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Luka # Im Wunschbrunnen

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Schlanke, aber starke Arme ziehen mich nach oben. Mein Kopf durchbricht die Wasseroberfläche. Ich sauge Luft in meine Lungen und als ich die Augen öffne, sehe ich in das durchsichtige Gesicht einer wunderschönen Frau. Sie lächelt, presst ihre Lippen auf meine und wieder könnte ich schwören, dass sie mich gebissen hat. Der Geschmack von Erde, Wasser und Luft bleibt an mir hängen und irgendwie schmerzt es auf drei verschiedene Weisen. Brennen, Stechen und Kratzen.

„Warte, Ariel! Ich bin mir nicht sicher, ob sie die Richtige ist!“, höre ich Nicht-Rusalka rufen.

„Aber sie schmeckt bereits nach Erde und Wasser, Undine“, erwidert das durchsichtige, wunderschöne Geschöpf.

„Undine? Ich dachte du heißt Nicht-Rusalka“, huste ich keuchend heraus.

„Ich hatte erwähnt, dass ich viele Namen trage, oder? Außerdem wäre da nicht etwas anderes, das dich eher beschäftigen sollte, dummes Menschenmädchen?“, erwidert die verfluchte, großbusige Nixe. Mal ehrlich. Ihr Körper scheint nur aus Brüsten zu bestehen. Einfach unverschämt, mir mit diesen Dingern vor dem Gesicht herumzuwedeln.

„Dass ich die Falsche bin? Das steht wohl außer Frage“, fauche ich und will überhaupt nicht wissen, wofür ich die Falsche sein soll.

„Aber sie ist hier, Undine. Niemand, der nicht hier sein soll, findet den Weg hierher. Du hast den Vertrag mit ihr bereits abgeschlossen und Url, die Erde, ebenfalls. Und auch ich habe einen Teil von ihr in mich aufgenommen. Es fehlt nur noch …“, plappert die schwebende Schönheit.

„Bist du ruhig! Sie ist gleich da“, zischt die fiese Wassernixe.

„Woher weißt du, dass sie die Falsche ist?“, fragt Ariel hartnäckig nach.

„Ihr fehlt das Zeichen …“, erwidert Undine.

„Das Zeichen …?“ Ariel schwebt hin und her, glotzt mich an, als wäre sie im Zirkus und ICH die seltsame Kuriosität. Unglaublich!

„Ja, sie hat kein Zeichen, weder auf der linken noch auf der rechen Pobacke.“ Ich zische Undine an. Diese gaffende, kleine … „Ich habe ja schon viel über meinen Körper gehört. Meine fehlenden Brüste, mein burschikoses Gesicht. Aber über meinen Hintern HAT SICH NOCH KEINER BESCHWERT.“ Ich schrei und ja, ich raufe mir die Haare. Das hier ist ein Alptraum, aus dem ich schnell wieder erwachen will.

„Es ist ja auch nicht die Form, Menschenkind“, erwidert Undine lachend.

„Luka“, fauche ich sie an.

„Bitte?“

„Mein Name ist Luka“, wiederhole ich.

Die durchsichtige Ariel und die fiese Undine blicken sich betroffen an.

„Du hast nicht nach ihrem Namen gefragt?“, empört sich die durchsichtige Ariel.

„Ähm … nein …“ Undine scheint peinlich berührt.

„Sie wird außer sich sein.“ Ich kann in Ariels Stimme nackte Angst schwingen hören.

„Wer wird außer sich sein?“, frage ich und werde doch nur ignoriert.

„Aber die Falle sollte doch nur von ihr ausgelöst werden können. Das hat sie behauptet und er hat es bestätigt“, rechtfertigt sich das nasse Busenmonster.

Eine Falle? Mir wird heiß und kalt. Wen wollten sie eigentlich fangen und was werden sie jetzt mit mir machen? Furchtbare Ideen schießen mir durch den Kopf, als plötzlich ein Krächzen in der Luft erklingt und sowohl Undine als auch Ariel verschwinden, jedoch nicht ohne mir vorher mitleidige Blicke zuzuwerfen.

Was zum Teufel?

Ein Frösteln überkommt mich und ich schwimme an Land, steige bibbernd aus dem Wasser und sehe mich um. Der Mond leuchtet hell und die Sterne ebenfalls. Doch keine der Konstellationen kommt mir bekannt vor, ich kann weder das Rhinozeros noch mein Einhorn entdecken. Wo bin ich?

Ein kleines Holzhaus erscheint, als wäre es schon immer dagewesen, obwohl ich mir sicher bin, dass es, als ich aus dem See gestiegen bin, noch nicht dort gestanden ist.

Ich gefriere in Sekunden zur einer Eisskulptur des Horrors.

See?

Ich bin in einen Brunnen gefallen … oder etwa nicht?

All meine Härchen richten sich auf und ich sehe Rauch aus dem kleinen Schornstein steigen. Zitternd tragen meine Beine mich zu der Hütte. Ohne zu klopfen, trete ich ein und starre mit offenem Mund zu der Person, die mich in dem Haus erwartet …

„Hallo Luka“, sagt er zerknirscht und blickt betreten zu Boden.

„Logan?“ Ich traue meinen Augen nicht. Was macht Logan hier? Wenn ich nicht so frieren würde, wäre ich mir sicher, dass das hier ein Traum ist. Trotz des Klapperns meiner Zähne begleitet von dem stummen Aufschrei ‚Realität‘, halte ich mich – wie ein Ertrinkender an den Wunsch nach Treibholz – an dem Gedanken fest, dass das hier ein Traum sein muss.

„Aus dem Weg, du nichtsnutziger Junge!“, keift eine alte Frau. „Und du, warum hat es so lange gedauert? Weißt du, wie lange ich auf dich gewartet habe? Du …“, eine gebeugte, alte Frau drängt sich an Logan vorbei, der mir immer noch nicht in die Augen sehen kann. „… bist nicht, was ich erwartet habe. Wie alt bist du? 13? Du musst älter als 14 sein, sonst wärst du nicht hier.“

„Ich bin siebzehn, werde in wenigen Monaten achtzehn“, erwidere ich mit hocherhobenem, wenn auch nassem Kopf.

„Du lügst! Das kann nicht sein.“ Ein runzeliger Zeigefinger bohrt sich schmerzhaft in meine … ja … in meine Brust.

„Ich habe keinen Jungen bestellt, ich kann nichts mit einem Jungen anfangen!“, keift sie und dreht sich um.

Ich bin empört. Ich habe genug. Was will dieser verfluchte Traum von mir? Und ich schreie: „Ich bin weiblich! Ich bin ein Mädchen! Ich habe keinen Schwanz!“ Und die Erde erzittert, der Wind heult und ich glaube, Wellen zu hören, die wütend auf eine Brandung preschen.

Die Alte dreht sich zu mir, packt mich an der Hand, zerrt mich zu sich hinunter und starrt mir in die Augen. Dann spuckt sie Feuer und Galle.

„Sie haben mich betrogen! Sie haben mich angelogen. Du bist es nicht, die ich wollte! Du kannst es nicht sein.“ Sie wirbelt mich herum, zerrt meine Hose runter … und beglotzt … meinen Hintern.

Ich reiße mich los, ziehe meine Hose wieder hoch und fauche sie an: „Ich habe nicht darum gebeten, hier zu sein!“ Doch die Alte ignoriert mich und faucht: „Logan! Komm sofort hierher! Ich will eine Erklärung! Hast du sie hierher geführt?“

„Ja, Logan, hast du mich hierher geführt?“, frage ich und funkle ihn an.

„Ich … sie hat den Weg alleine gefunden“, verteidigt sich Logan halbherzig.

„Nur wer sucht, findet ihn. Nur wer von dem Brunnen weiß, kann ihn sehen“, faucht das alte Weib.

„Ich habe ihr nicht davon erzählt! … vielleicht… hat sie es gehört, als ich ihrer Schwester davon erzählt habe …“, sagt Logan und weicht schuldbewusst zurück.

Und ich erinnere mich an den Moment, als ich die Geschichte von dem Brunnen aus seinem Mund gehört habe.

Logan, mit Robin in einer Ecke, sie flüstern miteinander. Er erzählt ihr von einem Brunnen. Sie stehen sich so nahe, berühren sich. Und ich? Ich kann das nicht mit ansehen und fliehe. Renne davon. Fühle mich weniger Frau als je zuvor.

„Sie hat schon drei Elemente, die mit ihr eine Verbindung eingegangen sind. Verflucht sollst du sein, Junge! Euer Geschlecht ist nur zur Zeugung nütze. Verflucht soll dein Vater sein, und deine Mutter. Ich habe ihr gesagt, dass er ihr kein Mädchen machen wird“, spuckt die Alte wütend aus.

„Es tut mir leid, Großmutter“, winselt Logan wie ein getretener Hund.

„Verschwinde oder ich verwandle dich in eine Kröte! Mal sehen, wie lange du brauchst, deine Menschlichkeit wiederzufinden!“, droht sie und hebt den langen, runzligen Zeigefinger.

Doch Logan bleibt stehen. Er sieht mich immer noch nicht an.

„Willst du lieber ein Wurm sein?“, fragt sie erneut, den Finger immer noch ausgestreckt.

„Nein, Großmutter, ich … Luka … sie ist, wie sie ist, weil du, etwas verärgert warst … so kurz nach meiner Geburt“, sagt er und seine Wangen röten sich.

Ich glaube nicht, was ich hier sehe. Logan, der draufgängerische Junge, der sich ungeniert mit den andern Jungs prügelt, der wild neben mir auf einem Pferd reitet. Hier erscheint er mir duckmäuserisch, ohne eigenen Willen. Nicht mehr als ein Diener dieser alten Frau. Vielleicht nicht einmal das und ich muss das Bild eines winselnden, hörigen Hundes verdrängen.

„Verflucht soll sie sein! Deine Zeugung und deine Geburt!“ Doch der Fluch klingt nur halbherzig. Die Alte sieht mich streng an, kratzt sich das Kinn und ich glaube, so etwas wie Schuld in ihren Augen aufblitzen zu sehen.

„Aber du hast nicht unrecht, Junge. Ich bin nicht unschuldig an dem traurigen Ergebnis. Es mag meine Strafe und meine Herausforderung sein. Meine letzte. Bevor die Welt mich los hat. Was stehst du da so deppert herum? Komm rein! Du holst dir den Tod. Setz dich ans Feuer! Aber nicht zu nahe, er beißt gerne Fremde … und Bekannte … eigentlich beißt er alle außer mir.“ Und ohne, dass sie auch nur zwinkert, schließt die Tür sich hinter mir und meine Beine tragen mich zum Feuer. Wie ein gehorsamer Zombie setze ich mich auf einen kleinen hölzernen Hocker und warte bis das Zittern meines Körpers nachlässt und die Wärme des Feuers mich erreicht.

Das einzige, was ich herausbringe, ist eine Frage, nur eine: „Wo ist Mr. Perfekt?“

„Suchen wir nicht alle nach Mr. Perfekt? Vielleicht steckt ja doch mehr Weiblichkeit in dir, als der erste Blick vermuten lässt. Dieser Welt wäre es zu wünschen“, erwidert die Hexe freudig.

„Mr. Perfekt ist ihr Pferd, Großmutter“, zerstört Logan die letzte Hoffnung der alten Frau.

„Hinaus mit dir oder ich verwandle dich in einen Floh! Stimmt das?“, fragt sie mir zugewandt. Ich kann nur nicken.

„Nun, dann ist die Welt wohl doch verloren.“ Sie zuckt mit den Achseln und dreht sich wieder weg.

Was zum Teufel bedeutet das alles? Kann ich mich noch fragen, bevor ich den Schemel hinuntergleite und mir die Augen zufallen. Meine Zunge gleitet träge über meine Unterlippe und mit dem Geschmack von feuchter Erde, süßlich-faulem Wasser und dem eiskalten Wind schlafe ich ein.

Ich strecke mich und als ich die Lider langsam hebe, kann ich für einen herrlichen Augenblick daran glauben, dass alles nur ein Traum gewesen ist. Der Count, der Brunnen, die Nixe, das Holzhaus und die alte Hexe.

Bis ich mir den Schlaf aus dem Gesicht gerieben habe und in zwei riesige Augen blicke. Flammende Augen. Nein, das ist nicht korrekt ausgedrückt. Augen, die in den Flammen schweben? Sie glitzern und starren und schwarze Lippen, umzüngelt von hellrotem Feuer grinsen mich in einem frivolen Bogen an.

„Guten Morgen, Prinzessin“, züngelt es aus den Flammen. Eine Stimme, knisternd wie Feuer, klingt sie doch als würde eine Schlange mit mir sprechen.

Und ich schreie.

Wie ein Mädchen.

Laut und grell.

Panisch bewege ich mich rückwärts auf allen Vieren zurück, bis mein Rücken gegen etwas Hartes und Kantiges stößt. Der Schmerz sagt mir, was ich nicht hören will: Es ist kein Traum. Das hier ist kein Traum. Ich will mich übergeben, will weinen und fliehen und kann doch nur schreien. Wie ein Mädchen, das ich nie gewesen bin.

„Wie unhöflich! Da macht man Überstunden, damit das Menschlein nicht friert und was ist der Dank? Hat man dir keine Manieren beigebracht?“, züngelt und zischt es beleidigt und eingeschnappt.

„Ich träume noch … das hier ist ein Traum“, stottere ich trotz besseren Wissens, als noch der Nachhall meiner Panik in der Luft hängt.

„Wohl kaum. Und ich kann es dir beweisen“, behauptet das Feuer kess und bevor ich irgendwie reagieren kann, schießt eine Flamme aus dem Feuer hervor, nimmt die Form von Fingern an, die sich um meinen Fußknöchel legen. Ich will sie abschütteln, will wieder schreien. Lauter, greller. Doch eine Wärme erfüllt mich, steigt von meinem Fuß, über mein Bein, hoch zu meinem Bauch, meiner Brust und schießt in meinen Kopf.

Wärme wird zu Hitze und kurz spüre ich den Schmerz. Ich öffne den Mund, um zu schreien, doch da ist mein Bein schon frei und meinem Mund entschlüpft nur ein unangenehmes Quieken. Ich höre mich wie ein entrüstetes Ferkel an. Nicht einmal wie ein Schwein. Ein kleines, hilfloses Ferkel. Unwissend und naiv in einer Welt, die größer ist, als es je für möglich gehalten hat.

„Schmerz ist nichts für Träume. Das hier ist echt“, züngelt und zischt das Feuer selbstzufrieden.

„Wer … was bist du?“, stottere ich und versuche, meine Angst niederzuringen, als wäre sie nur ein leiser Impuls und kein alles einnehmendes Gefühl, in dem ich drohe unterzugehen.

„Ich bin ein mächtiger Feuergeist!“, erwidert das Feuer und plustert sich auf wie eine Taube beim Balzen. Es sieht witzig aus und ein Lächeln vertreibt einen großen Teil der lähmenden Angst, lässt sie schrumpfen.

„Und als solcher lebst du in dem Kamin einer alten, gemeinen, griesgrämigen Frau?“, erwidere ich und reibe meinen brennenden Knöchel, bin erleichtert, dass mich die Panik nicht mehr im Griff hat. Es schmerzt nicht sehr, doch die Haut ist gerötet und zu meinem Schrecken glaube ich, einen Handabdruck erkennen zu können. Ich schlucke hart und muss mich konzentrieren, um die Gefühle geknebelt und gefesselt zu halten.

„Du solltest Jadigwa nicht verärgern. Deine Ankunft war schon enttäuschend genug. Die alte Hexe hat auf jemand anderen gewartet. Und wenn sie wütend wird …“, krächzt die seltsame Flamme.

„Dann versteckst du dich im Schornstein?“, zische ich dem Wesen entgegen und ziehe meine Beine eng an meinen Körper. Ich bin mutig, nicht ängstlich. Ich bin Luka und fürchte nichts und niemanden und schon gar nicht ein Hasenherz von einer Flamme, das sich aus Angst vor einer alten Frau einnässt.

„Einmal … okay … zwei … vielleicht dreimal. Nicht öfter als zehn ist das passiert“, entrüstet sich der Feuergeist und seine Flamme färbt sich etwas lila, flackert unruhig hin und her.

„Du bist also ein feiges Feuer?“, erwidere ich und muss grinsen. Vor so etwas brauche ich wirklich keine Angst zu haben. Ein feiges Feuer, das sich im Kamin versteckt und sich aus Verlegenheit lila färbt. Ein Hasenherz ohne Füße.

„Ich bin kein dummes Feuer.“

„Nicht dumm also … aber auch nicht mutig …“, sage ich noch einmal und fühle mich endlich wieder gut. Ich habe die Oberhand. Ich fürchte mich nicht. Weder vor dem Feuer noch vor der alten Hexe!

„Und du willst mutig sein? Du kannst froh sein, dass sie dich nicht gekocht und gefressen hat, oder einfach mit Haut und Haaren verschlungen“, zischt das feurige Hasenherz.

„Nun, dann sollte ich mein Glück nicht überstrapazieren. Ich geh dann mal“, sage ich, stehe auf und klopfe den Staub aus meinen Hosen. Wann ist der Boden das letzte Mal geputzt worden?

„Wohin?“, fragt der Feuergeist und tanzt hin und her.

„Nachhause natürlich.“ Warum ich mich weiterhin mit einem ängstlichen Feuer unterhalte, ist mir selbst ein Rätsel.

„So, so …“, erwidert das Feuer. Die Schadenfreude in der züngelnden, zischenden Stimme blende ich einfach aus.

„Ich bin dann weg“, sage ich, winke halbherzig und drehe mich um. Wie viel Uhr es wohl ist? Ist es schon Zeit für die morgendliche Inventarrunde des Lagerhauses, die Vater jeden Tag, seit ich denken kann, durchführt? Und wenn ja, wird er mich überhaupt vermissen? Er hat mich nie dazu eingeladen, mich aber auch nie fortgeschickt, als ich ihm durch das Lager gefolgt bin, ihn in Haltung und Gangart wie ein Affe nachgeahmt habe, wie der Sohn, den Mutter ihm nicht schenken konnte.

Vor meinen Augen sehe ich Vaters Blick, getrübt mit Enttäuschung, weil ich kein Junge bin und weil ich keine Frau sein werde. Unsicherheit und einem leichten Glimmer von Schuld. Hätte ich mich anders entwickelt, wenn er mir mehr Grenzen gesetzt hätte? Darauf bestanden hätte, dass ich mich weiblicher kleide, weiblicher spreche und weiblicher benehme? Ich habe Mutter und ihn streiten hören, sie heimlich belauscht, als sie sich gegenseitig die Schuld für meine Andersartigkeit zuschoben.

Ich schüttle den Kopf, verdränge die Erinnerung.

„Mal sehen, wie weit du kommst“, zischt und züngelt und kichert der feige Gnom, der sich in dem Feuer versteckt, hilft mir, mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und ich sehe mich zum ersten Mal richtig um. Die Holzwände sind behangen mit seltsamen Sachen, Masken, getrockneten Kräutern. Runde Fläschchen stehen auf einem schiefen Regal. Wo ist nur diese verfluchte Tür? Kurz glaube ich, dass ich hier gefangen bin, doch dann sehe ich sie, laufe auf sie zu und trete hinaus.

Es muss noch früh sein. Ich habe wohl nur wenige Stunden gedöst. Wenn ich den Weg jetzt nachhause finde, könnte ich noch vor dem Mittagessen zurück sein und niemand würde mich vermissen, meine kurze Abwesenheit als eine meiner Seltsamkeiten auslegen. Anders zu sein, hat Vorteile und bringt Freiheiten mit sich. Freiheiten, die ich oft genieße, trotz des bitteren Nachgeschmack, der sie immer begleitet, so wie die mitleidigen Blicke. Ich seufze bei dem Gedanken und blicke mich um.

Die Sonne steht noch tief, erreicht die Baumgipfel nicht. Doch es ist bereits hell und ich sehe einen Wald, den verfluchten See, der mich gestern Nacht ausgespuckt hat … und sonst nichts.

Ich erkenne zwei Möglichkeiten.

Entweder ich renne kopflos in den Wald, verirre mich und werde von Wölfen, Bären oder schlimmerem gefressen, oder ich gehe den Weg, den ich hergekommen bin: durch den See.

Irrational und doch die logische Lösung … in meinen Augen.

Ich blicke auf meine getrocknete Kleidung herunter. Ausziehen oder nicht ausziehen, ist hier die Frage. Wenn ich nur in Unterwäsche auf der anderen Seite ankomme, was dann? Renne ich halbnackt durch den Wald und komme nur in Unterwäsche am Hof an? Das würden sie nicht einmal mir einfach so nachsehen. Lieber angezogen. Und so wate ich in das eiskalte Wasser, bibbere wie ein Mädchen und zwinge mich, einen Kopfsprung zu machen, sobald es tief genug ist. Ich schwimme weit hinaus, wo es dunkel ist und die Sonnenstrahlen noch nicht hinreichen. Hier muss der Weg sein. Ich hole tief Luft und schwimme nach unten.

Ich schwimme und schwimme.

Meine Lungen brennen, meine Arme werden schwer, alle Kraft weicht aus meinem Körper und ich weiß nicht mehr, wo oben oder unten ist, strample, so gut es geht. Meine Muskeln schreien, meine Lippen öffnen sich in Verzweiflung, wollen Luft in die Lungen pressen und finden doch nur Wasser.

Mein Körper gibt auf, als mein Geist sich noch an mein Ziel klammert. Dann spüre ich, wie sich Hände um meine Handgelenke schließen. Lippen pressen sich auf meine und ich bekomme Luft, doch es reicht nicht. Ist nicht genug. Eine Hand legt sich auf Mund und Nase, als ich panisch wieder atmen will, dann werde ich weiter nach unten gezogen, oder nach oben?

Mein Kopf durchbricht die Wasseroberfläche.

Hände zerren an mir, dann werde ich hochgehoben, und spüre Gras im Rücken.

„Was habt ihr da nur für ein dummes Mädchen angeschleppt?“, höre ich eine Stimme zischen.

„Warum hast du dich mit ihr verbunden, wenn sie so dumm ist?“, erwidert eine andere.

„Man sieht ihnen nicht immer an, ob sie dumm sind oder nicht“, verteidigt sich die Stimme. Eingebildet, gemein und voller Bissigkeit. Es müssen Undines Worte sein.

„Und deshalb hast du dich an sie gebunden, weil du nicht sicher warst, ob sie dumm ist?“

„Natürlich nicht! Sie hat nach Url gerochen und nach Logan. Ich dachte, sie ist die Richtige. Warum hast du sie, ohne zu prüfen, akzeptiert?“

„Sie hat nach dir, nach Url und nach Logan gerochen“, kommt es zurück, als wäre es die einzig logische Handlung.

„Und jetzt?“, fragt Undine und ich glaube, wirklich Unsicherheit in ihrer sonst vor Arroganz triefenden Stimme zu hören.

„Jetzt riecht sie hauptsächlich nach Fisch“, antwortet es kichernd. Ariel. Eine Leichtigkeit, die an Wahnsinn nicht nur grenzt. Es muss Ariel sein.

„Ja, sie riecht lecker. Ich könnte sie auffressen, dann wären wir sie los“, sagt Undine und ich glaube, zu hören, wie sie sich geräuschvoll und vor allem genüsslich die Lippen leckt.

„Kannst du sie auffressen?“, fragt Ariel neugierig und ich versuche, aufzustehen oder zumindest wegzurobben. Doch ich finde gerade mal die Kraft, einen kleinen Finger zu heben.

„Sie ist nur ein halbes Hemd. Die schaffe ich doch mit links, als Vorspeise.“ Ist das Entrüstung oder Hunger in Undines Stimme? Beides lässt mir die Haare zu Berge stehen.

„Da bin ich mir sicher. Deine Brüste kommen ja nicht von irgendwoher“, erwidert Ariel kichernd.

„Nennst du mich verfressen und fett?“, faucht Undine und ich fühl, wie Wassertropfen mein Gesicht berühren. Warum zum Teufel gehorcht mir mein verräterischer Körper nicht? Ach ja, richtig. Ich bin ja beinahe ertrunken. Was für eine geniale Idee, in die Tiefe des Sees hinunter zu schwimmen …

„Nein, nur wohlgeformt“, antwortet Ariel und kichert wieder. Nicht einmal ich nehme ihr das ab und ich fürchte gerade um Leib und Seele.

„Pass auf, dass ich dich nicht fresse!“, zischt Undine und ich juble innerlich, feuere Undine an, sich mit Ariel den Bauch und die Brüste vollzustopfen anstatt mit meiner Wenigkeit.

„Du kannst mich einatmen, aber nicht fressen.“ Schade, denke ich mir. Wirklich schade.

„Das glaubst auch nur du!“ Undine bleibt stur und ich feuere sie wieder innerlich an, finde die Kraft, meine Finger zu krümmen. Noch ein bisschen und ich kann unbemerkt davonkriechen, wenn Undine über Ariel herfällt.

„Wir sind abgeschweift. Könntest du sie wirklich fressen? Wir sind mit ihr verbunden und verpflichtet, ihr zu helfen.“ Verflucht sollst du sein, Luftgeist! Lass dich fressen und stirb für mich!

„Ich glaube, wenn ich sie jetzt fresse, wäre ihr geholfen … und der Welt auch“, sagt Undine und ich kann ihren Blick auf mir spüren. So ein Mist! Böse Ariel! Böse Undine! Dann glaube ich, zu spüren, wie sich scharfe Zähne in meinen Oberschenkel graben und die Taubheit fällt von meinem Körper ab. Ich schrecke hoch, keuche und huste Wasser.

„Was tut ihr da?“, höre ich Logans Stimme, „Luka, ist alles okay bei dir?“

Ich kann ihn nur stumm anstarren, als er sich zu mir beugt. Wie kann Logan, mein bester Freund, mein Vertrauter, Teil dieser Welt sein? Ich bin verletzt und fühle mich hintergangen. War alles, was wir geteilt haben, eine Lüge? Wer ist dieser Junge vor mir? Kann ich ihn noch als Freund bezeichnen? Ist er es noch?

„Wir haben sie gerettet. Wir haben ihr das Leben gerettet“, beeilt sich Undine, ihm zu entgegnen. Sie hört sich an wie ein liebestolles Hündchen, das dabei erwischt worden ist, wie es an einem Schuh herumkaut. Ich fühle mich wie ein Schuh. Wie ein nasser, angekauter Schuh …

„Dafür seid ihr ja auch da“, erwidert Logan mit strenger Stimme und ich kann wieder den selbstsicheren Jungen sehen, in den ich mich verliebt habe, statt den gehorsamen Lakaien einer alten, verschrobenen Hexe.

„Sie wollte mich auffressen!“, schreie ich wie am Spieß, bevor ich mich zurückhalten kann.

„Undine?“, fragt er streng.

„Ich habe sie gerettet! Wer will denn schon so etwas fressen? An dem Dummchen sind nur Haut und Knochen. Die würde mir im Halse stecken bleiben. Außerdem schmeckt sie nicht.“ Dieses gemeine Nixen-Luder! Wut steigt in mir auf und ich genieße sie, koste die Kraft aus, die sie mir verleiht und schreie aufgebracht: „Du hast mich gebissen!“

„… Nur um zu sehen, ob du noch lebst …“, erwidert Undine mit großen Kulleraugen.

„Und ob ich schmecke!“, zische ich.

„Tust du nicht. Das haben wir also aus der Welt geschafft. Siehst du! Ich habe dir einen Gefallen getan. Jetzt weiß ich, dass du nicht schmeckst, und du weißt, dass ich dich nicht fressen werde.“ Zufrieden mit ihrer Logik grinst sie mich an.

„Undine! Wir fressen nicht die zukünftige Hexe“, sagt Logan streng, als rede er mit einem unartigen Kind und nicht mit einer Monsterbusen-Nixe, die mich fressen wollte. Auf welcher Seite steht dieser blöde Logan?

„Sie ist keine zukünftige Hexe. Sie wird nie eine Hexe werden“, erwidert Undine.

„Warum hast du sie dann akzeptiert?“, fragt Logan und ich glaube nicht, dass es eine Fangfrage ist.

„… sie hat nach dir gerochen und gestern nach dir geschmeckt“, erwidert Undine und zuckt mit den Schultern.

„Ja, sie hat nach Logan geschmeckt!“, fügt der Luftgeist hinzu. Beide kommen näher, starren Logan an. Die Luft ist schwer mit … ja was? Kann es Eifersucht sein? Sind die beiden in Logan verschossen? Dieser Weiberheld!

„Ich … äh … wir sind seit Jahren befreundet. Wir verbringen viel Zeit miteinander … ähm …“, stottert Logan und weicht zurück.

Meine Finger fahren zu meinen Lippen, meine Augen weiten sich und ich hole aus, boxe Logan in den Bauch, springe auf ihn drauf, rolle mich über ihn, packe ihn am Kragen und schlage mit den Fäusten auf ihn ein.

„Das ist deine Schuld! Du bist an all dem hier schuld! Sie haben deinen Kuss an mir gerochen und mich verwechselt. Du hast mir das hier angetan!“ Ich schlage zu und Tränen rinnen mir die Wangen hinunter. Ich fühle mich verraten. Mehr als die Angst vor den seltsamen Monstern, die mich anknabbern, beleidigen und verbrennen, ist es der Schmerz der Erkenntnis, der aus mir herausbricht.

Wenn Logan Teil dieser Welt ist … hat er Geheimnisse vor mir, während ich ihm alles erzählt habe … ich weiß nicht das geringste über ihn, während er mich in- und auswendig kennt … Kann ich irgendetwas noch von dem glauben, was er mir erzählt hat? Oder schlimmer noch … Eine Gewissheit, die mich durch alle Schmach begleitet hat, die mir immer Kraft gegeben hat: die Freundschaft mit Logan. Selbst als ich mehr für ihn empfunden habe, konnte ich es ertragen. Konnte die Gewissheit ertragen, dass er mich nicht liebt, weil er mein Freund ist. Weil mich auf diese Weise etwas Besonderes mit ihm verband.

Wir sind Freunde.

Wir waren Freunde?

Waren wir jemals wirklich Freunde?

Und dieser Gedanke, tut mehr weh als die Zurückweisung meiner Gefühle vor vier Jahren. Schmerzt mehr als das schallende Lachen in meinen Ohren, die Finger, die auf mich zeigen.

Logan wehrt sich nicht. Ich schüttle ihn und als mir die Schwere meiner Situation bewusst wird, ich verstehe, dass es nicht nur unsere Freundschaft ist, die es vielleicht nie gegeben hat, sondern dass ich vielleicht nie wieder in mein altes Leben zurückkehren kann, rollen mir Tränen über die Wangen, tropfen auf Logans Wange. Ungläubig starre ich einer Träne nach, die von seiner Nasenspitze auf seine Lippe hinuntertropft. Seine Zunge schießt vor und leckt sie gierig ab.

Peinlich berührt lasse ich ihn los, schlage die Hände vor die Augen und schluchze: „Ich will wieder nachhause.“

Ich spüre, wie Logan mir übers Haar streichelt, nicht wie sonst rau und freundschaftlich, sondern sanft, tröstend … zärtlich.

„Es tut mir leid“, flüstert er.

Das will ich nicht hören.

„Bringst du mich nachhause?“

Das Streicheln hält inne. Ich kenne die Bedeutung und will es doch nicht wahrhaben.

„Bringst du mich nachhause?“, frage ich drängender, nehme die Hände vom Gesicht und blicke auf ihn herunter. Hoffe, etwas von der alten Freundschaft zu entdecken und einen Weg, wie ich zurückkehren kann in mein Leben vor dem Kuss, vor dem Ball.

„Das kann ich nicht. Du … du bist mit Url, Undine und Ariel einen Pakt eingegangen. Und Großmutter, sie wird so schnell keine neuen Elementargeister finden, die frei und willens sind, einer Hexe zu dienen. Aber Großmutter hat nicht mehr viel Zeit. Sie braucht eine Nachfolgerin … und die braucht eine Verbindung mit den vier Elementen. Du … bist die einzige Nachfolgerin, die wir jetzt haben.“

Ich starre ihn voller Entsetzen und Verwirrung an. Seine Worte ergeben keinen Sinn. Diese Worte voller Wissen über eine Welt, die mir fremd ist, die meinem Logan fremd sein müsste, können nicht wahr sein. Dürfen nicht von seinen Lippen kommen.

„Luka, du musst die Nachfolgerin für Großmutter werden, du musst dich von ihr zur Hexe ausbilden lassen, sonst ist das Gleichgewicht zerstört und Chaos wird über die Welt hereinfallen. Über deine Eltern, deine Schwester …“

Versucht diese engherzige Kopie meines Logans, mich gerade wirklich zu erpressen? „Die Welt ist mir scheißegal! Sie kann mit all ihren Zu-schön-um-wahr-zu-sein Counts untergehen“, fahre ich ihn an.

„Denk an … denk an … Mr. Perfekt. Willst du nicht, dass Mr. Perfekt in einer guten, sicheren Welt lebt?“, versucht es der falsche Logan erneut und trifft ins Herz, als würde er mich wirklich kennen. Mr. Perfekt … Ich schniefe. Ich will, dass Mr. Perfekt sicher ist.

„Wo ist Mr. Perfekt?“, frage ich und sehe mich unnützerweise um.

„Ich werde ihn finden und zu dir bringen“, verspricht Logan leise und ruhig, als könne er es wirklich.

„Das würdest du tun?“, frage ich und mein Herz zieht sich vor Freude zusammen. Darüber, dass selbst wenn mir dieser Logan unbekannt ist, er mich doch so gut kennt, dass er mich ohne jegliche Mühe manipulieren kann. Ich weiß, dass ich manipuliert werde, aber ich habe keine Kraft, es abzuschütteln und kralle mich an das einzige fest, das mir helfen kann, das mir Ruhe bringt. Mr. Perfekt in einer schönen Welt. An meiner Seite.

„Wenn du den ersten Test von Großmutter bestehst“, fügt Logan hinzu und lässt meine Seifenblase zerplatzen. Einfach so …

„Das … ist … das ist Erpressung!“, zische ich ihn an.

„Nennen wir es Motivation“, erwidert er und hat den Anstand, zumindest zerknirscht zu wirken.

Ich schüttle ihn. Dann sinke ich auf ihm zusammen. Mein Ohr gepresst an seine Brust. Ich höre dem Schlagen seines Herzen zu, das … immer schneller schlägt.

„Luka …“

„Ja?“, murmle ich und will eigentlich nur meine Ruhe.

„Ich will mich nicht zu laut beschweren, aber um meiner Jungfräulichkeit willen, würdest du von mir herunter gehen?“, fragt er etwas angestrengt.

„Deiner … Jung…“ Dann spüre ich es. Den Druck an der Innenseite meines Schenkel, es pulsiert … und ich springe von ihm herunter, starre auf die Beule in seiner Hose.

„Da… das ist eine natürliche Reaktion eines Mannes auf eine Frau“, stottert Logan zu seiner Verteidigung.

„Ich weiß, was das ist!“, schnauze ich ihn an und kann doch nicht wegsehen.

„Na, du scheinst ja doch nicht so unweiblich zu sein, wie du auf den ersten Blick wirkst. Dass der Junge keine Erfahrung hat, macht es natürlich leichter“, krächzt eine dunkle Stimme und ich kann meinen Blick von Logans Schritt losreißen.

„Aber wehe, du gibst deinen Trieben nach, Bürschchen! Du bist mir ohne deine Jungfräulichkeit nichts nütze, Bengel. Und du lässt dich nicht von irgendjemandem schwängern, hast du verstanden?“

„Sch… sch…“, ist es an mir jetzt, zu stottern.

„Schwängern!“, zischt die Hexe und fixiert mich mit ihrem Blick aus Stahl.

„Ich … ich bin zum Brunnen gekommen, um zu entscheiden, ob ich ein Mann oder eine Frau werden will. Nicht um mich sch… sch…“ Warum kommt mir dieses bescheidene Wort nicht über die Lippen? Meine Wangen brennen und ich bin mir sicher, dass mein Kopf die Farbe einer überreifen Tomate hat, die kurz davor ist, zu platzen.

„Du willst ein Mann oder eine Frau sein? Seit wann können sich die Menschen aussuchen, was sie sein wollen? Wenn man sich entscheiden könnte, gäbe es sicher keine Männer mehr auf der Welt und wir würden in Frieden leben und in Frieden aussterben. Was für ein dümmlicher Gedanke!“, zischt die Hexe und wackelt ungeduldig mit dem Kopf.

„Und doch sieht niemand ein Mädchen in mir, geschweige denn eine Frau. Ich werde bald 18 und mein Körper wird sich nicht mehr ändern. Nicht von allein. Nicht Junge nicht Mädchen. Nicht Mann nicht Frau“, sage ich und meine Stimme schwillt zu einem Schrei an.

„Das ist dein Problem?“ Die Augen der Alten wandern zu meiner Brust. „Nun, du hast recht.“ Ich verschränke die Arme und entkomme ihrem abschätzigen Blick doch nicht.

Es ist nicht immer schön, recht zu haben.

„Aber lass dir eines gesagt sein, Dummchen. Eine Hexe kann alles sein, was sie will.“ Und plötzlich steht eine wunderschöne Frau vor mir, sie ist nackt und herrlich anzusehen. Dann fällt sie auf alle Viere, verwandelt sich in einen Katze, springt in die Luft und wird zu einem Raben, der über mir kreist und mich mit seinem Krächzen auslacht.

Dann steht wieder die Alte vor mir. Sie schüttelt den Kopf. Eine Feder hängt ihr noch im Haar.

„Wenn du nicht weißt, was du bist oder sein willst, lerne und du kannst zu allem werden, was du dir wünschst. Für einen Preis. Nichts in der Welt ist umsonst“, sagt sie und wirkt älter als zuvor. Ist Zeit der Preis, frage ich mich und spüre die Unruhe in mir. Ich starre die Alte an, die hustet und hustet, um dann einen Fellknäul auszuwürgen.

Und meine Augen werden größer und die Welt um mich herum wächst. Ich schrumpfe, werde kleiner, als sie größer und weiter wird. Und ich komme mir wirklich dumm und engstirnig vor. Habe ich doch nicht einmal über den Tellerrand geblickt und mich stattdessen in Suppe ertränkt.

Ich könnte eine Hexe sein.

Ich könnte alles werden, was ich will.

Ob Mann, Frau, Tier …

Und eine Gier erwacht in mir.

Wie ein Wurm kriecht sie in meinen Eingeweiden. Ich will das, was die Hexe mir gezeigt hat. Ich muss diese Fähigkeit haben. All meine Probleme würden sich in Luft auflösen. Einfach so. Ich könnte zu jeder Zeit sein, was ich will. Ich müsste mich nicht für immer entscheiden, könnte Körper tragen wie Kleidung. Jeder Preis scheint gerechtfertigt für so viele Möglichkeiten, für solch eine unendliche Freiheit.

Ich will eine Hexe werden. Ich will zaubern können, mich verwandeln. Und als die Alte mir in die Augen schaut und sie das Glitzern erkennt, kicherte sie leise, dann seufzt sie und sagt: „Folge mir! Es wird wahrlich nicht leicht, aus dir eine Hexe zu machen, geschweige denn eine starke.“

„Warum?“, frage ich und rappele mich auf.

„Die Macht einer Hexe … weißt du, worin sie liegt?“, fragt sie und ich erwidere unüberlegt: „In ihren Warzen?“

„Dummes, dummes Menschenmädchen. Die Macht einer Hexe liegt in ihrer Weiblichkeit“, sagt die Hexe und wirft mir einen giftigen Blick zu. Als ich automatisch ein Abwehrzeichen mache, lacht sie. Und durch ihr Lachen hindurch drängt sich die Erkenntnis.

Und ich bleibe wie vom Donner gerührt stehen.

„Ich sehe, du verstehst das Dilemma, in dem wir uns befinden. Nicht nur, dass du kaum weibliche Formen hast“, ihr Finger bohrt sich wieder mal in meine Brust, „du bist dir hier nicht einmal sicher, ob du weiblich bist oder gar sein willst.“ Und als ihr Finger zwischen meine Augenbraue leicht die Haut ritzt, weiß ich, dass es kein leichter Weg sein wird und dass es eventuell unmöglich für mich sein könnte.

„Aber wir müssen mit dem arbeiten, was uns das Schicksal vorwirft. Und der Junge hat schon recht … ich bin nicht ganz unschuldig an diesem Zustand. Indirekt. Direkt ist er schuld, sein nichtsnutziger Vater und seine sture Mutter. Liebe … pah. Ein Jucken zwischen den Beinen, das war es!“, plappert sie vor sich hin wie eine geistig Abwesende.

„Was … was meint Ihr damit? Wie könnt Ihr schuld an dem sein, wie ich jetzt bin?“, frage ich vorsichtig. Nicht sicher, ob ich die Antwort wirklich hören möchte.

„Mund halten und mitkommen! Wir fangen mit dem Unterricht an und gehen auf die Suche“, blökt sie mich an.

Ich will etwas sagen, doch so sehr ich es auch versuche, wie weit ich meinen Mund auch aufreiße, es kommt kein Laut heraus. Die verfluchte Hexe hat mir meine Stimme gestohlen. ‚Ich werde dein Geheimnis schon noch aufdecken. Und wenn ich es aus Logan herausprügeln muss‘, denke ich so laut ich kann und wackle bedrohlich mit meinen Augenbrauen, balle meine Hände zu Fäusten und folge ihr doch stumm. Nicht einmal meine Füße geben ein Geräusch von sich.

Luka & Robin

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