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Das Volk von Vrbica stand auf dem Platz vor dem ärarischen Hotel. Eine bunte Musterkarte des Morgenlands. Alte bosnische Hirten in ärmellosen Jacken und roten Leibbinden und junge Bauernmächen mit gestickten Schürzen und Türkinnen in schwarzen Stoffglocken und weissen Gesichtsschleiern und braune Zigeunerinnen in grellen Lumpen und kleine Türkenmädchen in blauen Höschen und mit Rattenschwänzchen von Zöpfen. Das Volk von Vrbica sah zu, wie die herrschenden Gewalten des Landes, Schwab, Möch, Moslim und Spaniole, voneinander Abschied nahmen. Der schnurrbäige Franziskanermöch, der Pater Simeon, schritt in seiner braunen Kutte auf seinen Holzsandalen dem fernen kleinen Ordenshaus in den Bergen zu, der mohammedanische Leutnant Haidukowitsch wandte sich nach dem Haus des Imam, des Dorfgeistlichen, neben der Moschee, bei dem er als Moslim wohnte und mit dem er —elbstverständlich ohne die Gesellschaft der drei Frauen des Hodscha — nach den Vorschriften des Korans speiste. Der kleine stille Spaniole. Moise Sabbatai, der in Gegenwart der vornehmen Herren k. u. k. Offiziere und ihrer Damen immer etwas Gedrücktes hatte, zog sich unauffällig, den Hut in der Hand, zurück. Der Hadschi Fehim Beg war der einzige, der den Gruss des Teppichfabrikanten nicht erwiderte. Er, der Grossgrundbesitzer des Landes, der Nachkomme der tükischen Eroberer, verachtete tief solch einen Spaniolen wie den Moise Sabbatai. Er humpelte, auf seinen Stock gestützt, zu seinem Reittier, um rasch nach seiner mittelalterlichen Burgruine Mogorelo in der Nachbarschaft zu gelangen. Dort war eben, mit der heutigen Tragtierpost, eine Sendung französischen Champagners für ihn eingetroffen. Ob er den denn trinken dürfe? Der Beg drehte sich entrüstet um, schon den Pantoffel im Steigbüel, und die Sina Kabusch übersetzte lachend seine Antwort: Champagner, diese brausende süse Limonade, habe es zur Zeit des Propheten — Lob ihm! — noch nicht gegeben, und was Sidi Mohammed den Gläubigen nicht verboten habe, das sei erlaubt!

Nachdem die Sina Kabusch das übersetzt, schritt, ohne auf ihren Mann zu warten, die schö, grosse, dunkle Faru in Weiss in ihrem fremdartig weitausgreifenden, federnden Gang hastig dem äraischen Hotel zu. Die Maruschka Schlägl rief hinter ihr her:

„Sina! Lauf uns doch net fort! Wart’ doch a bissel! Wir kommen ja mit! Warum hast’s denn so arg eilig?“ Sie wandte sich lachend zu ihrem Mann, dem Leutnant Niki: „Sie hört;s nicht — die Kabusch! Weg is sie! No — wir sehen sie ja nachher!“

„Wir sehen sie nachher!“ sagte geistesabwesend der Leutnant Edler von Schlägl und trat mit seiner jungen Frau in die beiden einfachen, ärarischen, als Wohu- und Schlafzimmer angewiesenen Gemächer. Dort wartete schon der eingeborene bosnische Offiziersdiener. Das Ehepaar musste mit ihm hauptsächlich durch Zeichenverkehren. Die Maruschka hatte sich schon in Wien auf einem Zettelchen ein paar der wichtigsten Worte aufgeschrieben: „Voda — Wasser — Sapun —Seife — Peskir —Handtuch —Brzo — Mach schnell!“ und unterbrach sich und horchte und sagte zu dem düsteren und schwegisamen Niki:

„Du — das is mal nett! Gerad’ Tür an Tür mit uns wohnen die Kienhofers! Ich hör’ der Ladislaja ihre Stimme durch die Wand!“

„Red’ doch schon leiser!“ sagte gleichzeitig der Oberleutnant Kienhofer nebenan zu seiner Gattin, der kleinen molligen Ladislaja. „Was du da raustrompeten willst, das scheint doch nur für mich bestimmt!“

„Ja freilich!“ Seine Frau dämpfte ihre aufgeregte Stimme. „Du — hör mal . . .“

„Also raus damit . . . Druck’ net so!“

„Was is denn das um Gottes willen mit der Sina und dem Niki Schlägl?“

„Was soll denn sein? Die beiden kennen sich ja gar net!“

„Meinst?“

„Die Maruschka hat mir selber erzält, sie und ihr Mann hätten erst heute mittag im Truppenlager durch den Regimentskommandanten gehört, dass die Sina überhaupt auf der Welt und die Frau von seinem Hauptmann ist!“

„Aha! Und du bist halt so ein guter Kerl, Kamillo, und glaubst, was man dir vorred’t!“

„Geh’, Tschaperl!“ sprach der Oberleutnant Kienhofer mitleidig. „Weisst du’s denn besser?“

„Ich net. Mich geht’s nix an! Aber die Sina!“ flüsterte die Ladislaja Kienhofer. „Die Sina hat doch den Arm um mich gelegt gehabt, wie wir vor dem Hotel gestanden sind und gewartet haben, und wie sie plötzlich um die Ecke von dem Platz den Niki Schlägl hat daherreiten sehen, da is sie doch zusammengefahren . . .“

„Leise . . .“

„ . . . zusammengefahren — sag’ ich dir — dass es mir einen Schreck gegeben hat! Sie hat ja immer so einen weissen Teint zu ihrem schwarzen Haar. Aber jetzt war ihr das letzte Blutströpferl aus dem Gesicht gewichen!“

„Ich hab’ nix gemerkt!“ sprach der Kamillo Kienhofer in Gedanken. Er war sehr ernst geworden.

„Sie hat sich auch gleich wieder derfangen, und er, dein Freund Niki, hat sich überhaupts nix anschauen lassen — no ja — er hat’s ja schon gemusst, dass er sie treffen würde —und die beiden haben sich ganz manierlich begrüsst, wie andere Christenmenschen auch! Aber irgend was is da los, Kamillo! Die zwei — die haben schon mal was miteinander gehabt!“

„Das gibt zu denken!“ Der Kamillo schüttelte seinen braungebrannten, dunkeläugigen Tiroler Kopf. „Das gibt schon zu denken . . .“

„Ja — was soll man denn denken? . . . A eing’frorene Liebschaft von früher — natürlich . . . Wie ihr halt alle seid! Da gibt keiner dem andern was nach! Und dem Schlägl — dem geht ja schon so ein Ruf voraus!“

„Wann’s net mehr is als so ein alltägliches G’frett!“ Der Oberleutnant Kienhofer sprach in Gedanken halb zu sich. „Ich fürcht’, da zieht sich gerad’ hier, in dem Nest, dem Vrbica, a Gewitter zusammen. Ich kann mir nicht helfen! Mir ist unheimlich zumut!“

Aus dem einen Nebengemach klang Kindergeschrei. Die Ladislaja sprang auf.

„Jesses — die Fratzen!“ rief sie und rannte zu ihren Buben. Ihr Mann stand eine Weile in Gedanken. Dann stieg er die Treppe hinab und trat, nach etwas suchend, vor das Hotel.

Dort klirrten Sporen. Der Gendarmeriezugskommandant Ritter von Rizzi und der Hauptmann Thaddäus Kabusch schritten da auf und nieder.

„Ich werd’ dir jetzt erklären, Kabusch“, sprach der Rittmeister in tiefem Bass, „warum du mir den Platzhirsch aus Galizien, den Nute Pistinner, nicht vergrämen darfst, auch wenn er deine Frau Gemahlin einmal keck anguckt!“

„Wozu brauchst denn das rothaarige G’stell?“

„Weisst, Hauptmann!“ sprach der Rittmeister von Rizzi. „Das geht mit dem Waffenschmuggel so nicht weiter. Mein Renommee steht auf dem Spiel. Und ich hab’ so einen Spurius: der Pistinner — der ist mir nicht hasenrein!“

„Ah — da legst di nieder!“

„Warum treibt sich denn der Bitterwasserreiter gerad’ immer im einsamsten Karst, in den entlegensten Gebirgsdörfern umeinand? Jetzt eben war er dreigeschlagene Tage da oben, wo die Cepelica entspringt und es kaum ein paar Hirtenhütten gibt! Ich lass’ gerade eben durch meine Organe in dem Steingeröll a bissel visitieren!“

Der Kamillo Kienhofer stand vor dem Hoteleingang. Er hatte den, den er suchte, entdeckt: da lehnte an der Wand der säbelbeinige bosnische Kellner, an dem Haare, Augen, Kleidung. Kragen alles schwärzlich war, und gähnte, die altersmüde Serviette über dem Arm, den Abend an. Der Oberleutnant winkte dem Gjorgje.

„Springen S’ mal nauf zu dem Herrn Leutnant von Schlägl, ob er net recht bald mal zu mir runterkommen könnt’!“

„Ise gutt!“

„Bitterwasser verschachert er den Einheimischen schon!“ sprach seitlings gedämpft der Rizzi zum Kabusch. „Das steht fest. Aber ob in den Kisten, mit denen er ins Tal zurückreitet, wirklich nur leere Flaschen drin sind oder englische Schiessprügel von der Grenze herüer — was wir bisher mal an geschmuggelten Waffen entdeckt haben, das hat fast ausnahmslos einen englischen Fabrikstempel getragen . . .“

„Da tät’ ich doch die Kisten mal aufmachen!“

„Und wenn ich nachher nix find’? Dann is die hohe Obrigkeit blamiert! Da heisst’s vorsichtig sein. Da heisst’s noch mehr Verdachtsmomente haben!“

„Wird sich Leutnant gleich kommen!“ meldete der Kellner Gjorgje drüben dem Kienhofer, der einsam für sich, wartend, auf und ab schritt. Der Rittmeister von Rizzi wandte sich zu dem Hauptmann.

„Der Pistinner verbrennt im Ofen alles, was er an Briefen kriegt. Aber neulich hat er aus Versehen einen Umschlag auf dem Tisch liegen lassen. Den hat mir das Stubenmadel gebracht. Die is, ebenso wie der Kellner, von mir abgerichtet, den Pistinner zu überwachen. Auf dem Umschlag is a englische Marke und der Poststempel London. Jetzt frag’ ich mich, Kabusch: seit wann steht so a Mensch, der hier mit seinem Wiener Tränkl den Eingeborenen die Därme ausputzt, mit den Engländern auf du und du? Das ist höchst belastend, mein Lieber!“

„Der Kerl macht doch so einen blöden Eindruck!“

„Das is ja gerad’ die Verstellung: der gibt sich so dummdreist und tappig, damit eine hohe Behörde nicht merkt, was hinter dem Aff’ in Wirklichkeit steckt —nämlich der Waffenschmuggel aus dem Sandschak herüer!“

„Schauen wir halt, wie’s weiter wird!“ Der Hauptmann Kabusch beugte sein bartloses, nüchternes, längliches Gesicht über seine Taschenuhr. „Ich muss jetzt zu meine Leut’!“

„Wann du bloss in deine Defensivkaserne laufen kannst!“ sagte der Gendarmeriekommandant. „Ich hab’ doch auch meine Wachhäusel, eins nach dem andern, längs der Grenze. Aber ich steck’ doch nicht den ganzen Tag in den Karaulas drin! Man is doch auch Mensch!“

„Und Dienst is Dienst!“ sprach der Thaddäus Kabusch trocken und ging. Der Ritter von Rizzi entzüdete sich eine lange, dünne Virginia und schaute, den flackernden Strohhalm in der Hand, der Hauptmann kopfschüttelnd nach.

„Wenn ich so eine schöne Frau daheim hätt’ wie der Kabusch“, sprach er zu dem Oberleutnant Kienhofer, der nachdenklich herantrat, „da tät’ ich mich mehr der widmen statt den ärarischen Hosen und Nagelschuhen, die er sich jetzt wieder beim Appell unter die Nase halten lässt. Du . . . ich möcht’ die mal was anvertrauen! Aber du hörst ja gar nicht her?“

„Doch! Doch! Mich hat gerad’ was beschäftigt. Alsdann: was befiehlst, Herr Rittmeister?“

„Weisst: der Kabusch sollt’ seine Frau net immer so allein herumsitzen lassen!“

„Das is doch dem Kabusch seine Sach’!“

„Freilich! Aber ich frag’ mich: tut die Frau das jetzt aus Langeweile oder . . .?“

„Was tut die Sina?“

„Sie hat als irgendwas mit dem Pistinner! Ich sag’s dem Kabusch bloss noch net! Ich bitte: was braucht eine Dame mit der galizischen Vogelscheuch’ die Köpf’ zusammenstecken und zu plauschen? Er weist ihr ja jedesmal a g’stickte Jacken oder an alten Gürtel oder was er so im Land gekaust hat! Aber das is doch nur a Vorwand! Das sieht doch a Fatschelkind!“

„Verguckt hat sich halt das Krapeindel in die Sina, obwohl ihm der Mann schon a paar Tachteln angeboten hat!“

„Glaubst net, dass mehr dahinter steckt?“

„Da fragst mich zuviel!“ sprach der Oberleutnant Kienhofer. „Ich möcht’ mich da net einmischen! Ich steh’ mit meinem Herrn Kompaniekommandanten net so, dass ich . . . Mit dem wird keiner warm . . . Entschuldig’ mich, Herr Rittmeister! Da kommt eben der Schlägl!“

„Mit seinem Weiberl! Sauber is sie schon!“

„Warum hast denn gleich die Maruschka mitgebracht?“ fragte der Oberleutnant Kienhofer leise den Niki, während dessen Frau den Rittmeister Rizzi begrüsste.

„Ich hab’ ihr die ganze Zeit beim Auspacken und Einrichten geholfen! Sie ist doch ganz fremd im Land. Ich kann sie doch net sitzen lassen!“

„Aber du weisst doch ganz genau, dass ich dich unter vier Augen sprechen muss!“

„Warum?“ sagte der Niki Schlägl geistesabwesend. Sein hübsches, leichtsinniges Gesicht war sehr bleich.

„ . . . weil du mir vor ein paar Stunden erzählt hast, du wüsstest nicht, ob du morgen um diese Zeit noch am Leben sein würdest!“

„Das weiss ich auch net — auf Ehr’ und Gewissen!“

„ . . . und ich sollt’ mich um deine Frau annehmen!“

„Das tät’ ich von dir hoffen, Kamillo!“

„Wenn man so was seinem besten Freund sagt, ist man ihm auch eine Erklärung schuldig. Um die kommst bei mir net herum! Ich lass dich net aus!“

„Aber jetzt net!“ sprach der Leutnant von Schlägl. „Jetzt hat’s hier zu viel Leut’ um einen. Nach dem Nachtmahl, Kamillo — da machen wir beide zusammen im Mondschein einen Spaziergang durch das Dorf. Da erzähl’ ich dir alles, wie’s war!“

Die schwarze Schlange

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