Читать книгу das goldene Haus - Sabina Ritterbach - Страница 6

Kapitel - Irland2

Оглавление

Beruhigt höre ich am nächsten Morgen gewohnte Geräusche. Erst rasselt und pfeift die Heizung, dann knacken die Heizkörper, und ich weiß, in einer halben Stunde wird es schon recht angenehm im Haus sein. Er rumort in der Küche, es riecht schon nach Eiern und Speck. Ich höre die Kinder auf dem Weg vor dem Haus. Ich höre sie schon aus einiger Entfernung, ihre halblaute Unterhaltung, ich höre, wie sie plötzlich anfangen zu rennen, weil sie das Auto entdeckt haben. Sie stehen einen Augenblick unentschlossen vor dem Gartentörchen, ich spüre, wie ihre Augen die Fenster abtasten, und ich höre, wie sie sich wieder in Bewegung setzen. Sie müssen zur Schule. Am Nachmittag werden sie wieder zurück sein, sie werden ungeduldig den Türklopfer in Bewegung setzen und dann Hand in Hand total schüchtern und ängstlich, aber auch freudig vor der Tür stehen.

Sie lieben ihn, mich mögen sie. Sie lieben ihn nicht nur, weil er Coca-Cola im Kühlschrank hat. Er hat eine so merkwürdige Art, mit ihnen umzugehen. Er rollt die Augen, macht grässliche Geräusche, pufft sie derb in die Rippen. Die Schuhe werden geklaut, es wird an ihren Haaren gezupft, und mit einem Ruck zieht er ihnen die Mütze über die Augen. Paddy starrt ihn dann wie ein Fabeltier an und vergisst vor Begeisterung, weitere Kekse in seinen Mund zu stopfen. Die Augen niedergeschlagen, den Mund zu einem ganz schmalen Lächeln verzogen, so sitzt Alice auf der Stuhlkante. Sie ist in ihn verliebt. Ich habe ihn gebeten: "Berühre und küsse mich nicht in ihrem Beisein, glaube mir, sie leidet." Einmal als er liebevoll den Arm um mich legte, sah ich, wie sie ihr Gesicht verlegen und schmerzlich verzog. Sie wollte in seine Arme. Sie will in seine Arme und wird nur gezupft, deshalb kann sie mich nur mit Vorbehalt mögen.

Ich bin die Hüterin der Gummibärchen, ich habe begehrenswerte Dinge in meinem Koffer. Ich besteche also, flechte Zöpfe in die Haare und verziere sie mit Bändern, ich zupfe nicht.

Paddy ist fünf, Alice zehn oder elf Jahre. Alice ist das Elfenkind mit den vielen Gesichtern. Sie ist dünn, blass, fast durchsichtig. Sie sieht oft krank aus. Ein Reifen hält das lange blonde Haar aus der hohen Stirn, blaue Adern durchziehen die Schläfen, dunkle Schatten unter den großen hellblauen Augen. Der Mund eines Kobolds, ein schmaler Strich, den sie in ungeahnte Längen verziehen kann. Sie war schon oft mein Modell, dann saß sie stolz und verlegen, den Mund fest in den Winkeln eingekniffen, damit das wohlgefällige Grinsen nicht zu breit ausfiel. Aus den Augenwinkeln oft kleine triumphierende Blicke zu ihrem kauenden Bruder. Stolz, dass sie das beachtete Objekt war, nicht er. Anfangs sitzt sie steif und gerade, nie würde sie wagen sich zu entfernen, aber je länger sie sitzt, je entspannter sie wird, desto mehr verändert sich dieses kleine Mädchen. Dann fällt es mir schwer, sie anzusehen. Das letzte Mal, als ich sie zeichnete, war es schon dämmrig, die Schatten verwischten sich, mir gegenüber saß eine fast leere Schuluniform, der helle, zu groß wirkende Kopf, die dunklen Augen und der so trostlos verzogene Mund - ich hätte weinen können, sie war nicht jünger als tausend Jahre.

Paddy, das Sonnenkind, er ist ein Spaßmacher, nur ruhig, ernst und konzentriert, wenn er Keks isst. Er ist ein Clown, aber kein Kobold, er ist rund, lustig, unkompliziert.

"Paddy, sing ein Lied", und Paddy singt, und damit es nicht langweilig wird, tanzt er, und damit dies nicht langweilig wird, kugelt er sich über den Boden. Er hat dichte dunkle Locken und mit seinen runden Ärmchen und Beinchen noch ein wenig von einem Baby.

Heute Nachmittag werden die beiden vor unserer Tür stehen, sie werden uns besuchen, und Anne, ihre Mutter, wird nicht oben in der Küche auf sie warten.

Frühstuck!“

Oh Gott, was für eine Hetze, ich reiße mich von meinen Gedanken los, springe aus dem Bett, ab ins Bad. Ich kann es mir gar nicht mehr leisten, im Rohzustand ans Tageslicht zu kommen also Minimalrestauration. Gesicht waschen, matte Entfaltungscreme, Augentropfen, Haare hochwursteln, ein Griff zur grünen Kette. Ich springe die Treppe hinunter, da sitzt er im Rohzustand. Wie immer reizt mich der Anblick zum Lachen. Kein Kamm hat sein Haar berührt, und sein Gesicht schläft noch. Aber das Frühstück ist perfekt, es gibt alles, was ich sonst nicht essen würde, Spiegeleier, Zwiebelringe, Tomaten, diese widerlichen kleinen Würstchen und zusammengekrunkelten Speck. Natürlich Toast und bernsteinfarbene Orangenmarmelade. Der Tee dampft in meiner Tasse, die Brandenburgischen Konzerte erfüllen den Raum. Ich gehe zu ihm, meine Hände gleiten am Halsausschnitt vorbei auf seine Brust, ich drücke mein Gesicht in sein Haar und berühre sein Gesicht, und während er sich kurz kauend an mich lehnt, sage ich "Guten Morgen."

Wie oft habe ich hier schon so gesessen? Grob überschlagen vierzehnmal, zehn und ein paar Sommerfrühstücke. Das Lachen über seinen Anblick steckte mir schon beim allerersten Frühstück in der Kehle. Er aß damals wie heute sehr schnell und nicht viel, und ich kannte ihn doch noch nicht und war entsetzt, als er mit einem Ruck den Teller von sich schob, denn ich war grässlich hungrig, und ich musste mich zwingen, ruhig weiter zu essen. Das war nicht einfach, friedlich vor sich hin zu kauen, den Tee anmutig zu trinken, ohne sich ihn über die Bluse zu schütten, während er dasaß und mir bei jeder Bewegung zusah. Ich war noch nie von einem Fremden so ohne Deckung angestarrt worden. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und sagte: "Wenn du fertig bist, schauen wir nach deiner Karre."

"Ich brauche noch fünf Minuten, bitte!"

"Mach nur."

Er stand auf, raffte mit einer schnellen Bewegung den Hauptteil des Frühstücksgeschirrs zusammen und ging nach hinten, wo die Küche zu sein schien.

"Fertig?" Er war schon an der Haustür. ich ließ alles stehen und liegen und lief ihm nach. Warmer Sonnenschein umfing mich, nur ganz kurz schaute ich mich um und ahnte, es muss wunderbar sein. Da wurde gehupt, und ich kletterte in den Bully.

"Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Mittag!" Ich konnte es kaum glauben, Mittag, die Sonne stand hoch am Himmel.

Durch seine Gegenwart fühlte ich mich sehr gehemmt, konnte aber Entzückungsrufe beim Anblick des Sees nicht unterdrücken. Er nickte wohlgefällig, gab Gas und augenblicklich befand ich mich auf der Achterbahn, und wieder krallte ich mich am Sitz fest.

Der Weg zum Pub und somit zu meiner "Karre" war kürzer, als ich es die Nacht zuvor empfunden hatte.

"Schlüssel!"

Er hielt mir die geöffnete Hand hin, gehorsam übergab ich ihm das Geforderte. Kaum war ich ausgestiegen, saß er schon in meinem Auto und versuchte, es zu starten. Kein Ton. Er versuchte es aufs Neue.

"Wie hast du es denn bis hierher geschafft?"

Ich konnte nur mit den Schultern zucken. Er sprang aus dem Wagen und riss die Motorhaube auf. Auf einem Mauervorsprung am Pub-Eingang genoss ich die Sonne, jetzt konnte ich ihn das erste Mal genauer beobachten, ohne sofort von seinen coolen blauen Augen angegriffen zu werden. Viel war allerdings im Moment nicht sichtbar, da sein Oberkörper fast immer unter der Motorhaube steckte. Ich amüsierte mich, als ich ihn so hin und her wieseln sah, denn ich dachte an mein Schönheitsnotprogramm, und wie sehr ich mich gehetzt hatte, er hatte nur seine zehn Finger nach dem Frühstück betätigt.

Nun tauchte er in ganzer Größe auf und knallte die Motorhaube zu.

"Da kann ich nichts machen, bei der Elektrik streike ich, da bin ich nicht gut, sonst schon." Den Nachsatz konnte er sich nicht verkneifen.

"Es ist Samstag, die Werkstatt hat geschlossen, das kommt davon, wenn man bis mittags schläft."

Ich war entsetzt, nun saß ich hier fest. Der Himmel war blau, die Sonne schien, aber es interessierte mich nicht. Da schallte es laut aus dem Bully: "Willst du hier Wurzeln schlagen?" Oh Gott, was für ein Typ!

Er grinste fröhlich, als ich neben ihm im Bus saß. Ich schaute nicht auf den See, ich dachte nach, ich musste ein Hotel finden, und ich wollte ihn fragen, was ich ihm für sein „Bed and Breakfast“ schuldete. Bisher hatte ich ihn noch nie angesprochen, ich hatte Probleme mit dem "Du". Der Wagen hielt vorm Haus, und er sagte gutgelaunt: "Eva, ich mache neuen Tee, willst du auch einen?" Er sagte "Eva", und ich schaute ihn entgeistert an.

"Ha, ich bin Detektiv, ich habe den Namen schon gestern Abend auf dem Kofferschild gelesen."

"Also Emil", sagte ich. Er stutzte einen Lidschlag und rief begeistert: "Nicht schlecht, nicht schlecht." Er hielt mir die Hand entgegen, ich ergriff sie, er schüttelte sie fast förmlich und hielt mir dann seine ölverschmierte Handfläche vors Gesicht. Ich sah meine Hand an, und wir lachten, wir standen in der Sonne und lachten, der erste Bann war gebrochen, und dies tat gut. Eigentlich hatte ich keinen anderen Wunsch, ich wollte in der Sonne stehen und lachen.

Vor der Haustür standen ein kleiner Tisch und zwei Stühle, ich folgte den Geräuschen und fand den Hausherrn in einer selten hässlichen, unordentlichen Küche. Das Teewasser summte. Auf dem Tisch standen schon die Tassen, ich öffnete eine Schublade und fand die Löffel und im Kühlschrank eine einsame Milchflasche. Ich stellte alles aufs Tablett und ging hinaus, und er kam mit dem Tee, Keksen und einer halbvollen Flasche Whisky.

Er hob die Flasche und sagte: "Das habt ich doch verdient, außerdem ist es schon Nachmittag." Der Sinn dieses Satzes blieb mir verborgen. Er streckte sich, machte die Beine lang, grunzte zufrieden und klappte die Augen zu. Einerseits war ich froh, dass er diese beunruhigenden Dinger geschlossen hatte, andererseits hatte ich doch ernste Probleme, die ich besprochen haben wollte, aber wie spricht man mit jemandem, der die Augen fest zuhält. Jedenfalls konnte ich ihn mir so ein wenig genauer anschauen. Ich war auf der Hut, denn jeden Moment konnte er die Augen öffnen und mich dabei ertappen, wie ich ihn anstarrte.

"Na, bist du begeistert von dem, was du siehst?"

Gott, war mir das peinlich, ich hätte in den Boden sinken können. Er aber lachte, er lachte voller Schadenfreude, aber auch so herzlich, dass ich nicht anders konnte, ich musste mitlachen.

Das war die Gelegenheit, ich fragte nach einem Hotel, und meine Schulden wollte ich auch am liebsten sofort begleichen. Natürlich, in der nächsten Stadt gäbe es ein Hotel, aber wie ich das mit dem Auto machen wollte, das wäre doch von dort aus, ein ziemlicher Umstand. Er jedenfalls hätte nichts dagegen, wenn ich bis Montag bliebe. Er hätte zu tun, abends ginge er fort und käme erst gegen Morgen zurück, das sage er nur, damit ich nicht vom Haustürgeräusch erschrecke. Eine lange Rede für seine Verhältnisse.

"Und was bin ich schuldig?" Noch immer vermied ich jegliche Anrede.

"Abarbeiten."

Er war unkompliziert, freundlich und bissig.

"Schau dir mal das Haus an, warte, ich komme mit."

Das Wohnzimmer mit der verglasten vorgebauten Essecke kannte ich schon. Es gefiel mir. Die Möblierung war einfach, am Kamin ein Sofa und ein typisch irischer, großblumig gemusterter Teppichboden. Vom Wohnzimmer gings direkt in meine Schlafkoje, über den Flur zu seinem Zimmer. Wir ließen es geschlossen, hinten die Küche, oben die Baustelle und das Bad.

"Schön", sagte ich.

"Schön? Das soll erst schön werden, aber ich lasse mir Zeit, es hat keine Eile. Die Lage ist gut, das Haus liegt geschützt, das Meer ist ganz nah."

"Wo", rief ich, "wo ist es?"

"Gleich da drüben, du kannst es nicht sehen, da oben", und er zeigte mit dem Arm zur Straße, "es liegen die Felsen davor."

"Mein See hinterm Haus mündet ins Meer, er hat Ebbe und Flut. Eine Rarität! Also, dir gefällt das Quartier, du bleibst."

"Danke, sehr gern, was kann ich tun?"

"Also, heute nichts, und morgen ist der Tag des Herrn, lass uns am Montag darüber reden. Ich muss was tun, schau dir die Umgebung an. Bis später."

Ich fing mit der Erkundung gleich hinterm Haus an, ich wollte durchs Wäldchen zum See. Hilflos in Brombeerranken verfangen, die Füße im Matsch, war ich froh, ohne größere Schrammen da wieder herausgekommen zu sein. Ein neuer Versuch wurde gestartet, recht uncharmant überwand ich einen Graben, kämpfte mich durch hohen Farn, glitschte über feuchte Steine und Moos und stand dann zwischen Heidekraut und großen Steinen am Ufer. Ich drehte mich um, das Haus war ganz nahe, mit seinen vielen verschiedenen Anbauten glich es einem Schlösschen. Am gegenüberliegenden Ufer lag das Dorf und rechts von mir die Felsenstraße, die mir die Sicht aufs Meer nahm.

Der See war braun und leicht gekräuselt, das hellgrüne Schilf bewegte sich und rauschte, und zu allem Überfluss glitten zwei Schwäne übers Wasser. Ein Motor brüllte auf, und als ich mich umdrehte, sah ich noch gerade den Herren des kleinen Schlösschens mit seinem Höllengefährt um die Ecke sausen.

Ich machte mir Gedanken über meinen Wirt, versuchte vergeblich, sein Alter zu schätzen, stellte mir sein Gesicht vor, die merkwürdig intensiven Augen, die schweren Augenlider, die steile Falte zwischen den Brauen, der Mund, zu viel Bart, aber beim Lachen die fehlende Ecke am vorderen Schneidezahn. Er redete mit den Händen, große Gesten, auf dem Handrücken und sogar auf den Fingern braunes Fell.

Was macht er hier, ob er wohl immer hier wohnt? Plötzlich war es mir gleichgültig, in eineinhalb Tagen bin ich fort, sagte ich mir.

Die Strecke, die ich mir hierher so mühselig gebahnt hatte, musste ich nun wieder zurück. Ein Sprung über den Graben, ich war auf dem Weg. Ich ging die Felsenstraße zum Dorf, bog in eine schmale Nebenstraße, kleine Häuser, Kinder spielten auf der Straße, und die Hunde. Vor jedem Haus, in jedem Vorgarten lauerten sie auf mich. Mit lautem Gekläff rannten sie in den Gärten, bis sie von einer Mauer oder einem Zaun gestoppt wurden. Die anderen, die auf der Straße lagen oder saßen, beäugten mich schon von weitem, und wenn ich mich dann ihrem Territorium näherte, gings los. Mit wüstem Gebell sausten sie um mich herum, es dauerte eine Weile, bis ich merkte: laut aber harmlos.

Vor den Häusern wurden Boote repariert, und einige Male musste ich bestätigen, dass das Wetter herrlich war und Donegal auch. Ziemlich unerwartet bogen zwei riesige Kühlwagen um die Ecke, sie nahmen die ganze Straße ein, ich dachte an die Kinder und Hunde auf dem Weg und warf mich nicht ins Gebüsch. Als Bojen, Reusen, Netze und eine Fischwolke mich umschlossen, ahnte ich den Hafen. Mehrere große Hallen. Ich sah durch die geöffneten Tore Männer, die Container voller Fische schoben. Auch auf dem Vorplatz standen Metallbehälter, darin glänzten Fische zwischen Eisbrocken. Nur zwei kleine Boote dümpelten im dunklen Wasser. Ich lief die Mole entlang, sie machte einen scharfen Bogen um einen Felsen, und wie durch Zauberhand waren die Hallen, die Container und auch der Geruch verschwunden. Schönheit und Stille umgaben mich.

Durch die inselreiche, enge Hafeneinfahrt rollten die Wellen in sanften Bögen und klatschten sacht an die hohe Mauer. Blauer Himmel, blaues Meer, weiße Wolken, weiße Möwen. Versunken lehnte ich mich an die warmen Steine, ich dachte an nichts, ich fühlte nur. Dieser Weg und dieser Platz am Hafen wurde für alle Jahre unser "Schlechtwetterspaziergang".

Vor einem Jahr, wir hatten schon die Koffer gepackt, das Haus war aufgeräumt, wir waren zur Abfahrt bereit, da hörte der Regen, der den ganzen Tag angehalten hatte, plötzlich auf. Wir schauten uns an, denn gleichzeitig hatten wir den Wunsch, lass uns zum Hafen gehen. Auf der Mole zerrte ein heftiger Wind an uns. Die Wolken jagten und türmten sich übereinander, düster, wild und grau.

"Ich brauche einen kleinen blauen Fleck, etwas Helles, etwas, was mir Mut macht".

Ich schwang mich auf die hohe Mauer, er stand leicht frierend vor mir. Da geschah es, ein gelber Streifen müder Wintersonne sandte seine Strahlen durch eine Wolkenritze und verwandelte alles in ein Caspar-David-Friedrich-Licht.

"Sag etwas, was mir das Herz erwärmt", dachte ich, und er sagte: "Du bekommst einen nassen Hintern."

Unser letzter Spaziergang in diesem Jahr, ich dachte an die vielen einsamen Stunden, die ich in diesem Urlaub neben ihm hergetrabt war. An Stunden, in denen er stumm, ohne sich nach mir umzuwenden, vor mir hergewandert war. Ich hatte den hellen Schein, das gute Omen bitter nötig.

Ich zog ihn an den Schultern zu mir, legte meine Hand in die Wärme seines Nackens, er legte seine Stirn an meinen Anorak. Meine Finger streichelten die kleinen Locken an seinem Haaransatz, und ich versuchte, mir einzureden, dass alles gut wie immer sei.

Irgendwann habe ich die Mole und das blauweiße Märchen verlassen. Im Dorf gab es einen Laden, in dem es Alles und Nichts gab. Ich fand Brot, Butter, Käse, Obst und Eier fürs Abendessen, ich dachte an den leeren Kühlschrank und kaufte noch einige Dinge. Schwer bepackt lief ich über die Felsenstraße bis zum Haus.

Der Bus stand in der Einfahrt, er war da. Die Hintertür zur Küche stand offen, auf dem Herd kochte etwas gut Duftendes vor sich hin. Kein Geräusch. Ich öffnete den Kühlschrank, vollgestopft, als ob eine Jugendherberge verpflegt sein wollte. Die Küche sah aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen, es gab keinen Zentimeter freien Platz, Überall türmte sich Geschirr, Pfannen und Töpfe. Ich schaffte mir eine Ecke für meine Einkäufe, da hörte ich Plätschern aus der Badestube über mir, und gleichzeitig schoss das Badewasser übers Küchendach am Fenster vorbei in den Garten.

In Land- und Wanderkarten lese ich wie in einem Prospekt. Wo immer ich auch hinfahre, ich besorge mir eine gute Karte, und es macht mir Vergnügen, mir anhand der Karte eine Vorstellung von der dortigen Landschaft zu machen. Eine große Straßenkarte hatte ich mir schon zu Hause besorgt, aber die Wanderkarten von Donegal lagen noch ganz neu in meinem Rucksack. Die Karte bedeckte den Wohnzimmertisch, ich beugte mich über sie und fand den Ort, den Hafen. Ich fuhr mit dem Finger die Felsenstraße entlang, er betrat das Zimmer, und auch er beugte sich über die Karte und kam mir verdammt nahe, so nahe, dass ich seine Badelotion riechen konnte. Ich war befangen, umrundete mit dem Finger den See, und gleichzeitig trafen sich unsere Zeigefinger auf einem kleinen schwarzen Punkt.

"Mein Haus", rief er, und ich zog meinen Finger fort. Er war in Eifer, er schob mich zur Seite.

"Schau, hier steht dein Auto, da sind die Dünen, die schrägen Striche das sind die Klippen, und die Sommersprossen überall das ist Moor, ich falle um vor Hunger!"

Für mich begann der Kampf mit der Karte mit all ihren Falten und Knicken, er kam mit einem Topf und Brot herein, sah mein Unvermögen, nahm mir die Karte ab, und ich konnte gar nicht so schnell gucken, schon lag sie hübsch ordentlich auf dem Sofa.

Die Suppe schmeckte wunderbar, und ich sagte es auch.

"Ich koche gern. Was machst du eigentlich in Irland, was hast du für Pläne?"

Dieser Themenwechsel verwirrte mich, ich genoss noch die Suppe und hatte gerade ins Brot gebissen. Mit vollem Mund spricht man nicht, ich kaute langsam, ich brauchte Zeit für die nicht sehr erschöpfende Antwort.

"Ich mache hier Ferien, ich wollte überall ein wenig bleiben und langsam die Küste runterfahren."

"Warum bist du allein unterwegs?"

Wäre ich auf diesen direkten Satz vorbereitet gewesen, wäre ich sehr kühl und reserviert geworden. So aber war es wie ein Schlag, und ich hatte das Gefühl, als entgleisten mir meine Gesichtszüge. "Entschuldigung."

Ein betretenes Schweigen herrschte zwischen uns, es war mir peinlich, und mit leiser, zugeschnürter Stimme sagte ich: "Ich bin seit zwei Monaten geschieden."

Es war das erste Mal, dass ich dies laut aussprach, und wie ein Echo schallte es in meinem Kopf, geschieden, geschieden.

"Sorry."

Ich lächelte matt. "Ich muss mich erst noch daran gewöhnen." Er stand auf, holte zwei Gläser und seine Whiskyflasche, schüttete in beide Gläser einen tüchtigen Schluck. "Da, du, manchmal hilfts. Spülen wir‘s runter."

Es tat wirklich gut. Es war Dämmerung, er zündete sich eine Zigarette an, und im Aufflammen des Feuerzeugs sah ich, dass sein Haar frisch gewaschen in prächtiger Mähne um den Kopf stand. Keiner sprach, ich hielt mich am Glas fest und nahm ab und zu einen kleinen Schluck. Nichts war peinlich, nichts bedrückend, es ging mir gut.

Er wollte den Tisch abräumen, aber ich bat: "Bitte nicht, ich muss endlich mit dem Abarbeiten beginnen, ich bin schon weit im Hintertreffen."

"Ok"

Er berührte leicht meine Schulter, wünschte mir noch einen schönen Abend und gute Nacht und verließ das Haus. Wie getreten brüllte der Bus. Eine Weile blieb ich noch ruhig sitzen, dann machte ich mich auf ins Schlachtfeld Küche. Ich hatte zu tun, ich hatte echt zu tun, und es dauerte lange, bis ich alle Töpfe, Teller, Bestecke und Pfannen in den Schränken hatte. Selbst nach der Säuberung blieb die Küche hässlich.

Ich war müde, und im Bett dachte ich, dass ich morgen Vormittag die Kinder anrufen durfte. So war es verabredet, ich hatte große Sehnsucht nach ihnen, und mit den Gedanken an sie schlief ich ein.

Sonntagmorgenstille, ich nahm mir Zeit im Bad, und als ich fertig angezogen in den Flur trat, stand die rote Haustür auf, und im Vorgarten wartete der Frühstückstisch auf mich.

Er war hinter meiner Wanderkarte versteckt.

"Guten Morgen, schönes Wetter, man kann baden, ich zeigt dir die schönste Bucht."

"Sehr schön, aber erst möchte ich dringend telefonieren, wo kann ich das?"

"Gleich oben im Dorf neben dem Laden, du warst schon dort, dort steht die Telefonzelle, kommst du zurecht? Du musst das Gespräch anmelden, es gibt keine Wählscheibe, dreh an der Kurbel, meldet sich das Amt, sag deine Nummer, und wenn der Teilnehmer sich meldet, musst du anfangen, das Geld hineinzuwerfen. Kapiert?", und dann wie mein Vater, "hast du genug Münzen, und mach dir Brote für den Strand." Er redete mit mir wie mit einem Kind, und es amüsierte mich, gleichzeitig war ich froh über alle Informationen. Ich packte Picknick, Badesachen, Buch, eine Strohmatte bekam ich auch, und zog ab.

Auf dem Weg dachte ich an meine Beiden, ich hoffte so sehr, dass es ihnen gut ginge, dass sie glücklich wären. Da stand das Telefonhäuschen, schief nach vorn gekippt, im Boden eingesunken. Sprossenfenster, hellblau-weiß, und über der Tür auf gälisch "Telefon".

Unzählige Male war dieses Telefonhäuschen mein Ziel, unzählige Male hörte ich dort ihr "Hallo Mama". Ich liebte dieses kleine blauweiße Häuschen, Jahre später bekam es eine ordentliche Wählscheibe, die Kurbel war verschwunden.

Seit dem letzten Jahr hasse ich dieses Häuschen, und ich habe allen Grund dazu.

Und schon wieder kehrten meine Gedanken zum vergangenen Jahr zurück, zu diesem einsamen Urlaub, ich sehe uns von unserem "Schlechtwetterspaziergang" zurückkehren. Im Pub an der Kreuzung sollte das letzte Guinness getrunken werden. Es waren mehrere Männer an der Theke. Der Wirt mit seinem mönchisch-asketischen Aussehen war erfreut, uns zu sehen. "Ein Pint, ein Glas." Er wusste Bescheid. Es kostete mich Überwindung, dieses kalte Zeug am späten Nachmittag in mich hineinzuschütten. Aber, was sein muss, muss sein. Die Unterhaltung war allgemein und munter, und nach dem zweiten Glas war ich froh, hier gelandet zu sein. Das dritte Glas wurde mir von einem Gast spendiert, ich flüsterte: "Oh Graus", und er sagte: "Sei tapfer, heb es hoch und lächle." Ich bekam einen Schwips. Ich wollte, dass er mich ansah, ich wollte ihn an diesem letzten Abend für mich gewinnen, mir fiel in diesem Augenblick nicht auf, dass ich diese Situation schon einmal durchlebt hatte.

Die Konturen verwischten sich, meine Hemmungen und meine gute Erziehung schrumpften zu einem Nichts, ich rutschte mit meinem Barhocker näher an ihn heran, lehnte meinen Kopf an seine Schulter und machte in aller Öffentlichkeit aus meiner Zuneigung zu ihm keinen Hehl. Noch mehr, ich machte ihm eindeutige Angebote. Ich nahm seine Hand und sagte zärtlich: "Komm, lass uns gehen." Er schob meine Hand fort und sagte: "Geh schon mal vor, ich trinkt noch eins, und dann muss ich noch telefonieren."

Ich rutschte vom Hocker, winkte und verließ den Raum. Es war dunkel, über mir funkelten ein paar Sterne, und vor mir stand die erleuchtete Telefonzelle. Noch ein Pint, dann würde er in seiner typisch gebückten Haltung dort drinstehen und mir ihr sprechen und lachen. Ich lief die dunkle Felsenstraße entlang, bog in unseren Weg und sang, sang, bis ich unsere Haustür erreichte.

Ich stand ratlos in der Zelle. Schon mehrere Male hatte ich die Kurbel betätigt, ein durchdringendes Pfeifen, manchmal Sprachfetzen, mehr hatte ich nicht zustande gebracht. Ich versuchte es immer wieder, denn ganz weit weg in Italien warteten zwei Kinder auf meinen Anruf. Ich stand in der schiefen Zelle und war traurig.

Oh, ein wohlbekanntes Geräusch, der Bully stoppte, er sprang heraus und riss die Tür auf.

"Klappt nicht, was?"

Er nahm mir den Zettel mit der Nummer aus der Hand und fing an zu kurbeln, gleichzeitig traktierte er den Apparat mit einigen Faustschlägen. "Na, wer sagts denn!" Er gab die Nummer durch und wartete. Die Kabine war eng und niedrig, und er musste sich ein wenig bücken. Es wurde mir bewusst, wie eng wir zusammenstanden. Sein Haar roch nach Kneipe und abgestandenem Rauch. Er lauschte aufmerksam, drückte mir den Hörer in die Hand, gleichzeitig verließ er die Kabine.

Das Hotel meldete sich, und vor meinem geistigen Auge sah ich, wie Sonja dem Mann an der Rezeption den Hörer aus der Hand riss.

"Mama", hörte ich sie so entsetzlich weit fort von mir. "Ja, der Stefan steht neben mir, es geht uns gut, und dir, Mama? Der Stefan hat gekotzt, nein, wirklich nicht schlimm.

Das Wetter wäre schön, sie hätten schon Freunde, es ginge ihnen gut.

"Rufst du uns in drei Tagen wieder an? Prima!"

Ich hielt den Hörer noch an mein Ohr gepresst, als das Gespräch schon beendet war, ich blickte durch die Scheibe auf das Stück Meer, das zwischen Felswand und Haus sichtbar war. Ich hatte so viel an sie gedacht, ich hatte Sehnsucht nach ihnen, und was sagt man: "Das Wetter ist schön", aber es zählt nur ein Satz: "Es geht uns gut."

Er lehnte lässig am Bus.

"Vielen, vielen Dank für die Rettung." Ich hoffte, er würde meine Dankbarkeit spüren.

"Steig ein, ich fahr dich zum Strand."

Wir fuhren durch die Dünen, links und rechts schwarze Bullen, ich war froh, im Auto zu sitzen. Der Bus stand, und wir schauten durch die Windschutzscheibe auf die weiße Bucht, das türkisfarbene Meer, die dunklen Felsen. Wir schauten uns an und lächelten.

Ich lag auf der Strohmatte und hatte die geschützte Bucht für mich allein. Hinter dem Felsen war noch eine Bucht und dahinter noch eine, ich hätte sie alle haben können, niemand war sonst da. Der Sand rieselte durch meine Finger, ich hörte auf das Meer.

Das Meer, das war so viele Jahre für mich Holland. Der alljährliche Familienurlaub. Sozusagen mit Kind und Kegel, mit meiner Schwester und ihrer Familie. Es war jeden Tag ein Aufstand, bis alle Schwimmflügel, Eimer und Schäufelchen, das Sonnenöl, der Windschutz, die Butterbrote, bis alles beisammen war, und wie Packesel schleppten wir uns dann mühsam durch den Sand. Alle ließen alles gleichzeitig fallen, ich räumte auf, ordnete das Chaos und schwor mir "nie wieder". War die Lage überschaubar, lag ich auf meiner Matte, schloss die Augen, hörte die Menschen lachen und quietschen und hörte die sich vor Freude überschlagenden Kinderstimmen, hörte das Meer, das beruhigende, ununterbrochene Anrauschen der Wellen und ließ den Sand durch meine Finger rieseln.

Es gab keine Unordnung um mich, keine Sonnenölflecken, keine sandverklebten Sonnenbrillen, keine Federballschläger, keine Bälle, kein Lachen. Ich lag auf meiner Matte, der Wind war zart, die Sonne angenehm, ich ließ den Sand durch meine Finger rieseln und war unglücklich.

Noch vor zwei Jahren schien die Welt für mich in Ordnung gewesen zu sein. Wir hatten ein Haus in Holland gemietet und bewohnten es mit dem ganzen Clan. Die Kinder waren zusammen untergebracht und hatten den größten Spaß miteinander. Gab es auch abends keine Ruhe und wurde der Krach zu penetrant, meinte Man­fred, dass es die reinste Erholung wohl diesmal nicht wäre. Er hatte ein langes, anstrengendes Semester hinter sich, er sah müde aus, und so fand ich es natürlich, wenn er abends längere Spaziergänge unternahm und betonte, er hielte es für nötig, allein zu sein.

Ich machte mir Sorgen, ich beobachtete ihn, wie er grübelnd am Wasser saß und nicht ansprechbar im Liegestuhl lag. Sprach ich ihn an, war er lieb und aufmerksam, aber so, als hätte er sein Visier heruntergeklappt. Er war unruhig und telefonierte oft mit dem Institut, und dann verkündete er, er müsse mindestens für zwei Tage in die Uni, es gäbe Ärger, und er müsse klärend eingreifen. Er wurde allgemein bedauert. Werner meinte, es wäre eine Unverschämtheit, dass man ihn nicht einmal in den Ferien in Ruhe lassen würde. Am Abend war er munter und lustig, und wir spielten Doppelkopf bis tief in die Nacht. Als ich aus dem Bad kam, hatte er die Augen schon geschlossen, ich wusste, er schlief noch nicht, ich rückte auf seine Seite und legte meinen Arm um ihn. Ich fragte ihn, ob er es nicht auch herrlich fände, wenn wir nach diesem Familienurlaub noch zehn Tage ganz für uns allein hätten. Mit Gabi hätte ich schon gesprochen, sie nahm die Kinder, alles wäre in die Wege geleitet. Wir beide hätten den Urlaub nötig. Ich merkte, wie sich sein Körper versteifte, er schwieg. Ich knuffte ihn liebevoll.

"Sag, was ist los, was spricht dagegen?" Nach längerer Pause sagte er ziemlich grob: "Bevor du alles arrangierst, hättest du mich fragen müssen. Ich kann im Augenblick nicht fort, außerdem war ich im vergangenen Jahr genug unterwegs."

Das stimmte, doch diese Reisen waren beruflich, interessant, wichtig, aber was hatten sie mit uns persönlich zu tun?

"Du", fing ich wieder an, "wir brauchen doch gar nicht weit zu verreisen, wie mieten uns einfach ein Appartement, von mir aus in der Eifel." Ich setzte langsam und betont hinzu: "Ich möchte mit dir zusammen sein."

Schweigen. Ich knipste die Nachttischlampe an und drehte mich zu ihm. Ich stützte mich auf den Ellenbogen und versuchte, ihn anzuschauen. Er blickte durch die Zimmerdecke, durch das Dach in die Ferne.

Ich legte meine Hand auf sein Gesicht und drehte es zu mir hin. Er schaute mich an, und in seinen Augen stand eine solche Qual, dass mein Lächeln erstarb. Ich dachte voller Panik: "Oh Gott, er ist schwerkrank", und meine Stimme bebte vor Angst, als ich flehend bat: "Bitte sag mir, was ist los?" Sekunden zauderte er noch und dann: "Ich habe mich in ein Mädchen verliebt." Im Moment war ich fast erleichtert. Dümmlich meinte ich: "Ja? Sehr schlimm?"

"Nein, nein, nicht sehr schlimm, es wird sicher bald vorüber sein. Ich brauche ein wenig Zeit, um mit mir selbst klarzukommen."

Und dann gab er mir noch den Rat, ich sollte mir um Gottes willen keine Sorgen machen und sein Geständnis überbewerten, er sage es mir nur, weil er ehrlich zu mir sein wolle. Mit diesen Worten schob er meine Hand weg und drehte sich von mir fort auf die andere Seite. Er hat sich nie wieder zu mir hingedreht.

Der Sand war ganz warm unter meinen Fußsohlen, als ich Anlauf nahm und mit lautem Kreischen den Wellen entgegenlief. Ich schlug auf das Wasser, spritzte und hopste so lange, bis ich die Balance verlor und endgültig untertauchte. Nach dem ersten Schock wars wunderbar. Alle trüben Gedanken wurden aus dem Kopf geeist. Ich tobte stillvergnügt vor mich hin, still war es wohl nicht, denn von oben schallte eine tiefe Stimme: "Ganz schön laut, ein toller Lärm für ein einziges Mädchen!"

"Ja, ja, ja", gröhlte ich und warf mich in die nächste Welle. "Du bist nur neidisch", schrie ich und bemerkte sofort, dass ich ihn das erste Mal direkt und mit "Du" angeredet hatte.

"Ich widerstehe diesem Vergnügen, heldenhaft bleibe ich warm und trocken."

Er wollte mir nur den Hausschlüssel bringen, falls ich vor ihm zu Hause wäre, und er warf ihn von oben auf meine Matte. Im gleichen Augenblick fluchte er, er hatte seinen Autoschlüssel geworfen. Während ich prustend aus dem Wasser kam und mich schnell in mein Strandlaken hüllte, betrat er die Bucht. Höflich entschuldigte er sich für die Störung, es war fast so, als hätte er unerlaubt mein Schlafzimmer betreten. Mein Buch lag auf der Matte, er nahm es und ließ sich in den Sand fallen.

"Oh, ist das neu? Das kenn' ich noch nicht von ihm." Er blätterte eifrig, mal hier, mal da lesend. "Ist es gut?"

"Ja."

Und vor sich hin: "Ich mag die südamerikanische Literatur, diese ausufernde Fantasie, so üppig, die gehen mit Gott und allen Geistern um als wären sie unseresgleichen."

Ich nickte und dachte: "Ich werden einen Teufel tun und dir erzählen, dass mein Verständnis für diese Art von Literatur das einzige ist, was mir von meinem Mann geblieben ist. Er war Experte auf diesem Gebiet."

Er rollte sich auf den Bauch und begann zu lesen, es sah aus, als wolle er sich bei mir häuslich niederlassen. Ich rubbelte mich trocken, cremte mich ein, zog mein Kleid an, den Badeanzug darunter aus. Die Turnschuhe an lief ich über den Sand und hangelte mich vorsichtig die Klippen empor. Von oben sah ich hinunter, er las.

Um die Steine weiche, dicke Moospolster, weiter weg Strandhafer und Gras, ein alter Mann weidete Kühe auf seinen Stock gestützt schaute er blicklos in die Ferne. Strand, Felsen und Dünen wechselten. Rauf und runter musste ich klettern, über kleine Abgründe hopsen und schaute über das vielfarbige Meer und die Inselchen, die vor diesen wildzerklüfteten Küsten lagen. Tief im Innern des Landes der helle Kegelberg vor rotbraunem Moor. Ich fotografierte alles in meinem Kopf, nichts wollte ich vergessen.

In meiner Bucht hatte er sich auf meine Matte gerollt und aß meine Brote. Mein Strandtuch lag zusammengeknödelt unter seinem Kopf. Er benutzte meine Bucht wie ich sein Haus. Er las noch immer, und als ich runtergeklettert kam, legte er das Buch fort und blinzelte in die Sonne.

"Tea time ist schon vorbei, gehst du mit nach Hause?"

Ich fand es schön, wie er es sagte und war froh, den weiten Weg zurück nicht laufen zu müssen, auch der Bullen wegen.

Der Weg war mir nun schon vertraut, das Fußballfeld, die Ferienhäuser, ein See, noch einer, und etwas abseits schimmerte noch einer. Überall wogte helles Schilf, die ersten Häuser, die Kreuzung, der Pub, der Laden, die Telefonzelle.

"Tea time" war wirklich schon lange vorbei, und so bot ich mich an, etwas zum Abendessen zu kochen.

"Der Chef hat das schon erledigt, trinken halt den Tee hinterher, ok?"

Was sollte mir daran wohl nicht recht sein? Den Tee durfte ich zubereiten, und ich bekam einen Schluck Whisky spendiert. Die Konturen verrutschten, ich dachte an Nichts. Mir fiel das Auto ein, und dass ich eigentlich darüber reden müsste, aber ich wollte nicht, auch er schwieg, rauchte seine Abendzigarette und trank ab und zu einen Schluck. Er wusste nichts von mir und hatte mich auch nur mit einer Frage erschreckt. Ich wusste nichts von ihm und wollte auch nichts wissen.

Die Zigarette war schon eine Weile verglüht, der Tee getrunken, ich fühlte mich wieder nüchtern, es war Zeit fürs morgige Programm.

"Wann öffnet die Werkstatt, wann müssen wir aufstehen?"

"Vor halb zehn geht hier nichts, es hat also keine Eile."

"Sie werden es doch fertigbekommen?"

"Keine Ahnung, kannst du mir das Buch leihen?"

Ich nickte, er nahm das Buch, reckte sich, gähnte herzhaft ungeniert und meinte, er wäre müde wie Baum. "Wie was?"

"Wie ein Baum, gute Nacht", und fort war er. Ich räumte noch die Tassen in den Spülstein, wischte den Tisch ab und zog mich in die Sicherheit meines Bettes zurück.

das goldene Haus

Подняться наверх