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Erste Seminarbesprechung 21. AUGUST 1919, STUTTGART
ОглавлениеMeine lieben Freunde, nachmittags will ich in freier Weise besprechen, was bei Ihnen Unterrichtsaufgabe werden soll, Einteilung des Schulwesens, Ordnung des Unterrichts und dergleichen. In den ersten Tagen werden wir uns wohl hauptsächlich zu beschäftigen haben mit dem Kapitel, wie wir den Kindern gegenübertreten.
Wenn wir Kindern gegenübertreten, sehen wir bald, dass die Kinder verschieden geartet sind, und auf die verschiedene Artung der Kinder muss trotz des Massenunterrichtes, auch bei großen Klassen, Rücksicht genommen werden. Wir wollen zuerst, unabhängig von allem anderen, uns dasjenige zum Bewusstsein bringen, was gewissermaßen ideale Notwendigkeit ist. Wir brauchen uns nicht allzu sehr daran zu halten, dass Klassen überfüllt sein könnten, denn ein richtiger Lehrer wird, wenn es notwendig sein sollte, vor überfüllten Klassen zu lehren, auch mit überfüllten Klassen zurechtkommen können. Berücksichtigt muss werden die Vielartigkeit der Menschenwesen, der Kinder.
Nun lässt sich diese Vielartigkeit zurückführen auf vier Grundtypen, und es ist die wichtigste Aufgabe des Erziehers und Lehrers, diese vier Grundtypen, die man die Temperamente nennt, wirklich zu kennen. Seit alters unterscheidet man die vier Grundtypen des sanguinischen, des melancholischen, des phlegmatischen und des cholerischen Temperamentes. Wir werden immer finden, dass die charakterologische Beschaffenheit eines jeden Kindes in einer dieser Temperamentsklassen unterzubringen ist. Wir müssen uns zuerst die Fähigkeit aneignen, die verschiedenen Typen zu unterscheiden, von einem tieferen anthroposophischen Standpunkt aus zum Beispiel sanguinische von phlegmatischen wirklich zu unterscheiden. Wir gliedern im geisteswissenschaftlichen Sinne die Menschenwesenheit in Ich, Astralleib, Ätherleib und physischen Leib. Nun würde natürlich beim Idealmenschen die von der kosmischen Ordnung vorgezeichnete Harmonie walten zwischen diesen vier Gliedern der Menschenwesenheit. Dies ist aber in Wirklichkeit bei keinem Menschenwesen der Fall. Und schon daraus kann man ersehen, dass die Menschenwesenheit nicht eigentlich fertig abgeschlossen ist so, wie sie dem physischen Plan übergeben wird, sondern dass Erziehung und Unterricht dazu dienen sollen, einen vollständigen Menschen aus dem Menschen zu machen. Eines der vier Elemente waltet vor bei einem jeden, und es muss Ergebnis von Erziehung und Unterricht sein, die Harmonisierung zwischen den vier Gliedern herzustellen.
Waltet das Ich besonders vor, das heißt, ist das Ich schon beim Kinde sehr stark entwickelt, dann tritt uns das Kind entgegen mit einem melancholischen Temperament. Man verkennt diese Tatsache sehr leicht, weil man melancholische Kinder manchmal als bevorzugte Wesen ansieht. Eigentlich beruht die melancholische Anlage beim Kinde auf einem Vorherrschen des Ich in den allerersten Jahren.
Waltet der Astralleib vor, dann tritt uns das cholerische Temperament entgegen.
Waltet der Ätherleib vor, dann tritt uns das sanguinische Temperament entgegen.
Waltet der physische Leib vor, dann tritt uns das phlegmatische Temperament entgegen.
Diese Dinge gliedern sich beim späteren Menschen etwas anders. Daher werden Sie bei einem Vortrag, den ich gehalten habe in Bezug auf die Temperamente, eine kleine Veränderung finden. In diesem Vortrage sind die Temperamente in Beziehung zu den vier Gliedern des erwachsenen Menschen besprochen worden. Aber beim Kinde werden wir durchaus zu einem richtigen Urteil kommen, wenn wir die Gliederung in dieser Weise betrachten.
Nun müssen wir gewissermaßen solch ein Wissen dem Kinde gegenüber im Hintergrunde halten und versuchen, durch das ganze äußere Auftreten des Kindes, durch den Habitus des Kindes auf die Temperamentsgrundlage zu kommen.
Wenn ein Kind sich für alles mögliche nur kurz interessiert, sein Interesse rasch wieder zurückzieht, dann werden wir es als sanguinisch bezeichnen müssen. Diese Orientierung sollten wir uns durchaus angelegen sein lassen, selbst wenn wir viele Kinder zu erziehen haben, zu konstatieren, welche Kinder sich rasch für äußere Eindrücke interessieren und das Interesse rasch vorübergehen lassen. Die haben ein sanguinisches Temperament.
Dann sollten wir genau wissen, welche Kinder zum inneren Grübeln, zum Brüten neigen; das sind die melancholischen Kinder. Sie sind nicht leicht zu haben für Eindrücke der Außenwelt. Sie brüten still in sich hinein, aber wir haben niemals den Eindruck, dass sie eigentlich innerlich unbeschäftigt sind. Wir haben den Eindruck, dass sie innerlich beschäftigt sind. Haben wir den anderen Eindruck, dass Kinder innerlich unbeschäftigt sind, dass sie in sich versunken sind und doch auch keine Teilnahme nach außen zeigen, dann haben wir es mit den phlegmatischen Kindern zu tun.
Kinder, die stark ihren Willen durch eine Art von Toben zum Ausdruck bringen, das sind die cholerischen Kinder.
Es wird natürlich noch viele Eigenschaften geben, durch welche sich diese vier Temperamentstypen bei den Kindern ankündigen. Notwendig haben wir aber, dass wir uns in den ersten Monaten unseres Unterrichtes damit beschäftigen, dass wir die Kinder in dieser Zeit auf diese vier Merkmale hin prüfen, dass wir diese Typen bei den Kindern wissen. Wir werden eine Klasse dadurch in vier Abteilungen, in vier Gruppen gliedern können. Es ist wünschenswert, dass wir allmählich ein Umsetzen der Kinder vornehmen. Wenn wir Klassen haben mit beiden Geschlechtern, werden wir acht Gruppen haben. Wir werden die Knaben für sich und die Mädchen für sich in vier Gruppen teilen, in eine cholerische, eine sanguinische, eine phlegmatische und eine melancholische Gruppe.
Das hat einen ganz bestimmten Zweck. Wir unterrichten; und während wir unterrichten, werden wir verschiedene Dinge behandeln, werden Verschiedenes zu sagen, Verschiedenes zu zeigen haben, und wir werden uns als Lehrer zum Bewusstsein zu bringen haben, dass es, wenn wir etwas zeigen, was angeschaut werden soll, etwas anderes ist, als wenn wir ein Urteil darüber abgeben. Wir wenden uns, wenn wir ein Urteil abgeben, zu einer anderen Gruppe, als wenn wir etwas zeigen. Wir wenden uns, wenn wir etwas aufzuzeigen haben, was besonders auf die Sinne wirken soll, mit besonderer Aufmerksamkeit an die sanguinische Gruppe. Wenn wir irgendeine Reflexion über das, was angeschaut wurde, anstellen, dann wenden wir uns an die melancholischen Kinder. Nähere Details werden noch gegeben werden. Aber es ist notwendig, dass wir uns die Geschicklichkeit aneignen, unsere Aufzeichnungen und Ansprachen immer an andere Gruppen zu richten. Dadurch kommt das zustande, dass das, was der einen Gruppe fehlt, durch die andere Gruppe ersetzt wird. Den melancholischen Kindern etwas zeigen, worüber sie urteilen können; den sanguinischen etwas, was sie anschauen können. Sie ergänzen sich dadurch, sie lernen voneinander, richten ihr Interesse aufeinander, diese beiden Gruppen.
Sie müssen mit sich selbst Geduld haben, denn diese Behandlung der Kinderwelt muss einen gewohnheitsmäßigen Charakter annehmen. Man muss das im Gefühl haben, an welche Gruppe man sich zu wenden hat, muss es gewissermaßen von selbst tun. Würde man sich das vornehmen, dann würde man die Unbefangenheit verlieren. Also als eine Art Unterrichtsgewohnheit müssten wir diese Behandlung der verschiedenen Temperamentsanlagen berücksichtigen.
Nun sollen Sie sich nicht in der Vorbereitung überhasten, sondern kräftigen für die Arbeit. Daher meine ich nicht, dass Sie die wenige Tageszeit, die Ihnen noch bleibt, zu großen äußeren Ausarbeitungen verwenden sollen. Dennoch kann man aber die Dinge nur zu seinem inneren Eigentum machen, wenn man sie seelisch verarbeitet. Daher ist es unsere Aufgabe, dass wir mit diesem Verhältnis des Lehrers zu den Temperamentsanlagen der Kinder wirklich sachgemäß verfahren. Wir wollen die Lehrer so einteilen, dass ich bitten werde, dass sich eine Gruppe mit dem sanguinischen Temperament beschäftigt, eine zweite Gruppe mit dem phlegmatischen, eine dritte mit dem melancholischen und eine vierte mit dem cholerischen Temperament.
Ich bitte, dass Sie nachdenken über die zwei Fragen: Wie äußert sich im Kinde das Temperament, das ich eben ausgesprochen habe, je für eine der Gruppen? Da würden Sie morgen in der freien Aussprache auseinandersetzen: Erstens, wie Sie glauben, dass sich das betreffende Temperament in dem Kinde äußert. Zweitens, wie hat man das Temperament zu behandeln.
Über dieses »zu behandeln« will ich noch einiges sagen. Sie können schon aus dem Vortrag, den ich vor Jahren gehalten habe, ersehen, dass es die schlechteste Methode ist, wenn man einem Temperament dadurch beikommen will, dass man gewissermaßen die entgegengesetzten Eigenschaften beim Kinde pflegt. Nehmen wir an, wir haben ein sanguinisches Kind. Wenn wir das dadurch dressieren wollen, dass wir ihm diese seine Eigenschaften austreiben wollen, werden wir es schlecht behandeln. Worum es sich handelt, ist, dass wir gerade auf das Temperament eingehen, ihm entgegenkommen, dass wir möglichst viel beim sanguinischen Kind in die Sphäre seiner Aufmerksamkeit bringen, dass wir es sensitiv beschäftigt sein lassen und dadurch gewissermaßen dem Hang, den es hat, entgegenkommen. So wird sich ergeben, dass dann diese Anlage, in die es eingespannt ist, sich allmählich ablähmt und sich mit den anderen Temperamenten harmonisiert.
Ferner, beim cholerisch tobenden Kinde sollen wir nicht versuchen, es nicht zum Toben kommen zu lassen, sondern versuchen, seine tobenden Eigenschaften in einer solchen Weise zu behandeln, dass wir von außen dem Kinde in der richtigen Weise entgegenkommen. Nun ist es schwer, ein Kind sich immer austoben zu lassen.
Es ist ein deutlicher Unterschied vorhanden zwischen einem phlegmatischen und einem cholerischen Kinde. Ein phlegmatisches Kind ist teilnahmslos, und es ist innerlich nicht viel beschäftigt. Nun versuchen Sie als Lehrer, recht viel Teilnahme für ein solches Kind in Ihrem Inneren aufzubringen, zu erwecken, sich zu interessieren für jede Lebensregung des Kindes. Es gibt immer Gelegenheit dazu. Das phlegmatische Kind kann, wenn man den Zugang findet zu seiner Teilnahmslosigkeit, sehr interessant werden. Aber äußern Sie dieses innere Interesse nicht, suchen Sie teilnahmslos zu scheinen. Versuchen Sie selbst, Ihr Wesen zu spalten. Haben Sie innerlich viel Teilnahme, äußerlich geben Sie sich so, dass es aus Ihnen das Spiegelbild seines eigenen Wesens zu sehen bekommt. Dann werden Sie erzieherisch einwirken können.
Beim cholerischen Kinde dagegen versuchen Sie innerlich teilnahmslos zu werden, mit kaltem Blut zuzuschauen, wenn es tobt. Versuchen Sie, wenn es zum Beispiel das Tintenfass zur Erde schmeißt, diesem Toben gegenüber äußerlich so phlegmatisch, so gelassen wie möglich zu sein, durch gar nichts ergriffen zu sein! Und versuchen Sie, im Gegenteil dazu, äußerlich möglichst viel von diesen Dingen mit dem Kinde in Teilnahme zu besprechen, aber nicht unmittelbar nachher! Zeigen Sie sich möglichst ruhig äußerlich und sagen Sie mit der möglichsten Ruhe: Du hast nun das Tintenfass zerschmissen. Am anderen Tag, wenn das Kind selbst ruhig ist, besprechen Sie teilnahmsvoll die Sache mit ihm. Sprechen Sie darüber, was es getan hat, zeigen Sie die größte Teilnahme. Zwingen Sie so das Kind, hinterher die ganze Szene in seinem Gedächtnis zu wiederholen, durchzunehmen. Verurteilen Sie auch ruhig die Vorgänge, wie es das Tintenfass auf den Boden geworfen, zerschlagen hat. Man kann auf diese Weise mit tobenden Kindern außerordentlich viel erreichen. Auf andere Weise bringt man sie nicht dazu, das Toben zu bekämpfen.
Das kann Sie auf den Weg leiten, nun selbst zu versuchen, die beiden Fragen, die wir uns stellen werden, bis morgen zu behandeln. Wir werden das so behandeln, dass jeder von Ihnen das vorbringen kann, was er eben vorzubringen hat. Machen Sie sich kurze Notizen über das, was Sie sich ausgedacht haben, und diese Notizen werden dann besprochen.
Es muss immer zu Besprechungen solcher und ähnlicher Art in der Lehrerschaft Zeit bleiben. In solchen Besprechungen, die einen mehr republikanischen Charakter tragen, muss Ersatz gefunden werden für eine diktatorische Leitung, wie sie in einem Rektorat gegeben ist, so dass eigentlich jeder einzelne Lehrer an den Angelegenheiten und Interessen der anderen immerwährend teilnimmt. Damit wollen wir morgen gleich beginnen in einer Art Disputation. Als Unterlage möchte ich Ihnen eine Art Schema geben, nach dem Sie arbeiten können.
Sie können unterscheiden, wenn der Mensch sich äußert, nach seinem ganzen Seelenhabitus, ob er etwas stark oder schwach ins Auge fasst; ob er etwas stark empfindet, das etwas Äußerliches ist, oder stark empfindet seine inneren Zustände.
Dann haben wir zu unterscheiden das Wechseln. Entweder man bleibt stark dabei und wechselt wenig, oder man bleibt weniger stark dabei und wechselt sehr viel. Dadurch unterscheiden sich die Temperamente.
wenig Erregbarkeit, viel Stärke beim melancholischen Temperament
Stärke und Erregbarkeit am größten beim cholerischen Temperament
viel Erregbarkeit, wenig Stärke beim sanguinischen Temperament
Stärke und Erregbarkeit am geringsten beim phlegmatischen Temperament
Wenn Sie dieses ins Auge fassen, dann werden Sie gleichzeitig in dem Schema eine gewisse Andeutung haben. Nebeneinander sind häufig sanguinisches und phlegmatisches Temperament, und Sie haben es so im Schema. Niemals geht phlegmatisches Temperament leicht ins Cholerische über. Sie sind verschieden wie Nord- und Südpol. Ebenso stehen sich gegenüber melancholisches und sanguinisches Temperament. Sie verhalten sich polarisch entgegengesetzt. Die nebeneinander liegenden Temperamente gehen ineinander über, die verschwimmen. Dagegen wird es gut sein, die Einteilung nach Gruppen so zu befolgen: Wenn Sie eine phlegmatische Gruppe zusammensetzen, ist es gut, wenn diese zum Gegenpol die cholerische hat und dazwischen die beiden anderen sitzen, die melancholische und die sanguinische.
All diese Dinge gehen zurück auf das heute morgen Gesagte. Es hat das Innere, das Seelische eben die allergrößte Bedeutung beim Zusammensein mit dem Kinde. Das Kind wird unterrichtet und erzogen von Seele zu Seele. Ungeheuer viel spielt in den unterirdischen Drähten, die von Seele zu Seele gehen. Und so spielt außerordentlich viel dem cholerischen Kinde gegenüber, wenn Sie teilnahmslos bleiben, dem phlegmatischen gegenüber, wenn Sie inneren Anteil haben. Da werden Sie durch die eigene innere Seelenstimmung übersinnlich erziehend auf das Kind wirken. Das Erziehen geschieht durch das, was Sie sind, das heißt in diesem Fall, wozu Sie sich machen innerhalb der Kinderschar. Das dürfen Sie eigentlich nie aus dem Auge verlieren. Ebenso wirken aber auch die Kinder aufeinander. Und das ist das Eigentümliche: wenn man Kinder in vier Gruppen von gleichen Temperamentsanlagen einteilt und die gleichartigen nebeneinandersetzt, so wirken diese Anlagen nicht verstärkend aufeinander, sondern aufhebend. Eine Gruppe von sanguinischen Kindern zum Beispiel verstärken nicht ihre Anlagen, sondern sie schleifen sich gegeneinander ab. Wenn man sich dann im Unterricht an die cholerischen Kinder richtet, so nehmen die Sanguiniker davon auf und umgekehrt. Sie müssen als Lehrer die Stimmung Ihrer Seele auf das Kind wirken lassen, während gleichgeartete Temperaments-Seelenstimmungen bei den Kindern sich abschleifen. Das Schwätzen miteinander bedeutet den inneren Hang, sich innerlich abzuschleifen, auch das Schwätzen in den Zwischenpausen. Die Choleriker werden weniger miteinander schwatzen, als wenn sie neben anderen sitzen. Wir dürfen die Dinge nicht äußerlich betrachten und beurteilen.
Nun möchte ich gleich von Anfang an Sie darauf aufmerksam machen, dass wir einen großen Wert darauf legen werden, den Unterricht möglichst konzentriert zu gestalten. Wenn man das nicht tut, kann man auf alle diese Dinge nicht Rücksicht nehmen, von denen ich eben gesprochen habe, namentlich auf die Temperamente nicht. Daher werden wir das, was man im äußeren den Stundenplan nennt, nicht haben. In dieser Beziehung werden wir also geradezu entgegengesetzt der Einrichtung arbeiten, die das Ideal der modernen materialistischen Erziehung ist. In Basel zum Beispiel spricht man vom Vierzigminutenbetrieb. Man lässt gleich wieder etwas anderes folgen. Das heißt nichts anderes, als alles, was in den vierzig Minuten voranging, sofort wieder auszulöschen und furchtbare Verwirrung in den Seelen anzurichten.
Wir werden uns genau überlegen, welcher Lehrstoff einer gewissen Altersstufe des Kindes entspricht, und dann werden wir diesen Lehrstoff, das Lesen zum Beispiel, durch eine gewisse Zeit hindurch verfolgen. Das heißt, das Kind wird seinen Vormittagsunterricht im Lesen während sechs bis acht Wochen haben, dann wird Schreiben an seine Stelle treten, dann Rechnen, so dass das Kind sich die gesamte Zeit hindurch jeweilig konzentriert auf einen Unterrichtsstoff. So dass etwa, wenn ich es schematisch andeuten wollte, unser Unterricht darin bestehen würde, dass wir möglichst am Morgen beginnen – das heißt aber nur möglichst, denn es werden alle möglichen Modifikationen eintreten – mit Lesen, so dass wir einige Wochen lesen, dann schreiben, dann rechnen. An diesen eigentlichen Unterricht reihen wir dasjenige an, was etwa in der Form des Erzählens zu machen ist. Wir werden im ersten Schuljahr hauptsächlich Märchen erzählen. Im zweiten Schuljahr werden wir uns bemühen, das Leben der Tiere in erzählender Form vorzubringen. Wir werden von der Fabel übergehen zu der Wahrheit, wie die Tiere sich zueinander verhalten. Aber es wird der Unterricht so gestaltet, dass die Aufmerksamkeit des Kindes durch Wochen hindurch auf dasselbe konzentriert ist. Dann werden wir am Ende des Schuljahrs Repetitionen folgen lassen, wodurch aufgefrischt wird, was im Anfang durchgenommen wurde. Absondern und fortdauernd pflegen werden wir nur alles Künstlerische. Entweder nachmittags oder, wenn die nötige Zeit vorhanden, vormittags, sollen wir das Künstlerische als besondere Willensbildung pflegen. Nun würde es dem Ideal des Unterrichts entsprechen, dass das Kind eigentlich für den konzentrierten Unterricht, wozu Anstrengung des Kopfes notwendig ist, überhaupt nicht mehr als täglich eineinhalb Stunden braucht. Dann können wir noch eine halbe Stunde Märchen erzählen. Außerdem bleibt dann immer noch die Möglichkeit, in etwa eineinhalb Stunden das Künstlerische anzugliedern. Und wir würden dann für die Kinder bis etwa zum zwölften Jahre keine längere Zeit bekommen, als nur dreieinhalb Stunden am Tage. Von diesen dreieinhalb Stunden nehmen wir dann am einzelnen Tage das wenige, was an Religionsunterricht notwendig ist, so dass wir schon auch die Möglichkeit haben würden, die Kinder so zu unterrichten, dass wir abwechseln könnten.
Wenn wir also viele Kinder für eine Klasse haben, so können wir das so einrichten, dass wir von sieben bis zehn die eine Gruppe haben und von zehn ein Viertel bis ein ein Viertel die andere Gruppe der Kinder, so dass wir auf diese Weise mit dem Klassenraum auskommen könnten.
Das würde das Ideal darstellen, dass wir kein Kind länger als dreieinhalb Stunden beschäftigen. Wir werden dabei immer frische Kinder haben und werden uns nur der Aufgabe unterziehen müssen, auszudenken, was wir mit den Kindern anfangen in den großen Gärten während der Zeit, wo kein Unterricht ist. Sie dürfen auf den freien Platzen spielen im Sommer; aber im Winter, im Turnsaal, wird es schwer sein, sie beschäftigen zu können. Eine Stunde in der Woche für Turnen und eine Stunde für Eurythmie soll eingerichtet werden. Es wird gut sein, dass die Kinder auch da sein können, wenn kein Unterricht ist, dass sie spielen können und dergleichen. Ich glaube, dass es keinen großen Unterschied macht, ob mit dem Unterricht begonnen wird gleich morgens oder später, so dass wir gut in zwei Gruppen einteilen können.
Nun werden Sie die Aufgabe haben, sich mit allerlei zu beschäftigen. Wir werden nach und nach zu der Eingliederung der Arbeit kommen, indem wir uns in unserer Disputation damit beschäftigen. Aber ich glaube, es wird gut sein, wenn Sie sich überlegen, worin dasjenige bestehen muss, was Sie gewissermaßen in der Erzählungsstunde mit den Kindern zu pflegen haben. Die eigentlichen Unterrichtsstunden werden sich dann aus unseren allgemeinen pädagogischen Gesichtspunkten ergeben. Aber Sie werden für die Erzählungsstunden einen Stoff aufnehmen müssen, der durch die ganze Schulzeit vom siebenten bis vierzehnten Jahr an die Kinder im freien, erzählenden Tone wird herangebracht werden müssen.
Da wird es notwendig sein, dass in den ersten Schuljahren eben ein gewisser Märchenschatz zur Verfügung steht. Dann würden Sie sich für die folgende Zeit damit beschäftigen müssen, Geschichten aus der Tierwelt in Verbindung mit der Fabel vorzubringen. Dann biblische Geschichte, in die allgemeine Geschichte aufgenommen, außerhalb des anderen Religionsunterrichtes. Dann Szenen aus der alten Geschichte, Szenen aus der mittleren Geschichte und aus der neueren Geschichte. Dann müssen Sie sich in die Lage versetzen, Erzählungen über die Volksstämme zu bringen, wie die Volksstämme geartet sind, was mehr mit der Naturgrundlage zusammenhängt. Dann die gegenseitigen Beziehungen der Volksstämme, Inder, Chinesen, Amerikaner, was ihre Eigentümlichkeiten und so weiter sind, das heißt Kenntnis der Völker. Das ist eine ganz besondere Notwendigkeit aus der gegenwärtigen Zeitepoche heraus.
Ich wollte, dass wir uns heute diese besonderen Aufgaben gestellt haben. Sie werden dann sehen, wie wir diese Seminarstunden verwenden werden. Heute soll alles eben fadengeschlagen sein.
Während des Sprechens hatte Rudolf Steiner folgende Übersicht an die Wandtafel geschrieben:
1. ein gewisser Märchenschatz
2. Geschichten aus der Tierwelt in Verbindung mit der Fabel
3. Biblische Geschichte als Teil der allgemeinen Geschichte (Altes Testament)
4. Szenen aus der alten Geschichte
5. Szenen aus der mittleren Geschichte
6. Szenen aus der neueren Geschichte
7. Erzählungen über die Volksstämme
8. Erkenntnis der Völker