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15. Januar
ОглавлениеFlughafen Frankfurt/Main
Auf dem Flughafen in Frankfurt steht ein kunterbunter Haufen singender Menschen: „… und jetzt geht’s ab in die Karibik, wo das schöne Wetter ist und die Sonn’ sich nie verpisst“, singt der Elferrat der Roten Husaren. Mit diesem Schlager der Linzer Kamelle-Kapelle verabschieden seine Freunde Peter Poppel in einen dreiwöchigen Urlaub in die Dominikanische Republik. Etwas unsicher und verloren steht er abseits der singenden Herde seiner Vereinskollegen, die ihm immer wieder Zeichen geben, doch in ihre Mitte zu kommen, und ihn animieren wollen mit einzustimmen.
Peter wirft ihnen ein freundliches Lächeln zu, widmet sich dann aber seinem Fotoapparat und fotografiert seine Kameraden. Ein Akt der Verlegenheit. Auch wenn ihm diese Art der Anteilnahme eine Spur zu viel ist, nichts kann heute seine Stimmung trüben. Sein Mund ist ganz trocken und er schwitzt vor Aufregung. Unter seinen Achseln hat sich ein immer größer werdender Schweißrand gebildet, auf seinem hellblauen Hemd nicht zu übersehen. Er ist ängstlich vor dem, was ihn erwartet.
Doch das will er nicht zeigen. Er gibt sich fröhlich und in guter Urlaubslaune und auch leicht nervös, denn er würde gerne einchecken.
Er klopft einigen seiner Kameraden auf die Schultern, drückt hier und da die Hand zur Verabschiedung. Doch seine Freunde meinen, er könne sich ruhig Zeit lassen. Die Schlange vor dem Schalter wäre noch so lang. So checkt Peter als letzter ein.
Clara drückt sich zur gleichen Zeit zielstrebig an der feiernden und grölenden Gruppe vorbei zum Eincheck-Schalter. Sie freut sich auf Sonne und Strand. Es ist ihr achter Flug in die Karibik. Diesmal geht es wieder nach Cabarete, Flughafen Puerto Plata im Norden der Dominikanischen Republik.
Später, als Peter ohne seine Vereinskameraden in der Abflughalle sitzt und darauf wartet, das Flugzeug besteigen zu dürfen, schaut er sich die Fotos an, die er von seinen Kameraden gemacht hat. Dank seiner Freunde ist sein größter Wunsch in Erfüllung gegangen. Sie alle haben gewusst, wie sehr ihr bester und zuverlässigster Freund seit Jahren von einem Urlaub in der Karibik geträumt und zu eben diesem Zweck sogar Spanisch gelernt hat. Alle Inseln über und unter den Winden zu bereisen, war jedoch ein Traum geblieben. Seine pflegebedürftige Mutter hatte ihn für sich einzuspannen gewusst und Peter hatte seine Sehnsucht zu den Akten gelegt. Dort blieb sie, auch nach Mutters Tod, fein säuberlich weggeheftet und verschlossen. Einmal abgelegte Wünsche kehren nicht so leicht zurück, sie wollen eingeladen werden.
***
Als Peter seiner Mutter einmal von der Karibik erzählen wollte, hat sie gemeint: „Viel Geld für einen kurzen Spaß. Ist das die Sache wert?“
Sechzig Jahre hat Peter mit seiner Mutter unter einem Dach gelebt und all die Zeit hat sie sein Leben bestimmt. Sogar in den letzten Jahren, als sie auf Peters Hilfe angewiesen war, änderte sich nichts an dieser eingeschliffenen Routine.
Sie stellte Forderungen, er kam dem nach. Von Jahr zu Jahr wurde es für Peter durch den immer schlimmer werdenden Altersstarrsinn dieser Frau stetig schwieriger. So entschied sich Peter dazu den Pflegedienst viermal täglich kommen zu lassen. Morgens um der Mutter beim Waschen und Ankleiden behilflich zu sein; mittags wurde ihr das Essen geliefert; nachmittags kam eine Dame zur Beschäftigung und abends kam jemand um der Mutter beim zu Bettgehen behilflich zu sein. Wie sollte es auch anders gehen? Peter musste arbeiten. Ein Heimplatz wäre für die Mutter und Peter die bessere Alternative gewesen. Sobald er das Wort „Heim“ oder „Seniorenresidenz“ nur in den Mund nahm, kam ein barsches „Nein“.
Kurz vor ihrem Tod suchte Peter diesbezüglich ein Gespräch mit seiner Mutter. Was hat sie ihn beschimpft. Ihre Wangen glühten rot vor Erregung. Er versuchte seiner Mutter zu erklären, dass sie nicht den ganzen Tag alleine in ihrer Wohnung verbringen müsse, dass sie in so einem Seniorenheim Ansprache hätte. Dass er nicht die Zeit für sie hätte, die sie von ihm zu bekommen wünschte. Dass er gerne mit ihr fahre, um sich verschiedene Heime anzuschauen, damit sie sich ein Bild machen könne. Er hat ihr versucht zu erklären, dass es für ihn eine große Erleichterung wäre, sie in einem schönen, gemütlichen Seniorenwohnheim zu wissen. Sie jammerte, keine Besuche von Freunden mehr zu bekommen und ihr „feiner Herr Sohn“, wie sie sich dabei ausdrückte, ließe sich dann ja auch kaum noch bei ihr blicken. Peter hat versucht ihr zu erklären, dass ihr Bekanntenkreis zum größten Teil mittlerweile verstorben war oder in einem Seniorenheim lebte.
„Was – du willst mir jetzt doch nicht weismachen, dass meine Freunde freiwillig in den Knast gehen?“
Worauf ihr Peter versuchte verständlich zu machen, dass sie das Glück hätte, so alt geworden zu sein und ihre Sinne noch beisammen zu haben.
Darauf hatte sie ganz furchtbar geweint und geschimpft: „Aha, ich lebe dir also zu lange. Du hättest lieber ich wäre tot!“
Egal, was er sagte. Immer hatte sie das letzte Wort und steigerte sich mehr und mehr hinein. Peter wurde von ihr verbal schmerzlich und sehr hart attackiert. Wurde sogar mit seinem Vater auf eine Stufe gestellt. Für Peters Vater hatte die Mutter nichts als Hass übrig, nachdem er sie verlassen und sich nie wieder um Peter gekümmert hatte. Frauenaufreißer, Egoist, spie sie verächtlich aus und meinte auch Peter, der doch von ihm abstamme und sie nun genauso im Stich lassen wolle, wie sein Erzeuger es einst getan hatte. Peter wollte nicht mit seinem Vater auf eine Stufe gestellt werden. Die Worte seiner Mutter hatten ihn schwer getroffen.
Es half alles nichts und Peter entschied sich dafür, den Pflegedienst rund um die Uhr kommen zu lassen. Den zusätzlichen Zeitaufwand musste Peter aus eigener Tasche bezahlen, denn seine Mutter bekam nur eine kleine Rente.
„Ich bin doch kein Kleinkind, dem man Märchen vorlesen muss!“ So wurde Peter jedes Mal von ihr empfangen. Sie wurde immer schlimmer und Peter hatte jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn er sein bisschen Zeit, das ihm zuletzt noch blieb, mit seinen Freunden verbrachte. Trotz der Rundum-Versorgung durch den Pflegedienst, der ja nur stundenweise im Haus war, hatte Peter ein schlechtes Gewissen, und die nervliche Belastung nagte an ihm. Hoffentlich bleibt sie im Haus, wenn es im Winter draußen glatt war, oder hoffentlich hat sie den Herd ausgeschaltet, oder hoffentlich hat sie nicht wieder irgendein Haustürgeschäft abgeschlossen. Solche Gedanken schossen ihm ständig durch den Kopf.
Für eine Woche hatte Peter, bevor er den Pflegedienst in Anspruch nahm, durch seinen Freund Karl über eine Agentur eine examinierte Altenpflegerin engagieren lassen. Sein Freund Karl kennt sich gut aus, da er seine eigene Mutter in einer solchen Obhut hat und damit sehr zufrieden ist. Diese Altenpflegerin sollte für ein Vierteljahr bleiben, anschließend wäre seiner Mutter automatisch wieder für ein Vierteljahr eine andere Altenpflegerin gesendet worden.
Peter musste den Vertrag leider wieder kündigen, denn seine Mutter hat diese Frau im wahrsten Sinne des Wortes vor die Türe gesetzt. Nach einem gemeinsamen Spaziergang hat sie die Türe schnell hinter sich ins Schloss geworfen und nicht mehr geöffnet und die Klinke von innen mit ihrem Gehstock verbarrikadiert. Die Frau stand nun draußen. Seine Mutter hat ganz furchtbar getobt: „Was macht diese Frau hier im Haus? Wir haben das Haus immer alleine bewohnt und das wird auch in Zukunft so bleiben, ich brauche kein Kindermädchen, das ist mein Haus und wer hier wohnt, bestimme immer noch ich selbst.“ Die engagierte Altenpflegerin war glücklich. als sie wieder gehen durfte. So etwas habe sie noch nie erlebt, sagt sie zu Peter. Seine Mutter sei unmöglich, und sie riet Peter, diese Frau besser in ein Heim zu geben.
Als der Pflegedienst eines Tages Peter in der Arbeit anrief, um ihm mitzuteilen, dass man seine Mutter tot im Bett vorgefunden habe, eilte er sofort nach Hause. Seine Mutter lag friedlich und mit einem Lächeln auf den Lippen in ihrem Bett. Peters Trauer war groß, aber gleichzeitig fühlte er sich sonderbar erleichtert.
***
Es kommt der Aufruf. Das Flugzeug kann bestiegen werden. Peter betritt hinter den übrigen Passagieren durch die Gangway das Flugzeug.
Am Eingang wird er freundlich vom Flugpersonal empfangen. Man reicht ihm Bonbons und bittet ihn sich mit den dort ausgelegten Zeitungen und Zeitschriften einzudecken und wünscht ihm einen guten Flug.
Clara hat einen Fensterplatz erwischt und versucht es sich auf dem engen Sitz so bequem als möglich zu machen. Auf dem Sitz neben ihr nimmt, wie sich später in einem Gespräch herausstellen wird, eine Frankfurterin Platz, die mit einem Dominikaner verheiratet ist. In einem späteren Gespräch wird Clara auch deren ganze traurige Geschichte kennenlernen.
Frau Gonzales hat den Dominikaner in Sosua kennen gelernt, ihn ein Jahr später dort geheiratet und ihren Ehemann mit nach Deutschland genommen. Er fand als Koch tatsächlich Arbeit in Deutschland und so konnten sie sich eine gemeinsame helle Wohnung in zentraler Lage leisten. Doch ihr Mann litt unter Heimweh. Dieser graue Himmel, ihm war ständig kalt und ihm fehlte die karibische Lässigkeit. Meine Familie, sagte er immer wieder. Nach einem gemeinsamen Urlaub in der Dominikanischen Republik, beharrte er darauf, dort zu bleiben. Er verweigerte den Rückflug. Nun sehen sie sich jedes Jahr im Januar/Februar für wenige Wochen.
Mittlerweile sitzt auch Peter im Flugzeug. Er sitzt im Mittelgang. Neben ihm eine deutsche Familie: Vater, Mutter und ein Grundschuljunge.
***
Wegen ihrer Katze hatte Clara ihre Koffer bereits zwei Tage vor der Abreise gepackt und im Auto verstaut. Ihre Katze, eine dreifarbige Siam, gleicht im Charakter eher einem Hund als ihren artverwandten Haustigern.
Sobald ihre Katze Kelly bemerkt, dass Clara verreisen will, kreischt sie herzzerreißend und lässt Clara nicht mehr aus den Augen. Überallhin läuft ihr Kelly nach. Sobald Clara mit ihren Koffern abreist, verreist auch ihre Katze. Kommt Clara von ihrer Reise wieder zurück, dauert es etwa zwei Wochen, bis die Katze wieder zurückkommt. Irgendwann steht sie laut schreiend vor der Terrassentüre und bittet herzerweichend um Einlass. Streicheln darf man sie dann nicht. Sie schlägt mit der Pfote und versucht zu kratzen. Frisst, als wäre sie total ausgehungert, dabei sieht sie sehr gut genährt aus. Am nächsten Tag verhält sie sich, als wäre nie etwas gewesen. Sie gibt sich ungemein verschmust und riecht nach Suppe. Genauer gesagt, nach Kraftbrühe. Sie hat wohl ein Urlaubszuhause, dessen Geruch noch tagelang an ihr haftet.
Darum hat es Clara dieses Mal mit einem Trick versucht. Sie brachte den gepackten Koffer zwei Tage zuvor in ihr Auto und blieb Zuhause. Bereits als Clara den Koffer vom Dachboden holte wurde sie von ihrer Katze nicht mehr aus den Augen gelassen. Auf Schritt und Tritt lief ihr die Katze nach. Am Tag der Abreise hatte Kelly den Koffer vergessen. Clara nahm nur noch ihr Handgepäck und verließ das Haus. Ihrer Katze ist der Abschied erspart geblieben.
Babs, ihre beste Freundin, wird sich in ihrer Abwesenheit um die Katze kümmern. Babs fährt ihre Freundin mit deren Auto zum Bahnhof, wo Clara den ICE zum Flughafen Frankfurt/Main besteigt, und kehrt anschließend wieder nach Hause zurück. Babs ist die beste Freundin, die sich Clara wünschen kann. Doch leider steigt sie weder in ein Flugzeug noch betritt sie ein Schiff. Sogar Busse meidet sie. Clara macht daher alle Reisen alleine. Das stört sie aber nicht, denn sie liebt die Ferne und neue Kontakte.
***
Jetzt schaut Clara zum Bullauge hinaus auf das Flugzeug nebenan. Die Maschine wird gerade beladen. Wer geht wohl zuerst an den Start? Ein angenehmes Kribbeln entsteht in ihrer Bauchgegend. Ihre Vorfreude auf diesen Urlaub ist groß. Drei Wochen Dom Rep liegen vor ihr. Sie sieht die Palmen schon vor sich, die sich sacht im Abendwind wiegen, und sieht die glühend rote Sonne zwischen den Palmen untergehen. Sie riecht den salzigen Duft des Meeres und fühlt den angenehm warmen Sand unter ihren Füßen.
Mit diesem Urlaub hat sie Zeit für sich selbst gekauft. Auch Zeit zum Lesen. Ihr Lesegerät hat sie mit Liebesromanen aufgeladen, die nur darauf warten, von ihr verschlungen zu werden. Sie hat sich „Herz verloren, Glück gefunden“, „Eine Sommerreise“, „Groß, blond, Rockstar!“ und „Für einen Sommer und immer“ heruntergeladen. Das dürfte reichen.
Im Handgepäck hat sie Fotos von ihrem letzten Urlaub in Cabarete. Zwar reist sie mit schöner Regelmäßigkeit in die Dominikanische Republik, aber in Cabarete war sie zuletzt vor sechs Jahren gewesen. Im Handgepäck hat sie Fotos von den damaligen Angestellten. Sie holt sie hervor, betrachtet sie und überlegt. „Wer wohl noch alles in diesem Hotel arbeitet? Fabio sicher nicht mehr … der wollte ja damals schon dort weg. Nana vielleicht noch? Und Franko?“
Ganz in Gedanken versunken bemerkt Clara nicht, dass sich das Flugzeug bereits in Bewegung gesetzt hat und zum Start rollt. Nun hat sie nicht mehr mitbekommen, welches Flugzeug zuerst am Start ist.
Ihre Gedanken schweifen zur Zugfahrt zurück. Zum Glück hatte sie sich im Zug einen Platz reservieren lassen. Es war so voll, dass die Leute in den Gängen auf ihrem Gepäck sitzen mussten.
Plötzlich heißt es: Anschnallen bitte!
Clara steckt schnell die Fotos weg und leistet der Aufforderung Folge. Nach dem Steilflug kommt ihre Lieblingsphase. Doch erst muss sie die Sicherheitsanweisungen der Flugbegleiter über sich ergehen lassen. Etwas genervt schaut sie auf die Uhr, dabei hat sie alle Zeit der Welt. Anschließend kann sie ihren Träumen freien Lauf lassen und genießt das. Über einem dicken Wolkenteppich lässt es sich noch besser von ihrem dunkelhaarigen, wunderbar nach tropischem Gehölz duftenden Romanhelden träumen.
Peter hat ein Problem beim Anschnallen. Es ist sein erster Flug und seine Hände zittern etwas. Die große freundliche Flugbegleiterin mit den hochgesteckten blonden Haaren und dem vollen Pony bemerkt es und ist ihm sogleich behilflich.
„Durch diese Türe muss ich also im Notfall.“
Als das Flugzeug plötzlich steil nach oben fliegt, umfasst er die Lehnen und schließt die Augen. Nur nicht nach unten schauen. Später erlöschen die Anschnallzeichen. Sie fliegen gerade über einen dicken Wolkenteppich, als Peter seine Augen wieder öffnet. Die Sonne strahlt auf den Watteflur. Ein Lächeln schleicht sich auf sein Gesicht. Geschwind packt er seine Kamera aus, um diese selige Schönheit einzufangen, die still vor dem Fenster liegt.
„Sie haben uns doch wohl nicht fotografiert?“
Die Familie neben ihm ist empört. Ob er schon mal was von Datenschutz gehört habe, fragt die Frau ihn. Und der Mann will den Apparat sehen, ob er und seine Familie von Peter fotografiert wurden.
Peter verteidigt sich und zeigt, was er fotografiert hat. Erst jetzt geben die Eltern des Jungen Ruhe, doch immer, wenn Peter zu dem Jungen schaut, streckt dieser ihm die Zunge heraus.
Eine Weile später verteilt das Flugpersonal Tabletts mit Abendessen und Getränken. Der Junge, der zuvor zwischen seinen Eltern gesessen hat, sitzt nun neben Peter und hat jede Menge Star-Wars-Figuren auf seinem Platz liegen. Alle Figuren, die er seinem Vater auf den Schoß legt, legt dieser ihm augenblicklich und desinteressiert wieder zurück.
So muss Peter herhalten. Ständig legt ihm der Junge eine Figur auf den Schoß, die Peter wie der Vater desinteressiert zurückgibt. Dann klettert der Junge auf dem Sitz herum. Der Tisch ist heruntergeklappt, das Essen steht darauf. Die Eltern unterhalten sich angeregt und ignorieren ihr Kind. Bei einer sprunghaften Bewegung kippt der Orangensaft des Jungen auf Peters Hose. Der sucht verzweifelt nach einem Taschentuch und schaut hoffnungsvoll zu den Eltern, die aber so mit sich beschäftigt sind, dass sie nichts mitbekommen. Das Kind grinst ihn an und reißt dann alle seine eingeschweißten Essenspäckchen der Reihe nach auf. Kuchen, Kaffeesahne, Zucker, das Besteck. Alles fließt über den kleinen Tisch und Peters Hose. Die Eltern reagieren überhaupt nicht. Peter hat unterdessen von einem Paar, das auf der anderen Seite des Gangs sitzt, eine Packung Taschentücher gereicht bekommen, mit denen er die Flüssigkeit auf seiner Hose trocknet. Dem Kind fällt ständig was runter und so landen Hühnchenbrocken, Obst in Currysoße, Reis und Schokoladenpudding ebenfalls auf seiner Hose.
„Pass doch bitte etwas auf“, wendet er sich an den Jungen.
Jetzt plötzlich reagiert der Vater. Wird laut und ausfallend in seiner Wortwahl.
„Lass meinen Jungen in Ruhe!“
„Ihr Sohn wirft ständig Essen auf meinen Schoß.“
„Alter, hab dich nicht so.“
„Zahlen Sie mir die Reinigung meiner Hose?“
„Die Plörren, die du da trägst, sehen doch eh scheiße aus, mit dem Essen darauf machen sie wenigstens was her.“
In diesem Moment kommt ein Flugbegleiter. Zu den Eltern gerichtet und in einem strengen Ton: „Beschäftigen Sie sich bitte mit Ihrem Kind!“
Und zu Peter gerichtet: „Entschuldigen Sie bitte, ich kann Ihnen einen anderen Platz anbieten, wenn Sie möchten.“
Das nimmt Peter dankend an. Das Kind streckt ihm zum Abschied die Zunge heraus und klettert über die Beine des Vaters auf den Schoß seiner Mutter am anderen Ende der Sitzreihe. Peter nimmt sein Handgepäck und folgt dem Flugbegleiter. Er sitzt jetzt in der letzten Reihe an einem Fensterplatz. Der Sitz neben ihm ist frei.
Er bedankt sich bei dem netten Steward. „Keine Ursache, gern geschehen.“
Vom Film bekommt Peter nichts mit. Er ist müde und seine Gedanken sind wie so oft ganz dem längst vergangenen intimen Geschehen im Aufzug gewidmet. In seinen Träumen spitzt sich dieses Ereignis von Mal zu Mal zu.