Читать книгу Ela und Filou - Sabine Böhm - Страница 3

Kapitel 2

Оглавление

Nach einer anstrengenden Fahrt von fast drei Stunden und hunderten von 'Sind wir bald dahaaaa?' bogen sie endlich auf den kleinen Waldweg ab. Ela hielt ihren Finger schon auf den Abschnallknopf und wartete ungeduldig auf den Moment, in dem Mama den Motor abstellen würde.

Die Tür der Hütte flog schon schwungvoll auf, als sie noch die letzten Meter des hubbeligen Weges entlang rollten. Das Scheppern des alten Kombis war offensichtlich so schlimm geworden, dass es sie schon von Weitem angekündigt hatte. Eine imposante, grauhaarige Frau mit hektisch zusammen getüdeltem Dutt erschien in der Tür. Ihre weisen Augen leuchteten, als sie mit großen Schritten auf das Auto zu lief. Heute trug sie ihre grasgrünen Filzpantoffeln und hatte extra das lange, knallbunte Karogewand angezogen, das Ela so gerne mochte.

„Wenn ich mal so groß bin wie du, dann möchte ich auch so eins haben.“ sagte Ela immer wieder, wenn sie es sah. Yenene strahlte dann immer und ihre unzähligen Lachfältchen zeigten sich. Die Falten in Yenis Gesicht wurden von Besuch zu Besuch mehr, stellte Ela fest, als sie von Yenis starken Armen umschlungen wurde. Doch das störte sie nicht. Zu Yenene gehörten die Fältchen einfach dazu und unterstrichen ihre große Lebenslust.

Yeni umarmte und drückte Ela überglücklich. Ihre zauberhafte kleine Ela war wieder ein Stück gewachsen, stellte sie stolz fest, und sie hatte dasselbe Glitzern in den Augen, das sie sah, wenn sie selbst in den Spiegel schaute.

„Hallo, meine kleine Kachina.“ wiederholte Yenene immer wieder, ohne auch nur daran zu denken Ela wieder loszulassen. Ela mochte den Spitznamen, den ihre Tante ihr verpasst hatte. Er bedeutete übersetzt 'Heilige Tänzerin'. Was das bedeuten sollte wusste sie bis heute nicht, aber es klang einfach schön und wenn Yeni es sagte schlich sich ein wohliges Gefühl durch Elas Körper.

Das gequetschte Mädchen versuchte sich umständlich aus der Umarmung zu winden, bevor sie überhaupt keine Luft mehr bekam. Yenene lachte.

„Oje. Ich wollte dich nicht erdrücken, meine Kleine. Kommt doch erst einmal herein und trinkt eine schöne, heiße Tasse Kakao mit mir.“ Yenene ließ Ela los und begrüßte nun auch Charlotte mit einer etwas kürzeren, aber nicht weniger herzlichen, Umarmung.

Auf dem kurzen Weg in die Hütte nahm Yenene Ela an die Hand, beugte sich, so unauffällig es ging, zu ihr herunter und flüsterte ihr ins Ohr:

„Alles Gute zum Geburtstag, Kachina. Es wird diesmal zwar nur ein kurzer, aber dafür ein unvergesslicher Urlaub für dich. Tanze, kleine Tänzerin. Tanze, wie du noch nie in deinem Leben getanzt hast.“ Ela runzelte die Stirn, lächelte ihre Tante aber brav an und nickte. Yenene sprach ziemlich oft in Rätseln, was Elas Ungeduld jedes Mal auf eine harte Probe stellte. Dieses Rätsel hörte sich besonders geheimnisvoll an. Ihre Spannung, welcher Zauber sie dieses Mal hier erwarten würde, wuchs ins Unermessliche und ließ sie ganz kribbelig werden.

Aufgeregt hüpfte sie neben Yeni her und schaute sie neugierig an. Aber Yenene zwinkerte ihr nur still zu. Ela seufzte. Sie musste sich wieder einmal gedulden. Das hätte sie sich mittlerweile eigentlich schon denken können. Richtig tolle Zauber brauchten anscheinend ihre Zeit.

Nachdem sie ihren kostbaren Beutel in ihrem Zimmer abgestellt hatte, strömte ihr schon der Duft von heißem Kakao in die Nase. Aber Ela wollte jetzt noch gar keinen Kakao. Das hieß immer mit Mama und Yenene am Tisch sitzen. Es war mega öde, wenn die beiden sich unterhielten. Und sie redeten immer eine Menge, weil sie sich ja nur selten sahen. Also flitzte Ela an den beiden erstaunten Frauen vorbei nach draußen und rief ihnen zu:

„Ich muss noch ein wenig raus! Bewegung nach der Autofahrt tut mir gut!“

Das sagte ihre Mutter immer und für Ela war es ein unschlagbares Argument. Was sollte Mama dagegen schon sagen können? Charlotte ärgerte es, wenn ihre zehnjährige Tochter sie so austrickste. Aber natürlich würde sie sich das nicht anmerken lassen, also seufzte sie nur und wünschte Ela viel Spaß.

„Bleib in der Nähe, es ist schon spät!“ gab sie ihr noch mit auf den Weg.

„Ja, ja!“ rief Ela und schlug übermütig die Tür hinter sich zu. Es war überhaupt kein bisschen spät. Nicht einmal fünf Uhr nachmittags. Ihre Mutter war manchmal echt komisch. Ela verdrehte die Augen, blieb aber brav in der Nähe der Hütte.

Die würzige Waldluft tat ihr gut. Es roch alles so herrlich und fühlte sich einfach echt an. Mit Videospielen konnte Ela nichts anfangen: Bäume, Bäche, Sträucher und Felsen, das war ihre Welt.

Sie zog ihre Schuhe aus und hüpfte auf dem moosigen Waldboden umher. Das Moos federte ihre Schritte ab und war so schön flauschig. Ein wenig feucht war es, weil die Sonne durch die dicken Äste nicht so weit herunterreichte, aber das machte ihr nichts aus. Sie überlegte kurz, sich in die weiche Moosdecke fallen zu lassen, entschied sich dann aber dagegen. Mama würde die nassen Flecken bestimmt sofort entdecken und Angst haben, dass Ela sich erkälten könnte. Sie seufzte kurz, zog ihre Schuhe wieder an und schlich sich durch die dichten Sträucher noch ein Stück weiter in den Wald hinein. Ein paar Kratzer würde sie davon tragen, aber das war nicht weiter schlimm. Mit ein wenig Glück kam sie sogar um das Desinfektionsspray herum.

Der Wald hatte sich nicht viel verändert seit ihrem letzten Besuch. Zumindest der Teil nicht, durch den sie heute streunen durfte. Mama nervte echt mit ihrem 'In der Nähe bleiben'. Ela hob einen Stock auf und warf ihn wütend in einen Strauch. Es raschelte hektisch, irgendetwas winzig kleines flitzte aus dem Geäst hervor und verschwand sofort wieder im Unterholz.

„Es tut mir leid!“ rief Ela dem erschrockenen Tier hinterher und schämte sich ein wenig. Ganz vorsichtig, um ja kein weiteres Tier zu erschrecken, schlich sie weiter.

An einem großen Baum machte sie eine Pause. Mit einem glücklichen Seufzer ließ sie sich an seinen mächtigen, knorrigen Stamm fallen. Hier war sie zuhause. Verträumt genoss sie ihren Wald, bis Mama sie herein rief. Mittlerweile war es tatsächlich spät geworden. Die Sonne war schon halb hinter dem Horizont verschwunden und im Wald wurde es langsam düster. Die ersten Geräusche der dämmerungsaktiven Tiere waren zu hören.

„Tschüss Wald, bis morgen.“ rief Ela laut und machte sich auf den Heimweg. Ein wenig müde war sie schon. Die letzte Schulwoche war wirklich anstrengend gewesen und so viel gute Luft war sie nicht mehr gewöhnt. Ela musste gähnen als sie in die Hütte schlurfte.

„Mensch Mama, es ist noch viel zu früh.“ versuchte sie trotzdem ihre Mutter zu überzeugen, wie blöd sie es fand, jetzt schon ins Haus zu müssen. Doch das Gähnen vermieste ihr den Effekt. Charlotte lächelte nur und erwiderte in ihrem nervigsten Tonfall:

„Ich weiß, ich weiß. Und du bist auch kein bisschen müde, richtig?“ Ela streckte ihrer Mutter nur die Zunge raus und setzte sich an den massiven Holztisch. In die Tischplatte waren im Laufe der Jahre eine Menge Schnitzereien gekommen. Hauptsächlich Kratzer vom Geschirr, aber auch ein paar Kunstwerke von Ela, wie der kleine Kringel den Ela mit fünf Jahren hinein geritzt hatte und von dem sie bis heute behauptete es wäre ein Herz. Aber auch ein paar komische Striche und Punkte waren in der Tischplatte zu sehen, die nicht so aussahen als wären sie zufällig dorthin gekommen. Ela traute sich nicht danach zu fragen. Erwachsene würden schließlich niemals auf die Idee kommen ihre guten Möbel kaputt zu kratzen, oder etwa doch?

„Kakao?“ hörte sie Yeni plötzlich sagen. Schnell nickte Ela und setzte ein unschuldiges Lächeln auf. Sie hatte anscheinend so auffällig auf die Muster gestarrt, dass sie alles um sich herum vergessen hatte. Yenene zwinkerte verschwörerisch und stellte ihr den dampfenden Kakao vor die Nase. Ela schlang ihre kalten Finger gierig um die Tasse und pustete. Der Dampf machte lustige Verrenkungen, wenn sie ihn anblies. Ela liebte dieses Spielchen. Sie versuchte immer Tiere oder Gegenstände in dem weißen Dampf zu erkennen. Doch heute waren es nur kleine Rauchschwaden, so müde war sie.

Ela gähnte ausgiebig und freute sich nun sehr auf ihr Super-Bett. Es war nämlich kein normales, weißes, langweiliges Bett, wie sie es zuhause hatte, sondern ein riesiges Bett aus massivem, rötlich schimmerndem Holz. Eine dicke, kuschelig weiche Matratze lag darauf. Sie war so dick, dass Ela einen kleinen Hopser machen musste, um darauf zu kommen. Das machte ihr besonders viel Spaß, weil sie zuhause nie auf ihrem Bett springen durfte. Hier war das erlaubt. Yeni war die Beste! Doch damit nicht genug: An der Decke über dem Bett hing ein weicher dunkelvioletter Himmel aus Stoff. Yenene hatte extra ganz viele Zaubersternchen für Ela darauf genäht. Die Sterne leuchteten und funkelten sobald es dunkel wurde, aber nur dann, wenn Ela alleine im Zimmer war.

Jedes Mal, bevor Yeni und ihre Mutter zum Gute-Nacht-Kuss in das Zimmer kamen, stellte sie sich auf das Bett und berührte den hellsten Stern, der ihr gleich schöne Träume bringen sollte. Bei ihren bisherigen Besuchen war das eine ganz schön wackelige Angelegenheit gewesen. Sie musste sich auf Zehenspitzen stellen und ganz hoch recken, damit sie wenigstens mit den Fingerspitzen an ihren Stern kam. Ganz am Anfang musste sie sogar ein wenig hüpfen.

Heute kam sie zum ersten Mal an die Sterne, ohne sich auf ihre Zehenspitzen zu stellen. Ganz erstaunt schaute sie an sich herunter. Mama hatte anscheinend Recht, sie war ein ordentliches Stück gewachsen.

„Eigentlich Schade.“ murmelte sie. Es hatte noch viel mehr Spaß gemacht als sie hüpfen oder sich wenigstens anstrengen musste, um an die funkelnden Flecken zu kommen.

Als Ela, vor etlichen Jahren, das erste Mal unter diesem Himmel geschlafen hatte, erzählte sie ihrer Mutter am nächsten Morgen aufgeregt und voller Erstaunen, wie unterschiedlich hell die Sterne funkeln würden und dass sie sogar eine Sternschnuppe gesehen hatte. Charlotte glaubte nicht an so einen Schnickschnack. Als ihre Tochter ihr diese Geschichte erzählte, schaute sie Yenene nur zweifelnd an.

„Du hast eine ganz schön ausgeprägte Phantasie, mein Schatz.“ lächelte sie Ela an und nahm einen großen Schluck aus ihrer Kaffeetasse. Ela wusste zwar nicht was ausgeprägt hieß, aber mit Phantasie hatte das nichts zu tun.

„Ich…“ setzte sie an und stemmte bockig die Hände in die Hüften. Aber noch bevor sie sich weiter aufregen konnte, fing sie einen verschwörerischen Blick von Yenene auf.

„Ich… Ich stelle mir halt gerne Dinge vor.“ vollendetet sie gekonnt den Satz und zwinkerte ihrer Tante zu. Mama nickte zufrieden und Ela setzte sich an den Tisch, als wäre nie etwas gewesen.

Als Mama nach dem Frühstück den Müll raus brachte, wartete Ela, bis die Türe zugefallen war und schaute dann Yeni fragend an.

„Glaubst du mir auch nicht? Ich hab wirklich die Sterne funkeln sehen und die Sternschnuppe ist mitten über mich rüber geflogen. Ehrlich!“ Yeni nahm Elas Hand und erklärte ihrer kleinen Kachina, dass Erwachsene höchst selten Zauber erkennen können, oder wollen. Meistens hatten sie zu viel Angst davor, dass es tatsächlich mehr auf dieser Welt geben könnte, als sie sich eingestehen wollten. Zauber waren ihnen einfach nur unheimlich.

„Mir glaubt auch niemand, dass ich manchmal mit Tieren reden kann.“ schloss Yeni ihren kleinen Vortrag ab.

„Ich glaube dir aber, Tante Yeni!“ ereiferte sich Ela schnell und nickte ganz aufgeregt. Zauber waren was Tolles!

„Ja, ich weiß, Kachina, meine kleine Tänzerin. Du kannst die Zauber noch sehen und so lange du immer deinen Tanz tanzt, wird dir diese Gabe auch ewig erhalten bleiben.“

„Meinen Tanz?“ fragte sich Ela damals verwirrt, aber noch bevor sie fragen konnte was das bedeuten sollte, kam ihre Mutter auch schon zur Türe herein und Yeni legte verschwörerisch ihren Zeigefinger an die Lippen. Ela nahm sich damals, an diesem ersten Abend in dem neuen Bett, fest vor ihre Tante eines Tages zu fragen, was sie mit 'Ihrem Tanz' gemeint hatte.

Ela und Filou

Подняться наверх