Читать книгу Die Angelsächsin - Sabine Keller - Страница 5

Kapitel 2

Оглавление

Die beiden Ritter mussten jetzt die Reise nach England vorbereiten, und während sie das Arbeitszimmer des Königs verließen, überlegten sie in Gedanken schon ihr Vorgehen. Der Auftrag ihres Königs kam ihnen ganz gelegen. Sie waren jetzt seit mehreren Jahren im Dienst des Königs und hatten nicht oft Gelegenheit, ihr Heimatland und ihre Familien zu sehen. Der letzte Besuch zu Hause lag bei beiden schon zwei Jahre zurück, und sie freuten sich über die unverhoffte Möglichkeit zu einem Wiedersehen.

In der Halle wurden sie aufgehalten. Ihre Vorladung zum König hatte sich bereits herumgesprochen und gleich der erste Höfling, dem sie begegneten, versuchte neugierig die beiden jungen Männer auszufragen. Der König tat schließlich nichts ohne Grund und den mussten die Edelleute natürlich sofort erfahren. Gab es Probleme in der Gegend, aus der die Ritter stammten? Oder hatten sie gar etwas ausgefressen und mussten dem König deshalb Rede und Antwort stehen?

Die Ritter hielten den Mund. Es war nicht ihre Aufgabe, die Angelegenheiten des Königs in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Falls Henry es für nötig hielte, würde er seinen Hofstaat schon bei Zeiten selbst informieren. Sie gaben dem Mann eine höfliche, aber nichtssagende Antwort und setzten ihren Weg fort.

„Wir brauchen also morgen unsere Pferde. Gehst du zum Stall und gibst dem Marschall Bescheid?“, fragte Duncan seinen Freund. „Dann statte ich inzwischen der Küche einen Besuch ab und ordere Proviant für die Reise.“

Sie trennten sich und Robert strebte zu den großen, offenen Ställen, die sich hinter der inneren Mauer in den umfriedeten Außenanlagen befanden. Er betrat eines der langgestreckten, niedrigen Gebäude und atmete tief ein, er mochte den Geruch nach Pferden und frischem Heu. An der Wand auf der linken Seite standen die Pferde des Hofstaates in einer langen Reihe nebeneinander, durch hüfthohe Balken voneinander getrennt. Roberts großer Brauner hatte seinen Platz am Ende der Reihe. Leise sprach er sein Pferd an und trat zu ihm in den Stand. Der Braune stellte die Ohren auf, wandte ihm neugierig den Kopf zu und schnaubte ihn freundlich an. Robert klopfte seinem Hengst den Hals und musterte ihn eingehend. Er war gut gepflegt und stand gut im Futter, ein längerer Ritt würde ihm nur gut tun. Zufrieden verließ Robert den Stand und sah auch noch kurz nach Duncans Rappen, dann suchte er den Marschall in seiner Dienststube auf.

„Sir Duncan und ich brauchen morgen bei Sonnenaufgang unsere Reitpferde. Die Packtiere nicht. Sorgt bitte dafür, dass sie heute noch einmal gut gefüttert werden und morgen bereitstehen.“

Der Mann nickte. „Wie Ihr wünscht, ich werde mich darum kümmern.“

Für die eigentliche Stallarbeit hatte der Marschall seine Leute, seine Aufgabe war mehr die Verwaltung, deshalb rief er laut nach einem Stallburschen und gab die Anweisungen weiter, während Robert sich auf den Rückweg machte. In der Unterkunft traf er wieder auf Duncan, der gerade sein Gepäck vorbereitete.

„Wir können den Proviant im Morgengrauen abholen“, berichtete Duncan. „Aber beeile dich jetzt, es ist bald Zeit für das Nachtmahl.“

Robert nahm seine ledernen Satteltaschen aus einer großen Eichentruhe und warf sie auf sein Lager, dann suchte auch er seine Kleidung zusammen und packte sie in die Taschen. Sie waren es gewohnt, mit leichtem Gepäck und ohne Packpferde zu reisen. Für den Ritt legten sie noch ihre Kettenhemden und die Waffenröcke mit dem Wappen des Königs, ein aufgerichteter goldener Löwe auf rotem Grund, bereit, dann verließen sie zusammen die Unterkunft. Das Ganze hatte nicht viel Zeit in Anspruch genommen, sie würden rechtzeitig in der Halle sein. Auf dem Weg dorthin suchten sie jedoch zuerst noch den Zahlmeister auf, der ihnen einen Beutel Münzen für die Reise mitgab.

Schließlich betraten sie die geräumige Halle der Festung, den Ort, an dem alle gesellschaftlichen Zusammenkünfte stattfanden. Hier trafen sich die Mitglieder des Hofes auch zum abendlichen Mahl. In dem tagsüber freien Saal hatten Bedienstete große Eichentafeln auf kreuzweise zusammengefügten Holzgestellen aufgebaut, die während des Essens als Tische dienten und anschließend schnell wieder abgebaut werden konnten. Auf diese Art konnte die Größe der Tafel je nach Anzahl der Anwesenden leicht angepasst werden. Als Sitze dienten Schemel, die an den Wänden der Halle aufgereiht waren und von den Dienern an die Tafel gezogen wurden.

Wie in den meisten Burgen war auch hier an einer der kurzen Seiten, direkt vor dem einzigen Kamin in diesem Raum, der Fußboden etwas erhöht. Dieses Podest war der Familie des Hausherrn, in diesem Fall dem König, und seinen vornehmsten Gästen und Hofmitgliedern vorbehalten. Warum sich die Empore gerade hier befand, hatte seinen Grund, denn der sehr geräumige und zugige Saal war im Winter entsprechend kalt und nur in unmittelbarer Nähe des großen Kamins konnte sich eine gewisse Wärme halten. Am entgegengesetzten Ende der Tafel herrschte oft genug eine lausige Kälte, die die Finger beim Essen klamm werden ließ und den rangniederen Anwesenden vorbehalten war.

Der Hofstaat wartete schon fast vollzählig auf das Erscheinen des Königs, als die Ritter eintraten. Die hölzernen Fensterläden waren schon geschlossen und sperrten das letzte Tageslicht aus. Stattdessen sorgten von der holzgetäfelten Decke herabhängende schmiedeeiserne Kronleuchter für die nötige Helligkeit, zusammen mit Kerzenleuchtern auf der Tafel. Das flackernde Licht spiegelte sich auf verschiedenen altmodischen Waffen, mit denen die Wände zwischen den Fenstern dekoriert waren. Lose Gruppen standen plaudernd um die Tafel herum und einige Damen hatten sich, in Gespräche vertieft, auf den steinernen, mit Kissen belegten Bänken in den Fensternischen niedergelassen. Dort waren sie ungestört und konnten doch die Vorgänge im Saal gut im Auge behalten.

Heute hatte sich, neben einigen Gästen aus Italien, ein wandernder Minnesänger eingefunden, der den Hofstaat an diesem Abend mit seinen Balladen unterhalten wollte. Solche Zerstreuung war leider eher selten und fand nur statt, wenn sich zufällig ein umherziehender Sänger, Harfenspieler oder Jongleur in der Gegend befand. Aber dafür waren solche Auftritte bei den Zuhörern natürlich umso beliebter und so warteten die Anwesenden auch an diesem Abend gespannt auf die Darbietungen des Minnesängers. Sie boten eine willkommene Abwechslung zu den üblichen Diskussionen über alles und jedes, was gerade aktuell war, von Politik und internationalen Beziehungen bis zum neuesten Klatsch und Tratsch.

Inzwischen hatte sich auch König Henry in Begleitung der italienischen Gäste eingefunden, und als nun Diener große Platten mit Essen auftrugen, begaben sich alle an die Tafel und nahmen Platz, wobei eine strenge Rangordnung eingehalten wurde. Duncan und Robert, beide von höherer adeliger Herkunft, hatten ihren Platz an der oberen Hälfte der Tafel, zwischen anderen Angehörigen der höheren Gesellschaft. Der niedrige Landadel und besitzlose Ritter mussten mit dem unteren Ende der Tafel vorlieb nehmen.

Das allabendliche Treffen war immer wieder ein kleines gesellschaftliches Ereignis. Es war üblich, sich für diese Gelegenheit glanzvoll zurechtzumachen und die Damen und Herren des Hofes übertrafen sich gegenseitig mit ihren edlen Gewändern und Frisuren nach der neuesten Mode. Die illustre Gesellschaft bildete zwar nach außen hin einen zusammengehörenden Hofstaat, aber nur in der gerade vorherrschenden Mode war man sich halbwegs einig. Ansonsten gingen die einzelnen Meinungen weit auseinander und beim Mahl diskutierte man die unterschiedlichsten Ansichten aus, hier wurden harmlose Gerüchte verbreitet oder auch bösartige Intrigen geschmiedet.

Robert und Duncan waren schnell in Gespräche verwickelt. Sie waren geübt im höfischen Small Talk, der ebenso zur Etikette gehörte wie die Teilnahme an Gesellschaftstänzen. Bei den Ladys galten die beiden als begehrte Gesprächspartner, denn sie waren unverheiratet und außerdem Mitglieder der aristokratischen Gesellschaft und somit keine schlechte Partie. Allerdings blieb die heimliche Hoffnung der einen oder anderen Hofdame auf eine feste Verbindung mit einem der Ritter bisher erfolglos, da keiner der beiden dem seichten Geplauder und gezierten Gehabe der Edelfrauen viel abgewinnen konnte. Sicher, einige der Frauen waren ihnen sympathisch, aber das war auch alles.

„Sir Duncan, habt Ihr schon gehört: Die Zofe der Gräfin Beaumont hat sich doch tatsächlich erdreistet ...“

Duncan hörte seiner Tischnachbarin nur mit einem Ohr zu und warf seinem Freund, der in ähnlich lebenswichtige Erörterungen vertieft war, über deren Kopf hinweg einen gequälten Blick zu. Die Geschichte kannte er längst, in mehreren verschiedenen Varianten. In diesem Augenblick konnte er es kaum abwarten, den Hof für eine Weile zu verlassen. So plötzlich der Auftrag des Königs in die Routine des Ritterlebens geplatzt war, so willkommen war die Abwechslung auch.

„Meint Ihr nicht auch, Sir Duncan?“ Die Hofdame wartete auf seine Reaktion. Seufzend fügte er sich in sein Schicksal und schenkte seiner sehr schönen, aber leider auch ein wenig hohlköpfigen Gesprächspartnerin ein charmantes Lächeln.

„Ungeheuerlich, in der Tat.“

Da endlich begann der Minnesänger seinen Auftritt und erlöste den jungen Ritter. Der herumreisende Künstler kannte viele amüsante Balladen und berichtete über den heldenhaften Kampf gegen Feuer speiende Drachen und die neuesten Taten mutiger Kämpfer irgendwo im Königreich. Jeder wusste, dass die Lobgesänge maßlos übertrieben waren und Drachen gab es nicht mehr, seit irgendein tapferer Held vor einigen Jahren den letzten der grausigen Bestien erlegt hatte. Mit Ausnahme des Ungeheuers aus dem schottischen Loch Ness, das immer wieder von sich reden machte und hartnäckig allen Tötungsversuchen entging. Aber die Übertreibungen störten niemanden. Der Sänger war wirklich gut und wusste sein Publikum zu begeistern und so wurde es ein langer Abend, bis sich die beiden Ritter endlich auf ihre Lager warfen. Immerhin waren ihnen durch die Ablenkung des Minnesängers viele sonst unvermeidliche Fragen über ihr Gespräch mit dem König erspart geblieben.

Am nächsten Morgen wurden Duncan und Robert beim ersten Tageslicht von ihren Knappen geweckt und wuschen sich fröstelnd mit dem eiskalten Wasser aus den bronzenen Waschschüsseln, die die Knappen bereitgestellt hatten. Nachdem sie sich angezogen hatte, ließen sie sich von ihren Knappen beim Überziehen der widerspenstigen Kettenhemden helfen. Darüber kamen noch der Waffenrock mit dem Wappen des Königs und der lederne Gürtel mit dem Dolch und dem langen, doppelschneidigen Schwert.

Bereit zum Aufbruch schickten sie dann ihre Knappen mit dem Gepäck, zusammengerollten Decken und ihren Schilden zu den Pferden. Sie selbst nahmen ihre grauwollenen Umhänge, suchten die Küche auf und ließen sich dort ein letztes, kräftiges Frühstück geben. Um diese Zeit waren der Burghof und die Küche noch leer, außer den Küchenmägden begegneten sie nur einigen Bediensteten, die mit verschlafenen Gesichtern schon ihren Pflichten nachgingen.

Gestärkt gingen auch die Ritter schließlich zu den Ställen, nachdem sie sich vorher noch einen Beutel mit Proviant und Wasserflaschen besorgt hatten. Ihre Knappen hielten die Pferde schon bereit, das Gepäck hinter dem Sattel angeschnallt. Die massiven Schilde waren mit ihren dicken Lederüberzügen, Eisenbeschlägen und dem eisernen Buckel in der Mitte auf die Dauer zu schwer und die Ritter konnten sie während des Rittes nicht ständig tragen. Sie hingen griffbereit vorne an der linken Schulter der Pferde, wo sie im Notfall schnell bei der Hand waren.

Die Ritter hängten Proviantbeutel und Wasserflaschen ebenfalls an die Sättel und saßen auf. Nach letzten Anweisungen an ihre Knappen, die während ihrer Abwesenheit ihre zurückgebliebenen Ersatzpferde, Rüstungen und Waffen pflegen sollten und zum Waffendienst anderen Rittern zugeteilt waren, ritten die Männer zum Torhaus.

Wachsam traten zwei Torwächter aus ihrer Kammer, sobald sie den Hufschlag der Reiter hörten und fragten nach ihren Namen und der Passiererlaubnis des Königs, ohne die nach neuesten Anweisungen niemand mehr die Burg verlassen durfte. Das war eine der Maßnahmen des Königs, den Prinzen und dessen Anhänger unter seiner Aufsicht zu halten. Die Ritter reichten einem der Männer das verlangte Papier, welches der Wächter sorgsam las, bevor er seinem Partner einen Wink gab, das Tor zu öffnen. Er selbst begab sich zurück in die Wachkammer, wo sich der Hubmechanismus für das Fallgitter befand. Die Zugbrücke war nicht hochgezogen worden, da Frieden herrschte und keine unmittelbare Gefahr eines Angriffes von außen bestand.

Der Mann am Tor musste alle Kraft aufwenden, um den stabilen Sicherungsbalken aus der Halterung zu heben und das mächtige, eisenbeschlagene Portal in seinen quietschenden Angeln aufzudrücken. Gleichzeitig hob sich schon das mächtige eiserne Fallgitter vor der Zugbrücke, dann war der Weg für die Ritter frei. Nach einem kurzen Gruß trabten sie hinaus in den bitterkalten Morgen, begleitet von den laut dröhnenden Hufschlägen ihrer Pferde auf der hölzernen Zugbrücke, als sie den gut gefüllten Burggraben überquerten.

In den letzten Tagen hatte es viel geregnet und der Niederschlag hatte sich nicht nur im Wassergraben gesammelt. Ebenso nass waren die Pfade, auf denen die Pferde der Ritter durch Matsch und Pfützen in Richtung Norden stapften. Jagende graue Wolken am Himmel drohten weiteren Regen an und ein kräftiger Wind blies die frostigen, weißen Atemwolken von Pferden und Reitern auseinander. Fröstelnd zogen die Ritter ihre wehenden Umhänge enger um sich und trabten gemächlich durch die noch winterlich kahle Landschaft. Es war ein Ritt von mehreren Tagen bis zum Hafen von Barfleur und es machte daher wenig Sinn die Pferde abzuhetzen, sie würden ihre Kräfte noch brauchen.

Gegen Mittag passierten sie die am Fluss Vienne gelegene Stadt Limoges und hielten sich von dort aus an den Lauf des Flusses, bis sie am nächsten Tag die Stadt Chinon erreichten. Jetzt ging es leichter voran, da sie hier auf eine befestigte Straße trafen, die vor langer Zeit von den Römern angelegt wurde. Heerscharen römischer Sklaven und Kriegsgefangener hatten auf viel benutzten Strecken feste Wege angelegt, um Soldatentruppen den zeitraubenden Marsch querfeldein durch Sümpfe und dicht bewaldete Hügel zu erleichtern. Mit kleinen Steinen und Kies waren breite Deiche aufgeschüttet worden, je nach Untergrund von seitlichen Gräben begleitet, die die Straße trocken halten sollten. Besonders wichtige Verbindungsstraßen waren sogar mit flachen Steinplatten gepflastert worden, die mühsam von weit entfernten Steinbrüchen herangeschafft werden mussten. Steinerne Brücken überspannten die Flüsse und tieferen Bäche.

Die Ritter waren oft auf solchen Straßen geritten, die in meist gerader Linie das ganze ehemalige Römische Reich durchzogen. Und doch überkam sie wieder ein Gefühl der Hochachtung vor dieser Meisterleistung, als sie jetzt auf den Römerweg einbogen. Selbst heute, Jahrhunderte nach ihrer Fertigstellung, waren die Wege und Brücken meist noch voll intakt und vielerorts sogar noch immer die einzigen befestigten Überlandverbindungen. Dementsprechend gerne nutzten Händler und Reisende diese Straßen, selbst wenn sie dafür einen Umweg in Kauf nehmen mussten.

Bei klirrender Kälte kreuzten die Reiter später die Loire, aber wenigstens war der Regen inzwischen abgezogen. Von strahlender Sonne begleitet, blieben sie die nächsten Tage auf der Römerstraße, die bis hoch zur Küste der Normandie verlief. In Caen mussten sie letztendlich abbiegen und ritten westlich die Küste entlang und dann die Landzunge von Cotentin hinauf.

Hier am Meer wehte ein sanfter Westwind, der mittags, wenige Stunden bevor die Ritter den Hafen von Barfleur erreichten, plötzlich drehte und auffrischte. Bald danach zogen am Horizont die schwarzen Wolkengebirge eines Unwetters auf. Während der Wind immer stärker wurde und erste Blitze in der Ferne zuckten, trieben die Ritter ihre Pferde an. Die Hafenstadt war inzwischen schon in Sichtweite und sie wollten möglichst noch einen Gasthof erreichen, bevor der Sturm losbrach. Sie schafften es knapp, gerade als sie das Stadttor durchritten, fielen die ersten Regentropfen.

Barfleur war einer der Haupthäfen für Überfahrten hinüber nach England und die beiden waren schon öfters hier gewesen. Zielstrebig suchten sie einen guten, sauberen Gasthof auf und übergaben ihre Pferde dem Stallknecht. Den Gedanken an eine schnelle Überfahrt konnten sie vorerst vergessen, denn bei diesem Unwetter würde kein Kapitän den sicheren Hafen verlassen. Also nahmen die Männer sich erst einmal ein Zimmer und lauschten dann, zufrieden bei einem Glas Wein in der trockenen, warmen Gaststube sitzend, dem draußen tobenden Sturm, der jetzt mit Orkanstärke über die Stadt fegte.

Duncan streckte dankbar die Hände gegen den Kamin. „Das haben wir ja gerade noch geschafft! Hör dir nur das Unwetter an.“

Die Fensterläden klapperten lautstark und inzwischen goss es in Strömen.

„Ja, wirklich kein Wetter für einen Ritt. Aber um diese Jahreszeit muss man eben mit so etwas rechnen. Ich hoffe nur, es hält nicht so lange an.“

Am nächsten Morgen hatte sich zwar das Gewitter verzogen, aber es blies noch ein steifer Wind von Norden her und es war fraglich, ob die Segler England ansteuern konnten. Die Ritter ließen daher ihre Sachen zunächst im Gasthaus und begaben sich zum Hafen, wo sie nach einem Schiff suchten, das möglichst bald nach England auslaufen wollte. Draußen in der geschützten Bucht war das Meer schon wieder ruhig und es pendelten Ruderboote zwischen einigen ankernden Schiffen, die zu groß für den Hafen waren oder keinen Platz mehr gefunden hatten. Darunter war auch die „Seasnake“ des Königs, die hier auf ihren nächsten Einsatz wartete.

Am Pier herrschte reges Treiben. Zwischen Schaulustigen, Arbeit suchenden Seeleuten und neugierigen Kindern wurden am Steg liegende Segler von muskelbepackten Männern be- und entladen, während gleichzeitig Händler und Kapitäne lautstark miteinander feilschten. Dazwischen ankerten kleinere Fischerboote, die den frischen Fang dieses Morgens anpriesen. Da sie erst nach Abzug des Unwetters hatten ausfahren können und dann wegen des starken Windes in Hafennähe bleiben mussten, war ihr Angebot diesmal geringer als üblich und die Käufer schacherten hartnäckig und geräuschvoll um jeden einzelnen Fisch.

Robert und Duncan mussten mehrere Seeleute fragen, bevor sie endlich an einen Kapitän verwiesen wurden, der mit seinem fertig beladenen Handelssegler abfahrtsbereit war. Sie fanden ihn in einer Hafenschenke, wo er mit einem Händler letzte Vereinbarungen getroffen hatte und sich gerade von dem Mann verabschiedete.

„Seid Ihr Kapitän Brannock?“

Der drahtige Mann wandte sich ihnen zu, betrachtete eingehend das Wappen auf ihren Waffenröcken und begrüßte die beiden dann höflich.

„Ja, bin ich. James Brannock, Kapitän der St. Patrick. Guten Morgen, meine Herren. Ihr seid Kuriere des Königs?“

„Stimmt. Wir hörten, dass Ihr nach England wollt, und würden Euch gerne begleiten, mit unseren Pferden.“

„Da habt Ihr richtig gehört, ich bringe Waren nach Portsmouth. Ich habe schon fünf Passagiere, aber es ist noch genug Platz für Euch vorhanden. Auch für die Pferde, falls Ihr es schafft, sie über die Planke an Bord zu bringen. Den anderen Reisenden war der Transport der Pferde zu mühsam, sie haben ihre Tiere hier verkauft. Um Futter und Wasser für die Pferde müsst Ihr Euch allerdings selbst kümmern. Und über den Preis können wir uns sicher einigen.“ Der Kapitän nannte eine Summe und sie feilschten eine Weile, bis alle zufrieden waren.

„Allerdings können wir jetzt noch nicht auslaufen, wir müssen erst auf günstigen Wind warten.“

„Wie lange wird sich der Nordwind halten, nach Eurer Erfahrung?“, fragte Robert. Er wollte möglichst schnell nach England und der Aufenthalt gefiel ihm nicht.

„Im Frühjahr meist nicht lange, aber Genaueres kann ich auch nicht sagen, wir werden abwarten müssen. Wenn Ihr mir sagt, wo Ihr zu finden seid, schicke ich einen meiner Matrosen zu Euch, sobald wir Anker lichten können.“

„Wir sind im Gasthaus Le Cheval Noir abgestiegen. Hoffentlich dauert es nicht zu lange. Sind die anderen Passagiere Händler, die ihre Waren begleiten?“, wollte er dann wissen.

„Nein. Sie sehen mir eher aus wie Söldner, bestenfalls. Landstreicher passt vielleicht besser, aber ich will niemanden beleidigen. Jedenfalls sind sie bis an die Zähne bewaffnet.“

„Söldner!“ Robert und Duncan sahen sich erstaunt an. „Was wollen die in England? Zurzeit gibt es dort doch keine Gefechte, für die man solche bezahlte Kämpfer anheuern könnte. Na, vielleicht machen sie nur Heimaturlaub.“

„Kaum, es sind Franzosen und Italiener“, gab Kapitän Brannock zurück. Seine Stimme klang jetzt ein wenig besorgt. „Meine Kollegen und ich dachten schon, der König plant womöglich einen Krieg mit Schottland oder Wales und wirbt deshalb Soldaten an. Einige von uns, so wie ich, sind Engländer und wir haben Angst um unsere Familien. Nichts für ungut, wir wollen natürlich nicht die Entscheidungen des Königs anzweifeln.“

„Der König hat nichts dergleichen vor, das ist sicher“, beteuerte Duncan. „Und schließlich sind es doch nur fünf Mann, das reicht wohl kaum für einen Krieg.“

Brannock war sichtlich erleichtert, schüttelte dann aber den Kopf. „Es sind nicht nur diese Fünf, die uns Kopfzerbrechen bereiten. Wie ich von anderen Kapitänen hörte, sind in den letzten Wochen schon öfters gut bewaffnete Männer hinübergefahren. Alles in allem wohl an die fünfzig.“

Die Ritter sahen sich betroffen an. Das war allerdings eine ordentliche Anzahl. Und gewiss nicht in Henrys Auftrag, denn davon wären sie unterrichtet. Wer also stellte dann eine Streitmacht auf? Und warum? Da es nicht in des Königs Namen geschah, konnte es eigentlich nur gegen ihn gerichtet sein.

„Ihr habt recht, irgendetwas geht da vor. Danke für den Hinweis, der König sollte das unbedingt erfahren.“

Sie mussten diese Nachricht in London sofort an Henrys Justiziar, Richard de Lucy, weitergeben. Der würde sich dann schon darum kümmern, falls ihm nicht sowieso längst alles bekannt war. De Lucy war immer sehr gut über die Vorgänge im Lande informiert.

Jedenfalls waren die Söldner im Augenblick nicht ihre Angelegenheit und die Ritter verabschiedeten sich schließlich. In ihrer Herberge gaben sie dem Wirt Bescheid, dass sie noch länger bleiben würden, dann streiften sie den Rest des Tages ziellos durch die lebhafte Hafenstadt, beobachteten das bunte Treiben und besuchten das eine oder andere Schankhaus. Als sie nachts wieder ihre Unterkunft aufsuchten, blies der Wind unverändert kräftig von Norden. Auch am nächsten Tag änderte sich vorerst nichts, erst am Abend hatte das Wetter ein Einsehen und der Wind schwächte ab und drehte schließlich.

Für heute kam die Wetterwende allerdings zu spät. Ein schwerfälliges Handelsschiff im Dunkeln durch die ankernden Schiffe aus der Bucht zu manövrieren, war zu gefährlich. Also legten sie sich schlafen, packten aber vorher noch ihre Sachen zusammen, denn sie wollten am Morgen gleich bereit sein. Diesmal ließen sie auch ihre Kettenhemden und Waffenröcke im Gepäck, denn für eine lange Schiffsreise war ihnen ihre Schutzausrüstung zu unbequem und außerdem unnötig. Auf dem Segler war der Kapitän für die Sicherheit seiner Passagiere verantwortlich, also würden sie keine Kettenhemden zu ihrem Schutz brauchen.

In aller Frühe kam dann auch der erwartete Bote des Kapitäns und bat sie, sofort an Bord zu kommen, da sie noch am Vormittag mit der Flut auslaufen würden. Endlich hatte die Warterei ein Ende! Die beiden bezahlten das Zimmer, holten dann ihre Pferde und gaben ihnen noch einmal ausgiebig Wasser. Einen Beutel mit Hafer für unterwegs hatten sie dabei. Schließlich folgten sie dem Matrosen in den Hafen zu einem tief im Wasser liegenden, flachen und geräumigen Segler, auf dessen Deck unzählige große Ballen und Fässer vertäut waren. Die gesamte Ladung war über eine einzige stabile, aber nicht sehr breite Rampe hinübergebracht worden, die von der Hafenmole zum Schiff reichte und auch die Ritter mit ihren Pferden mussten diesen Weg nehmen.

Die anderen Mitreisenden befanden sich schon an Bord. Nachlässig lümmelten sich die unrasierten Männer an der Reling und begutachteten die Ankömmlinge, während Duncan versuchte, sein Pferd an Bord zu führen. Es war die erste Schiffsfahrt für den Rappen und er beäugte die schmale, bewegliche Rampe misstrauisch. Nur zögernd folgte er seinem Herrn und setzte sehr vorsichtig einen Huf nach dem anderen auf die Planke. Das Holz dröhnte auf, aber das Geräusch störte den Rappen nicht, er war an hölzerne Brücken gewöhnt. Plötzlich jedoch hob sich das Schiff unter einer leichten Welle und die Rampe bewegte sich mit. Das Pferd scheute ängstlich und drängte heftig zurück auf festen Boden. Duncan konnte das Tier nicht zurückhalten und wurde stolpernd mitgezogen.

Die Zuschauer oben an Deck hatten ihren Spaß und machten derbe Späße auf Duncans Kosten. Sie hatten es vorgezogen, ihre Pferde lieber gleich zu verkaufen und hatten jetzt gut lachen.

„Zieht den Gaul doch einfach eins über, dann wird er schon laufen“, kam die wohlmeinende Anregung von einem der Burschen.

Duncan knurrte nur und überhörte den freundlichen Rat einfach. Er gehörte nicht zu der Sorte Männer, die auf Wehrlose einprügelten, egal ob Mensch oder Tier. Beruhigend sprach er auf sein Pferd ein und ließ ihm Zeit, sich an die fremde Umgebung zu gewöhnen. Er wartete die nächste Welle ab und versuchte es dann erneut. Diesmal ging Robert mit seinem erfahrenden Braunen als gutes Beispiel langsam voran und Duncan gelang es jetzt, sein zögerndes Tier hinterher zu bringen. Erleichtert atmete er auf und klopfte dem Rappen den Hals sobald sie das Deck erreichten. Das war ja noch recht gut gegangen. Vor den Augen der grinsenden Männer konnte er gut auf weitere Versuche verzichten.

Höflich nickten die Ritter einen Gruß zu ihren Mitreisenden hinüber und folgten einem Matrosen, der ihnen zeigte, wo sie die Pferde an einer windgeschützten Stelle zwischen den Warenballen anbinden konnten. Sie nahmen den Tieren die Sättel ab und traten dann ebenfalls an die Reling und beobachteten die letzten Vorbereitungen zum Ablegen. Vom Heckaufbau winkte der Kapitän kurz grüßend zu ihnen hinunter, während sich an der Mole schon einige Seeleute abmühten, die dicken Haltetaue zu lösen. Sie ließen die Taue ins Wasser fallen, die schnell von anderen Männern an Deck gezogen wurden, und rannten über die Planke an Bord, bevor das Schiff zu weit von der Mauer abdriften konnte. Bis sie die Bretter hinter sich eingezogen und die Öffnung in der Reling geschlossen hatten, war das träge Schiff durch die Flutbewegung schon ein Stück abgetrieben und kam dann, durch ein schmales Segel angetrieben, langsam in Bewegung.

Gefolgt von Möwen, die kreischend um die Masten schwebten, schob sich der plumpe Frachtsegler behäbig hinaus in die Bucht. Einzig darauf ausgelegt möglichst viel Ware zu transportieren, reagierte das schwere Schiff träge auf das Ruder und war in keiner Weise mit der schnellen und wendigen Seasnake des Königs zu vergleichen, die sie gerade in einigem Abstand passierten.

Der König besaß nur dieses eine schlanke, elegante Schiff, da er eine schnelle Verbindung zwischen England und Frankreich benötigte. Eine Flotte für Kriegsfälle gab es nicht. Bei Bedarf, wie bei der Eroberung von Irland, hatte Henry Frachtkähne anmieten lassen, die sowohl Soldaten als auch Pferde und Ausrüstung über den Kanal zum Einsatzort transportiert hatten.

Erst außerhalb der Bucht ließ Kapitän Brannock volle Segel setzen. Das Schiff neigte sich leicht zur Seite und kam mit schäumender Bugwelle in Fahrt. Langsam blieb die französische Küste hinter ihnen im Dunst zurück. Hier draußen war der Seegang etwas stärker als im Windschatten der Landzunge und der Segler rollte in den Wellen. Trotz des sonnigen Tages war es ziemlich kalt an Deck und die beiden Ritter zogen sich von der Reling zurück und setzten sich in den Windschatten zu ihren Pferden.

Die fünf schlampig gekleideten Männer ließen sich ganz in ihrer Nähe im Schutz einiger Fässer nieder und unterhielten sich lärmend. Sie waren schwer bewaffnet mit Streitäxten, Schwertern, Dolchen und Bögen samt Pfeilen. Der Kapitän hatte recht, sie waren sicher Söldner. Das einzige Gepflegte an den Männern waren ihre Waffen, denn damit verdienten sie ihren Lohn. Nach einer Weile wurde das Gespräch leiser. Sie zogen jetzt ziemlich bösartig über den König her, wie die Ritter einzelnen Wortfetzen entnehmen konnten, die zu ihnen herüber wehten.

„Die Burschen sind nicht gerade gut auf Henry zu sprechen“, meinte Duncan leise zu seinem Freund.

Robert zuckte die Achseln. „Da sind sie nicht die Einzigen. Man kann es nun mal nicht jedem recht machen.“

Ein grimmiges Lachen des Wortführers klang herüber. „... nichts ... böses Erwachen ... „ hörten die Ritter und die ganze Gruppe hieb sich grölend auf die Schenkel. Worüber sie auch immer sprachen, sie hatten mächtig Spaß daran. „... guter Sold ... was genau ... und ... mit Longune treffen ... Anweisungen ...“

Robert wurde hellhörig, den Name Longune hatte er doch schon irgendwo gehört. Unwillkürlich sah er zu den Söldnern hinüber und der Wortführer, ein untersetzter, schmieriger Bursche fing seinen Blick auf.

Schlagartig wurde dem Söldner klar: Die beiden Männer dort bei den Pferden hatten zugehört! Und das, wo doch niemand von ihren Absichten erfahren durfte, wie ihnen der Mann, der sie in Frankreich angeworben hatte, sehr deutlich klargemacht hatte. Wie viel hatten die Mitreisenden wohl gehört? Genug, um die richtigen Rückschlüsse zu ziehen? Nun, jetzt war es sowieso zu spät. Grimmig richtete er sich auf und herrschte Robert wütend an.

„Verdammt, was habt Ihr unsere Gespräche zu belauschen?“ Sein Ärger über die Zuhörer war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

„Verzeiht, es war keine Absicht“, beschwichtigte der Ritter, er wollte keinen Streit mit den Männern. „Aber Euer Gespräch war recht laut, wir konnten die Worte kaum überhören.“

Misstrauisch musterte der Söldner die beiden schlanken Männer. Wer die zwei wohl waren? Vielleicht auch käufliche Krieger, wie er und seine Spießgesellen? Sein Auftraggeber heuerte ständig neue Leute an, das wusste er. Die Waffen der beiden Mitreisenden waren jedenfalls aus bestem Material, wie er mit geschultem Auge sofort erkannte und anhand ihrer geschmeidigen, kraftvollen Bewegungen stufte er sie als geübte Kämpfer ein. Aber für Söldner waren sie zu gut gekleidet, die praktische Reisekleidung war sauber und gepflegt und außerdem aus gutem, teurem Stoff. Teurer, als es sich ein Söldner üblicherweise leisten konnte.

Adelige, dachte er, offensichtlich mit Kampfausbildung, Ritter vielleicht. Dem König ergebene Ritter? Das musste nicht unbedingt sein, denn mittlerweile hatte der König viele Gegner. Schade, sie trugen hier an Bord keine Waffenröcke, die Wappen hätten ihm mehr verraten. Er beschloss, ein wenig auf den Busch zu klopfen.

„Wir mögen es nicht, wenn man uns belauscht! Dabei könnt ihr leicht viel Ärger bekommen. Aber ich will mal nicht so sein. Habt Ihr dringende Geschäfte in England?“

„Wir wollen unsere Familien besuchen“, gab Robert zurück. Das stimmte schließlich auch und mehr brauchte der Mann nicht zu wissen.

„So, Ihr wart wohl lange nicht zu Hause“, gab sich der Mann mitfühlend.

„Ja, der König macht es uns nicht gerade leicht“, fuhr Robert zweideutig fort. Er wollte seinerseits die Gelegenheit nutzen und etwas mehr über die Söldner erfahren. „Wir können uns nur selten und dann auch nur kurz in England aufhalten.“

„Aha, Schwierigkeiten mit den Gesetzen?“ Der Mann grinste verstehend. Auf den Gedanken, dass die raren Besuche auch andere Gründe haben konnten, kam er gar nicht.

Robert ließ ihn in dem Glauben und fragte seinerseits: „Und was ist mit Euch? Ihr seid keine Engländer, also seid Ihr in geschäftlichen Angelegenheiten unterwegs?“

„So ähnlich. Jemand hat uns angeworben, wir sollen ein paar Dinge ins Rollen bringen.“

„Das hört sich ja geheimnisvoll an. Worum geht es denn?“, hakte Duncan nach. Er hatte Roberts Plan durchschaut und wollte ihm helfen, den Söldnerführer zum Reden zu bringen.

Aber der Mann blockte ab. „Das geht Euch nichts an.“

„So verschwiegen? Dann muss es ja etwas Wichtiges sein!“, versuchte Duncan es erneut.

„Ist es auch! Ihr seid mir etwas zu neugierig.“ Argwöhnisch verengte der Söldner die Augen. „Kümmert Euch um Eure Angelegenheiten!“, versetzte er mürrisch und zog sich mit seinen Genossen etwas weiter zurück.

Duncan zuckte nur die Achseln und tat gleichgültig, solange der Mann herübersah.

„Das hat leider nicht viel gebracht“, meinte er leise zu Robert.

„Egal, immerhin wissen wir eines, jemand hat sie hergeschickt und bezahlt sie für ihre Dienste. Und das muss ein einflussreicher und wohlhabender Mann sein, so eine Privattruppe ist nicht billig. Aber wie war noch der Name, den er vorhin genannt hat? Longune, oder? Ich kenne diesen Namen irgendwo her“, grübelte Robert.

„Ja, mir kommt er auch bekannt vor. Hat er nicht etwas mit Henrys Söhnen zu tun?“

„Richtig, das ist es! Patrick Longune, er ist einer der engsten Vertrauten von Prinz Geoffrey, einem von Henrys Söhnen. Der Mann war schon immer ein erbitterter Gegner des Königs. Kaum jemand ist ihm begegnet, da er den König wie den Teufel meidet. Ich kenne ihn auch nicht persönlich. Aber sein Name tauchte hin und wieder auf, immer im Zusammenhang mit üblen Machenschaften und Intrigen gegen Henry!“

„Stimmt, ich erinnere mich jetzt. Der Name hat keinen guten Klang. Wenn der Kerl hier mitmischt, kann es kaum etwas Gutes sein.“

Die französische Küste war nur noch ein dunkler Streifen am Horizont hinter ihnen und der Segler glitt mit geblähten Segeln zügig durch die endlos erscheinenden Wellen. Kapitän Brannock gab seinem Steuermann letzte Kursanweisungen und kam dann zu den Rittern.

„Ich kann das Ruder jetzt für eine Weile meinem Steuermann überlassen. Wollt Ihr mich nicht unter Deck begleiten?“

„He, und was ist mit uns, wir frieren auch!“ Die Söldner hatten den Kapitän gehört und der untersetzte Wortführer rief die Worte zu ihnen herüber.

„Tut mir Leid, es ist nicht für alle Platz“, gab der Kapitän zurück. „Außerdem verdienen königliche Ritter eine angemessene Behandlung.“

Die Männer fuhren wie von der Tarantel gestochen auf. „Königliche Ritter! Ach so ist das, Ihr habt uns vorhin absichtlich getäuscht! Ihr wolltet uns ausspionieren! Das wird Euch schlecht bekommen!“ Der Wortführer zog sein Schwert und wollte mit seinen Kumpanen auf die Ritter losstürmen.

Die Ritter mussten sich notgedrungen verteidigen und zogen ebenfalls die Waffen, aber zum Kampf kam es nicht. Der Kapitän stieß einen durchdringenden Pfiff aus und fast augenblicklich standen einige seiner Matrosen neben ihm, mit kräftigen Knüppeln bewaffnet. Die Seeleute hatten nur auf das Zeichen gewartet, sie hatten die Söldner auf Befehl ihres Kapitäns von Anfang an nicht aus den Augen gelassen.

„Nehmt Euch zusammen, auf meinem Schiff werden keine Passagiere angegriffen. Entweder Ihr verhaltet Euch friedlich, oder ich lasse Euch bis nach England einsperren“, verkündete Brannock ruhig. „Ihr habt die Wahl.“

Der Wortführer der Söldner musterte die kräftigen Seeleute abschätzend und ließ dann sein Schwert sinken.

„Schon gut“, fauchte er wütend. „Hier an Bord seid Ihr im Vorteil. Aber wenn wir diese Spione an Land in die Finger bekommen, dann gnade ihnen Gott!“ Mit hasserfüllten Blicken auf die Ritter gab er seinen Männern einen Wink und sie ließen sich fluchend wieder zwischen den Fässern nieder.

Die Ritter folgten dem Kapitän die engen Stiegen hinunter in die winzige Schiffskajüte, froh dem kalten Wind zu entkommen.

„Verzeiht, da habe ich wohl etwas Falsches gesagt“, meinte Brannock.

„Wir haben die Männer in dem Glauben gelassen, wir wären Königsgegner und wollten so etwas über ihren Auftraggeber erfahren.“

„Aha, deshalb die heftige Reaktion. Tut mir ehrlich leid. Jetzt habt Ihr ein paar unversöhnliche Feinde, weil ich nicht den Mund halten konnte.“

„Ist schon gut, das konntet Ihr wirklich nicht wissen. Aber wir sollten den Männern in England besser aus dem Weg gehen.“

„Könnt Ihr sie nicht einfach im Hafen vom Beamten des Königs verhaften lassen? Der Sheriff wird Euch sicher gerne helfen, denn immerhin haben die Söldner Euch angegriffen. Wer gegen königliche Boten vorgeht, sollte nicht ungeschoren davon kommen, finde ich.“

Wenn die Ritter geahnt hätten, was ihnen noch bevorstand, dann hätten sie wohl auf den Rat gehört. So aber wollten sie nicht nachtragend sein wegen einer kleinen Meinungsverschiedenheit.

„Es ist ja weiter nichts passiert. Die Kerle sind nur ein wenig schlecht gelaunt, deshalb wollen wir sie nicht gleich einsperren lassen“, beschwichtigte Duncan den Kapitän. „Aber vielleicht könntet Ihr die Söldner im Hafen noch einige Zeit von Euren Matrosen festhalten lassen, damit wir ungehindert reiten können. Wir wollen unser Glück lieber nicht herausfordern.“

„Sicher, das kann ich tun, wenn ich auch nicht verstehe, warum Ihr die Raufbolde nicht härter zur Rechenschaft zieht. Na, das ist Eure Sache. Aber erzählt, was gibt es für Neuigkeiten unten im Süden?“

Bereitwillig berichteten sie alles Wissenswerte aus Frankreich und lauschten ihrerseits den Erzählungen des Kapitäns. Er kam mit seinem Schiff weit herum und konnte entsprechend viele Geschichten zum Besten geben. Auch wenn einiges davon sicherlich Seemannsgarn war, so hatte er doch schon manches erlebt.

Im letzten Jahr, so erzählte er, konnte er mit seinem Schiff bei einem Unwetter vor der englischen Küste gerade noch einer Horde Strandpiraten entgehen.

„Mein Schiff war in einen kräftigen Sturm geraten. Es schüttete wie aus Kübeln und die Brandungsgicht an der Küste machte es noch schlimmer, ich konnte kaum etwas erkennen. Ich wusste, dass es an diesem Küstenabschnitt gefährliche Klippen gibt, deren Position ich eigentlich auch recht gut kenne, aber bei diesem Wetter war die Küstenlinie nur verschwommen zu sehen. Ich konnte beim besten Willen nicht sagen, wo wir uns genau befanden. Das war aber nicht schlimm. Eigentlich musste ich ja nur in genügend großem Abstand die Küste entlang weitersegeln, bis ich das nächste Leuchtfeuer ausmachen konnte.“

Bei Unwetter wurden üblicherweise von bestimmten Fischerdörfern an gut sichtbaren Stellen helfende Leuchtfeuer entzündet, das wussten die Ritter. Die Positionen dieser Feuer waren genau festgelegt und jedem halbwegs erfahrenen Seemann bekannt und so hielt der Kapitän in jener Nacht Ausschau danach.

„Da sah ich es auch schon! Viel früher als erwartet leuchtete der Feuerschein vor uns auf. Ich wunderte mich zwar, aber nun gut, dann war das Schiff im Sturm eben weiter abgedriftet, als ich gedacht hatte. Ich habe keinerlei Verdacht geschöpft. An dieser Stelle gibt es eine vorgelagerte kleine Insel und man hat als Kapitän die Wahl: Man kann zwischen Küste und Insel hindurchsegeln, die Durchfahrt ist auch bei Sturm breit genug und gut zu befahren, oder man nimmt den weiteren Weg außen vorbei über das offene Meer und muss dann einen entsprechenden Zeitverlust hinnehmen. Ich entschied mich für den kurzen Weg. Wie gesagt, die Durchfahrt ist an sich ungefährlich. Also steuerte ich näher an die Küste heran, auf das Feuer zu. Ich war schon recht nahe, da hörte ich plötzlich ein Donnern, wie von einer starken Brandung. Erst da wurde ich hellhörig. Dieses Positionsfeuer liegt auf einem Hügel über einem sanften Strand, es konnte dort also keine Brandung geben!“

Er unterbrach sich kurz, trank einen Schluck heißen Rum und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

„Das war verdammt knapp! Erst im allerletzten Augenblick wurde mir klar, was gespielt wird. Das war nicht die Küste, sondern die Insel selbst! Die verdammten Piraten hatten ein falsches Signalfeuer entzündet! Schon hatte die Strömung uns erfasst und drückte das Schiff auf die Klippen der Insel zu. Ich warf das Ruder herum und schickte ein Stoßgebet in den Himmel. Mehr konnte ich nicht tun. Unser Schiff war schon vom Sog ergriffen und reagierte unerträglich langsam auf das Ruder. Oh Mann, ich habe Blut und Wasser geschwitzt! Endlich schwang der Bug träge herum, wir streiften krachend mit der Seite einen scharfen Felsen, aber wir kamen vorbei. Ein paar Planken waren eingedrückt worden und etwas Wasser drang in die Laderäume ein. Wir hatten unsere liebe Mühe, die Lecks notdürftig zu flicken, immer die Angst im Nacken, doch noch zu sinken. Wir verbrachten eine bange Nacht mit Schöpfen und konnten schließlich mit Schlagseite, aber immerhin lebend den nächsten Hafen anlaufen. Ich denke, da hatten wir sämtliche Seegeister auf unserer Seite, so knapp sind wir dem Tod von der Schippe gesprungen!“

„Wie gut, dass wir heute besseres Wetter haben! So etwas muss ich wirklich nicht miterleben!“ Duncan schüttelte sich. Er mochte Schiffe und war gerne auf dem Wasser unterwegs, aber auf solche Abenteuer konnte er verzichten.

„Verdammte Piraten! Ich würde zu gern mal einen von denen in die Finger bekommen! Feige, hinterhältige Ratten sind das!“ Kapitän Brannock fluchte kräftig.

Er mochte die Geschichte vielleicht ein wenig aufgebauscht haben, aber Überfälle von Strandpiraten waren ein gar nicht so seltenes Übel, und immer wieder fielen ihnen Segler mit ausländischen oder wenig erfahrenen Kapitänen zum Opfer, die sich an den Küsten nicht so gut auskannten. Falls die Seeleute in einem solchen Fall Glück hatten und nach dem Auseinanderbrechen des Schiffes die wütende Brandung überlebten, kamen sie dennoch nicht weit. Jeder Überlebende wurde von den Piraten sofort gnadenlos getötet.

„Es wundert mich ein wenig, dass es den Sheriffs nicht gelingt, diese Kerle zu fassen!“

„Das ist nicht so einfach, wie es sich anhört, Sir Duncan. Diese Banditen sind in der Gegend ansässige, tagsüber als rechtschaffene Menschen auftretende Dorfbewohner. Bauern, Handwerker, Krämer, oder Fischer, denen niemand eine Gräueltat wie diese zutrauen würde. Und sie lassen natürlich keine Zeugen ihrer üblen Taten am Leben. Wo kein Ankläger, da auch kein Richter! Die Ladung des Schiffes wird in Windeseile von Strand gefischt und auf geheimen Wegen verkauft, und kein Sheriff findet je einen Beweis.“

Kapitän Brannock war ein sehr guter Erzähler und die Ritter lauschten angeregt seinen Erlebnissen, bis nach mehreren Stunden endlich ein Ruf von draußen zu ihnen drang. Land in Sicht! Für Stunden zur Untätigkeit gezwungen, war die lange Fahrt auf die Dauer doch recht eintönig und die beiden folgten Kapitän Brannock, der sich jetzt wieder seinem Schiff widmen musste, erfreut an Deck. Besonders Robert sehnte das Ende der Fahrt herbei, er fühlte sich auf Schiffen nicht besonders wohl.

„Ich freue mich jedes Mal, die heimatliche Küste wiederzusehen“, meinte Robert, die Ellbogen auf die Reling gestützt, und betrachtete die schwach erkennbare Linie am dunstigen Horizont. Die beiden hielten einen guten Abstand von den ebenfalls an der Reling stehenden Söldnern.

Duncan nickte und hielt das Gesicht in den Fahrtwind. Er genoss die frische Brise, die durch seine hellen Haare zauste. „Das geht mir genauso. Unser Auftrag ist fast ein Glücksfall. Henry hält sich beinahe mehr in Frankreich oder Irland auf, als in seinem eigentlichen Königreich und es gab in den letzten Jahren wenig Gelegenheiten, einen Besuch zu Hause einzuschieben.“

„Ja. So gerne ich im Dienst des Königs bin, es ist doch schade, die Familie so selten zu sehen. Und der Kontakt zu Nachbarn und Freunden ist auch so ziemlich eingeschlafen.“

„Das liegt aber nicht am König, früher war es im Grunde auch nie anders.“ Gischt stäubte zu ihnen hoch und Duncan zog den Kopf etwas zurück. „Wenn man schon als Kind im Alter von sieben Jahren zur Ritterausbildung in die Obhut eines fremden Fürsten in einer weit entfernten Grafschaft geschickt wird, bleibt für Freundschaften gar keine Zeit. Ich kenne zwar die Namen unserer Nachbarn, habe aber die Meisten nie richtig kennengelernt. Man trifft sich höchstens mal als Gegner auf einem Turnier.“

„Stimmt schon. Wir sind uns ja auch erst am Hofe begegnet und das, obwohl wir direkte Nachbarn sind. Aber in unserem Fall kommt unsere Herkunft noch dazu. Normannen und Angelsachsen pflegen selten gesellschaftliche Kontakte miteinander, auch nicht als Nachbarn.“

„Und mein Vater schon gar nicht.“ Duncan schüttelte grinsend den Kopf bei dem Gedanken an seinen starrköpfigen Vater. „Er würde nie auch nur einen Fuß in das Haus eines Normannen setzen! Er hat euch die Eroberung von England vor über hundert Jahren bis heute nicht verziehen und in diesem Punkt ist er auch keinem Argument zugänglich.“

„Ganz unrecht hat er nicht. Viele Normannen haben ihre Macht ausgiebig missbraucht. Die Angelsachsen wurden ausgebeutet und unterdrückt, wo es nur ging. Ich muss zugeben, meine Ahnen waren auch nicht gerade zimperlich.“

„Deine Ahnen, mag sein, aber was kannst du dafür? Man kann doch nicht ewig in der Vergangenheit leben.“

Robert zuckte die Achseln. „Alte Feindschaften und Vorurteile können eben nicht so leicht ausgemerzt werden. Das braucht seine Zeit.“

„Immerhin, das Verhältnis zwischen unseren Völkern hat sich schon sehr verbessert, seit König Henry strikte Gesetzte eingeführt hat, die wirklich für jeden gelten, unabhängig von der Herkunft.“

„Ja, das hat einiges erleichtert. Jetzt sind ja sogar einige angelsächsische Edelleute, so wie du, in den Dienst des Königs getreten, obwohl Henry Normanne ist. Das wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Trotzdem, bis wir ein einiges Volk bilden, werden sicher noch einige Generationen vergehen. Falls überhaupt je.“

Inzwischen waren sie der Küste langsam näher gekommen und konnten schließlich die Strände der Isle of Wight ausmachen, an denen sie dann östlich entlang segelten. Hinter der Insel kam Portsmouth am Ende einer flachen Landzunge in Sicht. Die kleine Hafenstadt war für den schwerfälligen Frachter leichter zu erreichen, als Southampton, das einige Meilen weiter in einer tief eingeschnittenen Bucht lag.

Der Kapitän ließ jetzt die Segel reffen und sie verloren schnell an Fahrt. Nur ein einziges, schmales Segel blieb oben, damit das Schiff weiter manövrieren konnte. Langsam trieben sie in den Hafen. Auf ein scharfes Kommando fiel nun auch das letzte Segel und sie prallten mit einem sanften Stoß an die Hafenmauer. Sie wurden schon von einem Händler erwartet, der mit ein paar kräftigen Männern zum Entladen bereitstand. Schnell wurden die Taue zu den wartenden Männern hinübergeworfen und nach ein paar geübten Handgriffen lag das Schiff fest.

Die beiden verließen ihren Beobachtungsposten an der Reling und sattelten ihre Pferde. Polternd wurde die Rampe zum Steg hinübergeschoben und sofort machten die Söldner Anstalten, das Schiff zu verlassen. Sobald sie sich jedoch, mit ihrem Gepäck beladen, der Rampe näherten, wurden sie von den Matrosen aufgehalten und an das Heck des Schiffes gedrängt. Was ihre Laune nicht eben verbesserte. Lautstark schimpften und fluchten sie zum Kapitän und den Rittern hinüber.

Unbeeindruckt sagten die Ritter dem Kapitän Lebewohl und führten ihre Pferde unter den wütenden Blicken der Söldner an Land. Offenbar waren die Pferde ebenso froh wie ihre Reiter wieder festen Boden unter den Hufen zu haben, denn diesmal machte auch Duncans Rappe keine Schwierigkeiten an der Rampe. Auf der steinernen Mole saßen die beiden auf und ritten vorsichtig durch die Passanten in den engen Straßen der lebhaften kleinen Hafenstadt.

Es war zwar schon Nachmittag, aber da sie in Barfleur so viel Zeit verloren hatten, hatten sie beschlossen, sofort weiterzureiten. Bis Chichester konnten sie vor Einbruch der Dunkelheit sicher noch kommen. Sie verließen Portsmouth durch das Nordtor und ritten landeinwärts, wo sie bald wieder auf eine der alten Römerstraßen stießen, die hier ein Stück die flache, grüne Küste entlang nach Osten verlief. Über das ebene Grasland konnten sie schon bald die Stadtmauer und den Turm der Kathedrale von Chichester am Horizont sehen. Allerdings hatten sie sich mit der Entfernung verschätzt. Als sie endlich die Stadt erreichten und sich nach einem Nachtlager umsehen konnten, war die Sonne längst untergegangen.

Die Angelsächsin

Подняться наверх