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ОглавлениеVorwärts! Vor fünf Tagen habe ich eine Fahrt über die Weichsel getan, die lausiger war als dies Gesegel durch das Haff! An die Ruder jetzt! . . . Ich lege jedem von euch noch einen Friedrichsd’or zu!“
Durch die lautlose Morgendämmerung keuchte der Atem der vier Fischer und klatschten die Riemen in dem windstillen Brackwasser der Memelmündungen. Der Fremde stand aufrecht in dem schwerfällig flussaufwärts gleitenden Boot. Er fasste mit einer gewohnheitsmässigen Bewegung unter die drei roten Schulterklappen seines blauen Reitfracks, ob da in der Brusttasche der Brief noch stecke — der siebenfach versiegelte Brief von Wien nach Tilsit . . . Er nahm den schwarzen Zylinderhut von dem neumodisch kurz gekappten Blondhaar und wandte den bartlosen, hartkantig geschnittenen jungen Kopf nach rückwärts. Ganz fern da hinten — vier, fünf Stunden weit — schimmerte noch über die graue Haff-Fläche das Licht von Nidden auf der Kurischen Nehrung, von der er kam, und erlosch in der ringsum schattenden Schilfwildnis des Russ.
„Platz, trautstes Mannchen!“ Der Musterreiter schubste den einen erschöpften alten Fischer von der Bank, setzte sich, griff selbst nach dem Ruder. Der Kahn ächzte unter seinem wuchtigen Schlag. „Vorwärts!“ Der heisere, leidenschaftliche Schrei der jungen Männerstimme weckte das weisse Gesprengel der Möwen auf dem grauen Wasserspiegel aus dem Schlaf. Die wilden Enten im Röhricht lüfteten den Schnabel unter dem Flügel. Drüben, zur Rechten, vor dem schwarzen Moor des Jbenheimer Forstes, spitzten die Elche, die schattenhaft, gross wie Bauernpferde, im Erlenbruch standen, die langen Eselsohren über den Rammsnasen. Weiter — weiter! Ein Ruck! Der Nachen am Ufer! Ein paar sumpfverlorene, binsengedeckte Holzhütten im Zwielicht! Ein verschlafener Litauer . . . Auffunkelnd die zwinkernden Augen beim Glitzern des Goldstücks, im Schein der Stalllaterne, in des Fremden Hohlhand. Angespannt! Rittlings auf einem Brett mit vier Rädern, auf einem Weg, der keiner ist, in weisses Birkengewimmel und weisse Morgenschwaden über schwarzem Moor hinein! Vorn der Gaul, dann der Litauer, hinten der Fremde. Über Wurzeln! Ins Wasser! Durchs Dickicht! Vorwärts! Nach Tilsit! Nach Tilsit! . . .
Da . . . ein Dorf . . . Sausgallen? . . Der Litauer nickt: Sausgallen! Zwei Tschakos im Zwielicht . . . Zwei erhobene Gewehrläufe mit schwarz dräuenden Mäulern.
„Halt! Wer da?“
„Ein Preusse!“
„Das kann jeder sagen, der uns von Königsberg her in den Rücken pascht!“
„Lasst mich durch — im Namen Preussens!“
Der Leutnant der Feldwache trat rasch aus dem nächsten Bauernhaus, in gelben Hosen und gelben Stiefeln, so wie er geschlafen, nur rasch sich noch die hellgrüne Weste und den hellgrünen Rock mit rotem Aufschlag zuknöpfend.
„Wer ist Er?“
„Herr Leutnant . . . Ist der Friede schon unterzeichnet . .?“
„Noch nicht! Immer noch Waffenstillstand!“
„Gott sei Dank!“
„Wer ist Er — frag’ ich!“
„Einer, der diesen Frieden noch verhindern kann — mit wichtigster Geheimpost unterwegs . . . um Preussens willen — lasst mich durch!“
Ein kurzes Zögern des Offiziers.
„Einer der Burschen wird hinten aufsitzen und Ihn auf die grosse Heerstrasse nach Jugnaten bringen. Dort wird man Ihn examinieren! Melde Er, der Secondelieutenant Clausius vom Feldjäger-Regiment Yorck schicke Ihn!“
Heller Morgen schon über den Höhen von Jugnaten. Goldene Sommersonnenstrahlen über dem preussischblauen Gewimmel der Brigade Rembow. Vor den einander die Zöpfe flechtenden, mit Schweineschmalz einfettenden und weisspudernden Füsilieren, breitbeinig in seinen schwarzen Tüchstiefeln, auf seinen Stock gestützt, der Kapitän vom Dienst, in weisser Weste und weisser Hose, die silberne, schwarzseiden durchwirkte Wachtschärpe um den dunkelblauen Frack geschlungen, den silbern betressten Dreispitz in der Stirne.
„Hat Er Pässe?“
„Nur ein halbes Dutzend falsche!“
„Warum fälscht Er seine Ausweise — he, Monsieur?“
„Weil ich sonst niemals lebendig durch die Polackei gekommen wäre — Tag und Nacht unterwegs — mit einer Post, an der das Schicksal Preussens hängt . . .“
„Weise Er diese Post!“
„Ich lasse sie nicht aus der Hand, Herr Kapitän! Ich darf sie nur in die Hand des Grafen Möllenbeck geben!“
Der Hauptmann der Rembow-Füsiliere las, in der erhobenen Rechten des andern, zwischen den riesigen, roten Staatssiegeln die Aufschrift: „An Seiner Majestät in Preussen Geheimen Rat, Mitglied des Generaldirektoriums, Envoyé Extra-Ordinaire a. D., des Grafen Josias von Möllenbeck Exzellenz, auf Mariengarten.“ Sein Ton wurde achtungsvoller. Er frug:
„Von wem stammt dieses Memorial?“
„Von der eigenen Hand Seiner Erlaucht, des Herrn Kaiserlichen Ministers des Äusseren Grafen von Stadion in Wien!“
„Wo soll Er es abgeben?“
„Im Schloss Mariengarten — auf dem Weg nach Tilsit — zwei Stunden von hier!“
„Ist Er dort bekannt?“
„Ich bin dort geboren und aufgewachsen! Mein Vater ist Hufschmied auf dem gräflichen Herrschaftshof!“
„Eines Hufschmieds Sohn . . . als Postenreiter . . . in hoher Staatsaffaire . . . hm . . . hm . . . Wer ist Er selber . . . Wie ist Sein Name?“
„Ich heisse Juel Wisselinck und bin Kandidat beider Rechte an der Universität in Königsberg!“
„Eines Hufschmieds Sohn . . . hm . . . wie ginge das wohl zu? . . . Expliziere der Herr Kandidat mir das, wenn es beliebt!“
„In der Bataille von Zorndorf, im Siebenjährigen Krieg, rettete mein Vater, ein Pommer, als Fahnenschmied bei den Ziethen-Kürassieren seinem Rittmeister, dem Grafen von Möllenbeck, dem Vater der jetzigen Exzellenz, das Leben, indem er mehrere Baschkiren aus dem Sattel hieb, und wurde selbst dabei durch eine Blessur am Bein für immer lahm. Der Graf machte ihn zum Dank zum Hofschmied im Schloss Mariengarten und stand, als mein Vater mit seiner gnädigsten Permission heiratete, bei mir, seinem einzigen Sohn, Gevatter. Ich bin der Pate Seiner Exzellenz, die vor. elf Jahren, als General im Ruhestand, das Zeitliche segnete.“
„Ah . . . das ändert den Fall!“
„Hochdero Sohn, der jetzige Graf Möllenbeck, hat mir die väterliche Gunst als Vermächtnis bewahrt. Er liess mich, nachdem ich einige Zeit als Hofmeister auf adeligen Gütern konditioniert, meine juristischen Studien in Königsberg fortsetzen. Bei dem jetzigen betrübten Zustand Preussens bot ich, da meine geringe Herkunft mir den Offiziersstand verbietet, irgendwie meine bescheidenen Dienste an, zu denen mich auch meine Körperfertigkeiten eines Dorfbuben, als wie Klettern, Schwimmen, blanke Gäule reiten, qualifizieren mögen! Der Herr Graf entschlossen sich, mich, auf dessen Unscheinbarkeit kein Verdacht fiel, nach Wien zu senden, der Heimat der Gemahlin Seiner Exzellenz . . .“
„Der geborenen Gräfin Lommetsch . . Oh . . ich weiss es wohl!“ sagte der Hauptmann der Füsilierbrigade Rembow. „Ich bin der Distinktion gewürdigt, den Herrn Minister Möllenbeck, diesen scharfsinnigen und adligen Kopf und Vorbild aller preussischen Tugenden, von Person zu kennen. Empfehle der Herr mich ihm zu Gnaden — vom Hauptmann von Wittelsburg — und setze Er seine Reise fort, so schnell es geht . . .“
In tausend Rinnen zerfahren von den Geschützrädern, den Pulver- und Mehlkarren, ein Löchergewirr durch die Nagelsohlen von Tausenden — die Heerstrasse von Memel nach Tilsit. Krähengeflatter und tote Gäule am Weg — umgestürzte Planwagen im Graben — von Pferdehufen zerstampftes Getreide: Ein jetzt im Waffenstillstand unsichtbarer Riese, ragend, mit gespreizten Beinen, grinste der Krieg auf die lachende Landschaft zu seinen Füssen, auf den jungen Mann im blauen Frack da unten, rittlings auf rasselndem Wägelchen. Und der atmete doch in der Not umher aus tiefer Brust die nordisch-herbe, meeresnahe Luft der Heimat — Preussen — du letztes Preussen — hier — im äussersten Winkel zwischen der Memel und dem Krug Nimmersatt — aber immer noch Preussen . . . morgen noch Preussen . . . so Gott will . . . Herrgott — lass mich nur rechtzeitig nach Tilsit kommen . . .
Türme in der Ferne am Weg — ein Schloss zwischen grünen Parkwipfeln . . . fahre, Litauer, fahre! — Das Schloss rückte langsam näher — farbige Punkte davor — schillernd in allen Regenbogenfarben. So buntscheckig waren nur die Husaren. Sie standen in Haufen um die Hufschmiede und liessen sich ihre Gäule beschlagen, in ihren schwarzen Filzmützen mit weissem Reiherflügel und ihren langen, weissen Hosen, die blauen Dolmans über den weissverschnürten roten Pelzen und grünen Schärpen, Schlangenköpfe am Sattel- und Zaumzeug. In ihrer Mitte Christ Wisselinck, der alte gräfliche Schmied. Ein Siebziger. Aber sein Hammer härtete noch hell das heisse, rote Eisen.
„Tja, ihr Jungs!“ sprach er dabei in seinem heimatlichen pommerschen Platt. „Der Herr Oberst von Lüderitz führte die Cuirassiers und fiel bei Lowositz. Der Herr Oberst Siegfried von Krosigk übernahm die Cuirassiers und fiel bei Collin. Der Herr Oberst von Ziethen übernahm die Cuirassiers und fiel bei Zorndorf. Immer haben die Cuirassiers ihren Namen wieder wechseln müssen. Aber sie sind geblieben. So soll ja woll auch Preussen bleiben! Dat muss der Mensch ja nu in sich haben, dass er nicht kleinzukriegen ist. Sonst geiht dat nicht . . . Ei . . . Juel . . . min Sohn . . . wo kommst du her . .?“
„Lass mich . . lass mich, Vater!“
„Nu vertell’ mal . . . wie war die Reise?“
„Wo ist Seine Exzellenz?“
„Vorhin nach Tilsit gefahren!“
„Und die Frau Gräfin?“
„Sie rührt sich all! Mich dünkt, sie hat dich gesehen! Da schickt sie schon den Jäger und lässt dich holen! Ja — ihr Jungs — Respekt . . . dat ’s nun min Sohn, den empfängt eine hochgnädige Noblesse wie ihresgleichen im Ahnensaal!“
An der Stirnwand des grossen Raumes, gegenüber der Türe, hing das lebensgrosse Bildnis des verstorbenen Generals Möllenbeck in dem strohgelben, blau ausgeschlagenen Koller und dem weissgefederten, durch ein Eisenkreuz geschützten schwarzen Hut der Zorndorfer Ziethenkürassiere. Darunter stand seine Schwiegertochter, die Gräfin Maria Theres’. Sie hatte in Eile eine Spitzenhaube mit breiten Kinnschleifen über die Lockenwickel ihrer Nachtfrisur geknüpft und einen langfransigen Persianer Schal um ihr meissmusselinenes Morgennegligé geworfen. Ihre Züge besassen, so lange der Kandidat Wisselinck sich erinnern konnte — vom Tage ihres Einzugs als ganz junge Frau von zwanzig Jahren bis heute — immer etwas Zeitloses, die herben Linien einer im Sattel in der Pussta, mit der Pirschbüchse in der Hand in den böhmischen Wäldern aufgewachsenen österreichischen Aristokratin. Nun erschien ihm ihr Antlitz fast männlich in seiner hart-entschlossenen Spannung, und die Leidenschaft einer Frau in Staatsgeschäften darüber.
„Wisselinck . . . Jesus Maria . . . haben’s den Brief vom Stadion?“
„Zu dienen, Exzellenz! . . . Ich bin verzweifelt . . . Ich musste diesseits der Weichsel, um nicht in die endlosen Trainkolonnen Napoleons zu geraten, einen Haken über Königsberg und die Nehrung schlagen! Zwei Tage Verlust! Es kann sein, dass der General Stutterheim mit dem förmlichen, österreichischen Bündnisangebot heute noch, gleich hinter mir, in Tilsit einpassiert!“
„Um so kostbarer ist jede Minute! Ich lass’ Ihnen eben schon den ,Emir’ satteln — das schnellste Ross weit und breit! Reiten Sie’s, als ob es kein Dittchen wert wär’ . . . zum Grafen nach Tilsit . . .“
„Ich fliege, Exzellenz . . .“
„Er und andere wollen ihr Letztes tun, die Schmach zu verhindern — auf den faden Goltz und den leichtsinnigen alten Schwätzer, den Kalckreuth, einwirken! Der Schubiak, der Talleyrand, drängt die beiden, den Frieden zu unterzeichnen! Den Frieden — gerad’ jetzt, wo mei’ Österreich endlich — endlich sich auf sein’ Stolz und Ehre besinnt!“
In der leidenschaftlichen Österreicherin kochte das Blut ihrer Ahnen. In ihrer Stimme zitterte es: Prinz Eugen, der edle Ritter . . . Sie goss eigenhändig dem Kandidaten ein Kristallglas voll Kanariensekt ein und stopfte ihm die Biskuits ihrer Morgenschokolade in die Fracktasche.
„Trinken’s, Wisselinck! Essen’s im Sattel! . . Da kommt der ,Emir’ aus dem Stall! . . . Reiten’s mit dem Urian um die Wette! Sie finden den Grafen in Tilsit bei dem Salzburger — dem Mehllieferanten der ostpreussischen Inspektion von der Infanterie. Sie kennen ihn schon . . . den Magenhöfer . . . in dem grossen Haus am Flachsmarkt . . Reiten’s! . . . Jesus Maria . . . hilf!“
Staubwirbelnd stob der Vollblüter den Weg dahin. Über seine Ohren weg flogen seines Reiters Augen voraus in die Memelniederung, leuchteten blau und heiss auf wie der Himmel über ihnen: Da vorne wuchsen aus grünem Land und gelbem Feld und dunklem Forst drei Türme nebeneinander auf . . . die Kirchtürme von Tilsit . . . Lauf — Emir — lauf . . . die Strasse vor dir ist leer . . . schon dicht an der Waffenstillstandsgrenze. Da, beim Herauskommen aus dem Fichtengehölz, auf dem Hügel hinter Annuschen, das letzte Flattern eines grauen, preussischen Offiziersmantels. Trotz der Kriegsruhe kampfbereit, die Pulverflaschen an weissledernen Schulterriemen, hinter ihm die Bombardiers an den Kanonen der reitenden Artillerie-Kompagnie. Der junge Leutnant Tiedecke oben wandte das fanatische, von zehn Monaten Kampagne braungebrannte, von zwei Blessuren gespenstig abgezehrte, bartlose Antlitz dem blauen Reiter unter zu:
„Halt — Wisselinck! . . . Wohin? Nach Tilsit? Wollen Sie zugucken, wie man dort Preussen hundsföttisch zum Schindanger schleift? Sie kommen just zu Pass!“ Der wilde Artillerist wies nach dem altersgrauen, fernen Gemäuer, das sich plump über das niedere Dächergewirr des Städtchens reckte. „Dort, im Schloss, versammelt sich eben, was keine Ehre mehr im Leib hat, zu Bonapartes schwarzer Messe! Heute feiert der Höllensohn seinen Triumph! . . . Aber wartet nur, ihr dicken Epauletten, ihr Ordenssterne über Hasenherzen dort drüben in Piktupönen!“
Vor dem wenige Flintenschüsse entfernten Kirchdorf Piktupönen glitzerten im Sonnenschein die polierten Kürasse über den Scharlachröcken der Gardes du Corps — ein Zeichen, dass Preussens Majestät selbst mit seinem Gefolge dort weilte. Zwei Reiter — der eine im hohen, schwarzen weissbebuschten Tschako der Grenadiere, der andere im hellblauen Tuchrock und den weissen Hosen der Auer-Dragoner — galoppierten vom Dorfeingang dem Reiter im blauen Frack entgegen. Schon von weitem schrie der Grenadier, die hohle Rechte am Mund:
„Kandidat Wisselinck? . . . Sie kennen mich?“
„Zu dienen, Herr Major von Wolfersbütt!“
„Seine gräfliche Exzellenz hat befohlen, Ihnen, falls Sie durchpassieren sollten, ohne einigen Verzug einen Geleitschein nach Tilsit zu behändigen . . . wenn’s beliebt, Baron Vockendorf“ — und weiter, während der Kapitän von den Dragonern auf dem Sattelknopf den Passepartout unterfertigte: „Die Königin wohnt drüben im Pfarrhaus in Piktupönen. Der König im Häuschen ihr gegenüber. Er bleibt keine Nacht in Tilsit. Von diesem litauischen Nest aus müssen wir zusehen, wie Preussen zugrunde geht!“
„Noch nicht, Herr Major!“ Der Reiter jagte davon, durch das leere, neutrale Land zwischen den lagernden Heeren, windumpfiffen, der Memelbrücke zu. Er trabte hinüber. Die Eisen hallten dumpf auf den Bohlen, wie Hämmer auf einem Sarg. Flösse schliefen unten auf dem Fluss. Ein Geruch von Heringen und Leder stieg aus dem Gewimmel der verankerten Kähne. Getreidehaufen wölbten sich in ihren offenen Bäuchen, Flachs- und Hanfballen. Mitten auf dem Strom lagen zwei Fahrzeuge, durch eine gezimmerte Plattform miteinander verbunden. Mit Purpur ausgeschlagen, ragte auf ihr ein einsamer, von allen Menschen verlassener Pavillon.
Die kohläugigen, schwarz-schnurrbärtigen italienischen Grenadiere in blauen Schwalbenschwänzen und weissen Gamaschen am anderen Ende der Brücke schüttelten zu dem Französisch des Kandidaten Wisselinck finster ihre riesigen Bärenmützen. „No capisco!“ Aber sie liessen den Preussen doch weiter! Nur weiter! Im Galopp, über die Katzenköpfe des Pflasters! Um die Ecke! Vor das Haus des von Salzburger Emigranten stammenden Gross-Negocianten in Commerz-Produkten Magenhöfer. Im Hof die Zügel dem Reitknecht des Grafen Möllenbeck. Ein Handwink des Mannes: „Exzellenz sind oben!“ . . .
In vier Sätzen die geschnörkelte Treppe hinauf. Ein Faustschlag mehr als ein Pochen an das Eichengetäfel der Türe. Irgendein müdes „Herein!“ Die grosse, niedere Paradestube des königlich-preussischen Armee-Kommissionärs Magenhöfer dunkelte, trotz des blauen Sommers vor den kleinen Fenstern, mit der vergoldeten Bronze ihrer wuchtigen Mahagonimöbel, dem graugetünchten Turm in der Ecke, der eigentlich ein antikischer Ofen war. Ein halbes Dutzend Grosse des Landes lehnten in den gedrehten und geschweiften Plüschsesseln, hatten die Hände auf den Knien oder die Arme über der Brust gekreuzt, starrten vor sich hin, schwiegen . . .
Stumm die Stube. In dem stillen Raum noch die alte Zeit. Da im Winkel noch eine seitwärts gepuderte und gerollte richtige Lockenperücke auf verrunzeltem Gesicht. Eine Quarréeperücke daneben, löwenähnlich in ihrer mähnenartigen Fülle. Kurzgeknüpfte Perücken mit angesetztem Zopf. Geschwärzte Haarbeutel. Hier wusste man noch nichts von der Mode der jungen Männerwelt, sich den Kopf bubenhaft kurz zu scheren.
Die gleiche dumpfe Starrheit auf den bartlosen, harten Zügen all dieser alten Preussen. Sie achteten, in ihre Gedanken verloren, kaum auf den jungen Mann, der hastig eintrat, sich umsah, auf den einen Würdenträger am Fenster hinstürzte und ihm atemlos, mit leuchtenden Augen, den aus der Fracktasche gerissenen Brief hinhielt.
Der Graf Josias von Möllenbeck, Herr auf Mariengarten, Geheimer Rat, ehemals Minister des Preussischen Generaldirektoriums, hob langsam das tief ernste, strenge Antlitz mit der rechthaberisch gebogenen Nase, den klugen, grauen Augen, dem feinen Mund des achtzehnten Jahrhunderts, der durch die herrische Kinnwölbung doch preussisch wirkte. Er war ein Mann zu Anfang Fünfzig. Er gab dem Kandidaten Wisselink wortlos die Hand, öffnete die Siegel, holte ein gestieltes, langes Monokel aus dem Schlitz seines perlmutterfarbenen Gilets unter der weissgebauschten, baumwollenen Halsbinde hervor, las, ohne dass seine Mienen sich veränderten . . .
„Exzellenz . . . ich musste leider einen Umweg über Königsberg . . .“
Eine Handbewegung drüben . . . der hohe Staatsdiener schaute, als ob er die Worte kaum verstanden hätte, vor sich ins Leere . . .
„Es ist schon gut . . .“, sagte er wie geistesabwesend. „Es ist zu spät . . .“
Und plötzlich . . . der junge Juel Wisselinck traute seinen Augen nicht . . . Aber es war so: Er sah nur noch den kurzen, gepuderten Zopf vom Haupt seines Patronatsherrn. Der Herr Graf von Möllenbeck, die hochgebietende Exzellenz, hatte beide Hände an die Schläfen und die Stirn vornüber auf die Kante der Fensterbrüstung gepresst und schluchzte auf. Er weinte — ein Preusse wie er, dem keiner, der ihn kannte, eine Träne vor fremden Augen zugetraut hätte — er weinte . . . Und seltsam . . . Die andern wunderte das nicht . . . Der Kandidat Wisselinck sah ringsum feuchte Augen, zwinkernde Lider in den verwitterten Gesichtern . . .
Er hatte das Gefühl, dass er, der junge Bürgerliche, hier zu viel war, wo Preussens Adel weinte. Er schlich auf den Fussspitzen hinaus, wie aus einem Sterbezimmer, er tastete sich die dunkle Treppe hinab, er trat, beinahe taumelnd, auf die taghelle, sonnenheisse Strasse. Unwirklich erschien ihm das alles da draussen: Fremdartige Uniformen von abenteuerlichem Schnitt. Französische Laute umher, italienische, polnische. Sächsisches und bayerisches Soldatendeutsch. Eine hundertfache Wägelchenburg geflüchteter litauischer Bauern auf dem mit Stroh und Heu überstreuten Markt. Dazwischen grüne russische Uniformen des Preobraschenski-Regiments aus dem dem Zaren eingeräumten Stadtteil, die goldbetressten Federhüte und roten Grenadiermützen des Potsdamer Ersten Bataillons Garde vom Tilsiter Absteigequartier des Königs von Preussen — die bisherigen Feinde schon im Strassenbummel zwischen der erregten Bürgerschaft nebeneinander. Der Friede nah . . .
Dann flog dem Rechtskandidaten Wisselinck aus einem ebenerdigen Fenster eine puderstäubende Perücke an den Kopf. Ein wilder Kerl, in seinem Alter, lang und blond wie er, sprang hinterher und schlug ihm auf die Schulter und zerquetschte mit seinen hohen Sporenstiefeln die Perücke in der Gasse wie eine tote Ratte.
„Dies ist ein Stück vom Haubenstock meines Onkels da drinnen, der sich vor den Welschen im Bett verkrochen hat! Diesen edelsten Teil von ihm opfere ich der Vergangenheit!“ schrie er und schüttelte seine eigene, frei flatternde Haarwirrnis. „Zur Hölle mit allem, was die Motten fressen! In den Dreck die Hasenherzen, die uns verraten! Jetzt eben, in diesem Augenblick, unterzeichnen sie dort im Schloss den zum Himmel stinkenden Frieden! Alles, was bis heute war, ist nicht mehr! . . . Nichts ist mehr . . . Aber wir sind noch da . . Du bist nur eines Hufschmieds Sohn, Juel, ich nur der eines Pächters und ein simpler Gutsscholar . . . Rotzbuben sind wir — aber Preussen sind wir — so gut wie die grossen Herren!“
„Mach’ dem Franzosen Platz, Sandkuhl!“
Ein goldbetresster Pariser Veliten-Kapitän eilte, eine Mappe unter dem Arm, freudestrahlend, achtlos vom Schloss her an den Beiden vorbei. Der Landwirt Friedrich August Sandkuhl war zähneknirschend an die Hausmauer getreten.
„Aber es ist nicht mehr an dem, dass die Kavaliere und Offiziere sich von uns abscheiden!“ fuhr er fort. „Die Bürgerlichen unter den Offizieren nicht mehr! Die Artilleristen nicht mehr! . . . Kennst du den Tiedecke?“
Der im blauen Frack nickte. Er sah vor sich den fanatischen, fahlen, jungen Leutnant im wildflatternden Mantel oben auf dem Kanonenhügel ob Tilsit.
„Wie er, Juel, denken viele! Auch vom Adel! Wir jungen Kerle müssen handeln, wenn die da oben — hoch da oben — die Nation verraten! Schnell handeln! Es ist Grosses im Werk . . . Du gehörst zu denen, die wir ins Vertrauen ziehen! . . . Ha — da kommen sie — die Totenvögel Preussens!“
Der rosige Siebziger, an der Spitze eines Adjutantenund Ordonnanzgefolges, lächelte leichthin und hochmütig, als sei nichts Besonderes soeben im Schloss zu Tilsit passiert. Er hatte den leichten, tändelnden Schritt eines Hofmanns und einstigen Frauenlieblings. Das düstere Bürgervolk umher war ihm Luft. Er plauderte, sonnenflimmernd in der goldenen Eichblattstickerei seines Generalfracks, angelegentlich mit seinen Offizieren. Schweigend, in steifer, bleicher Würde, ging neben dem General Grafen Kalckreuth der andere Graf, der mit ihm den Frieden von Tilsit unterzeichnet hatte, der neugebackene Minister von der Goltz.
„Man wird dich verhaften, du Lorbass, wenn du so herausfordernd ausspuckst!“ murmelte Juel Wisselinck zwischen den Zähnen. Der wilde Sandkuhl wirbelte jäh herum und pflanzte einem jungen Mann vor ihm seinen breiten Handteller platschend auf die Backe.
„Was hat er eben gewinselt, der Herr Licentbuchhalter Baldamus?“ schrie er in seinem wilden Ostpreussisch. „Alles sei perdü? Nur den lieben Frieden wolle der Untertan?“
„Ich lasse mich nicht von Ihnen misshandeln . . .“
„An diesem Frieden sollt ihr noch würgen, ihr Schneiderseelen . . . halt ihn, Juel . . . das Krät entwischt . . . Juel, Mannchen, wo bist du?“
Aber des Freundes blauen Frack hatte schon, um die Ecke herum, das Kriegsgetümmel verschluckt. Durch das schritt Juel Wisselinck dahin, steifbeinig vom Reiten, ziellos, wie im Traum. Stand, mit geballten Fäusten, bleich und erschöpft am Ausgang der Stadt. Sah draussen in der Ebene, gegen Insterburg hin, überall die abgedeckten Dächer, die fensterlosen Häuser der Dörfer. Aus ihrem Holzwerk, ihren Fenstern und Türen waren da im Süden, rund herum um Tilsit, neue Lagersiedlungen der Grossen Armee aus den zerstampften Weizenfeldern gewachsen. Galoppierende Farbenpunkte leuchteten auf dem sterbenden Gelb. Ferne Trompeten schmetterten Freudenfanfaren: der Friede von Tilsit! . . Im Wind verweht, als Widerhall aus den Biwaks, ein dumpfes, zehntausendstimmiges: „Vive l’Empereur!“ Das Jauchzen der Marseillaise . . . Immer weiter rollend, unbestimmt wie das Brausen von Bienenstöcken, der Jubel der Polen, der Italiener, der deutschen Hilfsvölker der Könige von Sachsen und von Bayern. Der Königsberger Rechtskandidat fuhr sich mit der Hand über die Stirne. Schaute leer umher, fand sich plötzlich wieder vor dem Haus des Armee-Kommissarius Magenhöfer. Hob schleppend die müden, bespornten Beine zu der düsteren Paradestube im ersten Stock empor.
Zwischen den leeren Mahagonisesseln stand, in der Dämmerung des grossen Raumes, der Geheimrat Graf Möllenbeck. Allein. Jetzt wieder ganz er selbst. Ein Stück Preussen wie sonst. Hart sein Händedruck, fest die Züge, knapp die Sprache, stählern grau die Augen.
„Sie haben mich vorhin marode gesehen, Juel!“ sagte er. „Vergessen Sie’s! Es wird nicht wieder vorkommen! Heute starb Fridericus! Wer weiss, was uns heute geboren wurde! Ein timider Preusse ist der armseligste der Menschen . . Denn Gott der Herr will uns stark . . .“
„Aber wir sind es nicht mehr!“ Der junge Mann liess sich matt in einem der Lehnstühle nieder. „Es ist alles aus . . .“
„Wer sagt das?“
„Jeder draussen, Exzellenz . . . Adel und Unadel, Negocianten und Bauern — das vornehme Frauenzinimer und das niedrige . . . Alle . . .“
„Wo alles aus ist, fängt auch alles wieder an!“ sprach der Graf Möllenbeck ruhig.
„Ich bin von Wien geritten — Tag und Nacht . .“
„Und dieser Ritt war nicht in den Wind getan! Wenn jetzt auch der Stutterheim nach Torschluss einkutschiert — der Erzherzog Karl bleibt. Die Wiener Kriegspartei bleibt. England bleibt in Verbindung mit Wien! Haben Sie den Namen des Lord March in Wien gehört?“
„Ja, Exzellenz! Ich vernahm, dass Lord March im Begriff steht, wieder eine seiner gefahrvollen Reisen durch Deutschland nach Wien anzutreten . . .“
„Er schifft sich dieser Tage in London ein. Er wird heimlich an der Ostseeküste landen. Er wird sich von uns, durch Napoleons Spione hindurch, zu Mayer Amschel Rothschild nach Frankfurt geleiten lassen. Er wird von dort Wechsel über unerhörte Subsidiengelder nach Wien bringen. Habsburg wird, wieder vom Bankrott genesen, mit allen Kräften weiter rüsten! Im nächsten, spätestens im übernächsten Jahr, steht es wieder gegen Bonaparte im Feld!“
„Aber wir, Exzellenz . . . wir . . .“ Der Kandidat Wisselinck sprang verzweifelt auf. „Uns hat inzwischen die Weltgeschichte begraben! . . .“
„Strecken Sie sich irgendwo hier im Hause dieses Mehlhändlers zur Ruhe, Wisselinck! Sie sind von den Fatiguen der Reise erschöpft!“
„Diese Reise war mehr noch voll Gefahren als voll Mühe. . . . Ich setzte freudig mein Leben auf die Pharo-Bank! Ich war stolz, Preussen retten zu dürfen, durch die Sendung, deren Sie mich würdigten . . . in meinem Alter . . . in meinem geringen Stand! Ich wollte Ihnen alle die Wohltaten vergelten, die ich von Ihnen und Ihres Herrn Vaters Exzellenz empfangen! Ich wollte Ihrem hohen Hause dienen und damit Preussen dienen — denn ich weiss ja: Sie und die Ihren — das ist Preussen!“
„Glauben Sie, dass in Preussen sonst nichts da ist — ausser dem Adel und des Königs Majestät?“ sagte der ehemalige Generaldirektoriums-Minister langsam. Der Kandidat blickte ihm überrascht und erhitzt in das unbewegte Gesicht.
„Sie sind doch Preussen, Exzellenz! Sie sind der Staat! Sie sind die Armee! Der gemeine Kerl bei der Truppe ist doch bezahlt. Der Bauer ist doch hörig. Was sind wir — das Volk — ohne Ihre Führung? Wir Untertanen sind auf Sie angewiesen wie die Herde auf den Hirt!“
Der Graf legte die Hände über den flaschengrünen, goldknöpfigen Frackschössen auf dem Rücken zusammen und trat zum Fenster. Er wandte dem jungen Mann den schwarzgeflochtenen Zopf im weissgepuderten Haarbeutel zu. Er schaute auf die Gasse hinaus. Er schwieg.
„Portez les armes!“ hallte draussen ein scharfes, französisches Kommando. Die Tritte des Wachttrupps schütterten gleichmässig auf dem Pflaster. Der Graf von Möllenbeck betrachtete stumm diese Franzosen vom 27. leichten Infanterieregiment in ihren kreuzweis von den weissen Tornisterriemen gegürteten blauen Tuniken und langen hellgrauen Hosen — diese noch halb knabenhaften Köpfe unter dem gewitterigen schwarzen Napoleon-Zweispitz — diese dürftigen, kleinen, welterobernden jungen Kerle. Diese Söhne des Volks . . .
„Das zieht nun gestern in Wien ein und heute in Berlin — jetzt in Rom und jetzt in Warschau . .“, sagte er, mehr zu sich, als zu dem jungen Mann im Zimmer. Und dann lauter, in einem seltsamen Ton: „So weit haben wir euch gebracht . . .!“
„Das ist es ja eben, Exzellenz — warum jeder treue Preusse verzweifelt!“ Der Sohn des Hufschmieds Wisselinck trat mit ratlos gerungenen Händen näher. „Der König verliert heute sein halbes Volk und Land. Die Armee ist nicht mehr. Der Adel ist verarmt und vertrieben, seine Güter sind von den Franzosen besetzt und verheert, die Beamten abgesetzt und zersprengt! Es ist nichts mehr da in Preussen. Nichts . . . Nichts . . . Was können wir noch tun?“
„Stark bleiben, damit wir stark werden!“ Der Graf von Möllenbeck wandte sich um. „Hoffen. Hassen. Wachen. Warten. Warten, Wisselinck! . . . Es gibt zu viele Leute bei uns, die stets bereit sind, ihren Kopf für die gute Sache zu verlieren, und nie bereit, ihn vernünftig für die gute Sache zu gebrauchen . . . Wisselinck . . .“ Er trat rasch auf den Kandidaten zu. „Ich kann mich auf Sie verlassen . . .“
„Mit Blut und Leben, Exzellenz . .“
„Wisselinck: Es wird jetzt viele geben, die glauben, sie ertragen den heutigen Tag nicht, wenn sie sich nicht gegen ihn wehren! Ich weiss: Es ist vielfach eine gefährliche Stimmung — da oben zwischen Tilsit und Nimmersatt. Haben Sie auf Ihrem Ritt hierher etwas davon verspürt?“
„Ja, Exzellenz! . . . Ich traf hier unten einen Pächterssohn . . . und unterwegs einen jungen Offizier . . .“
„Von der Artillerie? . . . Von der geht die Bewegung aus . .! Haben Ihnen diese Schwarmköpfe gestanden, was sie planen? Nur Andeutungen? Nun — so will ich es Ihnen verraten!“ Der Minister von Möllenbeck stand Aug’ in Auge mit dem jungen Mann und dämpfte seine tiefe, feste Stimme. „Der König soll dazu gebracht werden, zugunsten seines Bruders, des Prinzen Wilhelm, abzudanken! Das ist das Ende Preussens, Wisselinck! Der dämonische Mensch, gegen den wir kämpfen, sitzt auf dem Thron eines enthaupteten Königs. Er mag Könige verjagen — neue Könige an Tiber und Elbe und Neckar und Isar schaffen — nie werden wir ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen, sondern nur mit einer Art des Umsturzes, die uns nicht um das Alte ärmer macht, sondern um das Neue reicher!“
„Hier in Ostpreussen hege ich keine Sorge!“ fuhr der Graf Möllenbeck ruhiger fort. „Hier sind wir im Lande und halten die Schwarmgeister im Fass, bis es Zeit ist, den Most auf Flaschen zu füllen. Aber die Fäden dieses Spinnennetzes laufen nach Pommern hinüber! Dort sind wir, von hier aus, ohne Einfluss. Wir, in Amt und Würden, dürfen uns nicht in das von den Franzosen besetzte Gebiet wagen. Wir können nur jetzt eilends, mit dem vollen Schwerklang unserer Namen, eine Warnung an die dortige gräfliche Kreuzspinne mitten im Netz der Missvergnügten schicken! Diese Warnung lässt sich, wo es sich um die Krone handelt, nicht dem Papier anvertrauen. Sie kann nur mündlich durch einen unbedingt zuverlässigen Beauftragten erfolgen!“
„Wann soll ich reisen, Exzellenz? Wann ich wieder bei Kräften bin? Pah! . . heute noch wenn’s not tut!“
„Sagen wir: morgen! Sie können jetzt, nach Friedensschluss, ungefährdet auf dem geraden Weg nach Königsberg und von da zur See!
Und verzagen Sie nicht an Preussen und seinem Volk!“ Der Graf Möllenbeck drückte dem Königsberger Kandidaten die Hand. „Denken Sie an das Wort der Schrift: ,So du frei sein kannst, so gebrauche das doch viel lieber!’ Das ist ein Wort von morgen! Das Wort verstehen Sie heute noch nicht! . . . Herr Sekretarius!“ Er stülpte sich, während der Geheimschreiber aus dem Nebenzimmer eintrat, die gekrämpte Hutröhre über den Haarbeutel und griff nach dem dünnen Bambusstock. „Lasse Er den Herrn Generalmajor Scharnhorst und den Herrn Oberstleutnant Gneisenau durch Boten wissen, dass ich morgen in Memel zu Diensten stehe, und expediere Er diesen Brief an den Herrn Reichsfreiherrn vom Stein in Nassau!“