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Beinahe verstummt

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Innezuhalten und das Leben zu schätzen, das hat Stimmtrainer Arno Fischbacher nach einer Stammzellentransplantation gelernt. Seine Ehefrau half ihm dabei, gesund zu werden.

Einer der bekanntesten Stimmtrainer Salzburgs lebt ein Leben unter Hochdruck, als ihm eine lebensbedrohliche Erkrankung den Boden unter den Füßen wegreißt. Um wieder auf die Beine zu kommen, muss Arno Fischbacher, ein Macher, körperlich, mental und wirtschaftlich alles geben. Diese Zeit verändert ihn. Zum Glück, wie er meint. Sogar der Covid-19-Krise trotzt er Gewinnbringendes ab.

Im Vollgasmodus. So führt Arno sein Leben bis 2015. Schon mit 15 Jahren verlässt er seine Eltern und geht von Oberösterreich nach Salzburg. Macht eine Goldschmiedlehre samt Meisterprüfung. Baut das Theater Elisabethbühne Salzburg mit auf. Arbeitet sich dort in rund 20 Jahren vom Schauspieler bis zum kaufmännischen Leiter hinauf. Gestaltet danach den Start des Radiosenders Welle 1 mit. Ende der 1990er-Jahre gründet der Schauspieler als Stimmtrainer sein eigenes Unternehmen. Sein Slogan lautet: „Ich mache Stimmbesitzer zu Stimmbenützern.“ Sein Versprechen an Kunden: Wer bei ihm gutes Sprechen im „Eigenton“ lerne, der überzeuge im Geschäftsleben.

Ich wollte mich als Stimmtrainer und Bühnenredner profilieren. Das habe ich geschafft und jeden Applaus genossen. Zurückblickend denke ich, ich habe mir etwas beweisen wollen. Mir ist es wichtig gewesen, wie mich andere finden. Zwischen den vielen Seminaren im In- und Ausland bin ich nur wenig zu Hause gewesen. Und wenn ich da war, war ich in Gedanken schon wieder woanders. Körperliche Bedürfnisse habe ich damals hintangestellt. Es ist mir nicht wichtig vorgekommen, ob ich müde oder hungrig bin. Irgendwann habe ich das auch nicht mehr so gespürt. Stress hat mich zur Hochleistung getrieben. Zeitdruck war mein Motor.

Aber der Motor sollte ins Stocken kommen. Ein Gesundheitscheck zeigt, dass Arno Fischbachers Leben in Gefahr ist. Dass der Business-Stimmcoach an dem Test überhaupt teilnimmt, ist Zufall. Man lädt ihn dazu ein. Den Brief öffnet er in seinem Büro im schmucken Andräviertel in Salzburg. Es ist ein Junitag im Jahr 2015. Die Salzburger Christian-Doppler-Klinik wendet sich mit einer Bitte an den damals 59-Jährigen: Man untersuche gerade den Gesundheitsstatus von 10 000 Salzburgern. Er möge doch an dieser großen Studie teilnehmen.

Begeistert war ich nicht. Aber eine Gesundenuntersuchung war damals sowieso fällig. Und so genau wie in einer klinischen Studie wirst du normalerweise nicht gecheckt. Also habe ich mich dafür entschieden. Ich habe gedacht: Dann investierst du halt für diese Studie einen halben Tag Lebenszeit. Als ich drei Wochen später zur Untersuchung in die Klinik gegangen bin, hat die Sonne gestrahlt. Die Tests haben um sieben Uhr morgens begonnen. Um 12.30 Uhr hat mich der Arzt zum Gespräch bestellt. Und siehe da: Alle meine Werte sind bestens. Herz, Leber, Lunge, Cholesterin – alle top. Aufeinmal stutzt der Arzt. Er deutet mit dem rechten Zeigefinger auf eine Stelle im Befundbogen und sagt: „Nur da, da ist etwas. Die Blutwerte passen nicht ganz.“ Und er meint: „Da müssen wir nachschauen.“ Mich hat das nicht beunruhigt. Ich habe mir einfach gedacht: „Na gut. Dann schauen wir nach.“

Zwei Monate lang schauen die Ärzte nach. In dieser Zeit muss Arno Fischbacher regelmäßig in die Blutambulanz zur Blutabnahme gehen. Die Ärzte verschreiben ihm Medikamente und beobachten in engen Abständen, wie diese seine Blutwerte verändern. Der Coach ist jetzt auf einmal Patient. Im August 2015 bekommt er die niederschmetternde Diagnose: Eine lebensbedrohliche Bluterkrankung breitet sich in seinem Körper aus. Als der Arzt dazu anhebt, die Diagnose auszusprechen, drückt der Sprechtrainer gedanklich einen Knopf. Er schaltet um auf Geschäftsmodus.

Am Tag der Diagnose bin ich in der Ambulanz dem Arzt gegenübergesessen. Und der schaut mich so an. Da habe ich gewusst: Der will mir jetzt etwas sagen, das haarig wird. Als Stimmcoach trainiere ich ja auch Ärzte. Wie durch eine Kamera habe ich den Arzt beobachtet. Die Art, wie er es machte, fand ich ganz professionell. Der hat nicht lange herumgeeiert. Er hat mir ganz nüchtern gesagt: „Sie haben eine lebensbedrohliche Bluterkrankung und hätten schon einen Hirnschlag haben können. Wir müssen einen Spender finden. Sie brauchen eine Blutstammzellentransplantation.“

Wie betäubt geht der Stimmtrainer nach Hause. Kurz vernebelt die niederschmetternde Diagnose seine Gedanken. Dann schaltet der Patient um – er ist Geschäftsmann. Als solcher geht er in den Kalkulationsmodus: Stellt zu seiner Krankheit Fragen. Sucht im Internet nach Antworten. Was genau ist diese Krankheit? Bin ich selbst daran schuld? Was tut man mit dieser Diagnose?

Für diese Blutkrankheit ist nicht mein Lebensstil ausschlaggebend gewesen. Ich hätte sie nicht verhindern können. Irgendwelche Gene in meinem Körper haben plötzlich verrückt gespielt. Wegen dieser spontanen Genmutation ist meine Blutproduktion aus dem Ruder gelaufen. Ich habe zu viele Thrombozyten produziert. Ohne Transplantation wäre meine Blutproduktion ganz entgleist und ich wäre in relativ kurzer Zeit gestorben.

Sterben kann der Patient aber auch an der Transplantation. Mit zunehmendem Alter sinken die Chancen, dass man den massiven Eingriff überlebt. 20 Prozent beträgt das Sterberisiko in der Altersgruppe 60 plus. Arno Fischbacher geht zu diesem Zeitpunkt direkt auf die 60 zu. Um keine Angst aufkommen zu lassen, sammelt er weiter Fakten. Er versucht, sich möglichst viele Details aus dem Internet zu beschaffen. So will er sich vorbereiten auf das, was kommen wird.

So wie ich mir das vorgestellt habe, ist es aber leider nicht gegangen. Meine Krankheit war eine Individualistenkrankheit. Die kannst du nicht googeln. Das hat meinen Elan, alle offenen Fragen zu beantworten, gebremst. Damals bin ich zum ersten Mal nachdenklich geworden. Dass ich an etwas Gravierendem erkrankt bin, hat mir auch ein Schreiben meiner Krankenkasse gezeigt. Es ist eine Kostenaufstellung gewesen. Es ging um die Medikamente, die ich bis zur Transplantation habe nehmen müssen. Meine Krankenkasse hat dafür 5 000 Euro bezahlt. Und das jeden Monat. Erst beim Lesen dieser Kostenaufstellung ist mir klar geworden: Das ist etwas, das begleitet mich länger.

So vieles ist in diesen Monaten offen. Besonders der richtige Zeitpunkt für die Transplantation. Einen fixen besten Zeitpunkt gibt es nicht. Die Ärzte können nur so viel sagen: Es wird ein Zeitfenster geben, in dem die Transplantation erfolgen muss. Wann sich dieses Fenster auftun werde, das zeige sich erst mit der Zeit. So viel Ungewissheit kann einen lähmen. Damit das nicht passiert, nimmt Arno Fischbacher wieder die Dinge in die Hand. Er ruft eine frühere Arbeitskollegin an, die mittlerweile in München lebt. Kann sie ihm dabei helfen, eine Checkliste für wirklich alle Fälle zu erstellen?

Mir war mulmig, als ich in mein Handy gesagt habe: „Hallo Kathleen. Ich brauche dich. Hast du einen Tag Zeit für mich?“ Sie hat gleich ja gesagt. Ich war so erleichtert. Da war ja so viel zu organisieren. Einen ganzen Tag lang haben wir gemeinsam eine Checkliste geschrieben. Die eine Frage hat gelautet: Was muss ich alles veranlassen, damit mein Unternehmen einen viermonatigen Komplettausfall überlebt? Erst nach der Transplantation sollte mir klarwerden: Dass ich nur vier Monate ausfallen werde, habe ich viel zu optimistisch angesetzt. Erst einmal habe ich mein Unternehmen schrumpfen müssen. Aber nur so weit, dass ich es nach der Transplantation jederzeit wieder hochfahren konnte. Ich habe meine Mitarbeiterin kündigen müssen. Auch verschiedene Versicherungen, Internetpakete und Abos, um die Grundkosten zu senken. Die zweite Frage ist noch viel schwieriger gewesen: Was muss ich tun, um für meinen Todesfall vorzusorgen? Mit Kathleen habe ich alle Besuche notiert, die ich in den nächsten Tagen machen würde: Zum Notar gehen, zum Steuerberater, zum Bankberater – Ich habe sie dann auch alle persönlich abgeklappert. Wir haben festhalten, wo alle meine Unterlagen sind, wo die Passwörter zu finden sind. Wir haben nachgeschaut, wo meine Frau Zugang hat, falls ich nicht mehr heimkomme. Ich wollte das alles einfach geklärt haben.“

Nur so gut vorbereitet kann der Stimmtrainer unbelastet nach Graz in die Klinik fahren. Der Patient ist immer noch Unternehmer. Als solcher lebt er sein Leben jetzt erst recht unter Hochdruck weiter. In der Zeit vor der Transplantation muss mehr Geld als früher hereinkommen, um die erwarteten Ausfälle abzufedern. Zwei Jahre lang arbeitet der Salzburger mit Vollgas weiter. Er gibt noch mehr Seminare als früher und weiß zugleich um seinen bedrohten Gesundheitszustand: Seine Blutproduktion wird von Monat zu Monat schlechter. Ein Lichtblick in diesen zwei Jahren voller Ungewissheit: Nach langer Suche wird ein Spender gefunden. Ein Mann aus Berlin „passt“. Und: Er ist bereit dazu, sich mit Hormonen behandeln zu lassen. Bereit dazu, sich in einer Art Blutwäsche Blutstammzellen entnehmen zu lassen. Bereit zu dieser Prozedur, sobald sich Arno Fischbachers Zeitfenster öffnen wird. Jenes Zeitfenster, in dem sich sein Gesundheitszustand und das Eingriffsrisiko ungefähr die Waage halten. Die Transplantation kann ja auch tödlich enden. Der Patient soll am Tag Null also nicht mehr zu gesund, aber auch noch nicht zu krank für die fremden Blutstammzellen sein.

Tag Null war der 13. November 2017. Neun Tage davor musste ich in die Grazer Klinik einrücken. Sechs Wochen sollte ich dort verbringen. Körperlich habe ich mich fit gefühlt. Ich war bereit. Mein Leben habe ich in Gedanken in die Hände der Ärzte gelegt und ihnen gesagt: Egal was nötig ist, macht es mit mir.

Die neun Tage vor der Transplantation habe ich heftige Chemococktails bekommen. Die sollten meine Blutproduktion zerstören, damit mein Körper die neuen Stammzellen annehmen kann. Über einen Dauerzugang in meinen Brustkorb ist aus Infusionsbeuteln eine Flüssigkeit nach der anderen in meinen Körper geflossen. Der erste dieser neun Vorbereitungstage ist ein Montag gewesen. Er hat „Tag minus 9“ geheißen. Die Tage nach dem Eingriff heißen Plustage. Das hat sich angehört, als wären diese Tage ein Geschenk.

Die neun Vorbereitungstage sind bis ins Detail durchgetaktet. Arno Fischbacher ist fasziniert. Der penible Ablauf von früh bis spät erinnert ihn an einen großen Flugbetrieb. Eineinhalb Jahre lang hat er für die Austrian Airlines fliegendes Personal trainiert. Da war auch alles durchgetaktet. In die Klinik hat er sich seinen Laptop mitgenommen. Der hilft ihm, noch ein letztes Mal vor der Transplantation den Kalkulationsmodus einzuschalten. Im Internet liest er nach, was er alles noch wissen will. Sucht Antworten auf die Fragen, die ihn jetzt im Moment betreffen: Was genau fließt da in mich hinein? Was macht es mit mir? Die Flüssigkeiten zerstören seine Blutproduktion und fahren sein Immunsystem herunter. Der Berliner Stammzellenspender hat eine andere Blutgruppe als er. Würde Arno Fischbachers Körper die gespendeten Zellen abstoßen, wäre alles vorbei. Da sein Körper dann nicht mehr selbst Blut produzieren kann, würde er sterben.

Bis dahin habe ich die Umstände der Transplantation noch hochkomplex und total interessant gefunden. Nun ist mir klar geworden: Wenn die Transplantation schiefgeht, habe ich Pech gehabt. Das hat mich schon beschäftigt. Das lässt auch mich nicht kalt. Aber ich habe keine Angst gespürt. Das muss an den Erfahrungen liegen, die ich in drei besonderen Phasen meines Lebens gemacht habe. In meiner Jugend ist vieles nicht rosig gewesen. Ich bin verschreckt gewesen. Damals habe ich kaum Selbstwert empfunden und stark unter Migräneattacken gelitten. In dieser Zeit habe ich lernen müssen, in schwierigen Phasen mit mir selbst klarzukommen. Mit anderen umzugehen, habe ich dann im Zivildienst in einem burgenländischen Spital gelernt. Dort bin ich oft zu den Sterbenden geschickt worden, wenn die Krankenschwestern keine Zeit hatten. Wenn es bei jemandem zu Ende gegangen ist, bin ich da gewesen. Am Amazonas in Peru bin ich Jahre später meinen eigenen Ängsten aufden Grund gegangen. Nachdem ich sie im Dschungel bei einem Curandero (Naturheiler) zum ersten Mal wirklich zugelassen habe, habe ich meine Ängste besiegt. Sie sind nicht wiedergekommen. Rückblickend hatte ich mich also schon einige Male in Ausnahmesituationen erlebt. Diese Erfahrungen kamen mir jetzt zugute. Im Spital hatte ich keine Angst vor dem Sterben.

Als der Tag Null kommt, ist Arno Fischbachers Blutproduktion zerstört. Ein Flugzeug hat zwei Beutel mit einer beigen Flüssigkeit von Berlin nach Graz gebracht. Es sind die Blutstammzellen des Spenders. Dieses Bild wird der Sprechtrainer nie vergessen: Er liegt im Bett. Ist an zig Monitore und Apparate angeschlossen. Sie überwachen alle möglichen Funktionen seines Körpers. Hier piepst es immer und immer wieder, dort surrt ein Gerät, daneben zeichnen Apparate Kurven auf Monitore. Sechs maskierte Ärzte stehen um ihn herum, sehen ihn mit sehr, sehr wachen Augen an. Dann tritt einer von ihnen ganz nahe an das Krankenbett. Er wird gleich die Transplantation einleiten. Ein Eingriff, für die kein Skalpell verwendet wird, bei der nicht ein Tropfen Blut fließt – außer schon bald die Blutstammzellen von ihren Plastikbeuteln in den Körper jenes Menschen, dessen Leben sie retten sollen. Der Arzt braucht nicht einmal eine Minute, um jene Handgriffe zu vollziehen, nach denen Arno Fischbacher entweder leben oder sterben wird. Alle Blicke sind auf seine Hände und auf den Patienten gerichtet. Es geht los. Der Arzt hängt die Blutstammzellenbeutel an den Infusionsständer. Schließt sie an den Infusionsschlauch mit dem Dauerzugang an, der direkt in den Brustkorb des Mannes vor ihm führt. Und lässt die Blutstammzellen in Arno Fischbachers Körper einlaufen. Alle warten.

Niemand hat ein Wort gesagt. Das war eine unglaubliche Situation. Ich habe alles rund um mich wahrgenommen. Die gebannten Blicke der Ärzte in mein Gesicht, die blinkenden Monitore, die piepsenden Apparate. Ich habe mich gefragt: „Werde ich diese Prozedur überleben?“, „Was werde ich spüren, falls mein Körper nicht mitspielt?“, „Wird es nach dem Heute für mich noch ein Morgen geben?“, „Bekomme ich nach diesem Tag Null Plus-Tage geschenkt?“ In diesem Zustand ist es mir nicht gut gegangen. Die mentale Vorbereitung hat mir aber sehr geholfen. Nach einer halben Stunde sind die beiden Flüssigkeitsbeutel leer gewesen. Mein Körper hat die Stammzellen angenommen. Da ist mir langsam gesickert: Ich habe gerade eine neue Chance zum Weiterleben bekommen. Ich lebe weiter!

Arno Fischbacher bleibt nach der Transplantation noch einen Monat lang im Spital. Das Spitalspersonal schirmt ihn völlig ab. Das muss so sein, da sein Immunsystem zu keinerlei Abwehr imstande ist. Wenn der Unternehmer heute über diese vier Wochen spricht, pausiert er immer wieder und klingt sehr nachdenklich. Nach dem Tag Null dauert es lange, bis er überhaupt wieder aufrecht stehen kann. Dass es so dramatisch wird, hat er trotz all seiner Vorbereitungen unterschätzt. Als ein Plus-Tag sich ganz langsam an den nächsten reiht, hat sich das Leben des quirligen Mannes auf den Kopf gestellt. Zum ersten Mal seit langer Zeit hat er die Dinge nicht in der Hand. Kalkulieren bringt jetzt nichts. Es wäre auch viel zu anstrengend. Arno Fischbacher schläft so viel, wie er in seinem Leben nicht geschlafen hat. Nur wenn ihn die Krankenschwester weckt, ist er kurz wach, dann sinkt er gleich wieder in den Schlaf. Sein Körper braucht Zeit, um sich von der Behandlung zu erholen. Mit der Immunsuppression wird er fast ein Jahr lang leben müssen. Und doch holt ihn sein alter Lebensstil bald schon wieder ein. Noch im Spitalsbett gibt er sein erstes Telefoncoaching. Nach einer halben Stunde Arbeit ist er stundenlang „streichfähig“. Er merkt: Ich muss ab jetzt erkennen, wann es genug ist.

Plötzlich bin ich nicht mehr auf der Bühne gestanden. Das erste Jahr nach dem Spital bin ich körperlich parterre gewesen. Die meiste Zeit habe ich nicht einmal genug Kraft zum Sprechen gehabt. Ich bin nur mit mir selbst beschäftigt gewesen. Gewohnt habe ich im obersten Stock unseres Hauses. Meine Frau hat dort alle Pflanzen weggeräumt. Sogar die hätten mir schaden können. Wenn Besuch gekommen ist und ich in das Wohnzimmer gegangen bin, habe ich eine Maske tragen müssen. Ich bin dann mit am Tisch gesessen und schon nach einer Viertelstunde wieder in meine Etage gegangen. Mir ist alles zu viel gewesen. Ein Jahr lang habe ich fast nicht gesprochen.

Der Stimmtrainer spricht nicht. Er, der sonst mit vollem Elan seinen Kunden beibringt, was alles mit der eigenen Stimme machbar ist. Doch es ist zu hart. Wieder prescht Arno Fischbacher los. Fährt bereits ein halbes Jahr nach dem Eingriff nach Stuttgart, um Kinderzahnärztinnen in Sachen Stimme zu schulen. Danach ist er wieder völlig fertig. Es ist ein Wendepunkt.

Erst nach diesem Rückschlag habe ich mich in diesem schwachen Zustand akzeptiert. Ich habe gemerkt, ich muss jetzt auf mich achten. Da hat in mir ein Wandel eingesetzt. Meine Frau ist die größte Stütze für mich gewesen. Sie ist Kunsttherapeutin an der Psychiatrie der Christian-Doppler-Klinik, sie kennt sich mit Patienten aus. Ich habe Glück gehabt. Meine Frau hat es ausgehalten, mich ein Jahr lang als hilfsbedürftigen Patienten zu erleben und zu versorgen. Einen Ehemann, der ein Jahr lang in seiner Etage schläft und schläft und fast nicht spricht.

Dieses Jahr verändert Arno Fischbacher. Wegen der Immunsuppression erlebt der Stimmcoach gesundheitliche Rückschläge. Zwei Reha-Aufenthalte helfen ihm danach sehr. Er lernt, mehr auf seine körperlichen Bedürfnisse zu achten. Wenn er müde ist, legt er sich, ohne lang zu überlegen, hin. Als er wieder kräftiger wird, ruht er mehr in sich selbst. Verbringt endlich mehr Zeit mit seiner Frau, investiert in die Beziehung. Sein Aufstehen feiert er seither gemeinsam mit seiner Frau immer wieder. Im Kleinen – bei einem Abendessen, bei einem Glas Wein. Nicht einmal die Covid-19-Krise, in der er wochenlang keine Seminare halten darf, macht ihm Angst. Mit neuen Angeboten kommt er bei seinen Klienten gut an, sein Geschäft läuft wieder. Seine finanziellen Reserven hat Arno Fischbacher in der Krankheitsphase verbraucht und dennoch bleibt er optimistisch.

Da ist etwas Gravierendes in mir passiert. Ich verfüge heute über eine ganz große Gelassenheit. Die Covid-19-Krise erlebe ich als einen aufregenden Neubeginn. Ich arbeite mit Lust daran, meine neuen Geschäftszweige aufzubauen. Jetzt habe ich Zeit und Energie dafür. Die Bühnenrednerei ist nicht mehr mein Schwerpunkt. Ich muss mich nicht mehr vor anderen beweisen. Stattdessen konzentriere ich mich jetzt auf Coaching. Auf das ganz persönliche Arbeiten mit Menschen an heiklen Kommunikationsmomenten. Dafür habe ich mir letzten Herbst ein Live-Trainingsstudio eingerichtet. Als ich wegen der Veranstaltungsverbote Indoor-Seminare nicht mehr machen durfte, habe ich noch eine neue Idee entwickelt. Ich mache jetzt viel Online-Beratung. Das erweitert sogar meinen Aktionsradius.

Jetzt, zweieinhalb Jahre nach der Transplantation, geht es dem Stimmcoach gut. Er erlebt sich zum ersten Mal wieder als gesund und kraftvoll. Im April 2020 legt er zwischen zwei Videokonferenzen eine Verschnaufpause im Mirabellgarten ein. Die Sonne strahlt vom Himmel, es ist ein herrlicher, warmer Frühlingsvormittag. Der Unternehmer steuert zügig den Rosenhügel an. Dann verlangsamt er seine Schritte. Auf der Lehne einer Sitzbank legt er sein dunkles Businesssakko ab und lässt sich nieder. Der Frühling ist in vollem Gange. Fliederduft umgibt ihn, die Rosenbüsche zeigen ihr erstes Grün. Spatzen und Amseln trällern um die Wette. Der Stimmcoach lässt seinen Blick erst zur Festung Hohensalzburg schweifen, dann auf die Rosen. Er hört den Vögeln zu, lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen und schließt für einen Moment seine Augen. Er genießt es: Das Gefühl, wieder richtig im Leben angekommen zu sein.

Vor seiner Erkrankung suchte Arno Fischbacher Bühne und Applaus.

Die Krankheit hat etwas in mir verändert. Ich gehe jetzt besser mit mir selbst um. Ich achte mehr auf die Beziehungen zu den Menschen, die mir wichtig sind. Und auf die kleinen Dinge, die geben mir Sicherheit. Oft steckt hinter einer Angst einfach ein Bedürfnis nach Sicherheit. Das wird einem aber erst dann klar, wenn man sich mit seinen Ängsten konfrontiert. Ich weiß jetzt: Man kann aus schwierigen Lebensphasen gestärkt hervorgehen. Was mir heute Sicherheit gibt, sind so kleine Dinge wie Spaziergänge. Da bleibe ich stehen und höre einem Vogel zu oder schaue mir eine Blume an. Mein Gedankenkarussell stoppt. Ich steige aus und genieße den Moment.

Der Bruch

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