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Die Unterhaltung in der Gebärdensprache ist für mich eine reine Entspannung. Ich kann mich zurücklehnen und die Schönheit der sprechenden Hände beobachten

Zitat aus einer Fallbeschreibung (Leonhardt 2010:144)

5. GEBÄRDEN UND GEBÄRDENSPRACHE

Wäre es nicht schön, wenn Verständigung kulturübergreifend „einfach von der Hand“ ginge? Wenn es eine universelle Gebärdensprache gäbe, die weltweit unterrichtet und damit von allen Menschen erlernt würde? Das ist leider nicht der Fall.

Während jeder Mensch gestikuliert und zum größten Teil unbewusst die verbale Kommunikation durch Körpersprache ergänzt, kommentiert oder verstärkt, muss die Gebärdensprache erlernt werden. Sie ist eine eigene Sprache, sie sich anzueignen ist ebenso mühsam wie das Erlernen einer Fremdsprache (Leonhardt 2010: 140). In der Gebärdensprache können wie in jeder gesprochenen Sprache komplexe Zusammenhänge ausgedrückt werden und alle Gebärdensprachen haben ihre eigene linguistische Struktur (Boyes Bream 1995: 14).

Weiter wird die Verständigung dadurch erschwert, dass über hundert verschiedene Gebärdensprachen existieren. Dabei sind Dialekte nicht mit berücksichtigt, von denen es allein in der Schweiz schon mehrere gibt (Boyes Braem / Haug / Shores 2012). So unterscheiden sich die Dialekte der deutsch-schweizer Gebärdensprache in den fünf Kantonen, in denen sie an Gehörlosenschulen unterrichtet werden, und der jeweilige Spracherwerbsort der Gebärdenden kann am Dialekt regional zugeordnet werden.

Gebärdensprachen unterscheiden sich durch unterschiedliche Zeichen, Zeichenbildungs- und Satzbauregeln. Benutzer verschiedener Sprachen können sich untereinander nicht verständigen, selbst wenn die gleiche Lautsprache gesprochen wird, wie es zum Beispiel bei der britischen (British Sign Language, BSL) und der amerikanischen Gebärdensprache (American Sign Language, ASL) der Fall ist (Crystal 1995: 220). Selbst das Buchstabieren hilft nicht weiter, denn auch das Fingeralphabet unterscheidet sich. Das englische Fingeralphabet wird mit beiden Händen ausgeführt, während das amerikanische nur eine Hand benutzt. So entspricht der Buchstabe „T“ im amerikanischen Fingeralphabet der Geste „Feigenhand“ (Geste 4), im englischen Fingeralphabet wird das Zeichen für „T“ ausgeführt, indem mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf den unteren Rand der geöffneten Handfläche der linken Hand gedeutet wird. Im schwedischen Fingeralphabet, das auch mit nur einer Hand auskommt, werden Zeigefinger und Daumen aus der zur Faust geschlossenen Hand gestreckt, was in Deutschland als Zählgeste für „zwei“ gedeutet werden kann.

Gebärdensprachen sind also ebenso komplex wie gesprochene Sprachen. „Eine flüssige Konversation in der Gebärdensprache hat eine Geschwindigkeit – ein bis zwei Zeichen pro Sekunde –, die mit der gesprochenen Sprache vergleichbar ist. Die Bildung eines Gebärdenzeichens nimmt zwar mehr Zeit in Anspruch als das Aussprechen eines Wortes, aber zahlreiche Zeichen drücken eine bestimmte Bedeutung erheblich prägnanter aus als ihre lautsprachliche Entsprechung“ (Crystal 1995: 222).

Jede Gebärdensprache verfügt über eine große Anzahl von Zeichen, die amerikanische beispielsweise umfasst etwa 4000. Nur ein kleiner Teil von ist ihnen ist so bildhaft, dass er ohne weiteres Wissen verstanden wird. Die in einer Auf-und-ab- Bewegung zur Faust geballten Hände stehen beispielsweise in der Deutschen Gebärdensprache für den Begriff Wut. Der die Vokabel begleitende Gesichtsausdruck erleichtert die Übersetzung. Das Handzeichen für die Farbe Gelb ist dagegen nicht ohne Kenntnis zu deuten, hier hilft auch Mimik nicht weiter. In der amerikanischen Gebärdensprache entspricht die Farbbezeichnung der Grußgeste „Aloha“ (Geste 7).

Crystal (1995: 220) vermutet, dass ursprünglich viele Handzeichen der Gebärdensprache ikonisch, also bildhaft waren, die Bildhaftigkeit der meisten Zeichen aber durch den Sprachwandel verloren ging.

Die Ausdrucksmittel der Gebärdensprache bedienen sich nicht nur der Hände und Arme. Gesichtsausdruck, der Blick und die Blickrichtung, das Bild, das der Mund formt, die Kopfhaltung und die Körperhaltung vermitteln Gefühle und Ansichten der Gebärdenden und sind für die Grammatik der jeweiligen Gebärdensprache von zentraler Bedeutung (Leonhardt 2010: 141). Eine Frage kann von einer Aussage durch das Hochziehen der Augenbrauen oder das Anheben des Kinns unterschieden werden. Die Wiederholung einer Verbgebärde in unterschiedlichen Geschwindigkeiten kann Kontinuität, Wiederholung oder die Betonung eines Aspektes bedeuten und wird durch die begleitende Mimik differenziert. Pausen zwischen Gebärden und Gebärdenfolgen markieren „Satzzeichen“, auch hier erschließt sich durch den Gesichtsausdruck und die Körperhaltung, ob es sich um ein „Komma“, ein „Ausrufungszeichen“ oder einen „Punkt“ handelt.

Von großer Bedeutung für die Verständigung ist die Nutzung des Gebärdenraums. Der Gebärdenraum reicht von der rechten bis zur linken Seite der gestreckten Arme und vom Scheitel bis etwas unterhalb der Taille. Über dem Kopf oder unterhalb der Gürtellinie werden nur sehr wenige Zeichen ausgeführt (Cystal 1995: 222). Je nachdem wohin jeweils Zeichen in den Gebärdenraum gesetzt werden, drücken sie unterschiedliche Satzelemente oder semantische Funktionen aus. So werden Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit dadurch erkannt, dass Gebärden eher vorne oder eher hinten im Gebärdenraum platziert werden. Wird sich über verschiedene Personen unterhalten, so sind diesen unterschiedliche Bereiche im Gebärdenraum zugeordnet. Der Gebärdenraum wird verkleinert oder vergrößert, je nachdem, ob es eher um „leisere“, zurückhaltende Mitteilungen geht oder um „lautere“, stark emotionale und nachdrückliche Botschaften.

Bereits 1817 wurde in Hartford, USA, die erste Gehörlosenschule gegründet. Die komplexe Struktur der Gebärdensprache wird aber erst seit knapp sechzig Jahren systematisch erforscht. William Stokoe verfasste mit „Sign Language Structure“ 1960 eine der ersten wissenschaftlichen Abhandlungen und stellte fest, dass die Gebärdensprache alle linguistischen Kriterien einer Sprache erfüllt. Stokoe untersuchte Gebärdenzeichen danach, wo sie im Gebärdenraum ausgeführt werden, wie die Hand geformt wird, um eine Gebärde auszuführen, und welche Bedeutung dem Bewegungsfluss der aktiven Hand zukommt. Er schlug vor, die Untersuchung der kleinsten Bedeutung unterscheidenden Elemente, der „Chereme“, Cheremologie zu nennen und nicht von Phonologie zu sprechen. Der Vorschlag ist naheliegend, da sich der Begriff Phonologie aus dem griechischen Wort für „Laut“ oder „Stimme“ ableitet, während Stokoe Cheremologie aus dem griechischen Wort für „Hand“ ableitete. Sein Vorschlag setzte sich nicht durch. In Deutschland ist nach wie vor von „Phonologie“ die Rede.

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