Читать книгу das goldene Haus - Sabina Ritterbach - Страница 7
Kapitel - Irland3
ОглавлениеAls ich ein kleines Mädchen war und Angst hatte, wenn draußen ein Gewitter tobte, wenn ich mich zu meiner Mutter hin flüchtete, dann sagte sie zu uns: "Kinder, wenn es so blitzt und donnert, dann geht man am besten ins Federbett, dort ist man sicher. Es hat nämlich noch nie in ein Huhn eingeschlagen, oder?" Das hat uns Kindern eingeleuchtet, wir zogen uns unsere Federbetten über die Köpfe und hielten uns für gerettet. Einen ebenso komischen Spruch hatte sie, wenn wir uns an einem verregneten Ferienmorgen zu ihr ins Bett kuschelten: "Findet ihr nicht, dass man dem Bettchen-Erfinder endlich einmal ein Denkmal setzen sollte?"
Ich liebte mein Bett, es roch nach mir, ich baute mir schützende Höhlen und igelte mich ein. Als Kind liebte ich es, ein wenig krank zu sein und dadurch auch tagsüber im Bett bleiben zu dürfen.
Erst liebte ich mein Bett, dann viele Jahre unser Bett. Damals wusste ich es noch nicht, als Manfred sich in unserem Bett von mir abwandte und seine Decke um sich zog, da verlor ich unser Bett.
Ich träumte von Autos, die mich von der Straße abdrängten, über Äcker jagten und mir unter Brücken auflauerten. In mein Kopfkissen verkrallt erwachte ich, und mir fiel sofort ein, heut' wird der Wagen abgeschleppt. Ich fühlte mich durch die Mangel gedreht, aber eine heiße Dusche würde mich wieder entknoten und entspannen.
Die Dusche war nicht heiß, nur lauwarm, der Alptraum war auch nur ein wenig schrecklich gewesen, und so trat ich dem Tag jeansbekleidet, ganz auf Abschleppen und Montieren eingestellt entgegen. Auch er hatte seine Arbeitskleidung an, ein Unterhemd und die Jogginghose.
Ich hörte die Stimme meiner Mutter: "Männer, die sich tagsüber im Unterhemd zeigen, sind Proleten!"
Der Prolet saß beim Frühstück und aß manierlich mit Messer und Gabel. Als ich den Speckrand von meinem Schinken schnitt und auf den Tellerrand schob, griff er mit den Fingern herüber und aß ihn auf.
Da ich langsamer aß als er und morgens immer einen gesegneten Appetit hatte, fühlte ich mich ein wenig gehetzt, außerdem hatte ich die Art, wie er seinen Stuhl zurückschob und mich mit fast lidschlaglosen Augen ansah, sehr, sehr ungern. Ich fing dann an zu kleckern. Die Orangenmarmelade machte sich auf dem Toast selbständig, und der Schinken widersetzte sich meinem Messer solange, bis er mit einem befreienden Hopser auf meinem Schoß landete. Dann zuckte es um seine Mundwinkel, und er gab trockene Bemerkungen von sich wie: "Heute morgen besonders sportlich", wenn ich unterm Tisch verschwand, um ein Stück Brot oder sonst etwas aufzuheben. Also, ich beeilte mich, um den Anschluss nicht zu verpassen. Auf gings.
Hinein in den Bus, und ab zu meinem Auto. Das Wetter hatte sich verändert, es schien nicht mehr pausenlos die Sonne, dafür gab es phantastische Wolkengebirge, aber es regnete nicht, und zwischen den dicken Wolken schaute immer wieder blauer Himmel hervor. Er koppelte mein Auto an den Bully, und langsam ging es in den nächsten Ort. Nun hatten die Hunde leichtes Spiel mit mir, kläffend rannten sie hinter und neben meinem Auto her. Ein Wunder, dass nicht die ganze Straße mit toten Hunden gepflastert war. Sechs bis sieben Meilen zockelten wir so dahin, dann parkten wir vor zwei Tanksäulen und einem garagenähnlichen Anbau, der Werkstatt.
Der Monteur kam, und beide verschwanden unter der Motorhaube, anschließend wurde debattiert. Nur so viel verstand ich, Ersatzteile wurden benötigt, aber alles wäre machbar. Er brauchte die Unterlagen der Verleihfirma der Rechnung wegen. Es schien so, als hätte der Himmel jemanden geschickt, der sich um mich kümmerte. Lieber wäre mir gewesen, der Himmel hätte erst gar nicht die Autopanne zugelassen, dann hätte sich auch der bärbeißige Retter erübrigt.
"Wann wird es fertig sein, noch heute?"
"Wenn Gott will, vielleicht."
Meine Autopanne schien tatsächlich eine Angelegenheit des Himmels zu sein.
"Hoffentlich", sagte ich, und zu ihm, ich wolle ihm keinesfalls mehr lästigfallen, es sei mir so unangenehm usw.
"Bist du bald fertig, damit wir fahren können?"
Bei der Telefonzelle machte er halt, schnappte sich meine Wagenunterlagen, und durch die Scheibe sah ich ihn heftig kurbeln und faustschlagen.
Alles war mit der Verleihfirma geregelt, mir blieb nichts anderes übrig, als dankbar zu gucken. Weil es nötig war und zwecks Abarbeitung ging ich in die Küche. Wusch ab, reinigte den Herd, die Arbeitsplatte, lief in den Essraum, um den Tisch zu putzen.
Wie ein Arbeiterdenkmal stand er hinter der Scheibe, lackierte die Fensterrahmen und trat einen Schritt zurück auf die Kante seines Werkzeugkastens. Schrauben, Drähte, Zangen und unendlicher Kleinkram ergossen sich auf den Rasen. Als er sich ziemlich unfein fluchend bückte, rief ich diesmal:
"Ziemlich sportlich heut' morgen."
Kurze Verblüffung, und dann schallte sein tiefes Gelächter zu mir ins Haus.
Dies wäre die richtige Aufgabe für mich, nun würde ich weiterstreichen, das hätte ich gelernt, ich könne mit dem Pinsel sicherer umgehen als mit Messer und Gabel. Ohne an meinem Worten zu zweifeln überließ er mir den Pinsel, und kurze Zeit später hörte ich ihn im oberen Teil des Hauses rumoren, er riss die Zwischenwände raus.
Kinderstimmen erschallten auf der Straße, sie riefen einer weiter entfernten Frau etwas zu. Und dann standen sie hinter dem roten Gartentörchen. Vor mir entwickelte sich eine irische Postkarte. Zwei kleine rothaarige Jungs, sie trugen bunte T-Shirts und abgeschnittene Jeans, der kleine ging barfuß, der große trug löchrige Turnschuhe. Eingerahmt wurde das Bild durch die grüne Hecke. Sie sagten nichts, schauten nur zu mir hinüber. Ich zeigte mit dem Finger auf die offene Haustür die Treppe hoch. Sie knallten das Törchen auf und rannten an mir vorbei ins Haus nach oben. Kurze Zeit später hörte man sie alle drei lachen und johlen.
Ich stand im Vorgarten eines fremden Mannes, strich seine Fenster und hört ihn und zwei Kinder lachen. Wie oft hatte ich das gehört, es war nicht zu verhindern, mir liefen die Tränen übers Gesicht.
"Hallo, hallo", die Stimme musste schon öfter gerufen haben, ich schaute nur kurz in ihre Richtung und zeigte wieder mit dem Finger zur offenen Haustür. So sah ich Anne das erste Mal, durch einen Tränenschleier sah ich eine junge, sehr schlanke, blasse Frau.
In der Küche hielt ich mein Gesicht unter den kalten Wasserstrahl, und ich strich das letzte Fenster, als der Lärm verebbte und sie mit einem kurzen "Bye" das Haus verließen.
"Fleißig", sagte er, ich mach' was zu essen." Er schaute mich prüfend an, sie hatte es ihm also erzählt.
Nach dem Essen, er schob wieder seinen Stuhl zurück, sagte er nicht irgendetwas, nein, er fing an zu erzählen. Er erzählte mir von seinen Nachbarn, die dort oben hinter der Wegbiegung wohnten. Von den vier kleinen Kindern und von den Eltern. Wie schwer es für sie wäre, eine Arbeit zu finden, hier, so weit weg, ohne Auto. Er beschrieb mir das Haus, er beschrieb mir noch andere Häuser, die weit vom Wege ab im Moor standen. Außen sehen sie ja noch meist recht putzig aus, wenn sie weiß getüncht sind mit ihren bunten Fensterrahmen und Türen. Aber wohn‘ mal da drin, du bekommst Rheuma, Bronchitis und tausend andere böse Krankheiten. Fast jede Familie hat hier ein schweres Schicksal zu tragen. Die Männer kommen ja noch ab und zu aus dem Haus, sie treffen sich im Pub und besaufen sich, aber die Frauen, Mann ich sag‘ dir, selbst, wenn es uns schlecht geht, geht es uns noch „gold“.
Ich wusste, der letzte Satz war für mich ganz persönlich gesprochen. Ich biss hart auf meine Zähne, brachte das Geschirr in die Küche, sagte "bis später", und ging den Weg hoch ins Moor.
Da stand das Haus aus großen grauen Natursteinen gemauert, dicht am grauen Felsen. Winzige, tiefliegende Fenster, die niedrige Tür geöffnet. Am liebsten hätte ich auf dem Absatz kehrtgemacht, aber da hatte mich der Mann schon gesehen. Es war der große knochige aus dem Pub. Mit seinen verlegen grinsenden Jungs kam er zum Weg.
"Na, was macht das Auto?"
"Es ist in der Werkstatt."
"So ein Pech, aber das Wetter ist schön, nicht wahr?"
Um das Haus sah es wüst aus. Eimer und Plastiktüten, unbrauchbares Plastikspielzeug, an der Hauswand lehnten eineinhalb Fahrräder, und direkt neben mir die Reste eines Torfhaufens.
Anne erschien in der Tür, sie trug ein Baby, sie nahm den Arm des Kindes und winkte damit in meine Richtung. Ich winkte zurück und rannte die Anhöhe hinauf.
Oben angekommen befand ich mich auf einem Hochplateau, ich stand wie auf einer Bühne, der einzige Mensch in dieser braun-in-braunen Landschaft. Tiefe Gräben durchzogen das Land, und überall Plastiksäcke mit dem frisch gestochenen Torf. Weit hinten ging das Gelände steil bergab, ich sah die Dünen und das Meer, ich sah den rosaschimmernden Pyramidenberg. Steine gab es in Hülle und Fülle, ich suchte mir einen großen, bequemen aus, ich saß auf einem Riesenhocker. Es ging mir gut, bis mir wieder einfiel, dass es mir „gold“ ging.
Ja, es war mir einmal „gold“ gegangen, wie es dieser blöde Satz sagt. Aber das war schon sehr lange her, und das Gold ist von all den widerlichen Dingen, die ich durchzustehen hatte, verdeckt worden. Dieses Gold wurde mir immer dann vor Augen geführt, wenn ich einen Mann mit zwei Kindern lachen hörte. Dann trieben mir Trauer und Schmerz die Tränen in die Augen. Ich fragte mich, ob ich eines Tages, wenn der Schmerz vorbei und die tiefen Wunden, die ich davongetragen hatte, verheilt sein würden, ob ich dann den Mann, den ich doch einmal geliebt hatte, gerecht beurteilen könnte. Noch war mir ein solcher Wandel unvorstellbar. Noch keine drei Tage war es her, dass ich mir eingebildet hatte, er wäre tot, und sein Tod hatte mich gefreut. In diesen drei Tagen hatte sich nichts geändert.
Als zwölf jähriges Mädchen hatte ich mich in einen Jungen verliebt, der jedes Jahr in unserem Dorf bei Verwandten Ferien machte. Ich tat alles für ihn. Schon immer hatte ich das Gefühl, dass man für Liebe viel tun muss. Für ihn lernte ich die Knie- und Riesenwelle an der Teppichklopfstange. Ich schwamm unter der dunklen Brücke durch und balancierte auf dem Geländer, ich warf mich im Fußballtor dem Ball entgegen. Meine Schwester tat nichts, sie lag auf der Wiese und räkelte sich, und er wollte neben ihr liegen. Ich flüchtete in mein Bett, da hörte ich seinen Schrei, er war barfuß in die Gartenharke getreten. Und in der Küche hörte ich jemanden sagen: "Hoffentlich ist er gegen Tetanus geimpft." Da zog ich meine Bettdecke über den Kopf, und halberstickt weinte ich, ich war unglücklich, weil ich ihn so liebte, und glücklich, weil er nun sterben musste. Es hatte sich also rein gefühlsmäßig nicht viel bei mir getan. Vielleicht hatte ich immer zu viel getan, hatte ich das Wesentliche verpasst? Hätte ich lieber auf der Wiese ... Ich stocherte schon wieder in mir herum. Heute würde ich die Antwort nicht mehr finden, außerdem wurde mir kühl, Wind und Wolken kamen auf. Meine Augen tasteten über das Moor, sie suchten eine Abkürzung. Abkürzungen sind mein Verderben, ich finde immer eine und kann ihnen nicht widerstehen. Der kleine Weg, der mir stundenlanges Fahren auf der Autobahn ersparen soll, wird zur Falle, entnervt und ramponiert komme ich viel zu spät ans Ziel. Aber, wie gesagt, die Abkürzung winkte, schon war ich unterwegs, und im Torfgraben, von Loch zu Loch, von Graben zu Graben arbeitete ich mich vorwärts. Mühselig umging ich die private Müllkippe unserer Nachbarn. Weit verstreut lagen die rotblauen Milchtüten, Konservendosen, Plastiktüten und Flaschen, in dieser auch so schönen Gegend herum.
Da fielen mir seine Worte ein, wie elendig es den Leuten geht, und es dämmerte mir, dass diese Menschen diese Gegend wahrscheinlich verfluchen.
Wieder festen Boden, den Weg unter den Füßen, unter braun verschlammten Turnschuhen. Die Tür der Hütte ist verschlossen, aus dem Kamin des mit Wellblech und Reet gedeckten Daches kräuselt Rauch. Ach, was sah das schon wieder heimelig aus. Dankbar gedachte ich meines Elektroherdes und der Zentralheizung.
Ich rannte den Berg hinunter auf das Haus zu, der Bus war fort, mir wars sehr recht, wenn ich nur gewusst hätte, ob mein Auto fertig war. Mein ganzes Programm hing davon ab. Ich wollte fort, in wollte in ein kleines anonymes Hotel, in dem ich mich ungezwungen bewegen konnte, mich nicht beobachtet fühlte. Ich wollte nicht dankbar sein, ich wollte für Bett und Essen bezahlen, und niemand sollte mir erzählen, dass es mir „gold“ ginge.
"Na, was steht heute auf dem Programm?", sagt er neben mir. Draußen werden die Tannen hin und her geschüttelt, und ich muss ihm gestehen, dass ich noch nicht darüber nachgedacht habe.
"Auf nichts ist mehr Verlass, denk darüber nach, ich jedenfalls muss Torf holen."
"Dann sind wir schon auf dem Weg zum Turm, lass uns zur Küstenstraße fahren."
Er packt die leeren weißen Plastiksäcke, zieht den blauen Fuchs über, und schon fahren wir los. Eine halbe Stunde später liegen die gefüllten Torfsäcke hinter unseren Rücken, und wir fahren die lange Bucht entlang zur Küstenstraße. Wir lassen den Wagen neben der Straße stehen und laufen über den feuchten, schweren Boden zur Küste, auf das kleine verlassene Anwesen zu. Wir gehen zwischen den eingestürzten Gemäuern hindurch, und ich schaue nur kurz auf die erhalten gebliebene Steinbank an der Hausmauer.
Im vergangenen Jahr schien die Sonne, und wir saßen auf dieser Bank. Es war so warm, dass wir die Mützen, die Schals bei Seite legen konnten, wir öffneten die Mäntel und lehnten unsere Köpfe gegen die dicken Mauern. Er hatte die Augen geschlossen, die Brauen zusammengezogen. Selbst im Sonnenschein wirkte sein Gesicht gespannt und angestrengt. Seine Hände waren tief in den Taschen vergraben, und ich wühlte so lange, bis ich seine Hand in der Tasche hielt. Undurchdringlichkeit umgab ihn, ich war nicht anwesend, Lichtjahre war ich von ihm entfernt.
Ich sehe auf den wandernden Mann vor mir und denke, wie viele Lichtjahre sind es dieses Jahr? Und gleichzeitig sehe ich mich das erste Mal hier im Sommer.
Ich war entzückt. Blumen wuchsen zwischen den Ruinen, durch die leeren Fensterhöhlen strahlte der blaue Himmel, das Meer rauschte, ich ließ mich jubelnd auf der Steinbank nieder und jauchzte: "Ach, was für ein himmlisches Plätzchen!" Ich schloss genießerisch die Augen und hörte: "Ich glaube, es war ein höllisches Plätzchen."
Ich hielt mein Gesicht der warmen Sonne entgegen, und plötzlich hörte ich das Meer gegen die Klippen donnern, der Wind heulte und der Regen prasselte. Die Wellen jagten gegen die Klippen, und die Gischt sprühte über die Weide.
Ich füllte die drei winzigen Räume mit Leben. Die Eltern, wie viele Kinder? Bestimmt viele. Wo haben die alle geschlafen? Der Kamin stand noch, dort brannte das Torffeuer Ich spürte die Kälte und Nässe. Ich dachte an die langen, einsamen Schulwege der Kinder.
Das konnte ich sehr gut nachempfinden, ich spürte fast die Frostbeulen an meinen Händen, und mangels Socken waren meine Füße in Zeitungspapier gewickelt. Den Geruch trocknender Windeln über dem Herd begleitete die Wintermonate. Und um das Haus die Flüsse, die im Frühjahr zur Schneeschmelze alles überfluteten und fauligen Morast hinterließen. So waren die Verhältnisse nach dem Krieg. Aber dann schlichen sich in meine Gedanken die Wiesen voller Himmelschlüsselchen, ich sah die hellgrünen Weiden und im Bach die Forellen, ich hörte die Lerchen über dem Kornfeld, die Windeln flatterten im Wind, und das Heu duftete.
Wir einigten uns später auf ein "himmlisch-höllisches Plätzchen".
Der Abstand zwischen ihm und mir vergrößert sich. Mit gleichbleibendem Schritttempo steigt er eine Anhöhe hinauf. Meine Kondition ist sehr mäßig, ich lasse mir Zeit, und meine Gedanken halten das kleine, frostbeulige Mädchen fest. Sie läuft neben mir her.
Dünne Zöpfe, dünne Beine, die handschuhlosen Hände blaugefroren. Ständig zog sie die Nase hoch. Alles an war eckig und linkisch. Nein, sie war weder so lustig noch so süß wie ihre jüngeren Schwestern. Sie musste sich schon ziemlich abrappeln, um bei dieser Konkurrenz etwas Liebe abzubekommen. Sie war tüchtig und nützlich, jawohl: Man konnte sich auf Eva verlassen.
Nachts aber, wenn sie ihr Kopfkissen umarmte, dann wurde sie zum anmutigsten und schönsten Wesen. Sie baute an ihrem goldenen Haus, und dort hatte sie ihre goldene Ecke. Die Säle füllten sich mit Freunden, Elfen und vor allem natürlich mit Prinzen. Dort spielte sich ihr Leben ab, dort in der goldenen Ecke gab es Farben, Pinsel und Papier in Hülle und Fülle, dort malte sie oder sang -sehr zur Freude ihres Lieblingsprinzen. Diesen Prinzen rettete sie sich auch in den Tag, er begleitete sie auf dem Schulweg, er stand in der Pause neben ihr, sie flüsterte und lachte mit ihm. Sie entzog sich der Wirklichkeit. "Lange Zeit", sagte die kleine Blaugefrorene an meiner Seite.
Als Manfred sozusagen in ihr Leben trat, wurde ihre goldene Ecke real, sie baute einen Hausstand. Sie dekorierte, nähte und tapezierte, ach wie tüchtig. Ach, wie geschmackvoll sie alles machte, und schwanger war sie auch. Nun sah sie hübsch aus. In meinen Gedanken geht sie mit ihren schönen italienischen Schuhen strahlend neben mir.
Total aus der Puste erreiche ich den Turm, hier muss er doch auf mich warten, und er wartet. Er steht im Windschatten und lächelt, als ich schnaufend um die Ecke komme. Ich habe kalte, schmerzende Ohren.
"Na, hast du immer noch nicht genug, ich bin schon fix und fertig. Komm, lass uns den Rückweg antreten."
Er nimmt meine Hand, und nun gehen wir zusammen die Steilküste entlang. Vorbei an den braunrot glänzenden Felswänden, wir hören das Wasser in den Schluchten donnern, sehen das helle Licht auf den kleinen Vogelinseln. Wir trampeln durch ein Farnfeld und müssen aufpassen, nicht in Löchern zu versinken. Er hilft mir über glitschige Steine und moorige Bäche. Er hält den Stacheldraht hoch, und ich krieche durch, froh, dass auf der anderen Seite der Fahrweg ist. Angenehm geht es sich da, und nach ein paar Kurven sehe ich mit Vergnügen einen roten Farbtupfer, unser Auto.
Wohlige Wärme empfängt uns, als wir das Haus aufschließen, noch mit Wanderschuhen an den Füßen setze ich das Teewasser auf. Zufrieden seufzend sitzen wir am Kamin, die Whiskyflasche steht neben der Teekanne. Alles ist so, wie es sein soll. Nur fünf Minuten dauert unser genießerisch-schweigender Aufenthalt, da hören wir Kinderfüße auf dem Weg, das Gartentörchen quietscht, und energisch wird der Türklopfer betätigt. Wir sehen uns an und ziehen bedauernde Gesichter, er steht auf und öffnet den Kindern. "Brüderchen und Schwesterchen" betreten das Wohnzimmer. Alice hat ihr Lächeln in den Mundwinkeln festgeklemmt, Paddy schaut auf dem Boden. Eng beisammen sitzen sie auf einer Sesselkante, sie starren ins Feuer. Wir sind verlegen, wie wollen wir ein Gespräch anfangen? Und dann fragen wir wie aus einem Mund: "Wie geht es euch?", und auch sie antworten gleichzeitig: "Gut".
Und in der Schule geht es auch gut? Sie nicken. "Na, Paddy, kannst du ein neues Lied?"
"Nein." Ich fühle mich ratlos und ärgere mich über unsere dummen Fragen. Wir wissen, es kann ihnen nicht gut gehen, denn ihre Mutter ist nicht mehr da. Und mit ihr verschwand der lustige Clown und das verliebte Koboldlächeln.
Paddy zerrt an Alices Hand, er will fort.
"Ja", sagt sie, "der Vater ist daheim, er geht nicht mehr fischen."
"Kommt", sagt er betont munter, "ich fahre euch nach Hause", und zu mir gewandt, "ich muss mit Jim sprechen, besser, ich schiebe es nicht auf."
Das Feuer verbreitet Gemütlichkeit, ich halte meine Hände um die große Teetasse, und in mir baut sich eine böse Wut gegen Anne auf.