Читать книгу Einführung in die Unterrichtspsychologie - Ruth Rustemeyer - Страница 5
1. Einleitung
ОглавлениеDas vorliegende Buch beschäftigt sich aus psychologischer Perspektive mit Fragen, die das Lern- und Leistungsverhalten sowie seine Bedeutung für den Lernerfolg im Kontext Schule und Unterricht betreffen.
Ausgangspunkt bilden die individuellen, d.h. die emotional-motivationalen und kognitiven Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler. Die Darstellung und Analyse der emotional-motivationalen Einflussgrößen erfolgen im Rahmen der Erwartungs-Wert-Theorien, die in der Pädagogischen Psychologie eine lange Tradition haben.
Erwartungs-Wert-Theorien als Rahmenmodell
Dieser Zugang wurde gewählt, weil einerseits Merkmale wie das Selbstkonzept eines Schülers, seine Zielorientierung, sein Interesse und seine Intelligenz als relativ stabile Eigenschaft oder Disposition gesehen werden können, die sich auf sein Lernverhalten und seine Leistungen auswirken; andererseits können diese Einflussgrößen nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Die Erwartungs-Wert-Theorien bieten sich als größerer Rahmen an, innerhalb dessen die einzelnen Merkmale bzw. die entsprechenden theoretischen Ansätze etwa zum Selbstkonzept, zur erlernten Hilflosigkeit oder zur subjektiven Ereigniserklärung systematisiert und eingebettet werden können.
Dabei sind die einzelnen Ansätze entweder schwerpunktmäßig als Erwartungstheorien oder als Werttheorien zu rekonstruieren (vgl. Eccles und Wigfield 2002). Darauf aufbauend sind integrative theoretische Ansätze entwickelt worden, in denen versucht wird, möglichst viele Einflussfaktoren in einer Modellierung zusammenzufassen (z.B. das Modell von Eccles et al. oder das Rubikonmodell von Heckhausen).
Neben den individuellen Schülermerkmalen sind Merkmale der Lernumwelt für das Verstehen von Lernprozessen bedeutsam. Dazu gehören Merkmale und Eigenschaften der Lehrkräfte (z.B. ihre Subjektiven Theorien, ihre Sachkompetenz bzw. Expertise oder ihre bevorzugte Bezugsnormorientierung) wie auch die konkrete Unterrichtsgestaltung. Zugleich wirken sich schulorganisatorische Vorgaben (wie die Bereitstellung von Möglichkeiten zur Förderung von Hochbegabten) nachhaltig – wenn auch eher indirekt – auf das Lern- und Leistungsverhalten aus. Und nicht zuletzt spielen sozial geteilte Normen und Werte einer Gesellschaft über die Bedeutung von Bildung eine wichtige Rolle; man denke hier nur an die, als Folge des PISA-Schocks, in vielen Bundesländern forcierte Einrichtung von Ganztagsschulen (Fischer, Kuhn & Klieme 2009) aber auch an die sanierungsbedürftigen Schulgebäude, die keineswegs die Bezeichnung „Schule der Zukunft“ (Walden & Borrelbach 2010) verdienen.
ökologisches Modell von Bronfenbrenner
Zur Verdeutlichung der Vernetzung verschiedener, sich gegenseitig beeinflussender Subsysteme, eignet sich gut die Systematisierung des ökologischen Modells von Bronfenbrenner (1981). Er unterscheidet drei Ebenen: die Mikroebene, die Meso-/Exoebene und die Makroebene. Zu einem umfassenden Verständnis gehören auf der Mikroebene, also der Ebene, die das einzelne Individuum und sein Erleben, z.B. im Klassenzimmer, betrifft, die Lehrer-Schüler-Interaktion wie auch die Gestaltung des Unterrichts durch die Lehrkräfte; auf der Meso-/Exoebene, der Ebene der schulischen Institution, sind die Auswirkungen schulorganisatorischer Vorgaben sowie der Einfluss der familiären Situation (als Beispiel für ein Exosystem) zentral, und auf der Makroebene geht es um die curricularen Vorgaben der Bundesländer bzw. um die sozial geteilten Normen zur Bedeutung von Bildung (Cortina 2006). Die psychologische Perspektive geht notwendigerweise vom Individuum und damit der Mikroebene aus und bezieht, zumindest zum Teil, auch die Meso-/Exoebene mit ein.
Schwerpunktsetzung dieses Buches
Eine Einführung in das umfangreiche Feld der Unterrichtspsychologie muss schon aufgrund der Seitenbeschränkung unvermeidbar inhaltliche Schwerpunkte setzen. Dies führt zu Einschränkungen und Begrenzungen, die sich in folgenden Punkten zeigen:
inhaltliche Schwerpunktsetzung
1. Auf eine umfassende Darstellung allgemeiner Rahmentheorien, wie z.B. zur Motivation, zu Emotionen oder zum Lernen wird verzichtet, da inzwischen zu fast allen Bereichen gute und übersichtliche Einführungen vorliegen: zur Motivation Rheinberg (2008), Schmalt und Langens (2009), zum Lernen Edelmann (2000), Mazur (2006), Schreiber (1998), um nur einige zu nennen. Über diese Theorien wird nur im Überblick berichtet, soweit es zum Verständnis der pädagogisch-psychologischen Perspektiven nötig ist. So wird von der Darstellung der verschiedenen Lerntheorien abgesehen, und es wird nur auf den Teilbereich des selbstbestimmten Lernens eingegangen. Desgleichen können wichtige Forschungsbereiche und aktuelle Forschungsergebnisse zur Unterrichtsqualität (Helmke 2009), zur pädagogisch-psychologischen Diagnostik (Ingenkamp & Lissmann 2005), Entwicklungsdiagnostik (Quaiser-Pohl & Rindermann 2010), zum Umgang mit problembelasteten Lernenden (Rausch 2006) und zur Sozialpsychologie der Schule (Ulich 2001; Steins 2005) nur kursorisch gestreift werden.
allgemeine Sichtweise
2. Es kann ebenfalls nicht das Ziel sein, eine ausführliche und umfassende Einführung in fachspezifische Fragen der Unterrichtspsychologie zu geben. Priorität hat in diesem Buch zunächst immer die allgemeine Sichtweise, nur bei einigen ausgewählten Fragestellungen wird auch die fachspezifische Perspektive (z.B. Mathematik) berücksichtigt. Aus der Vielzahl der empirischen Untersuchungen mit zum Teil sehr spezifischen Fragestellungen sollen nur einige wenige im Detail vorgestellt werden; hier kommt es unvermeidbar zu einer subjektiven Auswahl, die jedoch unter der Zielvorgabe einer möglichst großen Anwendungsrelevanz für Lehrkräfte erfolgt.
Praxisrelevanz
3. Bei der Auswahl der einzelnen Einflussfaktoren sowohl auf Seiten der Schülerinnen und Schüler als auch das soziale Umfeld betreffend geht es um praktische Konsequenzen, die von Lehrenden immer wieder eingefordert werden, obwohl die Einlösung dieser Forderung nicht leicht ist. Das Aufzeigen der Praxisrelevanz ist deshalb so schwierig, weil wir grundsätzlich von einer „Multikriterialität des schulischen Unterrichts“ ausgehen müssen (Helmke & Weinert 1997). Aus diesem Grunde greift die Beschränkung auf jeweils nur ein Kriterium zu kurz und muss zwangsläufig in die Irre führen. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die Konzentration auf Leistung im Sinne einer intensiven Nutzung der Unterrichtszeit, zwar leistungsförderlich ist, auf Dauer aber zu affektiven Einbrüchen führen kann. Lehrerinnen und Lehrer, die sich nur auf dieses eine Kriterium konzentrieren, erreichen schlimmstenfalls genau das Gegenteil von dem, was sie ursprünglich angezielt haben.