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Kapitel 3

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Beim ersten Hahnenschrei waren die Ritter schon wieder unterwegs. Es war weit bis London und sie wollten die Stadt wenn möglich heute noch erreichen. Kurz hinter Chichester gabelte sich der Weg und wurde in Richtung London zu einer breiten, gut befestigten Straße. Dieser Weg hatte sogar einen Namen, die Stane Street, und war ebenfalls von den Römern errichtet worden als eine ihrer wichtigsten Verbindungen für ihre Truppen von der englischen Küste nach London. Sie war damit über tausend Jahre alt und trotzdem noch in wirklich gutem Zustand.

Die Römer wählten für ihre Straßen möglichst immer die kürzesten Strecken, wobei sie den Straßenverlauf geschickt an das natürliche Gelände anpassten. Da nördlich von Chichester die Haupthöhenzüge der Hügelkette der South Downs lagen, bog die Straße leicht nach Osten ab und nutzte schließlich das Tal des Flusses Arun mit seiner leichteren Steigung, um die Hügel zu überqueren. Danach ging es ohne größere Schwierigkeiten durch das sanft gewellte Land nach London.

Erschöpft gelangten die Ritter am Abend an die Themse und ritten über die steinerne Brücke hinüber auf das Südtor von London zu. Laut klapperten die Hufe ihrer Pferde durch die gepflasterten Straßen zum White Tower, der großen turmartigen Burg des Königs, wo die beiden in der Unterkunft der Burgbesatzung ihr Lager aufschlugen. Inzwischen war es schon spät am Abend, dennoch fragten sie als Erstes nach Richard de Lucy, dem sie ja die Papiere des Königs aushändigen sollten. Sie hatten Glück, der Justiziar des Königs, der in seiner Eigenschaft als Richter viel im ganzen Land herumreiste, war tatsächlich hier und sie ließen sich sofort bei ihm melden.

De Lucy, ein schon älterer Mann mit hellwachen Augen, begrüßte die ihm bekannten Ritter freundlich und nahm die lederne Mappe in Empfang. Er warf einen schnellen Blick auf das Siegel des Königs, zog die Briefe heraus und überflog sie kurz.

„So, des Königs Erbe wird aufmüpfig. Das war ja früher oder später zu erwarten. Was gibt es sonst für Neuigkeiten aus Frankreich?“, wollte er dann wissen. Henrys Unstimmigkeiten mit seinem Sohn waren dem stets gut informierten Beamten längst über schnelle Boten zugetragen worden.

„Aus Frankreich gibt es nichts, was Ihr nicht längst wisst“, gab Robert zurück. „Aber wisst Ihr auch, dass offenbar jemand hier in England eine Söldnertruppe aufstellt?“

De Lucy sah ihn ungläubig an. „Hier? Aber hier stehen doch keine Gefechte an, also wieso sollte jemand eine Privatarmee brauchen? Seid Ihr sicher?“

Die Ritter erzählten ihm von ihrer Begegnung auf dem Segler.

„Longune, hmm!“, machte de Lucy besorgt. „Ihr konntet nicht erfahren, ob er die Männer angeheuert hat? Bedauerlich. Das hätte ich doch gerne gewusst. Nun gut, ich werde meine Informanten darauf ansetzen. Und was Euren Auftrag betrifft, bis jetzt gibt es nichts Neues. Seit der Nachricht des Herzogs über den Überfall ist es in Grantham ruhig geblieben. Vielleicht waren es ja nur Banditen, aber Ihr solltet trotzdem vorsichtig sein. Man kann nie wissen! So, tut mir leid, meine Herren, aber ich muss mich schon wieder verabschieden, da wartet noch viel Arbeit auf mich, bevor ich für heute Schluss machen kann. Jedenfalls wünsche ich Euch viel Glück.“

Die beiden verabschiedeten sich und verließen, hungrig und durstig nach dem langen Ritt die Burg. Sie waren spät in London eingetroffen und das abendliche Mahl der Burgbewohner war schon vorüber, also suchten in den verwinkelten Gassen von London nach einer Wirtsstube. Sie betraten das nächstbeste Schankhaus, in dem auch Essen serviert wurde, setzten sie sich müde zwischen einige Bürger der Stadt an einen groben Holztisch und bestellten frisches Bier und gebratenes Geflügel.

Robert griff nach dem tönernen Bierkrug, den der Wirt sofort gebracht hatte. Auf das Essen mussten sie noch etwas warten. „Der König kann wirklich von Glück sagen, einen Mann wie Richard de Lucy zu haben. Einen fähigeren und loyaleren Mann hätte er für den Posten des obersten Justiziars kaum finden können.“

„Nach allem, was man hört, hat Henry überhaupt eine gute Hand in der Auswahl treuer Leute“, bestätigte Duncan, goss sich ebenfalls Bier in seinen Becher und nahm einen tiefen Schluck.

„Wenn man von Thomas Becket einmal absieht, hast du recht.“

„Becket? Wieso? Als Kanzler des Reiches und Henrys rechte Hand war er ihm doch immer treu ergeben. Es war nicht seine Schuld, dass man ihm zusätzlich das Amt als Erzbischof von Canterbury aufgedrängt hat.“

Der Angelsachse Thomas Becket war ein enger Freund des Königs gewesen und hatte ihm jahrelang als Kanzler tatsächlich sehr ergeben gedient. Dann jedoch machte König Henry den Fehler, Becket, der eine kirchliche Ausbildung hatte, zum Erzbischof zu ernennen. Das brachte den aufrechten Mann in einen Gewissenskonflikt, denn er nahm seine neue Aufgabe ebenso ernst wie bisher sein Kanzleramt. Dummerweise war der König hinsichtlich der Zuständigkeit der kirchlichen Gerichtsbarkeit geteilter Meinung mit den Vertretern der Kirche und Becket konnte beim besten Willen nicht beiden Seiten dienen.

„Becket hätte die Ernennung ablehnen müssen.“

Duncan schnaubte. „Das hatte er doch versucht. Henry hat ihn damals lange genug drängen müssen. Außerdem, ernsthaft, wie willst du denn einen Wunsch des Königs ablehnen!“

Die Kirche hatte für Kirchenangehörige eigene Gerichtshöfe, die nach eigenen Gesetzen richteten und eigene Strafen verhängten. Aber nach Henrys Meinung hatte nur er als der König die oberste Gerichtsbarkeit inne und somit unterstand ihm logischerweise auch die Kirche. Es ging hier ums Prinzip, er wollte sich vorbehalten, auch Kirchenangehörige jederzeit durch königliche Gerichte aburteilen zu können. Außerdem misstraute er den in der kirchlichen Rechtsprechung gerne verwendeten Gottesurteilen. Da mussten Angeklagte bei der Wahrheitsfindung für Nichtigkeiten ihr Leben lassen, während als höchste Strafe für Mord oder ähnlich schwere Vergehen dagegen nur die Exkommunikation verhängt wurde. Für einen Gläubigen mochte das eine harte Strafe sein, für König Henry jedoch nicht.

„Nein, ich kann den Mann schon verstehen“, fuhr Duncan fort. „Da gab es keinen Mittelweg. Jede Partei pochte auf ihre angestammten Rechte. Becket musste sich wohl oder übel entscheiden, entweder für den König oder für die Kirche. Er wählte eben die Kirche.“

Als Erzbischof von Canterbury war Thomas Becket in England der oberste Vertreter der Kirche gewesen und damit einer der mächtigsten Männer des Landes. Für ihn als Kirchenmann stand die Kirche über allem Weltlichen, schließlich waren die Geistlichen die Vertreter Gottes. Und somit konnte er unmöglich zulassen, dass sich irgendein Mensch, und sei es auch ein König, über die Macht der Kirche, beziehungsweise über die Macht Gottes stellen wollte.

„Na schön, du hast nicht ganz unrecht, Becket musste eine Wahl treffen“, gab Robert zu. „Aber seine Entscheidung hat niemandem geholfen. Der endlose Streit danach hat einige Opfer gefordert und auch ihn letztendlich ins Grab gebracht. Er hätte besser nachgeben sollen.“

Nach jahrelangen Konfrontationen und der Aufstellung für beide Seiten geltender, gesetzlicher Richtlinien in den Konstitutionen von Clarendon, die später von der Kirche doch wieder abgelehnt wurden, endete der Streit zu guter Letzt mit der Ermordung des Erzbischofs in seiner eigenen Kathedrale in Canterbury. Ausgeführt von vier Rittern des Königs, aber nachweislich ohne Henrys Wissen und gegen seinen Willen. Immerhin zählte er den unbeugsamen Mann trotz aller Meinungsverschiedenheiten zu seinen Freunden. Dennoch hielten viele den König für den heimlichen Auftraggeber dieser Schandtat, denn der Tod seines hartnäckigsten Gegners kam dem König schließlich nicht ganz ungelegen.

„Becket hätte einlenken sollen? Warum? Genauso gut kannst du sagen, Henry hätte nachgeben müssen. Das ist doch eine prinzipielle Kompetenzfrage: Wer hat das Sagen, das weltliche Oberhaupt oder das Kirchliche? Gott ist der oberste Richter, klar, nur sind seine Vertreter hier unten halt doch bloß Menschen und damit nicht klüger oder gerechter als ein König oder Kaiser oder wer auch immer.“

„Schon gut, über diese Frage werden sich die Geister wohl ewig streiten. Wir zwei werden auch keine Lösung finden. Aber einen Erzbischof wegen dieser Streitigkeiten zu ermorden ist sicher nicht der richtige Weg, da sind wir uns doch wohl einig!“ Eine Schankmagd brachte jetzt das bestellte Fleisch an ihren Tisch und einen Korb mit dunklem Brot.

„Natürlich! Ich will auf keinen Fall einen Mord gutheißen!“, beteuerte Duncan zwischen zwei Bissen. „Und ich gehöre auch nicht zu denen, die Henry für den Auftraggeber halten. Er hatte sicher nichts damit zu tun. Becket war sein Freund, trotz allem. Diese Ritter hatten Henrys Wut auf den unbeugsamen Erzbischof einfach missverstanden.“

„Ja, das denke ich auch. Henry hat damals ehrlich um ihn getrauert, du hast es ja miterlebt. Es war richtig von Papst Alexander, den Spekulationen ein Ende zu setzten und Henry offiziell freizusprechen, auch wenn er es vielleicht nicht ganz freiwillig getan hat.“

Robert spielte auf ein offenes Geheimnis an. Henry war im letzten Jahr von Papst Alexander persönlich von aller Schuld an Beckets Tod losgesprochen worden, aber erst, nachdem er ein ganz klein wenig politischen Druck ausgeübt hatte. Die umstrittenen Richtlinien von Clarendon waren kurz danach bis zur beiderseitigen Zustimmung abgeändert worden. Seitdem hatte Henry die Unterstützung der mächtigen und reichen Kirche wieder völlig auf seiner Seite.

„Die üble Geschichte hat den König noch vorsichtiger werden lassen. Dabei könnte er sich mit gutem Gewissen durchaus auf seine Leute verlassen. Becket ist eine Ausnahme, er war bisher der einzige Beamte, der je die Fronten gewechselt hat. Trotzdem gibt Henry seither jedem nur noch möglichst geringe Befugnisse, und das gilt besonders für seine Familienmitglieder. Unter seinen vielen Beamten besitzt eigentlich nur Richard de Lucy sein absolutes Vertrauen und wirklich große Macht.“

„Ich halte Henrys übertriebene Vorsicht eher für einen Fehler“, meinte Robert und nahm sich einen weiteren Hühnerschenkel vom Brett. „Man muss auch Verantwortung abgeben können, selbst auf die Gefahr hin, mal einen Rückschlag einzustecken. Es gibt einige, die über das mangelnde Vertrauen des Königs gekränkt sind. Nimm doch nur seinen Sohn! Der Prinz hat eine Menge Titel, aber keine Macht. Henry hat seinen Erben von den Regierungsbelangen vollkommen ausgeschlossen. Du siehst ja, wohin es geführt hat. Jetzt steht ihm deswegen ein Aufstand bevor.“

„Tja, man hat es nicht leicht mit seinen Eltern. Ich verstehe mich auch nicht sonderlich mit meinem Vater. Wir haben in so ziemlich Allem unterschiedliche Ansichten.“ Duncan hob seinen Becher und grinste. „Auf die Väter“, sprach er einen Toast aus und Robert stimmte lachend bei, auch wenn sein Vater anscheinend eine rühmliche Ausnahme war, denn sie hatten ein recht gutes Verhältnis zueinander.

Gestärkt verließen die Ritter später die Gaststube und vertraten sich in der Stadt noch etwas die Beine. Nach dem langen Ritt tat ihnen ein wenig Bewegung gut. Inzwischen waren dunkle Wolken über London aufgezogen, die den fast vollen Mond verdeckten und es war stockfinster zwischen den Häusern. Als es dann auch noch zu nieseln anfing, zogen sich die beiden wieder in die Festung zurück.

Am Morgen schlug den Rittern strömender Regen entgegen und ihre Umhänge waren schon nass, ehe sie die Stadt durch das Osttor verlassen hatten. Der schwarze Himmel ließ die Hoffnung auf eine Wetterbesserung gar nicht erst aufkommen, also schlugen sie ihre Kapuzen hoch und fügten sich in ihr Schicksal. Der römischen Via Ermine folgend umgingen sie ein Sumpfgebiet und ritten fröstelnd durch die kahlen Wälder nach Norden.

Mittlerweile schüttete es wie aus Kübeln und Pferde und Reiter trieften schon nach kurzer Zeit. Als es dunkel wurde, übernachteten sie irgendwo am Wege in einem namenlosen Gasthaus und machten sich dann mit immer noch unangenehm nasser Kleidung zur letzten Etappe auf. Heute Abend wollten sie die Burg von Roberts Vater in Grantham erreichen. Der Himmel war zwar ein wenig heller geworden, aber es regnete noch immer leicht und die beiden freuten sich auf trockene Kleidung und ein warmes Essen.

Am Nachmittag hatte es endlich aufgehört zu regnen. Nebelschwaden zogen durch den dunstigen Wald und die kahlen Äste der alten Eichen tropften noch vor Nässe, als die beiden Ritter im Schritt gemächlich einen breiten, schlammigen Waldweg hochritten. Pfützen spritzen unter den Hufen ihrer Pferde auf, die mit gesenkten Köpfen müde dahintrotteten. Die grauen Umhänge der Ritter waren dunkel vom Regen und die durchnässten Männer saßen zusammengesunken und frierend in den Sätteln.

Plötzlich warf Duncans Rappe den Kopf hoch und spielte lauschend mit den Ohren. Die Ritter wurden aufmerksam, verhielten ihre Pferde und horchten ebenfalls. Ja, jetzt hörten auch sie ein dumpfes Trommeln. Da kamen offenbar mehrere Reiter in schnellem Tempo hinter ihnen den Weg hoch, noch unsichtbar hinter einer Biegung.

Die Zeiten waren unsicher und es war besser Vorsicht walten zu lassen, wenn man im Wald unerwartet auf eine Gruppe von Fremden traf. Trotz der durch König Henry verbesserten Gerichtsbarkeit und dem Einsatz von Sheriffs, die energisch gegen Strauchdiebe vorgingen, gab es noch immer Räuberbanden und Wegelagerer in den Wäldern. Also suchten die beiden vorsichtshalber erst einmal Deckung zwischen den Bäumen seitlich des Weges. Von dort aus konnten sie ungehindert den Pfad beobachten, ohne gleich selbst gesehen zu werden. Im Schutz der Bäume schlugen sie ihre vom Regen schweren und hinderlichen Umhänge zurück, legten wachsam die Hände auf die Griffe ihrer Schwerter und warten.

Der Hufschlag näherte sich und schließlich kam ein Reiter in Sicht. Eine junge Frau preschte in halsbrecherischem Galopp über den glitschigen Boden um die Wegbiegung heran. Die Ritter atmeten auf. Diese Lady mit ihrem eleganten Reitkleid und dem hellen Umhang, der im Reitwind hinter ihr wehte, war sicher kein Strauchdieb. Das war nicht die Kleidung der einfachen Leute und auch ihr wertvolles Pferd gehörte sicher keinem Bauern. Ganz offensichtlich war die Reiterin ein Mitglied der höheren Gesellschaft.

Mit einigem Abstand folgten ihr vier mit Schwertern und kurzen Bögen bewaffnete Männer, augenscheinlich ihr Gefolge. Im Vergleich zu der Frau machten sie jedoch einen etwas heruntergekommenen Eindruck. Während die beiden Ritter sich noch fragten, was die Gruppe wohl zu diesem gefährlichen Tempo veranlasste, hob plötzlich einer der nachfolgenden Männer seinen Bogen, zog einen Pfeil aus seinem Köcher und zielte aus der Biegung heraus auf das Pferd der voranreitenden Frau.

„Das ist gar nicht ihre Eskorte, das sind Wegelagerer! Sie verfolgen die Lady!“

Impulsiv wie immer überlegte Duncan nicht lange und trieb sofort sein Pferd an. Nach Schwert und Schild greifend, preschte er hinaus auf den Weg und hielt auf die Männer zu. Robert warf erst noch einen wachsamen Blick auf die Wegbiegung, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden, aber es kamen keine weiteren Reiter. Dann zog er ebenfalls sein Schwert und lenkte seinen Braunen hinter Duncan her. Es war auch für ihn selbstverständlich, einem bedrängten Menschen zu helfen, aber Leichtsinn nutzte niemandem.

Inzwischen hatte der Bandit seinen Pfeil abgeschossen, doch bei diesem Tempo war es kein einfacher Schuss und er hatte die Reiterin verfehlt. Der Mann fluchte lauthals und versuchte es sofort erneut. Diesmal traf er das Pferd. Allerdings nicht richtig, das Pferd der Lady konnte noch weitergaloppieren, wurde aber deutlich langsamer. Jetzt holten die Verfolger schnell auf und der Schütze konnte leichter zielen. Ein weiterer Treffer und das Tier brach nach einem letzten krampfhaften Sprung zusammen. Die Reiterin stürzte zusammen mit ihrem Pferd und wurde über den Kopf des Tieres hinweg auf den Weg geschleudert, aber es gelang ihr, halbwegs weich abzurollen. Der feuchte Waldboden milderte ihren Sturz zusätzlich ab und sie kam ein wenig schwankend gleich wieder auf die Füße.

In diesem Augenblick hatten die Ritter die Lady erreicht. Duncan parierte sein Pferd neben ihr, während Robert einige Meter weiter ritt und vor den beiden anhielt, um ihnen Deckung vor den herannahenden Banditen zu geben. Die junge Frau, die ihre Aufmerksamkeit auf die Verfolger gerichtet hatte, sah die Ritter nicht kommen und wich erschrocken vor den plötzlich von hinten auftauchenden Männern zurück.

„Immer mit der Ruhe, Mylady, vor uns braucht Ihr keine Angst zu haben“, beruhigte Duncan sie sofort. „Braucht Ihr Hilfe?“

Misstrauisch musterte sie das nur teilweise sichtbare Wappen seines Waffenrockes unter dem halb zurückgeschlagenen Umhang und nickte dann zögernd. Natürlich brauchte sie Hilfe, aber die Ritter waren nur zu zweit. Was konnten sie schon groß ausrichten? Sie wollte die hilfsbereiten Männer nicht in den Tod treiben.

Duncan hatte keine solche Bedenken. Er vertraute auf seine und Roberts Kampfkraft.

„Wir kümmern uns darum. Bleibt hinter uns in Deckung!“ Bevor die junge Frau etwas erwidern und ihn aufhalten konnte, trieb er sein Pferd weiter und schloss zu seinem Freund auf.

Die vier Verfolger hatten angehalten, als ihre schon sicher geglaubte Beute so unerwartet Unterstützung bekam. Doch in nur zwei Rittern sahen sie keine ernsthafte Gefahr, deshalb kamen sie langsamer näher, die Bögen schussbereit.

„Reitet eures Weges, Ritter!“, rief der Wortführer drohend herüber und zog sein Schwert. “Ihr mischt Euch besser nicht in unsere Angelegenheiten ein!“

Die anderen grinsten breit. Zu viert fühlten sie sich sicher.

„Die Lady steht jetzt unter unserem Schutz!“ Roberts Stimme klang hart. „Wer seid Ihr und warum verfolgt Ihr diese Frau?“

„Das geht niemanden etwas an. Gebt die Frau heraus, sonst bekommt Ihr eine Menge Probleme!“

Die Ritter wechselten einen Blick und hoben ihre Schwerter. „Das Risiko gehen wir ein.“

Der Mann startete einen letzten Versuch. Wenn er seine Beute ohne Kampf bekommen konnte, war ihm das natürlich lieber.

„Warum wollt ihr Euer Leben vergeuden, Ritter? Wir werden Euch töten und bekommen die Lady danach trotzdem!“, prahlte er großmäulig. Er hielt sich und seine Strauchdiebe anscheinend für unbesiegbar.

Duncan hatte das Reden bisher Robert überlassen, doch jetzt ging das Temperament mit ihm durch. „Ihr könnt es gerne versuchen, wenn ihr Euch tatsächlich auch an Männer heranwagt!“, fauchte er den Mann aufgebracht an. Er empfand nur Verachtung für diese Banditen, die sich an einer wehrlosen Frau vergreifen wollten.

„Na schön, wie Ihr wollt!“

Der Wegelagerer gab seinen Männern das Zeichen zum Angriff. Die feigen Kerle versuchten es erst mal aus sicherer Entfernung und griffen sich ihre Bögen. Pfeile zischten heran, die die Ritter jedoch ohne Mühe mit ihren Schilden abwehrten. Die Banditen mussten schließlich die Nutzlosigkeit ihrer Strategie einsehen. Sie ließen die Bögen einfach fallen und griffen mit erhobenen Schwertern an. Schilde hatten die Männer nicht dabei. Offensichtlich hatten sie bei der Planung ihrer Tat nicht mit ernsthaftem Widerstand gerechnet.

Robert und Duncan warteten nicht, bis die Männer heran waren, sondern trieben ihrerseits ihre Pferde an und preschten mitten zwischen die Angreifer. Mit den Schilden schützen sie ihre Körper, während sie gleichzeitig harte Schwerthiebe austeilten. Die dicht gedrängten Angreifer mussten einige Treffer hinnehmen, da sie sich auf dem engen Waldweg gegenseitig im Wege waren. Das nutzten die Ritter sofort. Sie ritten zwischen den Männern hindurch, rissen ihre kampfgewohnten Pferde herum und fielen den Banditen in den Rücken, bevor die ihre schwerfälligen Tiere wenden konnten.

Fluchend erkannte der Anführer jetzt seinen Fehler. Er griff mit seiner Truppe meist aus dem Hinterhalt an und traf selten auf heftige Gegenwehr, daher hatte er nicht viel Erfahrung mit offenen Gefechten. Aber er lernte dazu. Rücksichtslos versuchte er, mehr Freiraum zu gewinnen und zwang sein Pferd so brutal herum, dass es heftig gegen den Braunen eines seiner Kumpane prallte und diesen fast zu Fall brachte.

„Geh mir doch aus dem Weg, verdammt!“, schnauzte er den Mann an, dann drang er mit kräftigen Hieben auf Robert ein, der ihm gerade am nächsten war.

Dieser parierte die Schläge und ließ sein Pferd dabei langsam und unauffällig zurückweichen. Der Trick gelang und der Bandit ließ sich im Eifer des Gefechtes von seinen Leuten weglocken, die noch mit ihren Reittieren zu tun hatten und gleichzeitig Duncan im Nacken wussten. Erst als der Mann ohne die Deckung seiner Kumpane nur noch auf sich gestellt war, griff Robert an. Ein leichter Schenkeldruck genügte und sein gut trainierter Brauner drängte vor.

Der Bandit fing die Hiebe des Ritters gekonnt mit seinem Schwert ab. Er mochte vielleicht unerfahren sein, aber er konnte kämpfen. Da der Mann aber keinen Schild hatte, brauchte er seine Waffe zur Abwehr und konnte selbst kaum einen Schlag anbringen. Wütend zog er schließlich unbemerkt mit der Linken seinen Dolch. Sobald Robert zum nächsten Schlag ausholte und den Arm hob, nutzte der Mann die Gelegenheit und stach trotz des Kettenhemdes nach dessen Rippen. Er würde den Ritter so kaum töten können, das wusste er, aber ein kräftig geführter Dolchstoß konnte das Kettenhemd immerhin aufbrechen und den Gegner verletzten.

Robert bemerkte im letzten Augenblick das Aufblitzen der Klinge und reagierte gerade noch rechtzeitig. Sein Arm fuhr herunter und der Griff seines Schwertes krachte heftig auf die Hand des hinterlistigen Angreifers. Der Mann stöhnte auf und der Dolch entglitt seinen schmerzenden, gefühllosen Fingern. Die Waffe streifte knapp Roberts Bein und fiel dann zwischen die Hufe der Pferde in den aufgewühlten Schlamm.

Inzwischen hatte ein zweiter Bandit sein Pferd gedreht und kam seinem Anführer jetzt zu Hilfe. Bevor der Mann heran war und einen Angriff startete, warf Robert schnell einen prüfenden Blick zu seinem Freund hinüber. Duncan ließ gerade sein Pferd tänzeln um sich den einen seiner Gegner vom Hals zuhalten, während er gleichzeitig heftig auf den anderen einschlug. Es sah nicht aus, als wäre er sehr in Bedrängnis und Robert konzentrierte sich beruhigt wieder auf seinen eigenen Kampf.

Nach kurzer Zeit wurde den Banditen die Situation klar. Die Männer hatten die Kampfkraft der Ritter erheblich unterschätzt, zumal die noch dazu durch ihre Schilde und Kettenhemden geschützt waren. Dennoch, obwohl die Ritter ihr Bestes taten, konnten sie unmöglich alle vier Angreifer gleichzeitig im Auge behalten und es gelang ihnen nicht, die Lady völlig von den Banditen abzuschirmen.

Einer der Wegelagerer konnte sich schließlich absetzen. Er überließ die weiteren Gefechte mit den Rittern seinen Spießgesellen und drückte sich unauffällig an den Kämpfern vorbei. Hämisch grinsend ritt er auf Frau zu und streckte siegesgewiss den Arm nach ihr aus. Sollten sich doch seine Kumpane mit den Rittern herumschlagen, er würde sich einfach die wehrlose Beute greifen und sich mit ihr davonmachen.

Aber er sah sich getäuscht, ganz so wehrlos wie erwartet war diese junge Aristokratin nicht. Als sie ihn kommen sah, zog sie einen kleinen, goldenen Dolch mit edelsteinverziertem Griff aus einer verborgenen Tasche ihres Kleides und wich zurück.

„Lasst doch den Unsinn, was wollt Ihr mit diesem Spielzeug schon groß ausrichten?“

Die kleine Waffe entlockte dem Mann nur ein müdes Lächeln und er setzte ihr sofort nach, ärgerlich über die Verzögerung. Er sah keinerlei Gefahr in der zierlichen jungen Frau und gönnte ihrem Dolch kaum einen zweiten Blick. Darauf gefasst, dass sie wieder vor ihm zurückweichen würde, drängte er sein Pferd dicht neben sie und wollte dann erneut nach ihr greifen. Doch diesmal versetzte sie ihm blitzschnell und ohne zu zögern mit der zwar kleinen, aber sehr scharfen Klinge einen tiefen Stich in den Unterarm. Der Strauchdieb stöhnte auf. Fluchend zog er den Arm zurück und besah die heftig blutende, schmerzhafte Wunde. Er hatte sich gewaltig verschätzt, die goldene Waffe war alles andere als ein nutzloses Schmuckstück und die Lady konnte damit umgehen.

„Nun, Mylady, es geht auch anders!“ Er versuchte nicht länger sie lebend zu fangen, jetzt wollte er sie töten! Die beißenden Schmerzen weckten seinen Jähzorn und er schlug wütend mit dem Schwert nach ihr.

Die Ritter versuchten unterdessen, die übrigen Wegelagerer mit harten Schwerthieben in die Flucht zu schlagen. Erfolglos, die Männer ließen sich nicht abschrecken und griffen immer wieder an. Das war ungewöhnlich. Normalerweise waren solche Strauchdiebe nicht so mutig. Sie griffen bevorzugt aus dem Hinterhalt an und gingen direkten Kämpfen lieber aus dem Weg. Diese junge Frau musste schon eine wirklich wertvolle Beute für die Banditen sein, wenn sie dafür sogar ihr Leben aufs Spiel setzten.

Das Klirren der Schwerter hallte durch den Laubwald. Es hatte wieder begonnen zu nieseln und ein kalter Wind zerrte an den nassen Umhängen der Ritter, doch die Kämpfer merkten es nicht einmal. Ihre volle Aufmerksamkeit war allein auf die Gegner gerichtet.

Robert hatte den Anführer gleich nach seinem heimtückischen Angriff mit dem Dolch überwinden können. Die schmerzende Hand behinderte kurzzeitig die Bewegungen des Mannes und dieser Augenblick genügte dem Ritter. Ohne groß auszuholen, stieß Robert dem Mann aus dem Handgelenk heraus sein Schwert durch die Kehle. Blut drang aus der tödlichen Wunde und besudelte die Kleidung des Banditen und spritzte auch über Roberts Umhang. Mit weit aufgerissenen Augen ließ der Strauchdieb sein Schwert fallen und griff sich röchelnd an den Hals, als wolle er das durch seine Finger rinnende Blut aufhalten. Nach Atem ringend sackte er zusammen und stürzte in den Dreck.

Der zweite Schurke gönnte seinem sterbenden Anführer keinen Blick. Er war sich selbst der Nächste und konnte jetzt vielleicht sogar auf dessen Posten hoffen, wenn er den Ritter erledigte und die Frau einfing. Sein Kumpan würde schon mit dem anderen Ritter fertig werden, das setzte er bei seinen Überlegungen voraus, und dann hatte er freie Bahn.

Doch er irrte sich doppelt. Duncan hatte seinem Gegner schon eine heftig blutende Wunde zufügen können und würde nicht mehr lange brauchen, ihn zu bezwingen. Er holte gerade zum entscheidenden Schwerthieb aus und auch Robert nahm den Kampf wieder auf. Aus dem Stand heraus ließ Robert sein Pferd gegen den ungelenken Gaul des Banditen springen. Das bedrängte Tier wollte erschrocken ausbrechen und der Mann musste es hart zügeln, wobei er Robert eine Sekunde aus den Augen lassen musste. Diese geringe Unaufmerksamkeit kostete ihn das Leben. Er reagierte zwar noch auf Roberts Bewegung, aber seine Abwehr kam zu spät und Roberts Schwert traf ihn mitten in die Brust. Ächzend hauchte er sein Leben aus, noch bevor sein stürzender Körper den Waldboden berührte.

Jetzt endlich konnte Robert der bedrängten Lady zu Hilfe kommen und es wurde auch höchste Zeit. Ihr kleiner Dolch war gegen ein Schwert nicht wirklich hilfreich, deshalb hatte sie bei der ersten Gelegenheit einen kräftigen Eichenknüppel aufgehoben, und sich dann, den angreifenden Banditen gekonnt abwehrend, in den Schutz eines Baumes zurückgezogen. Den dicken Baumstamm zwischen sich und dem Wegelagerer verteidigte sie sich tapfer. Der Bandit konnte ihr so nicht viel anhaben. Bevor er sein grobschlächtiges Pferd um die mächtige Eiche herumgelenkt hatte und zum Schlag ausholte, war die junge Frau längst auf der anderen Seite des Baumes.

Krachend fuhr der Stahl seines Schwertes zum wiederholten Male in den Stamm des Baumes. Er hatte sie wieder nicht getroffen! Nicht ihr Kopf, sondern nur das Holz splitterte unter seinem Hieb. Der Genarrte schäumte inzwischen vor Wut. Wenn er sie nur endlich in die Finger bekäme! Das wäre ihr sicherer Tod!

So kam er keinen Schritt weiter. Zähneknirschend sah er es schließlich ein und glitt vom Pferd. Jetzt wurde die Lage bedrohlich für die zierliche Lady, denn gegen die Kraft dieses bulligen Mannes konnte sie in einem Zweikampf sicher nicht bestehen. Aber das wusste sie. Sie kannte ihre Schwächen und bemühte sich, ein Kräftemessen zu vermeiden. Dabei kam ihr die Wut des Banditen für eine Weile zu Hilfe, denn der cholerische Mann vergaß sämtliche Kampftechniken und sah nur noch rot.

Als der Bandit jetzt wieder angriff, hob das Mädchen abwehrend ihren Knüppel und sprang gleichzeitig zu Seite. Entschlossen, ihre Deckung zu durchbrechen, legte der Mann seine ganze Stärke in den Hieb. Doch er streifte nur leicht ihren Knüppel, dann schnitt sein Schwert wirkungslos durch sie Luft.

Durch die Wucht seines eigenen Schlages getrieben, der nicht wie erwartet auf Widerstand stieß, sondern wieder nur ins Leere fuhr, stolperte der Mann einige Schritte weiter. Sie nutzte die Gelegenheit und verpasste dem Mann ihrerseits einen kräftigen Hieb, bevor der sich fangen konnte und herumfuhr. Mit einem Wutschrei ging er sofort wieder auf sie los. Die Lady glitt mit einer schnellen Drehung aus seiner Reichweite und entkam erneut. Aber inzwischen war der Mann schlauer geworden. Dieses Mal hatte er mit ihrem Ausweichen gerechnet, er setzte augenblicklich nach und sein Schwerthieb verfehlte sie nur noch ganz knapp. Sein nächster Schlag würde treffen.

Im letzten Augenblick war Robert heran und drängte sein Pferd mit einem Satz gegen den Banditen. Der Mann wurde umgeworfen, rollte sich ab und sprang sofort wieder auf die Füße. Unterdessen hatte sich der Ritter aus dem Sattel geschwungen und trat dem Mann nun grimmig entgegen.

„Ihr seid wirklich ein Held! Versucht es einmal mit mir!“ Aufrecht stand der Ritter da und musterte den Banditen aus schmalen, eiskalten Augen. Mühsam bezwang er seine Wut und holte tief Atem. Im Kampf die Beherrschung zu verlieren konnte ein tödlicher Fehler sein, das wusste er sehr gut.

Der Wegelagerer ließ sich nicht lange bitten. Vorsichtig und langsam näherte er sich dem Ritter, Schritt für Schritt, und sprang dann plötzlich vor. Robert machte es kurz. Er täuschte einen Ausfallschritt vor, und als der Mann seiner Bewegung folgte und ihm die Seite zudrehte, holte er blitzschnell mit seinem Schwert aus und stieß zu. Blut quoll durch die Kleidung des Mannes. Er schrie auf und krümmte sich, brachte aber noch sein Schwert hoch und hieb nach dem Ritter. Dieser schlug die Waffe zur Seite und versetzte dem Verletzten den Todesstoß direkt ins Herz. Ohne einen weiteren Laut brach der Mann zusammen.

Robert beugte sich vorsichtig über den Banditen und überzeugte sich davon, dass der Gefallene wirklich tot war. Nach einem Blick auf Duncan, der jedoch ebenfalls gerade seinen Gegner überwunden hatte und keinen Beistand brauchte, stieß er sein Schwert in die Scheide zurück und wandte sich der Lady zu.

Er schob seine Kapuze in den Nacken und strich das dunkle Haar zurück, das ihm feucht und strähnig in die Stirn hing. Seine grauen Augen musterten die hübsche junge Frau eingehend, die den Kampf entsetzt verfolgt hatte. Kleid und Umhang waren nass und durch den Sturz vom Pferd voller Schlamm und in ihrem zerzausten, rotblonden Haar glitzerten Regentropfen. Sie stand noch immer am Waldrand und hatte den Knüppel sinken lassen, behielt ihn aber fest in der Hand. Aufgewühlt sah sie auf den toten Banditen, während sie mit der anderen Hand Halt suchend nach dem von Hieben gekennzeichneten Stamm des Baumes tastete, der ihr eben noch als Deckung gedient hatte.

„Es tut mir leid, dass Ihr das mit ansehen musstet, Mylady. Seid Ihr unverletzt?“ Als Robert sie leise ansprach, hob sie den Kopf und sah ihn aus tiefblauen Augen an.

„Ja, es geht mir gut. Ich danke Euch für Eure Hilfe“, erwiderte sie dankbar und schauderte. “Ihr kamt gerade zur rechten Zeit.“

Jetzt trat Duncan, sein Pferd am Zügel führend, zu ihnen. Er hatte ihren letzten Satz gehört und meinte, mit einem Seitenblick auf den Toten:

„Ihr könnt mit dem Knüppel gut umgehen, Mylady. Zum Glück, sonst wären wir zu spät gekommen.“ Seine Stimme klang erleichtert. „Was wollten die Männer von Euch?“

Unsicher zuckte sie die Achseln. „Ich weiß nicht. Ich war mit meiner Kammerfrau und zwei bewaffneten Begleitern unterwegs, als wir aus dem Hinterhalt von mehreren Männern angegriffen wurden. Meine Leibwächter konnten gegen die Überzahl der Banditen nicht lange standhalten und auch meine Zofe wurde von Pfeilen getroffen. Seltsamerweise schossen sie nicht auf mich und so versuchte ich zu fliehen. Nur diese vier Männer verfolgten mich, die anderen blieben dort. Den Rest wisst Ihr. Ohne Euer Eingreifen wäre ich sicher nicht entkommen. Ich stehe in Eurer Schuld.“

„Solche Wegelagerer sind meist nur auf Beute aus, wahrscheinlich wollten sie Euer Geld.“

Der junge Ritter wies auf ihren Knüppel, den sie noch in der Hand hielt: „Gegen uns braucht Ihr keine Waffe. Auch wenn wir wahrscheinlich nicht besonders vertrauenerweckend wirken.“ Er sah an sich herunter und grinste.

Da hatte er nicht unrecht. Mit unordentlichen, feuchten Haaren und den vor Nässe triefenden, blutbefleckten Umhängen sahen sie nicht viel besser aus, als die Banditen. Duncan lachte sie mit seinen warmen braunen Augen so gewinnend an, dass sie nicht anders konnte und zurücklächelte.

„Verzeiht.“ Sie ließ ihre Waffe fallen und kam zu ihnen auf den Weg. „Bitte, seht mein unhöfliches Verhalten nicht als Misstrauen gegen Euch.“

Robert winkte ab. „Es ist nur vernünftig, vorsichtig zu sein. Verratet Ihr uns Euren Namen?“

„Ich bin Joan Ashby.“

Hellhörig geworden, wechselten die beiden Ritter einen Blick. „Ashby, seid Ihr aus Sleaford?“

„Ja, stimmt. Der Graf von Sleaford ist mein Bruder.“

Lady Joan betrachtete jetzt ihrerseits die beiden jungen Männer genauer. „Das ist das Wappen des Königs. Wer seid ihr?“

Warnend warf Robert dem impulsiven Duncan einen Blick zu. Dann sagte er mit einer Verbeugung: „Sir Duncan und Sir Robert, wir sind tatsächlich Ritter am Hofe von König Henry und in seinem Auftrag unterwegs.“

Er vermied es, ihre Familiennamen zu nennen. Es war besser, vorerst unerkannt zu bleiben, zumindest, bis sie die Lady besser kannten.

Wachsam sah Lady Joan von einem zum anderen. Sie hatte ihn durchschaut, ihr argwöhnischer Gesichtsausdruck zeigte es deutlich. Aber sie hakte nicht nach und gab sich mit dieser halben Information zufrieden.

„Dann muss ich wohl dem König danken. König Henry duldet nur die besten Kämpfer an seinen Hof, das ist bekannt und diesem Umstand verdanke ich wohl mein Leben. Nicht jeder wäre mit vier Gegnern fertig geworden.“

Jetzt mischte sich Duncan wieder ein. Er betrachtete kurz den wolkenverhangenen Himmel und meinte: „Da kommt noch mehr Regen. Auch wird es bald dunkel und heute könnt Ihr Sleaford auf keinen Fall mehr erreichen, Lady Joan. Einige Meilen weiter nördlich liegt das Dorf Foxhill, und soviel ich weiß, gibt es dort einen recht ordentlichen Gasthof. Was haltet Ihr davon, uns für heute Nacht dorthin zu begleiten? Dann sehen wir weiter, was zu tun ist.“

„Ja, das ist wohl das Beste.“ Ohne zu zögern stimmte sie dem Vorschlag der ihr fremden Männer zu. Der Ritterstand der beiden und das Wappen des Königs genügten ihr als Garantie für deren Ehrbarkeit. „Ich kenne die Ortschaft. Eigentlich hatte ich geplant, weiter nördlich in Oakham zu übernachten, aber auch das ist jetzt zu weit.“ Ein Windstoß trieb der jungen Frau einige Regentropfen ins Gesicht und sie schlug ihre heruntergerutschte Kapuze hoch und zog den verschmutzten Umhang fester um die Schultern.

Robert sah sich nach den Pferden der Wegelagerer um, die in der Nähe geblieben waren. „Es macht Euch hoffentlich nichts aus, ein fremdes Pferd zu reiten?“ Als sie den Kopf schüttelte, fuhr er fort. „Gut, dann reitet Ihr am besten mit meinem Freund voraus. Ich möchte mir erst den Ort des Überfalles einmal näher ansehen.“

Er ging zu einem groben Schimmel, der einige Meter weiter mit gesenktem Kopf wartete, und führte ihn heran, während Duncan schon in den Sattel seines Pferdes stieg. Robert half Lady Joan in den Sattel und schwang sich dann ebenfalls auf sein Pferd.

„Fertig? Dann los. Ich hole euch später ein.“ Robert trieb seinen Braunen an und trabte den Weg zurück. Schlamm spritzte von den Hufen seines Pferdes auf, dann war er um die Biegung und außer Sicht.

Zwei weitere Banditenpferde waren am Kampfplatz geblieben und Duncan nahm ihre Zügel auf, er wollte die Tiere zum Gasthaus mitnehmen. Dann folgte er mit Lady Joan dem Weg weiter nach Norden.

„Kommt Ihr mit dem Schimmel zurecht?“, fragte Duncan seine Begleiterin.

„Es wird schon gehen.“

Ihre Antwort kam einsilbig und Duncan warf ihr einen prüfenden Blick zu. Mit verkrampften Fingern hielt sie die Zügel des Banditenpferdes und er konnte sehen, wie ihre Hände bebten. Sie hatte das schreckliche Erlebnis des Überfalles keineswegs überwunden, auch wenn sie versuchte, es zu übergehen, und Duncan ließ sie in Ruhe. Dabei konnte er ihr nicht helfen. Er erinnerte sich noch gut an sein eigenes Entsetzen nach seinem ersten Gefecht.

Ihren Gedanken nachhängend ritten sie langsam durch den stillen Wald. Zwischen den hohen, alten Bäumen war es dämmrig und außer dem Hufschlag der Pferde war nur das leise Tröpfeln des Nieselregens zu hören. Selbst die Vögel schwiegen, nur der Wind pfiff durch die blattlosen Äste des Waldes.

Nach einer Weile klang Hufschlag hinter ihnen auf. Duncan wendete sofort sein Pferd und wartete, die Hand wachsam auf dem Griff seines Schwertes. Aber seine Vorsicht war unnötig. Der Reiter war Robert, der jetzt zu ihnen aufschloss, zwei Packpferde mitführend.

Ungläubig wies Duncan auf die Packpferde: „Wie kommst du an die Pferde, die Banditen haben doch wohl nicht ihre Beute zurückgelassen?!“

„Doch, haben sie! Den Überfall hat außer Lady Joan niemand überlebt, doch es wurde nicht geplündert, sogar die Waffen waren noch dort. Den Spuren nach zu urteilen sind die Banditen nach dem Angriff eilig in die andere Richtung davon geritten, ohne auf die Verfolger von Lady Joan zu warten.“

Erschrocken sah die junge Frau ihn an, als ihr klar wurde, was das bedeutete.

„Dann war das kein gewöhnlicher Beutezug, sondern die Männer waren gezielt hinter mir her! Aber warum?“

„Es kommt noch schlimmer.“ Während Robert sprach, zog er einen Pfeil aus dem Gürtel und zeigte ihn seinen Begleitern. „Hier, einer der toten Wegelagerer hatte mehrere solcher Pfeile bei sich.“

Der Pfeil war kürzer als diejenigen, die die Angelsachsen üblicherweise für ihre Langbögen verwendeten. Das hintere Ende mit den Federn war grün gefärbt.

„Ein Normannenpfeil“, stellte Lady Joan fest.

„Richtig“, bestätigte Robert. „Erkennt Ihr die Farben?“

„Natürlich. Das sind die Farben des Herzogs von Grantham.“

„Ja, genau.“ Sein Ton ließ sie aufblicken, doch er hielt die Lider gesenkt und seine Augen ließen keine Regung erkennen. Duncan sah allerdings besorgt aus und bewegte sich unruhig im Sattel.

„Aber die Ländereien von Grantham liegen doch ein ganzes Stück weiter nördlich. Was sollten die Männer des Herzogs hier in der Grafschaft Leicester?“, warf die junge Frau verwundert ein. „Außerdem, Herzog Edward de Tourneau ist ein ehrbarer Mann. Nein!“ Sie schüttelte überzeugt den Kopf. „Er hat sicher nichts damit zu tun! Vielleicht waren diese Pfeile die Beute aus einem früheren Raubzug der Banditen.“

„Nanu, Ihr als Angelsächsin nehmt ein Mitglied des normannischen Hochadels in Schutz?“

Sie zuckte die Achseln. “Was interessiert mich seine Herkunft? Ich kenne ihn als aufrechten Mann, aber ich wollte ihn nicht verteidigen. Dazu besteht gerade jetzt kein Grund, denn er scheint plötzlich Anspruch auf unsere Ländereien zu erheben. Nur ist das kaum ein Grund sich an mir zu vergreifen.“ Doch, während sie das sagte, kamen ihr selbst Zweifel. Sie kannte den Herzog schließlich nicht persönlich. „Oder vielleicht doch?“

Auf keinen Fall, hätte Robert fast geantwortet. Er konnte die Worte gerade noch zurückhalten. Sie waren nicht als Privatleute unterwegs und bei einer offiziellen Untersuchung durfte er keine persönliche Meinung haben.

„Das werden wir heraus bekommen. Dieser Überfall wirft viele Fragen auf.“

„Ihr? Ist das nicht eher eine Angelegenheit der Sheriffs?“

Der dunkelhaarige Ritter steckte den Pfeil zwischen sein Gepäck.

„Eigentlich schon. Aber wir haben sowieso in der Gegend zu tun“, antwortete er vage und wechselte vorsichtshalber das Thema. „Jetzt sollten wir uns etwas sputen, sonst ist es dunkel, bevor wir beim Gasthaus ankommen. Dort können wir reden.“

Also ließen sie die Pferde in Trab fallen, die Packtiere und Banditenpferde nachziehend. Die Bäume standen jetzt nicht mehr so dicht und etwas mehr Licht des schwindenden Tages drang auf den Weg. Durch Matsch und Pfützen trabten die Reiter vorsichtig den aufgeweichten, glitschigen Pfad entlang, durchquerten einen munter dahinfließenden Bach und erreichten schließlich den Saum des Waldes. Der Laubwald machte jetzt einer Rodung Platz. Weite, buschbestandene Wiesen mit einzelnen Obstbäumen und schmale, noch unbestellte Felder breiteten sich vor ihnen aus. Hier, außerhalb des schützenden Waldes, fegte der immer kräftiger werdende Wind eiskalt über das Land und durch die nassen Kleider der Reiter. Frierend kauerten sie sich zusammen und ritten eilig durch die Wiesen auf die kleine Ortschaft zu, deren Gehöfte sie in einiger Entfernung im Dämmerlicht ausmachen konnten. Alle drei konnten es kaum erwarten, den beißend kalten Böen zu entkommen und trockene Sachen anzulegen.

Die Angelsächsin

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