Читать книгу Nichts Weltbewegendes - Sabine Fenner - Страница 2

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Wenn mal kein Strandwetter war, dann spazierte ich gerne mit meinem Vater in den angrenzenden Wald. Er erklärte mir die Fauna, Pflanzen und Bäume. Auf einer kleinen Anhöhe besuchten wir Tisch und Stuhl der Zwerge - so dachte ich damals. Heute weiß ich, dass es einfach nur Baumstümpfe waren. Damals faszinierten sie mich, und meine Fantasie erfand Geschichten, die ich dann nach Ende der Sommerferien meinen Freundinnen erzählte, die mir gebannt zuhörten. Bevor wir dann den Heimweg antraten, besuchten wir die Steilküste, wo es reichlich Lehm gab. Mein Vater trug stets einen Klumpen in unser Urlaubsdomizil, woraus ich so mancherlei Gebilde formte.

Im Urlaub war es jeden Morgen meine Aufgabe, vors Haus zu laufen. Dort hing an der großen Türklinke der Haupttür ein weißer Leinensack, deren Inhalt so gut roch. Es waren frische Brötchen, die wir uns nur in den Ferien leisteten. Sie gehörten für uns auch zu den Luxusgütern jener Zeit. Bestrichen wurden sie mit Erdbeermarmelade, die wir selbst herstellten. Zuhause bewirtschafteten meine Eltern drei Schrebergärten, so dass wir Kinder immer in den Genuss von frischem Obst und Gemüse kamen.

An manchen Tagen wurde mein Vater ganz unruhig, wenn nämlich die Kunde durch die Bucht zog, dass wieder Zigeuner unterwegs waren, die ihre selbstgeknüpften Teppiche an den Türen feilboten. Damals glaubten die Menschen, dass Zigeuner das Hab und Gut stehlen. Um dies zu verhindern, stellte mein Vater einen Besen mit dem Stiel nach unten vor die Tür, der sie fernhalten sollte. Wenn sie dann tatsächlich kamen, versteckte ich mich hinter einer dicken Eiche und fand dieses bunte Treiben total interessant. Sie sangen in einer Sprache, die ich nicht verstand und trugen bunte lange Kleider. Manchmal wäre ich gerne mit ihnen gezogen, um mit den Kindern zu spielen, die neben den Wagen herliefen. Ich mochte dieses fahrende Volk.

An den langen Sommerabenden saßen wir noch bis in die Nacht hinein auf der Veranda, spielten Karten bis zum Exzess, wobei es mir egal war, ob ich gewann oder verlor. Meistens gewann ich, weil ich einfach Glück hatte, obwohl ich mich gar nicht anstrengte. Am liebsten schaute ich mir den Sternenhimmel an, versuchte die Sternbilder ihren Zeichen zuzuordnen oder lauschte einfach in die Nacht, auch sie konnte mir viel erzählen.

Auch der Mond war mein bester Freund. Für mich hatte er immer, wenn er am Himmel zu sehen war, ein anderes Gesicht, das ich zu deuten versuchte. Meinen Eltern gefiel diese Liebe zum Mond nicht, denn sie mussten bei Vollmond oft aufstehen, wenn ich wieder mondsüchtig war und schlafend die Gegend unsicher machte. Diese Mondsüchtigkeit verfolgt mich auch heute noch.

Ein besonderes Highlight war der Sommer 1966. Eine ältere Dame im Dorf, die wir viele Jahre kannten, besaß einen Schwarz-Weiß-Fernseher. So konnten wir gemeinschaftlich das WM-Finale gegen England live anschauen. Deutschland verlor durch das legendäre Wembley-Tor mit 4:2 nach Verlängerung. Ich kann mich nicht erinnern, jemals wieder mit so einer Spannung vor dem Fernseher gesessen zu haben, wie bei dieser Übertragung. Es war wie ein Krimi. Ich brauchte Stunden, um mich zu beruhigen, denn wenn es um Deutschland geht, dann bin ich Patriotin. Gestern... wie heute.


Meine Eltern in Norgaardholz (1969)

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