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Veggieburger

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Schuld an allem war natürlich die Sache mit den Veggieburgern. Ohne die Veggieburger, da wäre ich wohl gar nicht auf die Idee gekommen, Gerd zu ermorden.

Warum auch? Der Gerd hat seine eigene Autowerkstatt. Er steht früh auf, viel früher als ich, und wenn er abends nach Hause kommt, dann bin ich noch nicht da. Natürlich stelle ich ihm immer sein Essen hin, das macht er sich warm, und dann geht er ins Bett und schaut fern. Und dann schläft er ein.

Das gefällt ihm, dem Gerd. Das ist seine Entspannung. Für Kneipen und so was war er noch nie sehr zu haben, schon früher nicht. Der Gerd, der ist mehr der häusliche Typ, und wenn ich heimkomme, hört man von dem schon keinen Mucks mehr. Höchstens noch ein bißchen Geschnarche, manchmal, und den Fernseher natürlich. Den stelle ich ab, und die Tür mache ich zu, und dann habe ich noch eine Weile meine Ruhe. Ich mache mir einen heißen Kakao und tue etwas Rum rein, und dann lege ich die Beine hoch und denke so über dieses und jenes nach. Das tut einem gut. Und am Morgen geht alles wieder von vorn los.

Also! Wir hatten uns unser gemeinsames Leben wirklich angenehm eingerichtet. Es bestand gar kein Anlaß für irgend was Drastisches, ich meine, warum soll man jemanden umbringen, den man nie sieht? Außer vielleicht mal am Wochenende, zum Frühstück. Aber das stört mich dann nicht, wirklich nicht. Ich finde das ganz in Ordnung, schließlich muß man sich auch mal miteinander bereden, wenn man verheiratet ist.

Der Gerd erzählt dann

ja meistens von seiner Werkstatt. Daß der Schmidt noch immer nicht für den Auspuff bezahlt hat, wegen der Alimente und wegen dem Unterhalt. Und daß der Kotflügel vom Haberer total im Arsch ist, und der Haberer hat ein blaues Auge, aber der will ums Verrecken nicht raus damit, wie das eigentlich passiert ist. Und daß der Guggi sich furchtbar aufgeregt hat, weil der Gerd ihm doch letzte Woche diesen Opel verkauft hat, und jetzt hat der schon einen Kolbenfresser.

Der Gerd schüttelt den Kopf. Dann muß ich was sagen. Blöde Sache, das mit dem Kolbenfresser, sage ich, und er nickt.

Männer sind ulkig mit ihren Autos, ehrlich. Der Guggi zum Beispiel, mit dem war ich doch auch mal hinten im Lagerraum. Der hat was, der Guggi, wenn man den kennenlernt, so was Nettes, irgendwie Verletzliches, das kann einen schon ansprechen. Gut, ich seh ein, auf den Limokästen, das war sicher nicht sehr bequem für ihn, schon wegen der Kronkorken und allem. Aber trotzdem - also, wenn ich der Guggi wäre, dann wäre mir das mit dem Kolbenfresser ehrlich egal. Ich meine, an einem Auto kann man so was doch wieder reparieren!

Komisch, das mit dem

Haberer und seinem Kotflügel, gell? sagt Gerd. Er macht ganz nachdenkliche Augen, das geht aber vorbei, und er schmiert sich ein Leberwurstbrot. Ich glaub echt, der hat wen gerammt und ist dann einfach abgedüst, sagt er.

Mag sein, sage ich. Mag echt sein.

Gerd streift die Leberwurst an seinem Messer mit dem Finger ab, was ich nicht leiden kann. Aber ich sage nichts, weil er sowieso damit aufhört, wenn er fertig ist, wozu also erst noch streiten? Ich sage ja auch nichts über den Haberer und seinen Kotflügel.

Obwohl, ich könnte was sagen, weil ich mit dieser Sache nämlich persönlich rein gar nichts zu tun habe, außer daß der Guggi mir eben schon alles erzählt hat. Aber, wie gesagt, ich halte lieber den Mund.

Das ist gar nicht so schwer, wenn man sich erst mal daran gewöhnt hat. Und es ist diskret. Ich bin sehr diskret, das weiß jeder. Das muß man auch sein, in meinem Beruf.

Ich bin nämlich

Imbißbudenbesitzerin. Eigentlich hätte ich das wohl schon ganz am Anfang sagen sollen, so etwa in der Art wie: Hallo! Ich heiße Yvonne Bartsch, geborene Auermüller, ich bin sechsunddreißig Jahre alt, verheiratet, kinderlos und Imbißbudenbesitzerin.

Das hätte bestimmt dahin gehört, wo das mit den Veggieburgern steht.

Aber zu dem Zeitpunkt habe ich da gar nicht dran gedacht. Wahrscheinlich liegt das daran, daß ich genau weiß, wie ich heiße und daß ich Imbißbudenbesitzerin bin. Ich weiß es die ganze Zeit, ich denke nicht darüber nach, und schreiben tut man ja wohl eher über die Sachen, über die man nachdenkt. Die einem im Kopf rumgehen, weil man sie nicht so genau weiß. Weil sonst, wenn man immer nur aufschreibt, was man schon weiß, dann könnte man es auch gleich lassen. Dann wäre es ja langweilig, das Schreiben.

Deswegen sollte das

hier eigentlich ein Tagebuch sein, genauer: ein Traumtagebuch. Also, das muß ich jetzt mal aufschreiben, wie das gekommen ist. Das war nämlich so: Ich war bei einer Wahrsagerin. Oder eigentlich, sie war bei mir.

Sie kam eines schönen Tages in meine Imbißbude. Eigentlich wollte sie nur eben zwei Bier holen und einen Döner, aber wie das so ist, wir kamen ins Gespräch, und dann trank sie ihr Bier gleich bei mir am Tresen.

Sie war dann auch richtig froh darüber, weil sie doch gerade erst neu zugezogen ist. Wegen einem Kerl, einem Fernfahrer, mit dem hatte sie schon ewig was, immer wenn er eine Fuhre nach Bochum hatte, kam er bei ihr vorbei. Da dachte sie, sie zieht dahin, wo er wohnt, als Wahrsagerin ist man ja ziemlich flexibel.

Jetzt sieht sie ihn natürlich nie. Der ist ja immer auf Achse. Der war öfter bei ihr in Bochum als hier. Tatsächlich ist der auch jetzt unheimlich viel in Bochum, wahrscheinlich hat er da schon eine Neue, und die Laila sitzt Abend für Abend allein in ihrer Wohnung, in einer fremden Stadt, wo sie niemanden kennt, und heult und heult ihrer Katze was vor. Die Katze ist schwarz und heißt Mephisto, das ist wirklich wahr. Und die Laila heißt eigentlich Karin, aber sie nennt sich Laila. Alle sagen Laila zu ihr, weil das mag sie.

Jetzt kommt sie eigentlich fast jeden Abend zu mir in die Bude. Manchmal kommt sie sogar schon mittags. Sie kennt auch schon fast alle Leute, ich denke, sie wird sich hier einleben.

Wie kann man aber

auch wegen einem Fernfahrer umziehen, mal ehrlich! Manche Frauen sind völlig instinktlos. Gerade die klugen. Doof ist die nämlich nicht, die Laila, ganz und gar nicht. Wir haben uns sogar ein bißchen angefreundet.

Und nachdem das mit den Veggieburgern passierte, da habe ich sie dann besucht und ihr die ganze Geschichte erzählt, ich dachte, vielleicht weiß sie Rat. Na ja, sie meinte, ich müßte zuerst mal herausfinden, was ich wirklich will, und dazu sollte ich ein Traumtagebuch führen.

Ich habe natürlich gesagt: Laila, das ist Quatsch, ich weiß, was ich will. Ich will meine Imbißbude haben und mein Frühstück mit dem Gerd am Sonntagfrüh und meine Freiheit. Ich will einfach so weiterleben wie bisher.

Aber sie sagte, so einfach wäre das nicht. Meiner Seele würde das mit der Imbißbude vielleicht nicht mehr genügen, und deswegen hätte sie jetzt magisch all diese Schwierigkeiten angezogen. Man müßte herausfinden, was meine Seele will. Jeden Morgen sollte ich meine Träume aufschreiben, und so würde sich vielleicht ihre Bedeutung klären, und dann wüßte ich, was ich wirklich will. Schließlich, meine Ehe mit dem Gerd zum Beispiel, die hätte doch gar keine wirkliche Tiefe. Na, und dein Fernfahrer? habe ich gesagt, aber da war sie pikiert.

Gut, also habe ich das

mit dem Traumtagebuch versucht. Schließlich kennt Laila sich aus auf ihrem Gebiet, jedenfalls besser als ich, und ich bin immer bereit, von anderen zu lernen. Aber ich habe dann bald gemerkt, das hatte bei mir gar keinen Sinn.

Ich meine, ich träume sowieso nicht so sehr viel, und wenn, dann immer so albernes Zeug - es ist Weihnachten, ich habe eine Ente im Ofen, alle sitzen schon um den Tisch herum und schlucken und schlucken, und ich kriege die verdammte Röhre nicht auf. Dann ziehen Rauchschwaden durch die Küche, ich muß husten und wache auf und muß fünf Schluck Wasser trinken, um wieder zu Atem zu kommen. Also mal ehrlich, was soll man mit so was anfangen?

Nein, ein Traumtagebuch,

das ist nichts für eine Imbißbudenbesitzerin. Das ist, als würde man Rezepte schreiben, anstatt zu kochen. Und zwar solche komischen Rezepte. Solche, wo man Wörterbücher in drei Sprachen braucht und dann trotzdem die Zutaten nicht kennt. Curried Goat, Shrimp Jambalaya, Sukiyaki, Tandoori Chicken, und wenn man so was dann doch mal nachzukochen versucht, dann kriegt man keinen frischen Koriander, und der Kardamom ist noch von der Weihnachtsbäckerei über und hat kein Aroma, die Tamarindenblätter ersetzt man durch Zitronensaft, den Tandoori-Ofen durch die Backröhre, und am Ende schmeckt alles wie Brathuhn mit Ketchup.

Aber an sich kocht ja auch kein Mensch wirklich nach solchen Rezeptbüchern. Man blättert drin herum und stellt sich die Gerichte nur vor. Der Tommy hätte gesagt, es sind virtuelle Rezepte.

Der Tommy war

Computerfachmann, oder eigentlich ist er das noch, aber jetzt wohnt er ja woanders. Er hat mir das mal erklärt, was das heißt, virtuell. Virtuell, das ist, wenn man im richtigen Leben nicht kochen kann. Zum Beispiel: Wenn du zuviel virtuelles Salz in die Suppe gemacht hast, nimmst du es einfach virtuell wieder raus.

Virtuelles Tandoori Chicken, habe ich zum Tommy gesagt, meinetwegen. Aber kannst du dir eine virtuelle Currywurst vorstellen? Na also!

Da hat er sich unverstanden gefühlt und ist nicht wiedergekommen, und inzwischen, wie gesagt, wohnt er ja auch woanders. Na ja, erst fand ich es natürlich schade. Aber dann habe ich mir gesagt, Yvonne, sieh es so: Profitiert hast du auf jeden Fall von der Beziehung. Und dann trat ja auch der Heini ein zweites Mal in mein Leben, und der hatte zwar von Virtualität nicht viel Ahnung, aber von Virilität eine Menge, und das war dann noch einmal eine ganz tolle Zeit.

Das ist eben das Gute an einer Imbißbude. Man kann sich bei seinen Kunden das raussuchen, was man gebrauchen kann. Ich persönlich, das muß ich sagen, ich habe von meinen Kunden immer sehr profitiert.

Na jedenfalls, um zum

Thema zurückzukommen: Nachdem das mit dem Traumtagebuch nichts Richtiges wurde, habe ich damit angefangen, dies hier aufzuschreiben. Es ist so eine Art Chronik, so nennt man es wohl. Eine Chronik von Gerds Ermordung.

Richie - nämlich der Professor Dr. Richard Weißmüller, der ist ja auch schon lange Kunde bei mir, nur deswegen komme ich überhaupt auf so Wörter wie Virilität und Chronik und noch auf eine Menge andere Sachen - also der Richie jedenfalls, dem ich in so was immer vertraut habe, der hat mal gesagt, es wäre gut, schwierige oder wirklich wichtige Sachen aufzuschreiben, weil man sie dann besser begreift und außerdem auch immer wieder nachlesen kann. Und Gerds Ermordung, das ist für mich eigentlich schon eine ziemlich wichtige Sache.

Und eine schwierige

Sache ist es natürlich auch. Weil sagen läßt sich das leicht, daß man jemanden umbringen würde, aber wenn es dann soweit ist, sieht die Sache ganz anders aus. Da fragt man sich plötzlich, ob man überhaupt der richtige Typ dafür ist. So eine Ermordung, die muß einem gegeben sein, sonst hat es von vornherein keinen Sinn, und ich selber habe vielleicht gar nicht die nötigen Eigenschaften.

Daß der Gerd mich verdroschen hat, hätte ich ihm zum Beispiel glatt noch mal nachgesehen. Ich habe ihn schließlich noch selber ins Krankenhaus gefahren, in der Nacht! Ich habe sogar seine Hand gehalten, als sie ihm die Augenbraue genäht haben. Nicht daß er viel von dem Schmerz gespürt hat. Mein zweiter linker Schwinger hatte ihn ja an der Schläfe getroffen, und da war er natürlich erst mal hinüber.

Er war ja auch überhaupt nicht darauf vorbereitet. Weil das mit den Boxstunden, die der Heini mir gegeben hat, das wußte er natürlich nicht. Er wußte ja überhaupt nichts vom Heini.

Das hätte ihm aber sowieso nichts genützt. Wenn es jetzt um den Heini ginge, da würde der Gerd sich nie trauen, so ein Theater zu machen.

Der Heini, der hatte so

eine Art, meine Gulaschsuppe zu essen - also echt, da konnte mir ganz anders werden, vom bloßen Hinsehen. Der konnte löffeln und löffeln, ohne in den Teller zu gucken, und statt dessen sah er die ganze Zeit über mich an, direkt in die Augen, und immer, wenn er den Löffel hob, konnte man sehen, wie sein Hemd über dem Bizeps fast platzte. Und wie der schwitzte! Das kam von dem Cayennepfeffer. Er tat ja immer unheimlich viel Cayennepfeffer auf alles, eben weil man dann schwitzt, und das ist gut gegen die Schlacken im Körper, hat er gesagt.

Ich habe mir das angehört und gedacht, also vielleicht ist da ja wirklich was dran. Weil Schlacken im Körper, die hat er nicht, der Heini, das muß ich sagen. Und da habe ich es mir eben noch mal überlegt damals, das mit dem Boxen, und dann habe ich mich ein bißchen vom Heini trainieren lassen. Schließlich, man weiß ja nie, wie sich eine Ehe entwickelt.

Das hat meine Mutter

immer gesagt, und die wußte Bescheid übers Leben. Sie war ja bloß in der Fabrik, bei Dengel am Fließband, und manchmal ist sie nebenher auch noch putzen gegangen, weil doch mein Papa eine Staublunge hatte und gar nichts tat. Und klar, sie wußte nicht allzuviel Richtiges, also nicht solche Dinge, wie sie zum Beispiel der Richie weiß oder der Tommy. Aber wenn man auf meine Mutter gehört hat, dann war man im allgemeinen trotzdem ganz gut beraten.

Ich weiß noch, wie ich in irgendeinem Winter nicht mehr in die Schule wollte, weil die Jungen vom Bärenholzweg immer Kieselsteine in die Schneebälle mit reingeknetet hatten, und das tat so weh.

Vertrimm sie, hat meine Mutter gesagt. Du kannst ja einen Stock mitnehmen. Hau sie auf den Kopf.

Nein, habe ich geheult, ich trau mich nicht, und überhaupt, das kann ich nicht!

Da habe ich eine gelangt gekriegt.

Was heißt, du kannst das nicht? hat sie mich angeschrien. Wenn du es nicht kannst, dann lern es gefälligst!

Was sollte ich machen? Ich saß zwischen Hammer und Amboß. Ich habe mir also einen hübschen Stock ausgesucht, und am nächsten Morgen bin ich in die Schule marschiert. Am Abend fehlte mir ein Vorderzahn, und ich bekam einen Heidenärger mit Papa, denn der Bernd aus dem Bärenholzweg, der mußte mit drei Stichen an der Backe genäht werden.

Aber ich habe nie wieder einen Schneeball irgendwohin bekommen. Während meiner ganzen Schulzeit nicht.

Meine Mutter fehlt mir.

So eine Mutter, die fehlt einem das ganze Leben hindurch, wenn man sie nicht mehr hat. Sie hat Krebs gehabt, meine Mama, Brustkrebs, und sie hat sich auch operieren lassen. Aber in die Chemotherapie gegangen ist sie dann nicht mehr. Das wäre nichts für sie, hat sie gesagt, und damit basta. Und dann ist sie eben gestorben.

Sie war stur, meine Mutter. Das habe ich von ihr.

Sie hat ja auch meinen Namen ausgesucht. Mein Vater wollte mich Gertrud nennen wie seine Schwester, die dazu auch schon tot war. Aber das war mit Mama nicht zu machen.

Meine Tochter heißt nicht wie eine Tote! hat sie gesagt.

Was soll denn das bedeuten? hat die Oma Auermüller geschrien. Meinst du, Leute, die Yvonne heißen, die sterben nicht?

Doch! hat Mama gesagt. Aber bis dahin, da heißen sie wenigstens Yvonne!

Sie wollte eben immer gerne etwas Besseres für mich. Bloß mit drei Brüdern, die alle auf der Schule waren, da ging das schlecht. Da hatte sie nicht viele Möglichkeiten, mich bilden zu lassen, nicht gegen meinen Vater, Staublunge hin oder her.

Macht nichts, hat meine Mutter damals zu mir gesagt. Dann mußt du eben von denen was lernen, die auf die Schule gegangen sind. Also, wenn kluge Leute was sagen, dann hältst du von jetzt an den Mund und hörst zu. Aber, Yvonne, hinterher, wenn du was entscheiden mußt, dann hörst du am besten nur auf dich selber.

Daran habe ich mich immer gehalten. Und ich bin gut gefahren damit. Auch wenn die Laila sagt, ich hätte ein falsches Verhältnis zur Realität.

Die Laila sagt nämlich,

ich müßte einfach nur die Schleier der Maya überwinden, dann würde ich erkennen, daß alle meine Sorgen nichts als Illusion sind. Weil auf der Astralebene, sagt sie, da hätten unsere Taten sowieso keine richtige Realität.

Schön und gut, sage ich, aber hinter diesem Schleier, was ist denn da? Das weiß doch kein Mensch. Auf deiner Astralebene, da ist meine Bude womöglich auch Illusion, und was mache ich dann? Schließlich, um meine Bude geht es doch gerade!

Na ja, hat die Laila da gesagt, wenn du es so betrachtest, freilich. Da wäre es dann doch besser, du bringst ihn um.

Aber die hat leicht reden. Die muß es ja nicht machen. Ich meine, von allem anderen mal abgesehen: So ein Mord ist ja auch nicht ungefährlich. Wenn sie einen zum Beispiel erwischen, ist man seine Bude los, so sicher wie auf der Astralebene.

Aber wenn ich gar nichts unternehme, macht der Gerd sie mir kaputt. Das nennt man eine tragische Situation. Das weiß ich vom Richie, daß das eine tragische Situation ist. Wenn alles zum Untergang führt, egal, wofür man sich entscheidet, dann ist das tragisch. Und ein tragischer Held, das ist einer, der kämpfend untergeht.

So redet er, der Richie.

Natürlich nicht über sich selber, das wäre ja auch irgendwie komisch, wo er doch so klein und dick ist. Und nicht so im ganzen dick, sondern vor allem am Bauch. Früher, als wir noch enger miteinander verkehrten, wenn da der Richie mal gucken wollte, ob weiter unten was los war, dann mußte er erst mal seinen Bauch mit beiden Händen reindrücken, sonst sah er gar nichts.

Aber andererseits, schwabbelig ist er nicht, der Bauch vom Richie, sondern schon eher fest. Und wenn man dann hinterher so auf seinem Bauch lag, dann hatte das auch wieder was. Das war, als wenn man sich um die Weltkugel gewickelt hätte, und die trug einen nun sicher durchs Leben, während der Richie redete.

Der konnte reden, der Richie. Gott, was konnte der reden! Dabei mußte er doch sowieso schon den ganzen Tag reden, zu seinen Studenten, aber das machte ihm gar nichts. Hinterher hatte er trotzdem immer noch Lust dazu und redete weiter.

Für mich war das natürlich sehr gut. Es klang immer so schön, wenn der Richie redete, und da lag ich dann auf seinem Bauch und hörte zu und lernte gleich noch ein bißchen, wie man sich ausdrückt.

Das ist manchmal ganz gut, wenn man sich ausdrücken kann, im Beruf und auch privat. Man muß es ja nicht immer verwenden.

Worauf es hinausläuft,

das ist, daß ich den Gerd einfach umbringen muß, ob ich will oder nicht. Ich finde, sogar der Gerd selber müßte das eigentlich einsehen. Schließlich kann ich doch nicht tatenlos dastehen und zuschauen, wie er mir meine Bude kaputtmacht. Oder drinstehen, in der Bude nämlich, und er steht derweil mit seinen Schildern davor.

Ich muß also kämpfen. Das hat der Richie ganz richtig erkannt: Ohne Kämpfen geht es nicht ab, in der Tragik. Bloß, ein richtiger Held darf ich nun auch wieder nicht werden, weil untergehen, das kann ich mir als Imbißbudenbesitzerin einfach nicht leisten. Ich meine, wo würde sich denn zum Beispiel der Richie seinen Döner holen, wenn ich mit meiner Bude untergehen müßte? Und Leute wie der Richie haben schließlich mit meiner ganzen Tragik überhaupt nichts zu tun. Leute wie der Richie, die müssen sich um ihr eigenes Leben kümmern, und dabei verlassen sie sich auf meine Döner.

Jeder ist sich selbst am

wichtigsten, so ist das nun mal. Jeder denkt, er selber ist der Mittelpunkt von allem, was es gibt. Das ist ganz schön verrückt, wenn man es sich so überlegt. Aber dann ist es auch wieder nicht verrückt, sondern eine gesunde Einstellung. Weil wenn im Leben was schiefgeht, dann hat man es ja auch bloß sich selber zuzuschreiben.

Was ich meine, ist das: Normalerweise gibt es an so einer Imbißbude doch immer dieselben Sachen. Currywurst, Bockwurst mit Kartoffelsalat, Schnitzel, Schinkenbrötchen, Pommes rotweiß. So was eben. Was Handfestes, wie die Leute es mögen. Gut, Döner und Hamburger habe ich auch, aber da kommt man ja heutzutage gar nicht drum rum. Und manchmal koche ich auch was extra dazu, wenn’s mich ankommt, Gulaschsuppe oder Serbische Bohnensuppe oder Kraut mit Speck, weil ich halt schon ein bißchen ambitioniert bin und auch weiß, wonach meine Gäste sich sehnen, und vielleicht gibt es auch mal Salat mit Ziegenkäse und Oliven, wenn ich da einen Abnehmer habe und billig was kriege. An all das ist der Gerd auch gewöhnt, der weiß ja genau, ich koche aus Passion.

Bloß: Veggieburger! Da hat er natürlich Lunte gerochen, und das hätte ich wissen müssen. Blöd ist er nun mal nicht, der Gerd. Aber blöd oder nicht: Das mit den Schildern, das geht zu weit.

Obwohl ich nicht sicher

bin, daß er da ganz allein dahintersteckt. Eins habe ich nämlich auch schon gelernt: Bei der Tragik, da kommt meistens eines zum anderen. Hier passiert das, und dort passiert jenes, und alles für sich genommen ist völlig unwichtig. Aber am Ende verhakt es sich plötzlich, das ganze Unwichtige, und dann sitzt man fest.

Die eine Sache, das waren, wie gesagt, die Veggieburger.

Und die andere, das war wahrscheinlich der Schmidt.

Der Schmidt hat einen

Haß auf die Frauen, seit ihn die Biggi mit den drei Töchtern letztes Jahr verlassen hat. Oder vielleicht hatte er den Haß sowieso immer schon, und die Biggi hat ihn genau deswegen verlassen, aber das ist eigentlich auch egal. Jedenfalls stand er ewig bei mir am Tresen und hat geheult. Daß er so einsam ist, daß er der letzte Arsch ist, die Frau weg, und die Kinder, und der Scheißrichter hat ihm nicht das Sorgerecht gegeben, und er zahlt und zahlt und hat nicht mal was von seinen Töchtern - aber ehrlich, was er damit meint, weiß kein Mensch. Er hat sich ja nie um die drei gekümmert, als sie noch da waren, noch nicht mal um die Biggi, deswegen ist sie ja dann auch weggegangen. Die Woche über war er sowieso nie zu Hause, und dann sonntags hockte sie mit den Kindern bei ihrer verwitweten Mutter im Schrebergarten, während er vor dem Fernseher rumlag, bis Montag war. Ich meine, ist das etwa ein Leben für eine Frau, im zwanzigsten Jahrhundert?

Was willst du, Schmidt, habe ich zu ihm gesagt, was jammerst du mir die Ohren voll, bist beim sechsten Bier und beschwerst dich über die Finanzlage, ich gebe dir einen Rat: Trink nicht soviel, laß den Spielautomaten in Ruhe und koch dir abends mal selber was zu essen. Für den Preis von zwei Hamburgern mit Pommes rotweiß kannst du dir daheim einen Eintopf mit Suppenfleisch machen, der reicht glatt drei Tage, und dann könntest du auch mal dem Gerd die Auspuffreparatur bezahlen. Und sag mal, was würdest du eigentlich machen, wenn die Biggi dir die drei Gänse plötzlich vorbeibringen würde? Drei, sechs und zehn Jahre alt, was würdest du denn mit denen anfangen? Also! Hör auf zu heulen und mach dich nicht lächerlich, an meinem Tresen! So was nehmen die Männer übel.

Deswegen, als mir klarwurde, daß mich einer beim Gerd angeschwärzt haben mußte, da habe ich an den Schmidt gedacht.

Natürlich nicht gleich.

Ich brauchte schon so zwei Tage, bis ich alles verdaut hatte. Die Laila, die war ja dann für Hypnose, weil das verschüttete Erinnerungen wieder nach oben bringen hilft, und ich war auch dazu bereit, aber erst wollte ich noch den Hackbraten in die Röhre bringen.

Ja, und dann war die Hypnose gar nicht mehr nötig, weil über dem Hackbraten, da heulte ich Rotz und Wasser. Schließlich, ein Kilo Zwiebeln ist eine Menge Zeug, und da ist es kein Wunder, daß all meine inneren Dämme brachen und die verschütteten Erinnerungen in Scharen nach oben kamen. Und auf einmal war alles wieder da, und ich hatte Klarheit: Es mußte natürlich der Schmidt gewesen sein. Auf Zwiebeln habe ich schon immer hochsensibel reagiert.

Danach war natürlich

alles viel verständlicher. Ich meine, mal ehrlich: Die Veggieburger allein hätten dem Gerd doch noch gar nichts genützt. Der Gerd, der hatte doch bestimmt schon öfter mal einen Verdacht, schließlich hat man in so einer Imbißbude einen enormen Kundenverkehr, aber deswegen ist er noch nie mitten in der Nacht wie ein schnaubender Stier in meine Bude gerannt gekommen.

Ich hatte schon zugesperrt. Es war ziemlich spät und keiner mehr da, und da kam der Gerd und tanzte da draußen vor den Fenstern herum, daß ich dachte, die Nachbarn würden die Polizei rufen. Also habe ich ihn reingelassen.

Und da hat er dann gestanden und gebrüllt. Daß er Erkundigungen eingezogen hätte und daß er jetzt Bescheid wüßte über alles und daß er es dem zeigen würde, diesem mageren Gemüsefresser, dem irischen Kanaken, dem rotgefärbten, und so ging es immer weiter und weiter, er war wirklich völlig außer Rand und Band.

Na ja, gezeigt hat der Gerd es eigentlich noch keinem, weil da hat er letztlich doch jedesmal seine Bedenken gehabt. Und er tobte ja bloß in der Bude und war weg von der Straße, also ließ ich ihn brüllen und fuchteln und sann derweil darüber nach, wer ihm das mit Paddy und mir gesteckt haben könnte.

Den Gerd hat es dann wohl noch extra geärgert, daß ich die ganze Zeit über so ruhig blieb. Dabei hatte ich das gar nicht mit Absicht gemacht! Aber trotzdem ist er dann tätlich geworden, der Gerd, und also mußten wir in die Notaufnahme, damit er genäht werden konnte, und mein Gedankenfluß, der war unterbrochen. Aber soviel war mir klar: Es gab jemanden auf der Welt, der wollte mir Böses. Nur wer?

Sobald man was

begriffen hat, wundert man sich meistens, daß man so lange dafür gebraucht hat. Denn die Sache ist doch die: Wenn der Schmidt abends seine Kumpels sehen will, muß er sich zu Yvonne reinbequemen, ob er will oder nicht. Das stinkt ihm natürlich enorm. Und also würde der Schmidt sich freuen, wenn ich meine Bude dichtmachen müßte. Er hat ja sogar schon einmal versucht, die anderen von mir wegzulotsen. Das weiß ich vom Guggi, und der hat mir hinterher auch erzählt, was an dem Abend passiert ist.

Der Schmidt, der hatte nämlich Geburtstag. Also hat er gesagt, zur Feier des Tages könnten sie doch alle mal wieder in eine richtige Kneipe gehen, nicht immer nur in meine Imbißbude. Na ja, zuerst zogen die anderen wohl nicht so richtig, und der Werner hat gemeint, wenn schon, dann fände er selber die falschen Kneipen besser, aber der redet öfter so komisch, deswegen gibt da keiner was drauf. Und der Schmidt hat dann noch versprochen, er gibt einen aus. Also sind sie zusammen los.

Zuerst war es wohl auch ganz nett, in der Kneipe. Aber dann kamen welche und machten Musik, und das war allen zu laut. Der Haberer, der hatte Hunger, und also sind sie in die Schwane gegangen, zum Essen. Das war an sich keine schlechte Idee, bloß hatten sie vergessen, daß da der Pächter gewechselt hat. In der Schwane, da sieht es jetzt überhaupt nicht mehr aus wie früher. Sie haben alles in Altrosa gestrichen, sagt der Guggi, und die Stühle haben Blumenmuster wie bei seiner Großmutter das Sofa, und auf den Tischen stehen so grünliche Öllämpchen, die stinken nach Parfüm. Man hätte sich gar nicht getraut, richtig lustig zu sein, hat der Guggi gesagt. Und das Essen war auch nichts Genaues. Alles war wahnsinnig teuer, sogar das Bier, und es gab noch nicht mal eine anständige Speisekarte, sondern bloß handgeschriebene Zettel. Und das meiste da drauf konnte man nicht richtig lesen, weil es französisch war oder italienisch.

Das wundert einen schon, wo doch der Pächter selber Kahlhuber heißt. Klar, Namen können trügen. Ich selber kannte mal einen Ami, der hieß Steinhäger, bloß hat er normal die Punkte über dem a weggelassen. Aber dann könnten dem Kahlhuber wenigstens seine Bedienungen sagen, daß es »Lammfilet mit Gemüse variation« heißt und nicht »Lammfilet an Gemüsevariation«, da hat der Guggi schon recht, weil so ist es doch peinlich. Und die Mädels verdienen bestimmt nicht schlecht, da wäre das eigentlich das mindeste.

Jedenfalls hat es ihnen nicht gefallen in der Schwane, und also sind sie da wieder raus und in die Bahnhofskneipe rein. Aber der Haberer, der hatte noch immer nichts gegessen, und er war wohl schon ein bißchen hinüber von dem ganzen Bier, das der Schmidt bezahlen mußte, und da hat er natürlich mit einem Krach gekriegt. Der Kerl hat ihm eins aufs Auge gegeben, und deswegen ist ihm der Haberer dann in sein Auto gefahren, zur Strafe. Genau dabei hat er sich ja auch seinen Kotflügel demoliert.

Danach war die Stimmung dann nicht mehr so gut. Weil der Guggi, der mag Schlägereien nicht so, und den Schmidt mag er auch nicht besonders, also hat der Guggi den Schmidt beschimpft und den Haberer auch, und der Haberer hat den Guggi beschimpft und den Schmidt, und der Schmidt hat zurückgeschimpft, und dann sind sie nach Hause gegangen. Und am nächsten Abend waren sie wieder alle bei mir.

Auch der Schmidt, natürlich. Der Schmidt, wenn der nicht vereinsamen will, dann muß der schon weiterhin in meine Bude kommen. Da kann er gar nichts machen.

In einer Imbißbude geht

es einfach legerer zu als in einer richtigen Kneipe. Ich meine, es mag sich halt nicht jeder gleich auf richtige Stühle setzen, bloß weil er mal ein Bier trinken will. Und bei mir, da steht man so beieinander und kann die Jacke anbehalten, und keiner achtet groß auf die Tischmanieren oder ob einer mal rülpst. Wenn man nicht reden will, ist da der Spielautomat. Und preiswert ist es auch noch, die Leute haben ja heute kein Geld mehr. Die haben Angst vor der Zukunft.

Ich persönlich nicht so. Weil Imbißbuden, die sind eine Zukunftsbranche. Die wird es immer geben, die Imbißbuden, gerade wenn die Leute für so was wie die Schwane kein Geld mehr haben. Und deswegen habe ich auch immer gelassen und optimistisch nach vorne geblickt. Jedenfalls bis der Gerd kam mit seinen verdammten Schildern.

Denn das ist ja der Kern des Skandals. Sich vor meine Imbißbude hinstellen mit einem Schild, wo draufsteht:

Die wunderbare Imbissbude

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