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Henry II Plantagenet, König von England, Herzog von Aquitaine und der Normandie und Graf von Anjou, hatte sich mit seinem Hofstaat auf dem Festland in der Festung seiner normannischen Hauptstadt Rouen häuslich eingerichtet. Dort war er sicher vor möglichen Übergriffen seiner diversen Feinde, denn sowohl die Stadt als auch seine Burg waren überaus gut befestigt mit Mauern, Wällen, Gräben, Zugbrücken und Fallgitter. Der König hatte keine Kosten und Mühen gescheut, seinen Hauptsitz in eine uneinnehmbare Bastion zu verwandeln. Es gab mehrere Brunnen, die die Versorgung mit Trinkwasser sicherten und König Henry hatte Vorräte in schier unerschöpflichen Mengen einlagern lassen. Außerdem waren neben der kampfgewohnten Burgbesatzung genügend Truppen in der Umgebung stationiert, die ihrem König bei Bedarf in kürzester Zeit zu Hilfe kommen würden.

Nun wartete er in aller Ruhe auf die ersten Aktionen seiner Feinde, und diese Feinde waren zur Abwechslung einmal seine eigene, gegen ihn rebellierende Familie. Nicht, dass er nicht auch so genügend Widersacher gehabt hätte. Irgendjemand wollte immer das eigene Land auf Henrys Kosten vergrößern, oder Rache nehmen für eine alte Geschichte, und jetzt musste auch noch seine Familie den Aufstand proben! Sein Ältester und Thronerbe wollte Regierungsmacht, jetzt sofort, und seine Brüder hatten sich ihm angeschlossen. Der König war erst 40 Jahre alt und der Kronprinz wollte nicht ewig auf sein Erbe nach dem Tod seines Vaters warten müssen.

Mindestens eine gleichberechtigte Mitherrschaft forderte der Thronerbe, doch da spielte König Henry nicht mit. Er war der König, und Herzog, er hatte es nicht nötig irgendetwas zu teilen! Mit niemandem! Sein Sohn, dieser aufmüpfige Flegel, war wohl größenwahnsinnig geworden! Aber sollte er nur kommen, König Henry war vorbereitet.

An einem schönen Tag im Frühsommer rief König Henry einige ausgewählte Mitglieder seines Hofes zur Beratung in sein Arbeitszimmer. Er war es allmählich leid nur herumzusitzen und zu warten, sondern wollte jetzt selbst die Initiative ergreifen und gegen seinen Sohn vorgehen. Aber das musste sorgfältig geplant werden, und dazu brauchte er Informationen. Natürlich hatte der König seine eigenen Zuträger, die überall im Land für ihn spionierten, aber auch seine Aristokraten hatten ihr Netzwerk. Besonders wichtig für König Henry war der immer gut informierte Prior des Klosters draußen zwischen den Hügeln vor der Stadt, Guillaume Bermot, ein Mann mit weitreichenden Kontakten. Dazu kam noch, dass die Menschen Vertrauen zur Kirche hatten und dem Prior gelegentlich auch über eigentlich geheime Vorgänge berichteten, von denen der König auf normalem Wege nie erfahren würde.

Nach und nach traten die Männer in den spärlich eingerichteten Raum und grüßten ehrerbietig. Wie fast immer traf der junge Graf Phillip de Moyens als Letzter ein. Nicht etwa eilig, da die anderen schon versammelt waren und auf ihn warteten, sondern gemessenen Schrittes. Sonst würde er ja ins Schwitzen geraten und das schickte sich nicht für einen edlen Herrn. Allerdings war er immer zum verabredeten Zeitpunkt vor Ort, meist exakt auf den Glockenschlag, denn mit der Pünktlichkeit nahm er es sehr genau. Wenn die anderen Gesprächsteilnehmer übereifrig schon vor der Zeit zusammentrafen, dann war das nicht sein Problem.

„Was mag er wohl diesmal für einen höchst wichtigen Grund für seine Verspätung haben?“, fragte Prior Guillaume leise seinen Nebenmann. Dabei war der Graf auch diesmal wieder nicht wirklich zu spät.

„Wahrscheinlich hat sein Ring nicht zum Wams gepasst und er musste erst einen andern auswählen!“, raunte François Delaborde, König Henrys fähigster Heerführer, mit einem verächtlichen Blick auf die juwelengeschmückten Hände des jungen Grafen, säuerlich zurück. Der Stutzer mit seinem überhöflichen, gezierten Gehabe ging ihm zunehmend auf die Nerven.

König Henry war sowieso schon gereizt, das war ihm anzusehen. Er setzte zu einer Rüge für den Nachzügler an, doch gerade in diesem Moment klang vom Turm der Festungskapelle deutlich hörbar das Stundenläuten herüber und nahm ihm den Wind aus den Segeln. Graf Phillip war durchaus pünktlich eingetroffen, wie immer, also beherrschte König Henry sich, und wandte sich an alle Anwesende. Es gab sowieso Wichtigeres, über das er sich aufregen konnte.

„Ihr wisst alle, dass der Kronprinz sich mit seinem Schwiegervater, König Louis von Frankreich, verbündet hat.“ Aufgebracht tigerte er durch den Raum und fuhr sich mit den Fingern durch sein kurz geschorenes, brandrotes Haar. „Verdammt, was hat der Franzose sich da einzumischen?! Diese lächerliche Rebellion meines Sohnes ist eine reine Familienangelegenheit, das geht Louis überhaupt nichts an!“

Sein rundes, sommersprossiges Gesicht nahm vor Wut die Farbe seiner Haare an, als er am Fenster kurz stoppte und mit der Faust auf eine massive Eichentruhe hieb. Vor sich hin schimpfend nahm er seine Wanderung sofort wieder auf, während seine Berater geduldig warteten, bis er sich wieder beruhigt hatte. Das kannten sie schon. König Henry ging schnell mal in die Luft, aber seine Empörung verging dann auch so schnell wieder, wie sie aufgeflammt war.

Bei Hofe erzählte man sich eine alte Geschichte über des Königs wildes Temperament und schrieb es dem Erbe einer schönen Vorfahrin zu, die angeblich ein Dämon gewesen war. Sie war eine Frau von unbekannter Herkunft gewesen, ohne jegliche politische Bedeutung, und ein nicht näher benannter Urahn Henrys war ihr in blinder Liebe verfallen gewesen, so hieß es. So sehr verfallen, dass er sie gegen alle Sitten und Gepflogenheiten geheiratet hatte. Es war üblich, eine solche Frau als Mätresse zu halten. Eine Heirat jedoch war zu jener Zeit undenkbar gewesen und war es auch heute noch, und doch hatte Henrys Vorfahr sie zur Ehefrau erwählt.

Kein Mann bei Verstand würde so handeln, also steckte eindeutig Hexenwerk dahinter. Die Dämonin hatte ihn mit einem Zauber belegt! Der Beweis dafür ließ nicht lange auf sich warten: Die Schöne weigerte sich hartnäckig, zur heiligen Messe die Kirche zu betreten. Und wenn sie sich doch ausnahmsweise überreden ließ, dann blieb sie nie bis zum Schluss. Schnell tuschelten die Leute über das seltsame Verhalten der Königin, und auch der gottesfürchtige König musste langsam um seinen guten Ruf fürchten. So konnte es nicht weiter gehen, also postierte ihr Ehemann eines Tages vier Wachen neben ihr, die sie in der Kirche unauffällig an ihren Kleidern festhalten sollte. Als sie wie erwartet die Messe vor dem Ende verlassen wollte, wurde sie auf ein Zeichen des Königs daran gehindert. Aber statt sich zu fügen, kreischte und schrie sie wie eine Furie, fuhr schließlich aus ihren Kleidern, entschwand nackt durch ein Kirchenfenster und wurde nie mehr gesehen.

Auch an diesem Morgen mochte der eine oder andere an diese Geschichte denken, als König Henry mit kräftigen Schritten auf seinen leicht gebogenen Beinen fluchend den Raum durchmaß. Dem Grafen Jean de Anotaux jedenfalls glitt ein leises Lächeln über das Gesicht, während die jüngeren Anwesenden angelegentlich ihre Hände oder die gestickten Wandteppiche betrachteten, bis das Feuer verraucht war.

„Nun gut, daran ist wohl nichts mehr zu ändern.“

König Henry blieb schließlich neben einer Gruppe gepolsterter Hocker stehen, atmete tief durch und sah, schon deutlich ruhiger, mit seinen graublauen Augen fast wieder gelassen in die Runde. Er setzte sich jedoch nicht, und auch daran waren die Männer gewohnt. Henry behandelte seinen Körper mit Strenge, er war stolz auf die große Kraft seines breiten, nur mittelgroßen Körpers und wollte auf keinen Fall dick und faul werden. Er setzte sich meist nur zum Essen, speiste und trank maßvoll und war danach sofort wieder auf den Beinen. Für seine Höflinge war diese Marotte ärgerlich, denn natürlich durften sie auch nicht sitzen, solange der König stand, und das konnte bei längeren Besprechungen schon recht anstrengend werden.

Auch jetzt standen sie alle ergeben um die Sitzgruppe herum, während Henry fortfuhr.

„Eigentlich dachte ich, dass ich meinen Ältesten unter Kontrolle habe, weil er nur Titel ohne Bedeutung besitzt und ihm dadurch die Mittel und die Macht für ein Aufmucken fehlen. Das war wohl ein Irrtum. Jetzt hat mein Sohn doch tatsächlich in König Louis einen bereitwilligen Verbündeten und Geldgeber gefunden!“

Das war Henrys eigene Schuld. Im Gegensatz zu England, dessen König Henry war, gehörte die Normandie, Henrys Herzogtum, zu Frankreich und unterstand somit König Louis. In den vergangenen Jahren hatte Henry nun auf dem Festland seinen Einflussbereich und seine Macht stetig weiter ausgebaut, misstrauisch beobachtet von seinem Lehnsherrn König Louis, der langsam seine eigene Macht gefährdet sah. Henry hatte Kriege gegen Feinde und Neider gewonnen, Nachbarn unterworfen oder als Verbündete gewinnen können, und mittlerweile kontrollierte er England, Ostirland, die Normandie, Aquitaine, Anjou und die Bretagne. Er hatte sein Heer vergrößert und Söldner angeworben und war zu einer potenziellen Gefahr für den französischen König geworden. Angestachelt durch den englischen Kronprinzen reagierte König Louis jetzt. Er forderte den Treueeid und die bedingungslose Unterwerfung von Henry in seiner Eigenschaft als Herzog der Normandie. Sehr zur Freude des Kronprinzen, der sich dann auch ein gutes Stück vom Kuchen nehmen würde.

„Vielleicht solltet Ihr König Louis nachgeben. Noch hält sich der Schaden in Grenzen und der Franzose ist kein rachsüchtiger Mann. Über seine Forderungen werdet Ihr Euch sicher einigen können.“ Prior Guillaume setzte auf Diplomatie, wie Henry normalerweise auch. Ein Krieg war immer mit hohen Verlusten verbunden, die Henry gerne zu verhindern suchte. Diesmal jedoch glaubte er nicht mehr an eine friedliche Lösung.

„Prior, Ihr verkennt die Lage. Mit König Louis hätte ich gar kein Problem, wenn mein machtgieriger Sprössling nicht wäre. Louis ist seit jeher mein Lehnsherr hier in Frankreich, ihm würde ich mich unterwerfen. Nun ja, wahrscheinlich, das käme natürlich auf die Bedingungen an. Aber immerhin ist seine Tochter mit meinem Sohn verheiratet und ich denke, mit ihm würde sich auf diplomatischem Wege eine Einigung finden lassen. Leider ist jetzt jedoch mein Sohn als Verbündeter von Louis an den Verhandlungen beteiligt und dessen Forderungen kenne ich ja, die sind schlichtweg unerfüllbar. Ich würde einen guten Teil meiner Herrschaft verlieren, an meinen eigenen Sohn! Nicht nur hier auf dem Festland, sondern auch in England! Nein. Klein beigeben würde mich letztlich vielleicht sogar meinen Thron kosten, das kommt also auf keinen Fall infrage.“

Wenn es um Belange im französischen Raum ging, war Henry seinem Lehnsherrn König Louis Gehorsam schuldig, keine Frage. Dummerweise hatte sich nun aber Henrys rebellierender Thronerbe, der nur mit seinen Brüdern und den paar Kämpfern aus ihren unbedeutenden Ländereien keine Chance gegen den despotischen Vater sah, an seinen Schwiegervater König Louis gewandt und ihn um Unterstützung gebeten. Und diese hatte er auch bereitwillig bekommen.

Nun saß Henry in der Zwickmühle, denn den Forderungen seiner Söhne, allen voran seines Thronerben, würde er nie nachgeben. Es fehlte noch, dass er sich von seinen eigenen Kindern Vorschriften machen ließ! Doch jetzt war plötzlich König Louis der Schutzpatron des Prinzen. Jetzt stellte der die Forderungen, und wenn Henry ablehnte, verweigerte er damit seinem Lehnsherrn den Gehorsam. Und das wiederum würde sich der Franzose sicher nicht gefallen lassen.

Auch diese verfahrene Situation war durch Henrys eigenes Verschulden entstanden. Henry selbst hatte schon vor Jahren seinen ältesten Sohn, der ebenfalls den Namen Henry (der Jüngere) trug, zur Vermeidung von Erbstreitigkeiten zu seinem Mitkönig krönen lassen. Aber nur auf dem Papier. Der Grund war einfach: Henry konnte nicht teilen. Von Kindheit an für ein Leben als Herrscher erzogen, hatte er teilen nie gelernt und er wollte es auch nicht lernen. Er war gerne der Alleinherrscher, ihm gehörte die ungeteilte Macht über seine Ländereien und genau so wollte er es haben. Sogar seine Frau, Königin Eleonore, hatte er von allen Regierungsgeschäften ausgeschlossen, und er dachte nicht im Traum daran, für seinen habgierigen Sohn irgendetwas zu ändern.

Henry hatte dem Kronprinzen nicht mehr gegeben, als den klangvollen Titel des Mitregenten und ein paar unbedeutende Grafschaften, in denen der junge Mann keinen großen Schaden anrichten konnte. Keine Macht, keine Teilhaberschaft an den Einkünften des Königreiches, keine Entscheidungsgewalt ging an den Kronprinzen. Die Regierungsgewalt lag weiter einzig und allein in Henrys Hand.

Natürlich hatte dem Kronprinzen das nicht gefallen, aber anfangs hatte er kein großes Problem daraus gemacht. Der junge Prinz genoss sein Leben in vollen Zügen. Immer auf sein Vergnügen aus, zeigte er wenig Verantwortung oder Pflichtgefühl und regierte seine Grafschaften nach Gutdünken. Über die Folgen machte er sich keine großen Gedanken. Es lief doch alles ganz gut, auch ohne dass er wie sein despotischer Vater ständig nur arbeitete und alles und jeden kontrollierte.

Allerdings war dieses ausschweifende Leben leider sehr kostspielig. Also erhöhte der Prinz die Steuern, zog Gelder von anderen Stellen ab, lebte weiter wie bisher und erhöhte erneut die Steuern. Natürlich wusste der Prinz, dass es nicht ewig so weitergehen konnte, deshalb wandte er sich schließlich an seinen Vater und forderte sein Recht auf Mitherrschaft ein. Und natürlich wollte er sich auch seinen Anteil an den Einnahmen nicht entgehen lassen.

Henrys Reaktion darauf war klar, doch der Prinz gab nicht nach. Unzählige Male hatten sie sich gestritten deswegen, immer wieder, doch Henry war hart geblieben. Das verantwortungslose Verhalten seines Sohnes war ja auch wirklich kein Anreiz, seine Meinung zu ändern. Er vertraute nach wie vor niemandem. Selbst seiner Frau nicht, oder besser: Ihr schon gar nicht, und so fristete sein Sohn, wie auch Königin Eleonore, weiter ein Leben in Bedeutungslosigkeit, geschmückt mit edlen Titeln ohne Wert. Und jetzt versuchte der verärgerte Prinz, diesen Zustand mit Gewalt zu beenden.

„Wenn Ihr Verhandlungen für sinnlos haltet, dann bleibt nur Kampf“, meinte Graf Phillip gleichmütig. Für den unerfahrenen jungen Grafen war das ganze Theater kein ernstes Problem. „Das ist ja nicht weiter dramatisch. Wir alle sind Gefechte gewohnt und entsprechend gut gerüstet für einen Kampf, wir haben genügend geübte Krieger und verlässliche Verbündete. Selbst einen offenen Krieg können wir durchaus gewinnen, wenn wir unsere Möglichkeiten geschickt nutzen. Falls König Louis und Euer Sohn es tatsächlich soweit kommen lassen, und das bleibt noch abzuwarten. Es fragt sich, ob sie den Mut dazu haben.“

Henry betrachte den jungen, geckenhaft gekleideten Aristokraten mit leichtem Kopfschütteln. Er selbst legt keinen Wert auf Äußerlichkeiten und Prunk, trug einfache Kleidung und immer einen kurzen Mantel. Obwohl die Mode am Hofe zurzeit lange Überwürfe vorgab, was ihm prompt den Spitznamen Henry „Kurzmantel“ eingebracht hatte. Der Graf jedoch war immer nach dem allerneuesten Trend und übertrieben erlesen gekleidet. Oder wie weniger wohlmeinende Höflinge dazu sagten: aufgeputzt wie ein Pfau, und er gab sich gerne herablassend, um seine mangelnde Kampferfahrung zu kaschieren.

Aber er war wohlhabend und konnte von seinen beträchtlichen Ländereien viele Kämpfer rekrutieren, und damit war er für Henry ein wichtiger Mann. Da war ein wenig Nachsicht schon angebracht. Schließlich konnte er nicht riskieren, dass der Graf aus beleidigter Eitelkeit die Fronten wechselte und zum Kronprinzen überlief. Er wäre nicht der Erste, der sich von den Versprechungen des Prinzen locken ließ. Außerdem hatte der junge Bursche einen klugen Kopf und manchmal, vielleicht gerade wegen seiner Unerfahrenheit, recht gute Einfälle, auf die die alten Hasen mit ihren eingefahrenen Methoden nie kommen würden.

Francois Delaborde, Henrys oberster Heerführer, kam einer Erwiderung seines Königs mit leicht angesäuerter Miene, aber höflichem Tonfall zuvor. Auch ihm war klar, dass man diesen Mann nicht leichtfertig verprellen durfte.

„Bei allem Respekt vor Eurer Meinung, Sir Phillip, aber wir können nicht einfach mal eben den König von Frankreich angreifen! Wir müssen warten, bis er den ersten Schritt macht, erst dann haben wir das Recht uns zu wehren. Außerdem dürfen wir König Louis auf keinen Fall unterschätzen, auch wenn er sich bisher nicht sehr ehrgeizig gezeigt hat. Er kann ganz Frankreich unter Waffen stellen! Der Franzose hat jetzt die perfekte Gelegenheit, seine Macht zu festigen und er wäre dumm, wenn er den Aufstand des Kronprinzen nicht für seine Zwecke nutzt. Es ist ja bekannt, dass ihm die Normandie zu mächtig geworden ist, nur konnte er bisher nichts dagegen unternehmen. Jetzt aber schon.“

„Bis jetzt hat es noch keine wirklich großen Aktivitäten gegeben, die auf größere militärische Schritte hindeuten“, hielt Baron Pierre Patard dagegen, ein schon älterer, zurückhaltender Mann. „Wir werden immer auf dem Laufenden gehalten von unseren Spionen, die überall entlang der Grenze zwischen der Normandie, dem französischen Kronland und den anderen Nachbarn, und auch in der Nähe von potenziellen Gegnern im eigenen Land postiert sind. Niemand kann sich unserer Grenze auch nur nähern, ohne dass wir sofort davon erfahren.“

„Und wie nennt Ihr dann die Belagerung von Verneuil-sur-Avre, vom Kronprinzen und König Louis sogar persönlich angeführt?“, fragte Francois Delaborde sofort zurück.

„Ach, solche kleineren Übergriffe sind doch nur Spielereien. Die Stadt ist an der Seine strategisch gut gelegen und deshalb ein lohnendes Ziel für jeden Eindringling, aber es ist eben nur eine Stadt. Sollen sie Verneuil doch ruhig einnehmen, die wird dem Prinzen und Louis nichts nutzen.“

Der Heerführer schnaubte verächtlich. „Sie werden Verneuil gar nicht bekommen. Der Versuch alleine ist lächerlich! Für genau solche Fälle wurden die Befestigungsanlagen immer perfekt in Schuss gehalten. Die Mauern sind in tadellosem Zustand, die Brunnen gut gewartet und Vorräte sind immer für mehrere Monate eingelagert.“ Er wandte sich jetzt König Henry zu. „Natürlich sind auch entsprechend gut ausgewählte Leute in dieser Stadt, Männer, auf die Ihr Euch unbedingt verlassen könnt, Majestät. Eure treuen Gefolgsmänner Hugh de Lacy und Hugh de Beauchamp befehligen die Verteidiger und sie haben, wie erwartet, keine größeren Probleme damit, sich die Feinde von Leib zu halten.“

„Davon gehe ich aus.“ Henry kratzte sich gedankenverloren den Bart. „Trotzdem müssen wir die Situation im Auge behalten. Momentan ist ein Eingreifen nicht notwendig, aber bei Bedarf werden wir den Eingeschlossenen sofort zu Hilfe kommen.“

„Aber nicht Ihr persönlich.“ Prior Guillaume erhob sofort Einspruch. „Ihr müsst an Eure eigene Sicherheit denken und dürft nicht leichtsinnig den Schutz der Burg verlassen. Hier in Rouen seid Ihr sicher. Werdet Ihr gefangen, dann ist das unweigerlich das Ende Eurer Herrschaft. Der Kronprinz ist ja schon zum Mitregenten gekrönt und kann die Regierungsmacht jederzeit legal übernehmen, während Ihr auf Nimmerwiedersehen in irgendeinem Kerker verschwinden würdet. Bestenfalls.“

„Richtig, aber meine persönliche Anwesenheit wäre in diesem speziellen Fall auch nicht nötig. Sir Francois ist nicht ohne Grund mein oberster Heerführer, er würde das schon in meinem Sinne erledigen“, gab Henry zurück. „Ich spare mir einen persönlichen Einsatz für einen wichtigeren Grund auf.“

„Wir müssen aber nicht nur die Hauptakteure beobachten“, warf ein anderer Aristokrat mit kratziger Stimme ein. Er hüstelte, griff sich einen Becher Wasser von einem kleinen Beistelltisch und nahm einen Schluck, bevor er weitersprach. „Es gibt genügend Mitläufer, die die Gelegenheit nutzen wollen und sich gegen Euch erheben könnten. Der Graf von Flandern hat den Anfang ja schon gemacht und andere könnten dem Beispiel folgen.“

Besagter Graf von Flandern und dessen Bruder Matthew von Boulogne hatten Henry vor wenigen Jahren erst die Treue geschworen. Doch das hatte sie nicht davon abgehalten, jetzt gegen ihn in den Kampf zu ziehen. Der Graf hatte Ende Juni in einer schnellen, unerwarteten Attacke die Stadt Aumâle eingenommen, und, von seinem Erfolg angestachelt, hatte er sich danach die Burg von Driencourt vorgenommen. Und sich daran die Zähne ausgebissen.

„Aumâle kann ich mir später leicht zurückholen, wenn die dringenderen Probleme aus der Welt geschafft sind“, meinte Henry leichthin. „Und die Belagerung von Driencourt hat er ja nicht lange durchgehalten. Zum Glück ist der Graf von Flandern nicht der fähige Heerführer, für den er sich selbst hält.“

„Der Flame hat weder die Fähigkeiten noch die nötige Geduld. Es war zu erwarten, dass er bald mit ziemlicher Wut im Bauch weiterziehen würde.“Francois Delaborde sprach aus, was alle dachten. „Ich wundere mich nur, warum er sich von seinem nächsten Ziel, Arques, auch nach nur kurzem Angriff wieder zurückgezogen hat.“

„Vielleicht hat die heftige Gegenwehr der Städter den Feigling erschreckt“, warf Graf Phillip ein und strich sorgfältig eine Falte auf seinem goldbestickten Wams glatt.

„Und dann beendet er gleich den ganzen Feldzug und kehrt mit eingezogenem Schwanz nach Flandern zurück? Wegen der Gegenwehr einer einzigen Stadt?“ Der Heerführer verzog das wettergegerbte Gesicht. „Verzeiht, Sir Phillip, aber das glaubt Ihr doch selber nicht!“

Prior Guillaume hob die Hand und stoppte den Disput. „Die Erklärung ist einfach: Aberglaube ist schuld. Ein Mönch aus der Gegend von Arques war letztens zu Gast bei uns im Kloster und hat davon erzählt.“

„Wie bitte, Aberglaube?“, fragte König Henry verwirrt.

„Nun, wie Ihr wisst, hat Euch der Graf von Flandern vor fünf Jahren die Treue geschworen, ebenso wie dessen Bruder, Matthew von Boulogne. Letzterer ist beim Angriff auf Arques getötet worden, und, wie es der Teufel will, fiel er genau am Jahrestag seines Eides.“

Francois Delaborde pfiff leise durch die Zähne. Er wusste aus Erfahrung, wie nachhaltig solche dummen Zufälle einen Feldzug beeinflussen konnten. Nicht nur der flämische Graf war ein abergläubischer Mensch, diese Eigenschaft teilte er mit den meisten Kämpfern in so ziemlich jedem Heer.

„Wie mir berichtet wurde, sah der Graf in diesem Unglück einen Wink des Himmels, ein böses Omen, sozusagen als Strafe für den Eidbruch. Er zögerte, was natürlich nicht unbemerkt geblieben war, und schon hatte sich Unruhe im Heer ausgebreitet. Die Männer erwarteten schon fast weitere himmlische Strafen, wenn sie den Angriff fortführen würden, sozusagen gegen den Willen Gottes. Dieses Risiko war dann wohl auch dem Grafen zu hoch. Jedenfalls gab er den Angriff auf und zog sich nach Flandern zurück.“

„Das war es also.“ Henry nickte verstehend. „Von mir aus soll er ziehen, ich werde ihn nicht verfolgen lassen. Die Schmach der Niederlage ist Strafe genug.“

„Ein Widersacher weniger. Für den Kronprinzen ist das auf jeden Fall ein herber Rückschlag.“ Baron Pierre Patard brachte die Sache kurz und knapp auf den Punkt.

„Und man kann das Geschehene so auslegen, dass sogar Gott auf Eurer Seite ist, Majestät“, fügte Prior Guillaume lächelnd hinzu. „Wirklich nicht schlecht. Jetzt muss sich das nur noch herumsprechen.“

„Nur keine Angst, dafür werde ich schon sorgen.“ Henry grinste breit. Alles in allem lief es in Frankreich recht gut für ihn. „Ich denke, ich habe die Situation im Griff, und soweit ich es überblicken kann, drohen im Augenblick keine wirklich großen Aktionen vonseiten der Rebellen oder Louis. Aber an anderer Stelle müssen wir wachsam sein, nämlich in England.“

„Das glaube ich nicht.“ Graf Phillip schüttelte den Kopf. „Nach dem verpatzten Versuch Anfang des Jahres, als der Kronprinz versuchte, über diesen Graf Beaumont in England eine zweite Front aufzubauen, hat er sicher genug.“

„So sehe ich das auch“, stimmte der Prior zu. „Es gibt keinerlei Berichte oder auch nur Gerüchte über Maßnahmen des Kronprinzen auf der Insel.“

„Ich weiß nicht recht.“ Heerführer Delaborde bezweifelte, dass der Prinz so schnell aufgab. „Er muss ja nicht persönlich die Hand im Spiel haben, für so etwas hat er schließlich seine Leute. Der Prinz kann sehr charmant sein, freigiebig und lebenslustig ist er sowieso und er weiß, wie man Freunde gewinnt. Das kommt ihm jetzt zugute, denn so kann er genug Anhänger gewinnen, die unauffällig für ihn um Verbündete werben, oder Intrigen spinnen. Wie dieser Robert de Beaumont, der Graf von Leicester. Dem wäre es im Frühjahr doch fast gelungen, einen Bürgerkrieg in England anzuzetteln, ohne dass wir auch nur das Geringste geahnt hatten.“

Das stimmte. De Beaumont selbst war, um keinen Verdacht zu erregen, demonstrativ auf dem Festland mit dem Kronprinzen unterwegs gewesen, hatte Burgen belagert und auch das Vergnügen nicht zu kurz kommen lassen. Währenddessen waren dessen Vasallen an den verschiedensten Stellen aktiv gewesen und hatten Unfrieden gestiftet, wo sie nur konnten. Und sie hatten ihre Arbeit gut gemacht, sehr gut sogar.

„Ja, das war haarscharf.“ Henry erinnerte sich ungerne daran, dass sein Sohn ihn mit dieser geheimen Aktion tatsächlich fast übertölpelt hatte. „Eines muss ich meinem Sohn und dem Grafen lassen, sie sind wirklich sehr geschickt vorgegangen. Beide sind in dieser Sache nie persönlich in Erscheinung getreten und gaben nur mündliche Befehle, nirgendwo fand sich eine Unterschrift oder ein Siegel. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis ich endlich Beweise finden und den Grafen als Mitstreiter meines Sohnes entlarven konnte.“

Sobald König Henry der Verrat des Grafen klar geworden war, hatte er zurückgeschlagen. Er hatte dessen gesamte Grafschaft Leicester besetzen lassen und wollte auch die Hauptstadt samt des Grafen Burg mit einem schnellen Angriff übernehmen. Das hatte leider nicht wie gewünscht funktioniert, es gab Widerstand und aus dem Angriff wurde eine Belagerung, und aus König Henrys Strafmaßnahme war inzwischen eine längere Geschichte geworden.

Dass die Besatzung von de Beaumonts Burg Widerstand leisten würde, war zu erwarten gewesen, doch die Bürger der angrenzenden Stadt standen ebenfalls zu ihrem Grafen und verweigerten die Übergabe. Wohl auch deshalb, weil der Graf bekanntermaßen kein sehr umgänglicher Mann war und die Bürger dessen Rache fürchteten. Kaum waren die ersten anrückenden Truppen in Sicht gekommen, waren sämtliche Stadttore verrammelt worden. Alle Verhandlungsversuche waren abgewiesen worden und die logische Folge davon war eine Belagerung der Stadt und der Burg.

„Graf Beaumont hat seine Strafe bekommen“, sagte Baron Patard. „Er ist seine Grafschaft los und außerdem geächtet. Er mag auf König Louis Hoheitsgebiet auch noch Ländereien haben, aber wenigstens in England hat er keinen Rückzugsort mehr, von dem aus er gegen uns opponieren kann.“

„Nur ist er leider nicht der Einzige, der Schaden anrichten kann. Irgendjemand ist noch immer tätig auf der Insel“, hielt der Prior dagegen. „Jedenfalls hat König William von Schottland im Auftrag des Kronprinzen Besuch bekommen. Das erzählte mir ein schottischer Pilger vor einigen Tagen.“

Henry wusste das schon länger, sein Netzwerk funktionierte auch nicht schlecht.

„Ja, und der Besucher hatte leider auch Erfolg“, antwortete er. „Meinen Informationen zufolge zieht König William von Schottland gerade an der Grenze Kämpfer zusammen. Es sieht ganz so aus, als wolle der Schotte die Gunst der Stunde zu seinem Vorteil nutzen und auch ein wenig mitmischen. Ob er als Verbündeter des Kronprinzen handelt oder aus eigenem Antrieb, weiß ich nicht. Vielleicht will König William einfach nur seine Grenzen auf meine Kosten ein wenig nach Süden verschieben, während ich anderweitig beschäftigt bin.“

„Das spielt für uns keine Rolle, die Gefahr wird dadurch nicht geringer.“ Heerführer Delaborde waren die Gründe des Schottenkönigs einerlei, auf die Taten kam es an. „Den Berichten nach befindet sich die Aktion aber noch in den Vorbereitungen und der Schotte hat bei weitem noch nicht genug Krieger versammelt, um ernsthaften Schaden anzurichten. Das sollten wir unbedingt nutzen.“

„Werden wir“, antwortete Henry. „Was König William braucht, ist mehr Zeit und die werde ich ihm nicht geben. Ich habe schon Richard de Lucy, meinen obersten Justiziar in England, gewarnt. Der stellte sowieso schon an der Südküste ein Heer auf. Eigentlich war das eine Vorsichtsmaßnahme zum Schutz der englischen Küste gegen eine mögliche Invasion meines Sohnes oder seiner Genossen. Aber bei Bedarf können die Truppen natürlich auch im Norden zum Einsatz kommen und dem übereifrigen Schotten auf die gierigen Finger klopfen. Mein Befehl zum Abmarsch eines Teiles der Truppen nach Norden ist schon unterwegs. Das schottische Heer wächst mit jedem Tag und je schneller ich mit meinen Abwehrmaßnahmen bin, desto weniger Zeit hat König William.“

„Wir dürfen aber die Südküste nicht gänzlich ohne Schutz lassen“, warnte Baron Patard. „Falls der Kronprinz davon erfährt, und das wird sich nicht verhindern lassen, dann wird er auf jeden Fall eine Invasion versuchen. Selbst wenn er das bisher vielleicht gar nicht vorhat! Die unbewachte Küste wäre geradezu eine Einladung!“

„Da wird König Louis aber nicht mitziehen.“ Der Prior verschränkte die dicken Arme über seinem beträchtlichen Bauch. Sein demütiges Auftreten und seine einfache Kutte täuschten. Er stand einem recht wohlhabenden Kloster vor und war an gute, reichliche Kost gewohnt. Seit dem Morgenmahl waren schon ein paar Stunden vergangen und ihm knurrte der verwöhnte Magen. „Den Franzosen interessiert die Insel nicht und er wird dem Prinzen nicht seine Truppen mitgeben.“

„Ist auch gar nicht nötig“, antwortete der Baron. „Wenn unser Heer aus dem Wege ist, kann er auch mit wenigen Kriegern viel Schaden anrichten. Der Prinz hat genug Anhänger, auch in England, und er kann leicht zusätzlich noch Söldner zur Unterstützung anwerben.“

„Genau. Deshalb habe ich auch nicht das ganze Heer in Marsch gesetzt. De Lucy wird vor allem mit der Kavallerie aufbrechen, das muss reichen. Fußtruppen sind einfach zu langsam, die können notfalls später nachfolgen.“ Henry knurrte ärgerlich. „Mist! Um König William würde ich mich gerne selbst kümmern. Ich kann aber schlecht an zwei Stellen gleichzeitig persönlich vor Ort sein!“

Was ihm absolut nicht gefiel. Er hielt immer gerne selbst alle Fäden in der Hand und jetzt musste er sich auf schriftliche Befehle beschränken, die außerdem noch ewig unterwegs waren, ehe sie die zuständigen Leute erreichten. Der Weg nach England war weit und bei ungünstigem Wind konnte die Verbindung zur Insel auch mal über eine längere Zeit vollständig unterbrochen sein.

Aber abgesehen von den Schotten gab es wenig, was ihn nach England gezogen hätte. König Henry bevorzugte ohne Frage seine normannische Hauptstadt Rouen und er hielt sich oft dort auf, wenn er nicht gerade sonst irgendwo in seiner geliebten Normandie unterwegs war. Jedenfalls verbrachte er erheblich mehr Zeit hier auf dem Festland, als in seinem Königreich England. Die Normandie war seine Heimat, hier war er aufgewachsen und hier kamen seine Vorfahren her. Natürlich hatte er sich die Krone Englands nicht entgehen lassen, schließlich hatte er das Recht darauf, aber dabei ging es nur um Politik, um Macht und Reichtum. Sein Herz gehörte der Normandie und sicher nicht dieser feuchten, ewig dunstverhangenen Insel.

Seit der Eroberung der Insel durch Wilhelm den Eroberer hatten sich auch dort drüben viele Normannen angesiedelt und diesem regnerischen Land jenseits des Meeres ihre Kultur gebracht. Mittlerweile machten seine Landsleute sogar einen Hauptteil der herrschenden Klasse aus und in aristokratischen Kreisen wurde ausschließlich Französisch gesprochen statt dieser unverständlichen Sprache der einheimischen Angelsachsen. Trotzdem hatte Henry selbst sich in England nie so recht zu Hause gefühlt.

Aber es gab auch militärische Gründe für seine eher seltenen Besuche in England. Sein Königreich war durch die Insellage von Natur aus recht gut geschützt und das machte seine persönliche Anwesenheit unnötig. Von Schottland einmal abgesehen, musste jede Invasion zwangsläufig über das Meer erfolgen, wofür eine entsprechend große Flotte nötig war. Außerdem konnte keine Kavallerie von nennenswerter Stärke übergesetzt werden, sondern nur Fußtruppen. Das Ganze erforderte einen gewaltigen Aufwand und war außerdem von günstigen Winden abhängig, die einem feindlichen Eroberer in letzter Sekunde noch einen Strich durch die Rechnung machen konnten.

In der Normandie dagegen sah die Sache anders aus. Hier schützte kein Meer seine Grenzen. Er hatte rundherum genügend gierige Nachbarn, die ohne große Vorbereitung schnell mal mit ihren Rittern über seine Grenzen vordringen und die eine oder andere Grenzfestung erobern konnten. Er musste ständig wachsam sein, denn Neider oder ehrgeizige Emporkömmlinge, die sich einen Namen machen wollten, gab es mehr als genug.

Vollständig frei handeln, wie in England, konnte er in seiner Normandie jedoch nicht. Denn hier auf dem Festland war Henry II., König von England, ja nur ein Herzog, ein Untergebener von König Louis und diesem zur Treue verpflichtet. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass er seinen Thronerben mit König Louis Tochter verheiratet hatte. Im Gegenteil, denn das erwies sich jetzt als Fehler.

Henry war ohne Zweifel ein mächtiger Mann, auch als Herzog, und das hatte es ihm leichter gemacht, sich mit seiner unangenehmen Doppelrolle abzufinden. Außerdem hielt sich König Louis glücklicherweise weitgehend aus den Angelegenheiten und Streitigkeiten seiner Lords heraus, zumindest solange das Gleichgewicht der Kräfte im Land gewahrt blieb. Er griff nur ein, wenn ihm eine Partei zu mächtig wurde und zu einer Gefahr für seinen Thron werden konnte.

„Majestät, Ihr habt keinen Grund zur Sorge“, beruhigte Heerführer Delaborde seinen König. „Die Angelegenheiten in England könnt Ihr mit ruhigem Gewissen Anderen überlassen. Euer oberster Beamter in England, Justiziar Richard de Lucy, ist absolut loyal und sehr fähig, das hat er oft genug bewiesen. Er ist durchaus in der Lage, selbstständig die nötigen Entscheidungen in Eurem Sinne zu treffen.“

„Und Euren Freund Edward de Tourneau, den Herzog von Grantham, habt Ihr ja auch schon eingebunden und ihm die Belagerung von Leicester übertragen.“ Auch der Prior sah kein Problem. „Mit ihm habt Ihr einen der mächtigsten und wohlhabendsten Männer der Insel auf Eurer Seite. Also, eigentlich kann da drüben nicht mehr viel passieren.“

„Nur schade, dass dessen Sohn Sir Robert aus Eurem Dienst hier ausgeschieden ist. Den hätten wir gerade jetzt gut gebrauchen können. Ein guter Truppenführer mehr hätte nicht geschadet“, überlegte Delaborde.

Henry nickte. „Ein intelligenter, fähiger Mann und nicht so ein gedankenloser Heißsporn, wie viele in seinem Alter. In den wenigen Jahren an meinem Hof hat er sich schnell einen Namen gemacht und er hat nicht nur seines Ranges wegen zu meinem engsten Kreis gehört. Aber seine Rückkehr nach England ist nicht wirklich ein Verlust für mich, denn er unterstützt mich dort drüben weiter und hilft seinem Vater bei der Belagerung. Ich denke, die beiden werden Leicester schnell bezwungen haben. Die gesamte Grafschaft ist schon besetzt, die Stadt vollständig umstellt und vom Umland abgeschnitten. Ohne Nachschub an Nahrungsmitteln werden die Bürger aufgeben, sobald sie ihre Pflicht Graf Beaumont gegenüber gebührend erfüllt und eine gewisse Zeit Widerstand geleistet haben.“

„Die Städter vielleicht. Die gut befestigte Burg des Grafen ist jedoch eine andere Sache. Beaumont würde die Burgbesatzung gnadenlos vierteilen lassen, wenn die Männer es wagen sollten, seine Festung den Belagerern auszuliefern! Außerdem hat der Graf mit Sicherheit vorgesorgt und seine Festung mit Proviant für mehrere Monate ausgerüstet.“

„Auch das ist nur eine Frage der Zeit. Selbst die reichhaltigsten Vorräte halten nicht ewig. Aber Leicester ist sowieso nur mein geringstes Problem“, gab König Henry zurück. „Wenn ich nur wüsste, was mein Sohn vorhat!“

Er runzelte ärgerlich die Stirn. Was England betraf, so hatte er keinerlei Informationen über die Pläne seines Sohnes und gerade dieser Umstand machte ihn besonders nervös. Geduld gehörte nicht zu seinen herausragenden Eigenschaften und Warten gefiel ihm absolut nicht. Er hätte das Problem mit seinem rebellischen Sohn zu gerne direkt angepackt und aus der Welt geschafft. Doch er konnte nicht aktiv werden, solange er nicht wusste, was vor sich ging.

Würde der Prinz sich mit gebündelter Kraft auf das Festland konzentrieren und direkt gegen seinen Vater angehen oder England mit einbeziehen? Vielleicht sammelte sich gerade eine Flotte irgendwo an der Küste. Vielleicht waren schon Schiffe auf dem Weg nach England. Oder hatte der Prinz vielleicht überhaupt nicht die Absicht in England aktiv zu werden, wie einige der Anwesenden glaubten? König Henry konnte unmöglich ganz Frankreich komplett überwachen. So viele Spitzel gab es gar nicht. Die französische Küste war endlos lang, es gab ungezählte kleine Fischerhäfen und versteckte, schwer zugängliche Buchten, in denen sich eine kleine Flotte unbemerkt sammeln konnte.

Henry konnte nur ins Blaue hinein Vorsichtsmaßnahmen treffen und das machte seine Stimmung nicht besser.

„Wir können nur raten, oder abwarten, bis er den ersten Schritt macht.“ Prior Guillaume zuckte gottergeben die Achseln.

„Aber wenn wir erst reagieren, wenn etwas passiert ist, hängen wir immer hinterher!“, warf der Heerführer ein. „Wir dürfen das Handeln nicht ihm überlassen!“

„Im Prinzip habt Ihr Recht. Ich weiß bloß nicht, wie wir das ändern sollen. Ihr vielleicht?“, fragte Henry interessiert.

„Hmm. Was wir bräuchten, wäre ein Insider in den Reihen der Rebellen. Jemand der für uns arbeitet und uns sagt, was vorgeht. Wäre es möglich, dass wir einen Mitstreiter des Prinzen umdrehen können?“

„Kaum.“ Henry schüttelte sofort den Kopf. „Das müsste jemand in einer höheren Position sein, ein Aristokrat also. Die sind aber immer in Begleitung von ihrem Gefolge oder Wachleuten und es würde sofort auffallen, wenn ich versuchen sollte, im gegnerischen Lager durch einen meiner Vertrauten Kontakte zu knüpfen. Der Prinz hat lange genug mit mir an meinem Hof gelebt, er kennt alle meine Leute. Nein. Die Idee ist gut, aber nicht durchführbar. Leider.“ Er nickte dem Heerführer zu und fuhr mit einem Achselzucken fort: „Aber das macht nichts, es wird auch ohne gehen. Egal, was mein verehrter Sohn sich ausdenken mag, wir sind gut vorbereitet und können schnell reagieren. Das gilt auch für das belagerte Verneuil. Wir werden die Situation dort genau im Auge behalten, und falls sich die Lage zuspitzen sollte, setzen wir auf der Stelle unsere Truppen in Marsch. Und dann kann König Louis was erleben, mag er mein Lehnsherr sein oder nicht! Na schön, dann gibt es für heute wohl nichts weiter zu besprechen, oder? Es ist Zeit für das Mittagsmahl, also beenden wir die Sitzung. Der Hof wird schon warten.“

König Henry nickte in die Runde, dann ging er zur Tür und die Männer folgten, etwas steif vom langen Stehen. Aus der großen Halle klang ihnen schon das Stimmengewirr der wartenden Mitglieder des Hofes entgegen, die hungrig auf das Auftauchen des Königs warteten und sich dabei die Zeit mit Klatsch vertrieben. Die Tafel war längst aufgebaut worden, Körbe mit knusprigem, frischem Brot und Krüge mit Wasser, Wein und Bier standen schon bereit und Henry nahm ohne große Umstände Platz.

Sein Hofstaat folgte erleichtert seinem Beispiel. Unter dem Lärm der vielen Füße und dem Knarzen der Bänke und Hocker, die auf dem rauen Steinboden zurechtgerückt wurden, konnten die Küchenmägde endlich die Speisen auftragen. Kaltes oder verkochtes Essen war bei den Hofmitgliedern nicht sonderlich beliebt und auch die Köche hatten ihre liebe Not mit Henrys Unpünktlichkeit. Zu ihrem Glück war der König selbst nicht besonders anspruchsvoll, und solange der sich nicht beschwerte, konnten auch die anderen nichts sagen. Also fügten sich die Höflinge stillschweigend ins Unvermeidliche und griffen eilig zu. König Henry aß schnell und würde die Tafel bald wieder aufheben, also galt es keine Zeit zu verlieren, wenn man satt werden wollte.

Im Namen des Prinzen

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