noch reifend wirken muß. Wie darf in Feindesmacht verständnislos Der Wunsch nach seinem Ende sich beleben, So lang das Leben sich ihm offenbart, Das ihn in Wesenstiefen schaffend hält! Dieses Leben muß der Deutsche ergreifen. Es liegt aber nicht in der »Reinhaltung der Rasse«, wie das Schlagwort lautet. Es liegt in der Erfassung seiner Ichkräfte, der göttlichen Ichkräfte. Der Weg dahin aber geht durch das Bewußtsein. Metamorphosiertes Persönlichkeitsbewußtsein, zum unsterblichen Ich emporgehoben, hat Schaffenskraft, birgt den Geist in sich und wird nicht schwächliche Nachblüte, sondern die stärksten Kulturen auswirken. Dieser Weg führt uns zurück in das Tempelinnere, aus dem die alten Kulturen emporgestiegen sind, zuerst im Wort und in der Kunst, nicht unbewußt, sondern durch das Bewußtsein der erlesensten Geister geleitet. Sie werden uns auch weiter helfen jetzt, wo es notwendig geworden ist, daß unser eigenes Geist-Bewußtsein tätig mitschafft und allmählich allgemeines Menschheits-Ich-Bewußtsein wird. Erschließen wir uns dieser Hilfe, sind wir in der Lage, uns dem Geist zu öffnen, auf allen Gebieten, auch in dem, was uns dieses Buch an Geistoffenbarung und Menschen-Erkenntnis bringt, dann werden wir nicht mehr zur Aufpeitschung unserer erschlafften Nerven dekadente Negertänze brauchen, die von der Maschine aus in uns hineingehämmert werden und uns zu Mechanismen machen, so allmählich unser bestes Menschentum ertötend, sondern wir werden Verständnis gewinnen für eine edle, dem Geiste entnommene Bewegungskunst, die den Sternenreigen widerspiegelt und die Sprache der Sterne, die uns erschaffen hat, in Reinheit wieder in uns sichtbar erklingen läßt.

Marie Steiner

Eurythmie als sichtbare Sprache

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