Читать книгу Familien- und Kindschaftsrecht für die Soziale Arbeit - Sabahat Gürbüz - Страница 12

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3 Trennung und Scheidung

3.1 Grundsatz

Form der Scheidung

Eine Ehe wird durch einheitlichen Beschluss (§ 1564 BGB, § 142 Abs. 1 FamFG) über sämtliche im Verbund stehenden Familiensachen geschieden, wenn sie gescheitert ist.


§ 1564 BGB (Scheidung durch richterliche Entscheidung)

„Eine Ehe kann nur durch richterliche Entscheidung auf Antrag eines oder beider Ehegatten geschieden werden. Die Ehe ist mit der Rechtskraft der Entscheidung aufgelöst. Die Voraussetzungen, unter denen die Scheidung begehrt werden kann, ergeben sich aus den folgenden Vorschriften.“

Zerrüttungsprinzip

Das früher herrschende Schuldprinzip hat der Gesetzgeber schon 1976 abgeschafft. Es gilt (nunmehr) das Zerrüttungsprinzip (Wellenhofer 2017).


§ 1565 BGB (Scheitern der Ehe)

„(1) Eine Ehe kann geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. Die Ehe ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen.

(2) Leben die Ehegatten noch nicht ein Jahr getrennt, so kann die Ehe nur geschieden werden, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde.“

Wann eine Ehe zerrüttet und damit gescheitert ist, wird anhand einer Einzelfallprüfung festgestellt (hierzu auch Dethloff 2015).

3.2 Fallgruppen der Scheidung

Das Gesetz geht von vier Fallgruppen aus, die sich aus Abb. 4 ergeben und im Folgenden erläutert werden.


Abb. 4: Fallgruppen der Scheidung

3.2.1 Die „unwiderlegliche“ Vermutung des § 1566 Abs. 1 BGB

einvernehmliche Trennung (1 Jahr)

Das Scheitern der Ehe wird nach einjähriger Trennungszeit und Einvernehmlichkeit der Eheleute unwiderleglich vermutet. Die Definition des Begriffs Trennung ergibt sich aus § 1567 BGB:


§ 1567 BGB (Getrenntleben)

„(1) Die Ehegatten leben getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Die häusliche Gemeinschaft besteht auch dann nicht mehr, wenn die Ehegatten innerhalb der ehelichen Wohnung getrennt leben.

(2) Ein Zusammenleben über kürzere Zeit, das der Versöhnung der Ehegatten dienen soll, unterbricht oder hemmt die in § 1566 bestimmten Fristen nicht.“

Begriff der „Einvernehmlichkeit“

„Einvernehmlichkeit“ der Scheidung bedeutet, dass eine beidseitige Beantragung der Scheidung oder eine entsprechende Zustimmung zur Scheidung vorliegt (aber keine Einvernehmlichkeit, wenn z. B. Sorgerecht bezüglich ehelicher Kinder streitig ist).

Begriff der „Trennung“

Die „Trennung“ im Sinne § 1567 BGB bedeutet das Ende der häuslichen Gemeinschaft sowie der Wille zur Trennung und Scheidung (Münder et al. 2013).

Eine Trennung gemäß § 1567 BGB ist gegeben, wenn eine häusliche Gemeinschaft nicht mehr besteht: Trennung meint dabei insbesondere eine Trennung von „Tisch und Bett“.


Entscheidung „Scheitern der Ehe bei Geisteskrankheit eines Ehegatten“ (BGH, Urteil vom 07.11.2001, XII ZR 247/00):

Anmerkung der Autorin: Der Fall behandelt die Frage der häuslichen Gemeinschaft zwischen Parteien, die zu keinem Zeitpunkt zusammen gelebt haben. Der Ehemann bewohnt im selben Haus wie seine kranke Frau eine (Nachbar-)Wohnung und kümmert sich intensiv um die Ehefrau. Der Betreuer der Ehefrau stellt einen Scheidungsantrag.

Aus den Gründen: „Unter der Lebensgemeinschaft der Ehegatten ist das Ganze des ehelichen Verhältnisses, primär aber die wechselseitige innere Bindung der Ehegatten zu verstehen. Die häusliche Gemeinschaft umschreibt dagegen die äußere Realisierung dieser Lebensgemeinschaft in einer von beiden Ehegatten gemeinsamen Wohnstätte. Im Verhältnis zueinander ist die Lebensgemeinschaft der Ehegatten der umfassendere Begriff; die häusliche Gemeinschaft bezeichnet nur einen äußeren, freilich nicht notwendigen Teilaspekt dieser Gemeinschaft.“

Gemeinsame Wohnung

Ein „Getrenntleben“ ist auch möglich, wenn die Ehegatten innerhalb der ehelichen Wohnung getrennt leben (Dethloff 2015).

Berücksichtigung einer Versöhnung

Die Annahme des Getrenntlebens innerhalb der ehelichen Wohnung setzt allerdings voraus, dass kein gemeinsamer Haushalt geführt wird und zwischen den Ehegatten keine wesentlichen persönlichen Beziehungen mehr bestehen (BGH, Urteil vom 14.06.1978, IV ZR 164/77; OLG Köln, Beschluss vom 07.12.2012, 4 UF 182/12; Palandt 2017).

Versöhnungsversuche unterbrechen die Trennungszeit. Bei der Berechnung werden allerdings Versöhnungsversuche (nach der Rechtsprechung) unter 3 Monaten nicht mitgerechnet: Wird also nach einer gewissen Zeit des Getrenntlebens ein Versuch gestartet, sich zu versöhnen, der dann allerdings innerhalb von 3 Monaten scheitert, wird bei der Bemessung der Zeit des Getrenntlebens auch die Zeit des Versöhnungsversuchs mit eingerechnet (Dethloff 2015).


Entscheidung „Versöhnungsversuch“ (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 14.09.2009, Az.: 6 WF 98/09):

Leitsatz: „Ein Zeitraum von drei Monaten stellt – vorbehaltlich besonderer Umstände – die Obergrenze dar, bis zu der noch ein „Zusammenleben über kürzere Zeit“ im Sinne des § 1567 Abs. 2 BGB – und damit ein den Lauf des Trennungsjahres nicht beeinflussender Versöhnungsversuch – angenommen werden kann.“

Trennungswillen

Eine „Trennung“ gemäß § 1567 BGB ist nur bei einem entsprechenden Trennungswillen (mindestens bei einem der Eheleute) anzunehmen. Voraussetzung ist danach der Wille zur Trennung und Scheidung, der tatrichterlich festgestellt werden muss.

Einer Scheidung steht nicht entgegen, dass ein erkrankter Ehegatte im familiengerichtlichen Verfahren aufgrund der fortgeschrittenen Erkrankung keinen Scheidungswillen mehr fassen kann: Die Ehe kann dennoch geschieden werden, wenn die Eheleute seit mehr als einem Jahr getrennt leben, der Erkrankte im Zusammenhang mit der Trennung einen natürlichen Willen zur Scheidung und Trennung gefasst hat und er die Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft ablehnt. Bei Vorliegen des freien Willens ist der Mensch geschäfts- und einwilligungsfähig. Der natürliche Wille ist – in Abgrenzung zum freien Willen – der Wille, der in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit gefasst wird. Das Grundrecht auf ein selbstbestimmtes Leben (Art. 2 Abs. 1 GG) gebietet es aber nach dem Maßstab der Verhältnismäßigkeit, auch den natürlichen Willen zu beachten.


Entscheidung „Demenz“ (OLG Hamm, Beschluss vom 16.08.2013, 3 UF 43/13):

Anmerkung der Autorin: Der an einer Demenz vom Typ Alzheimer erkrankte 60-jährige Antragsteller hatte im Frühjahr des Jahres 2011 die 20 Jahre jüngere Antragsgegnerin geheiratet. Ende des Jahres kam es nach ca. achtmonatigem ehelichen Zusammenleben zur Trennung der Eheleute. Bei einer im Frühjahr 2012 im Rahmen des Betreuungsverfahrens durchgeführten richterlichen Anhörung hat der Antragsteller trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen seinen Willen zur Trennung und Scheidung geäußert. Die für den Antragsteller bestellte Betreuerin reichte daher im Jahre 2012 einen Scheidungsantrag ein, dem die Ehefrau mit der Begründung, dass der Antragsteller an der Ehe festhalten wolle, entgegengetreten ist.

Leitsätze: „Eine einseitige, dem Familiengericht den Ausspruch der Ehescheidung ermöglichende Zerrüttung der Ehe lässt sich gemäß den §§ 1565, 1566, 1567 BGB jedenfalls feststellen, wenn die Ehegatten unstreitig seit mehr als einem Jahr räumlich getrennt voneinander leben und die Anhörung des an Demenz erkrankten Antragstellers nach § 128 FamFG sowie das übrige Ergebnis der Beweisaufnahme den Rückschluss zulassen, dass dieser zum Zeitpunkt der Trennung bzw. zu einem danach liegenden Zeitpunkt noch den hinreichend sicheren natürlichen Willen zur Trennung und Ehescheidung sowie die Ablehnung der Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft erklärt hat.

Darauf, dass bei dem an Demenz erkrankten Antragsteller zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung hingegen kein natürlicher Trennungs- und Scheidungswillen mehr festgestellt werden kann, kommt es nicht für den Ausspruch der Ehescheidung an. Ist nämlich der antragstellende Ehegatte wegen einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage, das Wesen einer Ehe und einer Ehescheidung erfassen zu können, ist bei ihm ein Zustand äußerster Eheferne erreicht, bei dem die Ehe der mehr als ein Jahr getrennt lebenden Ehegatten scheidbar ist.“

3.2.2 Scheidung wegen Zerrüttung der Ehe, § 1565 Abs. 1 S. 2 BGB

Fehlende Einvernehmlichkeit

Wenn eine Einvernehmlichkeit fehlt, ist die Ehe nur dann gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht und eine tatrichterliche Prognose ergibt, dass nicht zu erwarten ist, dass sie wieder hergestellt wird, diese Zerrüttungslage wird in tatsächlicher Hinsicht gerichtlich überprüft (Wellenhofer 2017).

Zerrüttung

Indizien für die Zerrüttung (Beispiele aus der Rechtsprechung) sind:

■ Anderweitige Partnerverbindung (OLG Frankfurt, FamRZ 1977, 810)

■ Homosexualität (OLG Hamm, FamRZ 1978, 190)

■ Endgültige Abwendung eines Ehepartners ohne Versöhnungsversuch (OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.02.2015, 9 UF 260/14)

■ Unüberbrückbare Gegensätze und Auseinandersetzungen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 07.09.2006, 15 WF 32/06)

■ Kein Geschlechtsverkehr mehr zwischen den Ehegatten (BGH, Beschluss vom 31.01.1979, IV ZR 72/78)

■ Unüberwindbare Abneigung des Ehegatten gegen den anderen (BGH, Urteil vom 14.06.1978, IV ZR 164/77)

■ Trunksucht und grobe Beleidigungen/Beschimpfungen (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 1978, 590)

■ Fehlende Kommunikation zwischen den Ehegatten (KG, FamRZ 1978, 594)

Vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 28.05.2014, 11 U 105/13: Zu den Voraussetzungen der §§ 1565, 1566 BGB.

3.2.3 Unwiderlegliche Vermutung (§ 1566 Abs. 2 BGB)

Dreijährige Trennung

Bei einer dreijährigen Trennungszeit wird das Scheitern unwiderleglich vermutet. Eine Einigung der Eheleute über die Scheidung ist nicht erforderlich (Wellenhofer 2017).


Entscheidung „Entbehrliche Anhörung“ (OLG Hamm, Beschluss vom 21.11.2014, 6 UF 30/14).

Leitsatz: „Liegen die Voraussetzungen für das Scheitern der Ehe unzweifelhaft vor, weil die Ehegatten bereits seit mehr als 3 Jahren getrennt leben, bedarf es keiner Anhörung der Ehegatten mehr.“

3.2.4 Härtefallscheidung gemäß § 1565 Abs. 2 BGB

Unzumutbare Härte

Auch bei der Härtefallscheidung gemäß § 1565 Abs. 2 BGB muss die Ehe gescheitert sein, § 1565 Abs. 1 BGB. Während die drei oben genannten Fälle der Scheidung (einvernehmliche bzw. streitige Scheidung nach einem Jahr Trennungszeit sowie streitige Scheidung nach dreijähriger Trennungszeit) jeweils eine Trennungsphase voraussetzen, kann die Zerrüttung der Ehe aufgrund eines Härtefalls ohne Trennungsphase geschieden werden. Nach ständiger Rechtsprechung reicht es aber nicht aus, wenn die Fortsetzung des realen ehelichen Zusammenlebens unzumutbar ist. Die Unzumutbarkeit muss sich vielmehr auf das Eheband als solches beziehen, das „Weiter-miteinander-verheiratet-sein“. Auf das subjektive Empfinden des scheidungswilligen Ehegatten kommt es nicht an. Maßstab ist hier, ob eine objektive dritte Person bei einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls das Verhalten des anderen Ehegatten ebenfalls als eine unzumutbare Härte empfinden würde (Wellenhofer 2017).

Die Gründe für die Härtefallscheidung können dabei auch erst nach dem Scheitern der Ehe eingetreten sein, also während die Ehegatten bereits getrennt leben.

Voraussetzungen für eine sog. Härtefallscheidung nach §§ 1565 Abs. 1 S. 2, 1565 Abs. 2 BGB sind:

■ Die Ehegatten leben noch nicht ein Jahr getrennt

■ unzumutbare Härte

■ begründet in der Person des anderen Ehegatten

■ die Fortsetzung der Ehe als solche muss unzumutbar sein („das Festhalten am Eheband“)

Rechtsprechung zu Härtegründen

Ob in der konkreten Scheidungssituation ausreichende Härtegründe vorliegen, ist von den Gerichten zu prüfen. In der Rechtsprechung gibt es eine Vielzahl von Urteilen, die eine Orientierung bieten. Die nachfolgenden Beispiele nennen Fälle, in denen die Gerichte das Vorliegen von Härtegründen bejaht („ehefeindliche Willensrichtung“) bzw. verneint haben. Es zeigt sich dabei, dass es auf den jeweiligen Einzelfall ankommt. So wird das Vorliegen eines Härtefalls bei einem Ehebruch einmal angenommen und im anderen Fall abgelehnt. Die unterschiedliche Bewertung ergibt sich hier aus den jeweiligen weiteren tatsächlichen Umständen.

Härtegründe bejaht

In den folgenden Fällen hat die Rechtsprechung Härtegründe bejaht:

■ Alkoholmissbrauch/Alkoholismus verbunden mit wiederholten Gewalttätigkeiten, Bedrohungen und Beleidigungen


Entscheidung „Alkoholkranker gewalttätiger Ehepartner“ (OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 31.01.2007, 15 WF 22/07):

Aus den Gründen: „Gemäß § 1565 Abs. 2 BGB kann die Ehe, wenn die Ehegatten noch nicht ein Jahr getrennt leben, nur geschieden werden, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde. Diese Voraussetzung liegt nach dem unstreitigen Vorbringen der Antragstellerin vor. Danach ist die Ehe auf Grund der erheblichen alkoholbedingten Ausfälle des Antragsgegners gescheitert. Die unzumutbare Härte muss sich auf das Eheband, d. h., das „Weiter-miteinander-verheiratet-sein“, nicht auf die Fortsetzung des ehelichen Zusammenlebens beziehen. Der Antragstellerin darf insoweit nicht zuzumuten sein, mit der Scheidung bis zum Ablauf des Trennungsjahres zu warten. Deshalb ist es unerheblich, dass die Antragstellerin nicht nur von ihrem alkoholkranken Ehemann getrennt lebt, sondern diesem durch die einstweilige Anordnung sogar verboten ist, die Wohnung der Parteien zu betreten, sich in einem Umkreis von 100 m der Wohnung aufzuhalten und Verbindungen zur Antragstellerin aufzunehmen. Diese Maßnahmen vermögen die Antragstellerin zwar grundsätzlich davor zu schützen, dass sie sich erneut Bedrohungen oder gar körperlichen Übergriffen des Antragsgegners in der und um die Wohnung herum ausgesetzt sehen könnte. Sie besagen aber nichts darüber, ob der Antragstellerin zuzumuten ist, das eheliche Band und die damit verbundenen rechtlichen und gesellschaftlichen Folgen aufrechtzuerhalten.

Das ist ihr nicht zuzumuten.

Die Antragstellerin hat den Antragsgegner seit Jahren immer wieder volltrunken, aggressiv und gewalttätig erlebt. Die gravierenden Vorfälle am 03.01.06 und im August 2006 über mehrere Tage mit Drohungen des Antragsgegners gegen das Leben der Antragstellerin zeigen, dass die in der Person des Antragsgegners liegende Unzumutbarkeit ein Ausmaß erreicht hat, das eine Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres rechtfertigt.“

■ Ehebruch in der früheren Ehewohnung


Entscheidung „Ehebruch in der früheren Ehewohnung“ (OLG Saarbrücken, Urteil vom 05.10.2004, 9 WF 111 /04):

Leitsätze: „1. Für die Annahme einer Unzumutbarkeit i. S. des § 1565 II BGB muss die Fortsetzung aus den in der Person des Partners liegenden Gründen über die Erkenntnis des Scheiterns der Ehe hinaus eine besondere psychische Belastung für den Antragsteller darstellen; an die Feststellung der nach einem objektiven Maßstab zu beurteilenden Unzumutbarkeit der Härte sind nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift strenge Anforderungen zu stellen.

2. Unterhält ein Ehegatte ein Verhältnis zu einem neuen Partner, welcher mittlerweile mit dem Ehegatten im vormals ehelichen Hausanwesen zusammenwohnt, kann dieser Treuebruch für den anderen Ehegatten eine unzumutbare Härte im Sinne von § 1565 II BGB darstellen.“

■ Ehebruch mit Schwangerschaft der Ehefrau von einem anderen Mann (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 16.06.2014, Az. 8 WF 106/14)


Entscheidung „Ehebruch mit Schwangerschaftsfolge“ (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.04.2000, 20 WF 32/00):

Anmerkung der Autorin: Erwartet die Ehefrau aus einem ehebrecherischen Verhältnis ein Kind, ist die Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Ehe nach Ansicht des OLG für den Ehemann gegeben, ohne dass weitere belastende Umstände vorliegen müssen. Ein anderes sei mit dem Sinn und Zweck des § 1599 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht vereinbar. Gemäß § 1599 Abs. 2 S. 1 BGB gelte nämlich die Vaterschaftsvermutung des § 1592 Nr. 1 BGB nicht, wenn das Kind nach Anhängigkeit eines Scheidungsverfahrens geboren wird und ein Dritter spätestens ein Jahr nach Rechtskraft des Scheidungsurteils die Vaterschaft anerkennt. Dieser Vorteil, nämlich der Wegfall der Vaterschaftsvermutung, dürfe dem Ehemann nicht entzogen werden, weil die Schwangerschaft für ihn nicht mit weiteren belastenden Umständen verbunden ist.

Die Schwangere selbst kann sich hingegen nicht auf diesen Umstand berufen (vgl. OLG Naumburg, NJW 2005, 1812).

■ Vorschlag zum Geschlechtsverkehr zu dritt durch einen Ehegatten nach Aufdeckung des Ehebruchs (vgl. OLG Köln, Urteil vom 23.06.1995, 25 WF 103/95: Die Fortsetzung der Ehe ist „angesichts der Schmach und Erniedrigung unzumutbar“.)

■ Prostitution des Ehepartners – auch nach der Trennung – (vgl. OLG Bremen, Urteil vom 26.09.1995, 5 WF 66/95)

■ Dauernde Verweigerung des Geschlechtsverkehrs (vgl. OLG Hamm, FamRZ 1979, 511)

■ Geschlechtsverkehr mit der Stieftochter (OLG Oldenburg, FamRZ 1992, 682)

■ Ein an HIV erkrankter Ehegatte, dem seine Erkrankung bekannt ist, täuscht den anderen Ehegatten über die Erkrankung (OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 15.03.2006, Az.4 UF 112/05)

■ Eine über Monate oder Jahre hinweg andauernde sexuelle Beziehung zum neuen Partner, die bereits vor der Trennung aufgenommen worden war (OLG Karlsruhe, FamRZ 1978, 592).

■ Verschweigen einer anstehenden Haftstrafe (AG Ludwigsburg, NJW-RR 2007, 4).

■ Mehrmalige Vergewaltigungen in der Ehe, nicht aber bei einer einmaligen Vergewaltigung in der Ehe im Affekt (OLG Stuttgart, FamRZ 2002, 239)

Härtegründe verneint

In den folgenden Fällen hat die Rechtsprechung Härtegründe verneint:

■ homosexuelle Neigung des Ehemannes (vgl. auch OLG Nürnberg, Urteil vom 28.12.2006, 10 WF 1526/06)


Entscheidung „Homosexuelle Beziehung des getrenntlebenden Ehegatten“ (OLG Köln, Urteil vom 13.03.1996, 27 WF 17/96):

Aus den Gründen: „An die Feststellung der unzumutbaren Härte sind strenge Anforderungen zu stellen. Es muss sich um eine Ausnahmesituation gegenüber der bloß gescheiterten Ehe handeln. Entscheidendes Kriterium für die Zumutbarkeitsprüfung ist, ob dem Antragsteller in seiner konkreten Lage angesonnen werden kann, nach dem Zweckgedanken des § 1565 Abs. 1 BGB den Ablauf des Trennungsjahres abzuwarten. Die Zuwendung zu einem anderen Partner und das Zusammenleben mit diesem lässt zwar in der Regel den Schluss zu, dass die Ehe der Ehepartner gescheitert und eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten ist. Die Zuwendung eines Ehegatten zu einem anderen Partner kann demnach Zerrüttungsgrund sein. Sie ist aber als solche nicht zugleich Ausnahmetatbestand mit der Folge der Unzumutbarkeit für den anderen Ehegatten.

Gleichgeschlechtliche Beziehungen unterliegen aus den vom Amtsgericht genannten Gründen – größere Akzeptanz in der Bevölkerung infolge der Liberalisierung der Sitten- und Moralvorstellungen seit Ende der 60er Jahre auch auf dem Gebiet sexueller Beziehungen – grundsätzlich den gleichen Regeln wie heterosexuelle Beziehungen. Dem Argument, in der Aufnahme homosexueller Beziehungen sei zusätzlich auch die Missachtung des anderen Ehepartners als Geschlechtspartner zu sehen, fehlt es an Überzeugungskraft. Selbst wenn das Argument zuträfe, wäre die Voraussetzung der unzumutbaren Härte dadurch i. Ü. nicht erfüllt.“

Eine Härtefallscheidung vor Ablauf des Trennungsjahres kommt nicht allein deshalb in Betracht, weil die Ehefrau eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft mit einer anderen Frau eingegangen ist (vgl. OLG München, Urteil vom 03.02.1995, 16 WF 534/95)

■ Psychische Erkrankung


Entscheidung „Suiziddrohung eines psychisch Kranken“ (OLG Schleswig, Beschluss vom 21.12.2005, 15 UF 85/05):

Aus den Gründen: „Nach § 1568 BGB soll die Ehe nicht geschieden werden, obwohl sie gescheitert ist, wenn und solange die Scheidung für den Antragsgegner, der sie ablehnt, auf Grund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheint. Die Suiziddrohung eines psychisch Kranken ist kein außergewöhnlicher Umstand, solange der Kranke seine seelischen Reaktionen noch steuern kann. Ist das Steuerungsvermögen erheblich beeinträchtigt, darf die Ehe nicht geschieden werden, bis die ausreichende medizinische Betreuung des Kranken gesichert ist. Unerheblich ist dabei, ob der suizidgefährdete Ehegatte das Scheitern der Ehe verursacht hat.“


Entscheidung „Demenz“ (OLG Hamm, Beschluss vom 16.08.2013, 3 UF 43/13):

Anmerkung der Autorin: Zu den Voraussetzungen einer wirksamen Bevollmächtigung der Verfahrensbevollmächtigten eines an Demenz erkrankten Ehegatten durch dessen gesetzlichen Betreuer für einen wirksamen Ehescheidungsantrag gemäß den §§ 125 Abs. 2 S. 2, 287 Abs. 1 FamFG, 1564 S. 1 BGB.

Leitsätze: „Eine einseitige, dem Familiengericht den Ausspruch der Ehescheidung ermöglichende Zerrüttung der Ehe lässt sich gemäß den §§ 1565, 1566, 1567 BGB jedenfalls feststellen, wenn die Ehegatten unstreitig seit mehr als einem Jahr räumlich getrennt voneinander leben und die Anhörung des an Demenz erkrankten Antragstellers nach § 128 FamFG sowie das übrige Ergebnis der Beweisaufnahme den Rückschluss zulassen, dass dieser zum Zeitpunkt der Trennung bzw. zu einem danach liegenden Zeitpunkt noch den hinreichend sicheren natürlichen Willen zur Trennung und Ehescheidung sowie die Ablehnung der Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft erklärt hat.

Darauf, dass bei dem an Demenz erkrankten Antragsteller zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung hingegen kein natürlicher Trennungs- und Scheidungswillen mehr festgestellt werden kann, kommt es nicht für den Ausspruch der Ehescheidung an. Ist nämlich der antragstellende Ehegatte wegen einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage, das Wesen einer Ehe und einer Ehescheidung erfassen zu können, ist bei ihm ein Zustand äußerster Eheferne erreicht, bei dem die Ehe der mehr als ein Jahr getrennt lebenden Ehegatten scheidbar ist.“

■ Treuebruch allein ist noch kein Härtegrund: Es müssen weitere Umstände hinzukommen (vgl. OLG München, Beschluss vom 28.07.2010, 33 WF 1104/10)


Entscheidung „Untreue zwei Tage nach der Eheschließung“ (OLG München, Beschluss vom 28.07.2010, Az. 33 WF 1104/10):

Anmerkung der Autorin: Keine unzumutbare Härte nach Ansicht des Gerichts bei Ehebruch zwei Tage nach der Eheschließung mit der Freundin der Braut.

Aus den Gründen: „Nicht jede Aufnahme einer außerehelichen Lebensgemeinschaft mit einem Dritten begründet die Unzumutbarkeit für den anderen Ehegatten, das Trennungsjahr abzuwarten. Damit wird nicht der Treuebruch selbst bagatellisiert, sondern der gesetzgeberischen Wertung Rechnung getragen, die eben das Vorliegen einer unzumutbaren Härte verlangt. Deshalb müssen weitere Umstände wie etwa die Darstellung in der Öffentlichkeit oder ein ehebrecherisches Verhältnis in der früheren Ehewohnung hinzutreten, die es für den anderen Ehegatten geradezu als entwürdigendes Unrecht erscheinen lassen, wenn man ihn noch länger am Eheband festhalten wollte.

Daraus folgt, dass die Art und Weise sowie die Begleitumstände des Treubruchs die Annahme eines Härtegrundes rechtfertigen können. Als Grund für die Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres hat die Rechtsprechung beispielsweise anerkannt den Geschlechtsverkehr mit der vorehelichen Tochter der Frau; mit Familienangehörigen oder der Schwägerin; den Ehebruch, der auch für Dritte in einer kleinen Gemeinde offensichtlich ist; wenn der Ehebruchspartner in die eheliche Wohnung aufgenommen wird oder zur Verletzung der Treuepflicht weitere demütigende Umstände hinzukommen, etwa die Aufforderung zum Geschlechtsverkehr zu dritt nach Entdeckung des ehebrecherischen Verhältnisses oder auch einmaliger Geschlechtsverkehr mit einem bis dahin unbekannten Mann, den die Ehefrau ebenso wie die hierdurch begründete Schwangerschaft trotz entsprechenden Aids-Risikos dem Ehemann zunächst verschweigt. Nach alldem ist festzustellen, dass hier zwar ein ehelicher Treubruch vorliegt, der sich dadurch hervorhebt, dass er bereits wenige Tage nach der Eheschließung offenkundig geworden ist und zudem mit einer engen Freundin der Antragstellerin. Es müssen vielmehr besonders erschwerende Begleitumstände hinzutreten, so dass das Verhalten des anderen Ehegatten für den verlassenen Ehegatten besonders erniedrigend oder peinlich wäre.“

■ Einmalige körperliche Misshandlung im Affekt aufgrund eines Streits rechtfertigt keine sofortige Scheidung (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 27.02.2001, 17 UF 411/00)

3.3 Die Schutzklauseln des § 1568 BGB

Für alle Scheidungstatbestände (Fallgruppen) sind zusätzlich die Schutzklauseln nach § 1568 BGB zu beachten (Johannsen/Henrich 2015).


§ 1568 BGB (Härteklausel)

„Die Ehe soll nicht geschieden werden, obwohl sie gescheitert ist, wenn und solange die Aufrechterhaltung der Ehe im Interesse der aus der Ehe hervorgegangenen minderjährigen Kinder aus besonderen Gründen ausnahmsweise notwendig ist oder wenn und solange die Scheidung für den Antragsgegner, der sie ablehnt, auf Grund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheint.“

3.3.1 Kinderschutzklausel (§ 1568 S. 1, 1. Alt. BGB)

Ehe im Interesse der Kinder

Die Ehe ist trotz Scheiterns nur dann zu scheiden, sofern und solange die Aufrechterhaltung der Ehe im Interesse der aus der Ehe hervorgegangenen minderjährigen Kinder aus besonderen Gründen ausnahmsweise nicht notwendig ist. Dies kann auch der Fall sein, wenn die Scheidung für den anderen Ehegatten eine schwere Härte darstellen würde, die sich auf das Kind auswirkt (z. B. Miterleben müssen des beim Ehegatten ausgelösten ungewöhnlich starken Leidensdrucks; hier Prüfung von Amts wegen § 127 Abs. 3 FamFG).

3.3.2 Ehegattenschutzklausel (§ 1568 S. 1, 2. Alt. BGB)

Scheidung als schwere Härte

Die Ehe soll zudem nicht geschieden werden, wenn und solange die Scheidung aufgrund außergewöhnlicher Umstände für den Antragsgegner eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheint, z. B. bei einer psychischen Ausnahmesituation, Gefahr von Kurzschlussreaktionen bis hin zu der Gefahr einer Tötung oder Suizids.


Entscheidung „Depression durch Trennungskonflikt“ (OLG Brandenburg, Urteil vom 06.11.2008, 9 UF 50/08):

Anmerkung der Autorin: Der Antragsgegner litt „an einer schweren Depression durch Trennungskonflikt“. Es wurde „eine schwere depressive Episode, ausgelöst durch die Trennung von der Ehefrau vor dem Hintergrund einer akzentuierten Persönlichkeit mit Neigung zur cholerischen, rechthaberischen Verhalten“ bei ihm diagnostiziert, der sich an den Wunsch nach Rückkehr der Ehefrau geklammert habe.

Aus den Gründen: „Nach § 1568 2. Alternative BGB soll die Ehe trotz ihres Scheiterns nicht geschieden werden, wenn und solange die Scheidung für den Antragsgegner, der sie ablehnt, aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheint. Die Vorschrift will aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit eine Scheidung zur Unzeit verhindern, weshalb an die Feststellung der schweren Härte ein strenger Maßstab anzulegen ist, der nur bei außergewöhnlichen Tatsachen vorliegen kann. Die Härtefallklausel bietet also schon im Ansatz nur einen zeitlich begrenzten Ehebestandsschutz und greift nicht ein, wenn es geeignete andere Maßnahmen zur Milderung oder Beseitigung der Härte gibt als allein den Ausschluss der Scheidung; die Verweigerung der Scheidung muss mithin das einzige Mittel sein, um den Ehegatten vor einer für ihn durch die Scheidung sonst entstehenden unerträglichen Lage zu bewahren. Härten, die mit Trennung und Scheidung üblicherweise einhergehen, können niemals die Anwendung des § 1568 BGB rechtfertigen (OLG Hamm FamRZ 1989, 1188/1189; erkennender Senat, FamRZ 2007, 1888, 1889).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Annahme eines Härtefalles nach § 1568 BGB im Streitfall nicht gerechtfertigt.“


Entscheidung „Suiziddrohung eines psychisch Kranken“ (OLG Schleswig, Urteil vom 21.12.2005, 15 UF 85/05):

Aus den Gründen: „Bei Suiziddrohung eines psychisch Kranken, der in der Steuerung seiner seelischen Reaktionen erheblich beeinträchtigt ist, darf die Ehe nicht geschieden werden, bis die ausreichende medizinische Betreuung des Kranken gesichert ist.“

Familien- und Kindschaftsrecht für die Soziale Arbeit

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